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Archiv "Die Arbeitsunfähigkeit in ihren verschiedenen Aspekten" (30.10.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Medizin

Zur Fortbildung

Die Arbeitsunfähigkeit

in ihren verschiedenen Aspekten

Hero

Silomon

1. Vorbemerkungen

Krankheiten können das Indivi- duum zeitweise oder dauernd dar- an hindern, seiner Arbeit und da- mit seinem Gelderwerb nachzu- gehen. Sie müssen es aber nicht einfach deshalb, weil sie aufgetre- ten und feststellbar sind oder weil einer Abnormität der Befunde, des Befindens oder des Verhal- tens der Charakter von Krankheit zugeschrieben wird. Vielmehr ge- schieht dies nur unter bestimmten Bedingungen.

Der Mensch kann sich heute kraft eigener Möglichkeiten praktisch gegen diesen Fall nicht schützen und sichern. Zu Recht wird des- halb der Bürger in einer moder- nen Gesellschaft, in der die Inan- spruchnahme medizinischer Lei- stungen teuer ist, durch Gesetz in ein Versicherungssystem ge- zwungen, in dem Krankheit der zu versichernde Fall ist.

Hieraus ergeben sich vielfältige Rückkopplungen zwischen Krank- heit, den die Medizin anwenden- den Ärzten und den medizinische und soziale Leistungen erbrin- genden Sozialversicherungsträ- gern und ferner der Volkswirt- schaft. Diese stehen im Kontext mit den jeweiligen gesellschaft- lichen Rahmenbedingungen, sie sind in sie eingewoben.

Aus dieser Sicht heraus soll im fol- genden der Versuch unternom-

Besonders in Zeiten wirtschaft- licher Regression gewinnt die Ar- beitsunfähigkeit an Aktualität und Interesse. Es wird darüber emo- tional diskutiert. Dabei sind die Ansichten polarisiert und berufen auf gegenteiligen Überzeugungen.

Die Arbeit will einige abgesicher- te Erkenntnisse und eigene Er- fahrungen des Autors vermitteln.

men werden, einige Aspekte der Arbeitsunfähigkeit') so weit abzu- handeln, wie bei dem verfügbaren Raum möglich.

2. Arbeitsunfähigkeit in verschiedenen Aspekten

2.1 Sozialversicherungsrechtlicher Aspekt

„Arbeitsunfähig ist ein Versicher- ter (d. h. bei einem gesetzlichen, also nicht privaten Krankenversi- cherungsträger') mit dem An- spruch auf Barleistungen versi- cherter Arbeitnehmer, Anmer- kung des Verfassers), der seiner bisher ausgeübten oder einer ähnlich gearteten Erwerbstätig- keit überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, seinen Zustand zu verschlim- mern 3 )". Der Grund der AUF muß Krankheit sein und diese muß sein Leistungsvermögen so weit be- einträchtigen, daß er den mit sei-

ner Erwerbstätigkeit verbundenen Anforderungen entweder von vornherein nicht genügen kann — zum Beispiel infolge eines perfo- rierten Magengeschwüres —, oder nicht auf Dauer — zum Beispiel wegen der Gefahr der Verschlim- merung einer Bronchitis infolge von Arbeit in der Nässe. Dabei ist seine Tätigkeit als Ganzes zu be- werten. Der Umstand, daß er ge- gebenenfalls fähig wäre, einzelne Verrichtungen innerhalb des Ar- beitsablaufes auszuführen, tut seiner AUF keinen Abbruch.

Es bedarf also bei der Feststel- lung der AUF zunächst der gut- achterlichen Äußerung eines Kas- senarztes in Form einer Beschei- nigung, welche er auf Grund sei- nes Sachverstandes abgibt. So- fern sich hieran keine begründe- ten Zweifel ergeben 4 ), erwächst dem Versicherten hieraus neben dem Anspruch auf Krankenpflege ein solcher auf Lohn- oder Ent- geltfortzahlung seitens des Ar- beitgebers für die Zeit von sechs Wochen wegen derselben Krank- heit innerhalb von zwölf Mona- ten') und hiernach auf Kranken- geld von seiten der Krankenkas- se') für den Fall der AUF wegen derselben Krankheit, nämlich für höchstens 78 Wochen innerhalb

1) im folgenden: AUF 2) im folgenden: GKV

3) BSG-Urteil vom 30. 5. 67-3 RK 15/65—BSG E 26/288

§ 369 b Abs. 1 Ziff. 2 RVO

5) Art. 1 § 1 Lohnfortzahlungsgesetz

§ 182 Abs. 1 Ziff. 2 RVO

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 44 vom 30. Oktober 1985 (43) 3253

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Arbeitsunfähigkeit

von drei Jahren vom Tage des Be- ginns der AUF an 7 ). Während die- ser Zeiten ist sein Fehlen am Ar- beitsplatz entschuldigt. Für den Arbeitgeber rechnen die für die Entgeltfortzahlung aufgewende- ten Beträge als Lohnkosten zu den Unkosten. Die Krankenkassen müssen die Aufwendungen für Barleistungen aus ihren Beitrags- einnahmen bestreiten, die ihrer- seits aus einem Arbeitgeber- und einem Arbeitnehmeranteil zusam- mengesetzt sind.

2.2 Medizinischer Aspekt

Die zum Nachweis von Krankheit als Grund der AUF erforderlichen Feststellungen medizinischen Charakters zu treffen, ist Sache des Arztes. Dies kann schwierig sein, da sich nicht kraft Vorschrift definieren läßt, was Krankheit ist, sondern sich aus der Rechtspre- chung nur ergibt, welche Eigen- schaften unnormale gesundheit- liche Zustände und Vorgänge ha- ben müssen, wenn sie einen An- spruch auf Leistungen aus der GKV — zum Beispiel Krankengeld

— begründen und entschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz rechtferti- gen sollen (5, 15)*). Nach der stän- digen Rechtsprechung noch aus den Zeiten des damaligen Reichs- versicherungsamtes ist „Krank- heit ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der eine Heilbehandlung erforderlich macht oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat" und in modernerer Formulierung ist „als Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne ... ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand zu verste- hen, dessen Eintritt entweder al- lein Behandlungsbedürftigkeit oder zugleich oder ausschließlich AUF zur Folge hat." Dieser Grund- satz ist zwar durch die im Kern unveränderte, wenngleich wei- terentwickelte Rechtsprechung nicht angetastet. Wohl aber ist seine Anwendbarkeit auf Zustän- de und Vorgänge erweitert wor- den, bei denen diese früher nicht

') § 183 Abs 2 RVO

gegeben war, so zum Beispiel be- stimmte Abweichungen des sozia- len Verhaltens und anderes mehr.

Es wäre ein Mißverständnis, hier- aus ableiten zu wollen, daß dies eine juristische Definition des schon medizinisch nur bedingt definierbaren Begriffes „Krank- heit" wäre. Vielmehr dient die- se pragmatische Krankheitsbe- schreibung nur dem Zweck,

„Krankheit" für die Praktizierung innerhalb der GKV griffig zu ma- chen, da sie hier nun einmal der sogenannte Versicherungsfall ist und sein muß. In Verbindung da- mit, daß Krankheit auch nach ih- ren medizinischen Merkmalen ei- ne erhebliche Randunschärfe auf- weist (4, 7), wird verständlich, daß bei weitem nicht alles, was in der Kompetenz der Ärzte liegt oder in sie gerät, in diesem Sinne Krank- heit ist.

Ein ärztliches Urteil darüber, ob die Krankheit entweder das Lei- stungsvermögen insgesamt oder in bestimmten Teilfunktionen so weit herabsetzt, daß AUF anzu- nehmen ist, kann nur abgegeben werden, wenn die mit der letzten Tätigkeit verbundenen Anforde- rungen an Leistung bekannt sind und mit dem fehlenden oder noch vorhandenen Leistungsvermögen verglichen werden können (8).

Dies kann einfach sein oder schwierig, letzteres besonders bei funktionellen Syndromen und bei Störungen des Befindens oder des sozialen Verhaltens, ferner in der Rekonvaleszenz und nach Re- habilitation (6, 11, 12).

Es ist nicht zu bezweifeln, daß die- se Schwierigkeiten bei der Beant- wortung der Frage „arbeitsunfä- hig: ja oder nein?" die Endsumme der zu entscheidenden Fälle in er- heblichem Umfange als falsch-po- sitiv beeinflussen aber kaum als falsch-negativ.

Die heute angewandte bzw. prak- tizierte Medizin zeichnet sich ne- ben anderen Merkmalen in ihrer Infrastruktur dadurch aus, daß sie arbeitsteilig und hochtechnisiert ist. Um in der Sprache der Patien-

ten zu reden, wird man „von ei- nem zum anderen geschickt und an alle möglichen Apparate ange- schlossen", zur Diagnostik wie zur Therapie. Das Warten auf Un- tersuchungs- und Behandlungs- termine und -ergebnisse, auf Be- funde, Kontrollbefunde und Be- richte ist von Einfluß auf die Län- ge vieler AUF-Fälle, die so auch durch nicht unmittelbar krank- heitsbedingte Faktoren mitbe- stimmt wird (14).

Dieses und der Umstand schließ- lich, daß die Inanspruchnahme vieler medizinischer Leistungen, ob notwendigerweise oder nur vermeintlich, aber jedenfalls fak- tisch nur im Status der AUF mög- lich ist, hat zur Folge, daß sehr vie- le Menschen längere und lange Etappen ihres Lebens entweder fragmentarisch oder im Konti- nuum als „Kranke" zubringen, was sicher nicht ohne prägenden Einfluß auf ihr Verhalten bleibt (15). Nicht nur die kurz dauernden Krankheitsfälle, die schnell in Hei- lung übergehen, sondern gerade auch diese AUF-Fälle beeinflus- sen zu ihrem Teil die Parameter, in denen sich die AUF zahlenmä- ßig ausdrückt. Bei kritischen Be- merkungen über die AUF wird dies im allgemeinen zu wenig be- rücksichtigt.

2.3 Ökonomischer Aspekt

Die AUF, nicht als Einzelphäno- men betrachtet, zieht durch die damit verbundene Rechtsfolge der Entgeltfortzahlung oder des Krankengeldbezuges erhebliche ökonomische Folgen nach sich, ferner dadurch, daß den hierdurch bedingten Kosten kein Äquivalent an Leistung oder an Produktion entspricht. Auf das Ganze gese- hen spielen jedoch im Bereich der GKV die Barleistungen wegen AUF als Kostenfaktor gegenüber früheren Zeiten eine geringe Rol- le, insbesondere im Vergleich zu den Kosten wegen stationärer Be-

') Die in Klammern gesetzten Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis beim Sonderdruck.

3254 (44) Heft 44 vom 30. Oktober 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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Arbeitsunfähigkeit

handlung, für Arzneimittel und in- folge Zahnbehandlung und -er- satz. Aus diesem Grunde hat auch die Diskussion um die AUF und die Notwendigkeit der Senkung der Krankenstände an Interesse und an Emotionen verloren.

Die Krankenstände (1, 2, 9, 18) ha- ben sich trotz zahlreicher instabi- ler Einflußfaktoren im Laufe der letzten etwa 15 Jahre als ziemlich stabil erwiesen, so daß Versuche, über Einwirkungen auf deren Hö- he ökonomische Sanierungsef- fekte zu erzielen, wenig erfolg- reich waren und sein werden.

Nichtsdestoweniger ist natürlich die Inanspruchnahme der ver- schiedenen Leistungen aus dem Bereiche der GKV nicht unabhän- gig von den Krankenständen zu sehen, sondern bedingen höhere Krankenstände erfahrungsgemäß auch höhere Folgekosten ver- schiedener Art als niedrige. So sei die Aussage erlaubt, daß die Volkswirtschaft mit den Kranken- ständen, wie wir sie seit 15 bis 20 Jahren mit nur geringen Schwan- kungen registrieren, zu leben ge- lernt hat, mit ihnen lebt und weiter leben wird und daß die großen ökonomischen Probleme in Ver- bindung mit dem Faktor Krankheit anders zu verorten sind: in den Bereichen stationärer Behand- lung, Arzneimittel und Zahnbe- handlung/Zahnersatz.

2.4 Gesellschaftlicher Aspekt Die Verbreitung und Verteilung von Krankheiten mit der Eigen- schaft vorübergehender oder dau- ernder Leistungsminderung hat sich unter gewandelten zivilisato- rischen und gesellschaftlichen Verhältnissen ebenso wie unter dem Einfluß moderner Medizin, insbesondere ihrer diagnosti- schen, therapeutischen und reha- bilitativen Technologie, erheblich gewandelt (14). Vieles, das früher den Charakter der Unpäßlichkeit hatte, und anderes, das durch die damals noch weiten Maschen des diagnostischen Fangnetzes hin- durch rutschte, hat heute den

Rang von Krankheit. Lebensbe- drohliche Episoden, die früher in Kürze zum Tode führten, sind heute zu beherrschen und kön- nen entweder kurz oder mittelfri- stig in Heilung oder bedingte Bes- serung übergehen oder aber in ein chronisches Siechtum. Es gibt nur noch wenige total unbehan- delbare Krankheiten, und die chronischen, nicht heilbaren, son- dern nur beeinflußbaren Krank- heiten sind die Herausforderung an die Medizin — weniger dagegen grippale Infekte, Lumbago und HWS-Syndrom, um diese nur bei- spielhaft zu erwähnen (17).

Krankheit im allgemeinen Wort- sinn ist heute verbreiteter als frü- her. Immer mehr Menschen kom- men in zahlreichen kurzen oder mittelfristigen Lebensetappen oder auf Dauer mit Krankheit und Medizin in Berührung als Betrof- fene oder im Umfeld Betroffener, auf die sie Rücksicht nehmen müssen. Sie werden vor gesund- heitsschädigendem Verhalten und vor passiv erlittenen Gesund- heitsschäden gewarnt, zum Be- achten von Frühwarnsymptomen angehalten und erleben Präven- tion und Früherkennung von Krankheiten. Gesundheit ist höch- stes Gut, wie man auch immer mit ihr umspringt — und was sie ko- stet, erfährt man aus den Medien und liest man an seinem Lohn- streifen ab.

So kann es nicht verwundern, daß all dies auf das Verhalten der Menschen einwirkt: einerseits macht sich eine neurasthenisch- hypochondrische Grundeinstel- lung breit, andererseits wird ge- murrt, so ginge es nicht weiter, mit den Kosten, dem „Krankfei- ern" und der Arbeitsmoral, von der man annimmt, sie fände ihren Ausdruck in der vom Kassenarzt bescheinigten AUF, deren Para- meter die Krankenstände seien.

Tatsächlich sind die Krankenstän- de seit 1968 weitgehend stabil, sie bewegen sich zwischen 5,4 und maximal 5,9 Prozent in 1973 und zuletzt bei 4,4 Prozent in 1983 8);

vielleicht gibt es auch hier eine Art Sättigungsgrenze, die jetzt er- reicht ist. Geändert haben sich da- gegen die AUF-Fälle je 100 Mit- glieder der GKV: sie stiegen von 58,9 im Jahre 1967 auf 85,8 im Jah- re 1982 an 9). Gleichzeitig verkürz- ten sich die AUF-Tage je Fall von 24,0 in 1967 auf 16,9 in 1982 9). Man wird „öfter mal ein bißchen krank". Damit erwächst von Zeit zu Zeit der Ruf nach Kontrolle, be- sonders in den Wellentälern wirt- schaftlicher Prosperität (10, 13, 15). Tatsächlich ist die Kontroll- schraube, besonders seit dem In- krafttreten des Lohnfortzahlungs- gesetzes am 1. Januar 1970, dra- stisch gelockert worden. Wurden 1965 noch 10 080 652 Menschen durch den Vertrauensärztlichen Dienst begutachtet, so waren es 1984 nur noch 1 990 513 10). Wäh- rend 1965 jeder 3,3. AUF-Fall be- gutachtet wurde, war es 1982 je- der 19,5. 10). Einwirkungen auf die Krankenstandshöhe hatte dies nicht, die Falldauern nahmen ab und nicht zu, während die Fallhäu- figkeit anstieg, was man durch Kontrolle ohnehin nicht hätte ver- hindern können. Unsinnige, falsch angesetzte und überzogene Kon- trolle produzierte gesellschaft- lichen Unfrieden, den man not- falls noch hätte hinnehmen kön- nen, wenn ihm wenigstens ein Äquivalent an finanziellem oder sonstwie zu definierendem Nut- zen gegenüber gestanden hätte.

3. Ausblick

Die AUF, ausgedrückt in der Höhe des Krankenstandes, ist kein Wert an sich, sondern nur einer der In- dikatoren, an denen sich die ge- genseitige Beeinflussung von Me- dizin und Gesellschaft verdeut- licht. Die Medizin sammelt, filtriert und produziert unnormale Befun- de zu Tausenden und transponiert

8) Hauptergebnisse der Arbeits- und Sozial- statistik

9) Quelle: „Gesetzliche Krankenversiche- rung — Geschäfts- und Rechnungsergeb- nisse"

10) Statistiken der Arbeitsgemeinschaft für Gemeinschaftsaufgaben der Krankenversi- cherung

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 44 vom 30. Oktober 1985 (47) 3255

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Arbeitsunfähigkeit

sie in Krankheit. Die Menschheit in den gesellschaftlichen Zustän- den des Abendlandes am Ende unseres Jahrhunderts ist nur be- dingt gewillt und in der Lage, dies klaglos zu ertragen, zumal ihr ge- sagt wird, es sei zum großen Teil entweder vermeidbar oder unzu- mutbar.

So wäre es ein Irrtum, wollte man versuchen, durch Einwirkung auf AUF/Krankenstand den sicher nicht in jeder Beziehung den Vor- stellungen aller entsprechenden Zustand unserer Gesellschaft zu verbessern. Es wäre ein Arbeiten am Symptom, nicht an dessen Gründen (15, 16, 17). Ohne Zweifel muß Kontrolle sein und ist sie legi- tim. Jeder von uns übt sie aus und muß sie zugleich gegen sich selbst gelten lassen. Mehr als eine moralische Wirkung, einen regu- lierenden und stabilisierenden Ef- fekt hat sie nicht (13). In der Form, in der sie sich ausüben läßt, ist sie kaum effektiv und schon gar nicht effizient, sie leistet nicht, was man von ihr erhofft.

Wollte man an den Verhältnissen ernstlich etwas ändern, sprich:

verbessern, so müßte man einen anderen Ansatz wählen als den bisherigen, da dieser — um es in einem Bilde auszudrücken — para- dox ist: Ein Schiff liegt im Hafen und ist von fast jedermann ohne größere Schwierigkeiten zu betre- ten; wenn das Schiff aber abge- legt hat, sucht man nach blinden Passagieren, ob sie nun ein kur- zes Stück mitgenommen werden oder sich auf eine große Reise be- geben wollen, die man dann aber bekanntlich nur schwer wieder an Land setzen kann.

Um den umgekehrten Weg zu ge- hen, müßte die Medizin ernst- licher als bisher reflektieren, was

„krank" ist und ob denn wirklich alles in ihrer Kompetenz Befind- liche allein schon durch diesen Umstand als krank bezeichnet werden darf (3, 4, 7). Zum anderen müßte ein Konzept der Gesund- heitserziehung entwickelt wer- den, das die Menschen lehrt,

Krankheit, Mißbehagen, Mißge- schick und Unglück besser zu er- tragen. Es bedarf keiner Begrün- dung, daß wir hiervon noch sehr weit entfernt sind.

Literatur

Gesundheit — Krankheit — Arbeitsunfähigkeit, Selbstmedikation. Schriftenreihe „Arb.Med., Soz.Med., Präventivmedizin", Band 64 Gent- ner Stuttgart 1967. Verhandlungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin Hei- delberg, 14. u. 15. Oktober 1976 hrsg. von H.

Blohmke und U. Keil. — Gross, R.: Gesundheit und Krankheit in ihren verschiedenen Aspekten. Dtsch. Ärztebl. 77 (1980)1397-1406.

— Grundner-Oulemann, A. W.: Ergebnisse der neueren Rechtsprechung aus dem Bereich der Krankenversicherung. öff. Gesundheits- wesen 42 (1980) 167-174,281-288 u. 355-360, 43 (1981) 521-523,45 (1983) 540-543. — Schae- fer, H.: Der Krankheitsbegriff. In: Handbuch der Sozialmedizin, Band III, hrsg. von M.

Blohmke, Chr. von Ferber, K. P. Kisker, H.

Schaefer, Enke Stuttgart (1976) 15-31. — Silo- mon, H.: Simulation und Aggravation — Be- gehrlichkeit und Kontrolle. In: Sozialmedizin—

Chronisch-granulomatöse Erkrankung

und Job-Syndrom

Zu dem Beitrag von Dr. med.

Rudolf Zankovich et al. in Heft 17/1985, Seiten 1257 bis 1263 Die Autoren haben ein selte- nes, differentialdiagnostisch oft schwer zu erkennendes und wich- tiges Krankheitsbild erneut ins Gedächtnis gerufen: die chro- nisch-progressive Granulomatose und das Job-Syndrom. Das Krank- heitsbild des Job-Syndroms ist kli- nisch durch rezidivierende Ab- szesse und Hautinfekte bei gestör- ter Granulozytenchemotaxis und hohem Immunglobulin-E-Spiegel gekennzeichnet. Übergänge zu anderen Krankheitsbildern, wie z. B. auch der chronisch-progres- siven Granulomatose, sind mög- lich. Ein primärer Defekt der Pha- gozytenfunktion wurde jedoch beim Job-Syndrom bisher nicht nachgewiesen. Vielmehr handelt es sich am ehesten um eine sekundäre Hemmung der Gra- nulozytenchemotaxis auf zellu- lärer Ebene. Pathophysiologisch kommt es möglicherweise über

Eine Einführung für Sozialversicherungsfach- leute, hrsg. von H. Silomon, Asgard, (1978) S.

199-205. — Silomon, H.: Verkennung der Gren- zen menschlicher Leistungsfähigkeit. Med.

Sachverst. 74 (1978) 70-72. — Silomon, H.: Fol- gen der Verkennung der Grenzen mensch- licher Leistungsfähigkeit. Med.Sachverst. 75 (1979) 90-92. — Silomon, H.: Ausmaß und Trend der Arbeitsunfähigkeit — Organisations- formen und Ergebnisse ihrer Kontrolle, Öff.

Gesundheitswesen 45 (1983) 374-379. — Silo- mon, H.: Arbeitsunfähigkeit. In: Das neurologi- sche Gutachten, hrsg. von H. H. Rauschelbach und K. A. Jochheim, Thieme Stuttgart (1984) 71-87

Anschrift des Verfassers:

Leitender

Landesmedizinaldirektor Dr. med. Hero Silomon

stellv. Landesvertrauensarzt bei der Landesversicherungsanstalt Hannover

Schölerbergstraße 22 B 4500 Osnabrück

eine mastzellgebundene Reaktion von Staphylokokken-Antigenen mit Antistaphylokokken-IgE zur Freisetzung von Histamin und se- kundär über eine Erhöhung des intrazellulären zyklischen AMP- Spiegels zu einer Hemmung der Granulozyten-Funktion. Für einen sekundären Granulozytenfunk- tionsdefekt spricht auch die Tat- sache, daß neutrophile Granulozy- ten von Patienten mit Job-Syn- drom nach 12stündiger In-vitro-In- kubation wieder normal auf che- motaktischen Reiz reagieren. Die exakte Untersuchung der Granu- lozytenfunktion ist allerdings die Voraussetzung für die Erkennung dieses klinischen Syndroms.

Weitere Literatur auf Anforderung beim Verfasser.

Privatdozent

Dr. Manfred E. Heim Onkologisches Zentrum Klinikum Mannheim Postfach 383-24 88 6800 Mannheim 1

Die Autoren haben auf ein Schluß- wort verzichtet. MWR AUSSPRACHE

3256 (48) Heft 44 vom 30. Oktober 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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