Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
Stundenlohn — Minutenlohn
er subventioniert die Schwanger- schaften seiner Angestellten usw.
Schließlich bedingt die Berufsaus- übung des in freier Praxis nieder- gelassenen Arztes eine der läng- sten Ausbildungszeiten, die wir überhaupt kennen (die Ausbildung zum Flugkapitän ist in der Regel viel kürzer). Und endlich hat der Arzt, wenn er ans Verdienen kommt, meist nur zwei bis maximal zweieinhalb Jahrzehnte vor sich, in denen er seine volle Leistung er- bringt. Qualitativ mag er noch bis in die Altersjahre auf der Höhe bleiben, quantitativ wird er nach- lassen, sobald er sich den Sechzi- gern nähert. Und wo ein Angestell- ter auf Grund seiner langen Dienst- zeit immer noch Gehaltserhöhun- gen erwarten darf, muß sich der Arzt darauf einrichten, daß ent- sprechend der verminderten Ar- beitskapazität auch seine Einnah- men geringer werden. Und wo ein Angestellter sich über Arbeitsunfä- higkeit und Kurverschickung re- habilitiert, ohne daß es ihn etwas kostet, muß der Arzt seine Rehabi- litation mit abermals verminderten Einnahmen erkaufen.
Heilkunst ist keine Fließbandarbeit
Wer also sagt: „nur eine Spritze, und dann neun Mark!" — der hält die Heilkunst wohl für eine Art von Fließbandarbeit — „der nächste, bitte!".Aber gewiß, manches in der Medi- zin läßt sich wie Fließbandarbeit organisieren, zum Teil sogar das Checking in einem Diagnostikzen- trum.
Man kann eine Impfaktion fließ- bandmäßig durchführen, und kein Mensch wird erwarten, daß jede der vielleicht vierhundert Impfsprit- zen, die der Arzt bei einer solchen Aktion an einem Tag zu geben ver- mag, neun Mark kosten muß. Nur, so etwas läßt sich nicht jederzeit und überall durchführen. Man kann Dutzende Parameter aus ein paar Tropfen Blut gewinnen, und das ganze braucht, wenn die entspre-
chende Einrichtung vorhanden ist, nicht mehr als wenige Mark pro Untersuchungsserie zu kosten. Al- lerdings auch nur dann, wenn die Einrichtung halbwegs ausgelastet ist und bleibt. Es kostet aber eine einzige Blutuntersuchung, die man hier und sofort benötigt, ein Vielfa- ches.
Ist das denn so schwer zu begrei- fen? Ein neuer Radioapparat ko- stet, weil am Fließband hergestellt, kaum mehr als die diffizile Repara- tur eines kaputten Gerätes. Das weiß und akzeptiert jedermann. Je- dermann weiß aber auch, daß die Reparatur eines kaputten Gerätes noch viel mehr kostet, wenn sie von Samstag auf Sonntag erfolgen soll. Wenn man überhaupt jeman- den bekommt, der so etwas über- nimmt.
Solch einer Sofortreparatur aber entsprechen die meisten ärztlichen Behandlungen. Man kann in der Medizin zwar einiges, aber ganz bestimmt nicht alles rationalisie- ren. Könnte ein Arzt die zwanzig intramuskulären Injektionen eines Arbeitstages hintereinander geben, danach die zehn intravenösen In- jektionen, nebenbei zehn Kurzwel- len laufen lassen, alle EKG hinter- einander schreiben usw. usf., dann bliebe dennoch ein beachtlicher Rest von Arbeit, der in kein Sche- ma einzuordnen ist. Mit einem Wort, die Tätigkeit des Arztes hätte auch ein Henry Ford nicht rationel- ler zu gestalten vermocht. Der Blinddarm wird nicht um acht Uhr morgens akut, wo weißes Blutbild und Blutsenkung am laufenden Band gemacht werden können, die Nierenkolik wartet nicht auf den Zeitpunkt, wo der Doktor sagt: und nun alle Intramuskulären ran! Sol- che Dinge hat man früher den Mili- tärärzten angelastet. Möchte man sie heute wiederhaben?
Wer in Haus- und Haushalt sparen will, kann dem ehrbaren Handwerk mit einem Bastler-Handbuch und mit einer Heimwerker-Ecke man-
ches Schnippchen schlagen. Von ähnlichen Ambitionen auf dem Ge- sundheitssektor leben die Reform- häuser und die Trimm-dich-Auto- ren (und blüht die Selbstmedika- tion). Aber es ersetzt nicht jede Axt im Hause jeglichen Zimmermann, und es ist immer noch ein Unter- schied, ob man eine Tapete schlecht aufgeklebt oder ob man seinen Blutreinigungstee aus fal- schem Anlaß getrunken hat.
Letztlich ist man doch auf den Arzt und sein kostspieliges Unterneh- men angewiesen. Per Saldo ist es meistens billiger und besser als die medizinische Heimwerkerei, auch wenn man sich einen ärztlichen Stundenlohn von hundert Mark oder mehr auszurechnen wüßte.
Hundert Mark tun weh. Wenn man Privatpatient ist, leidet die eigene Geldbörse; ist man Kassenpatient, so leiden die Krankenkassen und erhöhen die Beiträge.
Wer also der Meinung ist, die ärzt- lichen Reparaturstunden seien ein- fach überbezahlt, der gehe zum nächsten Radiohändler und bestel- le sich einen neuen Apparat. Vom Fließband und daher billiger als jede Reparatur ...
Dr. med.
F. Macha
ZITAT Prädestiniert
„Wenn ich diesen Posten aufgebe, dann kann ich Di- rektor einer Irrenanstalt wer- den. Dafür bin ich inzwischen gut ausgebildet."
Henry Kissinger — laut „New York Times" beim Einsteigen in sein Flugzeug in einer nah- östlichen Hauptstadt
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