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Archiv "Der Weltenläufer: Umeswaran Arunagirinathan, Arzt in Weiterbildung" (19.06.2009)

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A1300 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 25⏐⏐19. Juni 2009

T H E M E N D E R Z E I T

D

ass er damals noch ein Junge war, ist auf dem Polaroid- foto nicht zu erkennen. Auch nicht, ob er lächelt. Das Gesicht ist unter einer hellgrünen Kappe, hinter ei- nem weißen Mundschutz versteckt.

Eigentlich ist nur die dicke, überdi- mensionale Brille zu sehen. Der schmale Körper steckt in einem viel zu großen, grünen Kittel. Hinter ihm: Ärzte und Assistenten in einem gekachelten Raum, vertieft in ihre Arbeit.

Der Junge heißt Umeswaran Aru- nagirinathan, wird jedoch von allen nur Umes genannt. Wahrscheinlich hat er gelächelt, als das Foto beim Berufsvorbereitungstag vor der Fo- totapete geschossen wurde. „Ich wollte schon immer Arzt werden“, erzählt der heute erwachsene Aru- nagirinathan, immer noch sehr schlank, ohne Brille, die dunklen

Haare kurzgeschnitten. Damals war er erst sehr kurz in Deutschland.

Die Geschichte von Umeswaran Arunagirinathan, den alle nur Umes nennen, ist die Geschichte einer Wanderung zwischen den Welten.

Von einem tamilischen Jungen, der auf Sri Lanka inmitten des Bürger- kriegs aufwächst, als zwölfjähriger

ohne Eltern und Geschwister nach Hamburg flüchtet, der im sozialen Brennpunkt Mümmelmannsberg bei einem Onkel lebt und dort die Schule besucht und heute am Uni- versitären Herzzentrum, einem Un- ternehmen der Uniklinik Eppendorf in seiner Heimatstadt Hamburg, zum Facharzt weitergebildet wird.

Seit einem Jahr arbeitet der 31- Jährige als Assistenzarzt auf H4a, der Überwachungsstation, nur un- terbrochen von den langen Tagen im OP, an denen er seinem Chef, Prof.

Dr. med. Hermann Reichenspurner, und dessen Kollegen assistiert: den Bypass fixieren, Wunden vernähen oder das Material verknoten. Als er mit kurzen Schritten über die Gänge der Station geht, grüßt er eine Pati- entin durch die geöffnete Tür mit ei- nem fröhlichen „Moin, Moin“ und freut sich, dass die Frau heute ihr Bett verlassen kann. Mit einem Kol- legen verabredet er nebenbei den gemeinsamen Grillabend der Assis- tenzärzte.

Angst vor der Abschiebung Arunagirinathan haben sie gerne ab- gelichtet für Werbung und Kampa- gnen, um das strahlende Gesicht des modernen, weltoffenen Deutsch- lands zu zeigen. Doch der Hambur- ger ist erst seit einem halben Jahr Deutscher. 18 Jahre lang hat er dar- um gekämpft dazuzugehören. Noch kurz vor seinem Abitur an der Ge- samtschule im Hamburger Osten sollte er abgeschoben werden. Leh- rer, Mitschüler und deren Eltern ha- ben für sein Hierbleiben gekämpft.

Seine alte Schule in Mümmel- mannsberg ist ein orangefarbener Bau mit vielen kleinen, runden Fens- tern, der zwischen Hochhäusern und Wohnblöcken wie ein ausrangiertes U-Boot liegt. Hier haben drei von vier Schülern einen Migrationshin-

tergrund. In den Vorbereitungsklas- sen werden die Neuankömmlinge aus allen Teilen der Welt auf das deutsche Bildungssystem vorberei- tet. Auf dem Weg dorthin grüßen viele Schüler Arunagirinathan, Leh- rer bleiben für einen kurzen Schnack stehen. Das Komische ist, erzählt einer seiner ehemaligen

Der Weltenläufer

Alleine flüchtet er im Alter von zwölf Jahren vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka nach Hamburg. Dort wächst er im sozialen Brennpunkt auf.

Heute ist er Arzt am Universitären Herzzentrum der Hansestadt.

DAS PORTÄT

Umeswaran Arunagirinathan, Arzt in Weiterbildung

Foto:Karin Desmarowitz

In Afrika habe ich gelernt, niemals die Hoffnung und den Mut zu verlieren.

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 25⏐⏐19. Juni 2009 A1301 Lehrer, dass Umes derjenige war,

der Menschen zusammenbrachte, sie mitnahm. „Dabei war er doch derjenige, der normalerweise hätte integriert werden müssen.“ Aruna- girinathan, der Flüchtling ohne rechtmäßigen Aufenthalt in Deutsch- land, wurde nach zwei Jahren zum Klassensprecher, nach einem wei- teren zum Schulsprecher und später auch vom Landesschüler- parlament zu seinem Sprecher ge- wählt. „Er war der erste Schul- sprecher mit Migrationshintergrund“, sagt der Lehrer. „Die Schüler vor ihm waren Deutsche aus Mittel- schichtfamilien.“

Die Offenheit habe er von seiner Mutter, meint Arunagirinathan. Je- der kannte sie und fragte sie in den unterschiedlichsten Belangen um Rat. Wenn er von seiner Kindheit erzählt, geht es immer wieder um die Eltern und Geschwister, Nach- barn und die Dorfgemeinschaft auf der Halbinsel Jaffa, im Norden Sri Lankas. Und um den kleinen Laden vorm Haus, wo er Benzin verkaufte. Doch der Krieg wirft Schatten auf die Erinnerungen, mit ihm kamen die tief fliegenden Hubschrauber, Raketen, Tod und immer wieder die Flucht aus dem elterlichen Haus. Die Angehörigen der tamilischen Minderheit wur- den im Bürgerkrieg zwischen der Rebellenarmee der Tamil Tigers und den Regierungssoldaten auf- gerieben.

Geld für den Schlepper Die ältere Schwester starb früh an Nierenversagen. „Ihre Krankheit war heilbar, aber wegen des Krieges hat sie die medizinische Versorgung, die sie hätte retten können, nicht bekommen“, sagt Arunagirinathan bitter. Jahre vorher hatte der Junge Mutter und Schwester ins Kranken- haus begleitet. „Ich schaute den Arzt an und bewunderte ihn unendlich.

Wir waren so abhängig von ihm“, erinnert er sich.

Als der Junge zum Teenager wurde, wuchs die Gefahr, von den Tamil Tigers als Kämpfer rekrutiert oder von Regierungssoldaten ver- schleppt zu werden. Die Mutter be- schloss, ihren ältesten Sohn in Si- cherheit zu bringen. In Hamburg

lebte ein Onkel, dort sollte ihr Äl- tester die Schule besuchen und Arzt werden. Sie verschuldete sich hoch, um das Geld für den Schlepper zu- sammenzubekommen. Die letzte Rate zahlte er gegen Ende des Studi- ums ab.

Arunagirinathan war erst zwölf Jahre alt, als er seine Familie und seine Heimat verließ und zu einer Reise aufbrach, über deren Aus- gang er nichts wusste. Neun lange Monate sollte sie dauern. Als jüngster einer Gruppe von Flücht- lingen wurde er über Singapur und Dubai ins westafrikanische Togo geschleust. In einem frem- den Land unter unbekannten Men- schen verbrachte der Junge Mona- te, feierte seinen 13. Geburtstag – ohne ein Lebenszeichen von sei- nen Eltern. Endlich, im September 1991, kam er in Hamburg an, in der kleinen Hochhauswohnung seines Onkels.

Die Flucht hat ihn geprägt, sie ist ein wichtiger Teil seiner Biografie, die er nicht verdrängt, sondern mit der er lebt. „In Afrika habe ich ge- lernt, alleine zu sein und zu kämp- fen“, erklärt er. „Niemals die Hoff- nung und den Mut zu verlieren, auch wenn es noch so ausweglos

erscheint.“ In Deutschland dage- gen lernte er, auf die Menschen zuzugehen und sich zu „präsentie- ren“. „Von allein kommt keiner auf dich zu.“

In Hamburg begann er, Marathon zu laufen. Ausdauer und Zielstre- bigkeit brauchte er auch, um die Schule beenden zu dürfen, eine Aufenthaltserlaubnis für das Medi- zinstudium in Lübeck zu erhalten, um neben den Jobs in Nacht- und Wochenendschichten bei McDon- ald’s und auf Station das Geld zum Leben – und zur Unterstützung der Eltern – zu verdienen. Sie leben heute in einer kleinen Wohnung in der Hauptstadt Columbo, die der Sohn ihnen seit Studienzeiten fi- nanziert. „Das war mein Wunsch, sie sollten in Sicherheit vor dem Bürgerkrieg leben.“

Arunagirinathan hat ein Buch über sein Leben geschrieben, es gehört mittlerweile zur Standard- lektüre der neunten Klassen in der Gesamtschule Mümmelmannsberg.

Schulen und Flüchtlingsinitiativen laden ihn ein, auch in einem schles- wig-holsteinischen Gefängnis und einer Polizeischule hat er schon gelesen. „Mit meiner Geschichte möchte ich Menschen in einer ähn- lichen Situation Mut machen und die vielen ehrenamtliche Helfer motivieren weiterzukämpfen“, sagt Arunagirinathan. „Ich will allen zeigen: Man kann es schaffen.“ Das ist sein Kampf gegen Vorurteile, gegen Schubladendenken.

Gegen das Vergessen

Aber er erzählt die Geschichte auch für sich, genauso, wie er seine Freundschaften zu ehemali- gen Klassenkameraden, Lehrern und zu Freunden in Mümmel- mannsberg pflegt. „Das ist wichtig, damit man nicht abhebt.“ Er will nicht vergessen, wo er herkommt und wer ihm auf diesem Weg gehol- fen hat. „Die Menschen, die ich ge- troffen habe, gaben mir Schlüssel, mit denen ich neue Türen aufschlie- ßen konnte.“

Wer ihm zuhört, sein Lächeln sieht, vergisst, welche Erfahrungen dieser junge Mann wohl gemacht haben muss. Denn auch in einer bunten Großstadt wie Hamburg gel- ten die Gesetze, die den Eintritt in diese Gesellschaft verhindern.

Türsteher, die nach der Hautfarbe entscheiden, wem sie die Tür öff- nen, und Vermieter, die meinen, sich unter Deutschen sicherer zu füh- len. Obwohl Umes Arunagirinathan auch diese negativen Erlebnisse in seiner Erinnerung aufbewahrt, hat er ihnen niemals erlaubt, die Ober- hand zu gewinnen. Er ist ein gna- denloser Optimist. „Vielleicht fin- den mich manche Leute naiv“, ver- mutet er. Der vermummte Junge vor der Fototapete ist einen weiten

Weg gekommen. I

Michaela Ludwig

Die Menschen, die ich getroffen habe, gaben mir Schlüssel, mit denen ich neue Türen aufschließen konnte.

Gnadenloser Opti- mist:Umeswaran Arunagirinathan hat 18 Jahre lang um die deutsche Staats- bürgerschaft ge- kämpft.

T H E M E N D E R Z E I T

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