In den Behandlungszentren ha- ben nach Angaben von Yüksel bis- her rund 1 000 Menschen Hilfe ge- sucht. Im Jahr 1991 wurden 253 Pa- tienten betreut, im vergangeneu Jahr waren es 393 Patienten und in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 172.
Die Arbeit der Stiftung soll nicht auf die bisherigen Projekte be- schränkt bleiben. Vorgesehen ist un- ter anderem ein schrittweiser Ausbau des Dokumentationszentrums, in dem alle Arten von Menschenrechts- verletzungen archiviert werden. In Planung ist außerdem die Einrich- tung einer Radiostation, die neben einem eigenen Programm zu Men- schen- und Bürgerrechtsfragen auch anderen demokratischen Organisa- tionen Raum zur Erstellung unab- hängiger Programme bieten will.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland leben zahlreiche Tür- ken und Türkinnen, die in ihrem Hei- matland gefoltert worden sind und unter den physischen und psychi- schen Folgen leiden. Ihnen hilft un- ter anderem das Psychosoziale Zen- trum für ausländische Flüchtlinge in Köln, das von der Familientherapeu- tirr Elise Bittenbinder dem Deut- schen Ärzteblatt vorgestellt wurde.
Die 1985 gegründete Einrichtung hilft bei Asylverfahren und Aufent- haltsgenehmigungen, bei Ausbil- dungswegen und der Arbeitssuche sowie bei Familienzusammenführun- gen. Psychotherapeuten bieten unter anderem Beratungsgespräche in Pro- blemsituationen, Paar- und Familien- therapie, Einzeltherapie, Tanz-, Be- wegungs- und Kunsttherapie an.
Ähnliche Einrichtungen gibt es auch in anderen deutschen Städten.
.... Während Elise Bittenbinders größtes Anliegen eine verbesserte Zusammenarbeit mit niedergelasse- nen Ärzten ist, benötigt der TIHV vor allem Spenden. Kontaktadressen:
Dr. med. Angelika Claußen, Langen- hagen 49, 33617 Bielefeld, Tel 0 52 22/30 62, Fax 5 99 55; Bankver- bindung: Postgiro Köln, Sven-Wül- fing-Sonderkonto, Konto-Nummer 34 40-16-501, BLZ 370 100 50. Psy- chosoziales Zentrum für ausländi- sche Flüchtlinge, Elise Bittenbinder, Norbertstraße 27, 50670 Köln, Tel 02 21!13 73 78, Fax 1 39 02 72. Kli
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KURZBERICHTE 1 • 1•·••i···
I AUFSÄTZEChip-Technik in
Verwaltung und Medizin:
Der Routineeinsatz hat begonnen
Mit der im April 1993 aufgrund des Gesundheitsstrukturgesetzes (§ 291 SGB V) in Wiesbaden/Rhein-T aunus-Kreis in Phase I begonnenen/ flüchendecken- den Einführung der Krankenversichertenkarte in Gesamtdeutschland bis Janu- ar 1995 wird in unserem Gesundheitswesen eine Struktur geschaffen/ die na- hezu zwangsläufig die elektronische Verarbeitung aller Leistungsdaten im Be- reich der Gesundheitsverwaltungen zur Folge hat. Dies ist in dieser Ausprä- gung weltweit einmalig und zwingt zu weiterreichenden Überlegungen. Wäh- rend die Vorteile/ die sich die Bundesregierung und ihre Berater von der Karte versprechen (Rationalisierung der Verwaltungsabläufe und Verbesserung der Transparenz des gesamten leistungsgeschehens)/ absehbar erreicht werden/
bleibt der medizinische Aspekt bisher vollkommen unberücksichtigt.
Otfrid P. Schaefer
In der bis 1989 (GRG) zurück- reichenden Anlaufphase erwarb die Ärzteseite neue Kenntnisse über Karten-Systeme, insbesondere über die internationale Entwicklung von Karten-Systemen in Medizin und Verwaltung. Das war Anlaß für die Verantwortlichen der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung (KBV), im Dezember 1991 anstelle der ur- sprünglich vorgesehenen hochgepräg- ten Karte mit Magnetstreifen eine Kar- te in der Chip-Technik zu fordern.
Man war auf der Ärzteseite zu der Überzeugung gelangt, daß, wenn schon die Einführung eines Karten- systems aus übergeordneten politi- schen und verwaltungstechnischen Gründen unvermeidbar ist, man die daraus resultierende technische In- frastruktur, auch für die Bewältigung längst erkannter Defizite der Kom- munikation und Information in der Medizin, nutzen sollte.
Ganz im Gegensatz zu der durch den Bundesgesetzgeber intendierten Verwendung einer Versichertenkar- te haben die Möglichkeiten und Per-
spektiven des Einsatzes der Chip- Technik international seit Jahren eine verbesserte Kommunikation der Ärz- te untereinander und eine verbesser- te Information über das Krankheits- geschehen zum Wohle der Patienten zum Ziel. Zum besseren Verständnis der Problematik bedarf es einer Defi- nition der Defizite, die eine Erweite- rung des Einsatzes der Chip-Technik herausfordern, und ferner einer Ana- lyse der Möglichkeiten und Restrik- tionen, die sich daraus ergeben.
Informationsdefizite in der
Gesundheitsverwaltung Die Informationsdefizite, denen der Gesetzgeber mit der Einführung der Krankenversichertenkarte zu be- gegnen sucht, sind einerseits in der Zuordnungsproblematik der Lei- stungspflicht der zahlreichen Kran- kenkassen, andererseits in der In- transparenz des Leistungsgeschehens A1-3286 (26) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993
THEMEN DER ZEIT
in einem Sachleistungssystem zu er- kennen. Zur Überwindung dieser Mängel bedarf es zunächst nur der eindeutigen, maschinenlesbaren Be- schriftung aller Formulare, die eine Leistung der Krankenkasse (versi- chertenbezogen) auslösen, flankiert durch die Vergabe einer Versicher- ten-Nummer und zweier aufgabenbe- zogener Codes, nämlich der Pharma- zentral-Nummer und des ICD. Die resultierenden fünf Nummernkreise einschließlich einer Krankenkassen- Nummer (Institutskennzeichen mit und ohne Kartennummer), der Arzt- nummer und des Tagesdatums lassen eine vielfältige Analyse des Lei- stungsgeschehens, kassen-, patien- ten- und arztbezogen, zu. In dieser Möglichkeit stecken datenschutz- rechtliche Implikationen, die zur Zeit aufgearbeitet werden. Nicht die Karte selbst, sondern die personen- bezogene (versichertenbezogene) Übertragung der Patientendaten ein- schließlich des ICD (Diagnosen), die für den Datenträgeraustausch mit den Krankenkassen gefordert wird, stellt durch die vielfältigen personen- beziehbaren Verarbeitungsmöglich- keiten das eigentliche Datenschutz- problem dar.
Informationsdefizite in der Medizin
Die Informationsdefizite und Probleme der Kommunikation in der Medizin sind zwar allenthalben be- kannt, aber in jüngster Zeit weder vor dem Hintergrund moderner In- formationsverarbeitung noch ange- sichts der heute verfügbaren Kom- munikationshilfsmittel systematisch untersucht worden. Das ist um so be- merkenswerter, als diese Defizite auch zu Lasten der Qualität der Pa- tientenversorgung gehen und nicht unerhebliche Zusatzkosten für die Versichertengemeinschaft verursa- chen. Nur zwei Beispiele verdeutli- chen dies:
1. Arztbriefe, die bei Kranken- hausentlassung eines Patienten die nach- oder weiterbehandelnden Ärz- te über den Behandlungsgrund, die Aufnahme- und Entlassungsdiagno- se, den Krankheitsverlauf, durchge- führte Operationen, erhobene Be-
AUFSÄTZE
funde und Meßwerte, histologische Ergebnisse, Komplikationen und the- rapeutisches Vorgehen, einschließ- lich der Empfehlungen zur Weiterbe- handlung, informieren sollen, errei- chen die niedergelassenen Ärzte häufig erst nach Wochen, nicht selten erst Monate nach der Krankenhaus- entlassung.
2. Wichtige Vorbefunde werden vor stationärer Krankenhausaufnah- me und bei Überweisung von Arzt zu Arzt selten und, wenn überhaupt, zu- meist unvollständig übermittelt. Der Patient, insbesondere der ältere Mensch, erinnert nicht Umfang, Ort und Ergebnis früherer Untersuchun- gen mit der Folge, daß diese Unter- suchungen kostenträchtig erneut durchgeführt werden (müssen).
Versichertenkarte schafft neue Defizite Mit der Einführung der Versi- chertenkarte wird das Problem der Informationsdefizite der Ärzte vor- hersehbar verschärft. Wenngleich die Krankenkassenverbände das Pro- blem bisher herunterzuspielen be- müht sind, wird der freie Zugang zu Fachärzten aller Disziplinen durch die einfache Vorlage der Karte er- leichtert. Die Folge wird einerseits eine Zunahme der Fälle (zu Lasten der Budgets der Ärzte), andererseits
— und das wiegt viel schwerer — ein Informationsverlust für den mit- oder weiterbehandelnden Arzt sein: denn ohne Überweisung kein Bericht.
Dieses Beispiel macht deutlich, daß die Krankenversichertenkarte keineswegs (nur) Wegbereiter für be- reichsübergreifende Kommunikation und Information ist, sondern ihrer- seits Maßnahmen herausfordert, die einem Informationsverlust infolge des Einsatzes der Karte entgegenwir- ken müssen.
Zu denken ist, trotz der Beden- ken des Datenschutzes, an die Spei- cherung der letzten Arzt-Patienten- Kontakte in der Versichertenkarte mit Anschrift und Telefonnummer der Ärzte, jedoch ohne Aufzeich- nung von Gesundheitsdaten. So wäre jeder weiter- oder mitbehandelnde Arzt in der Lage, zumindest Vorun- tersuchungen beziehungsweise kon-
krete Fragestellungen bei den vor- oder mitbehandelnden Ärzten abzu- rufen.
Informationsdefizite in der Me- dizin belasten neben der unmittelba- ren Patientenversorgung auch die wissenschaftlichen Arbeiten und na- mentlich epidemiologische Studien, die ihrerseits zur Verbesserung me- dizinischer Forschung und Entwick- lung unverzichtbar sind. Das in Kran- kenblättern und Karteien brachlie- gende, wertvolle Datenmaterial schreit geradezu nach sinnvoller Auf- bereitung und Auswertung. Seit mehr als 25 Jahren stellen die lük- kenlose Dokumentation und die Zu- sammenführung der zu verschiede- nen Zeiten, an verschiedenen Orten (Stellen) ärztlicher Versorgung erho- benen Krankendaten den Wunsch- traum vieler Ärzte und keineswegs nur der Wissenschaftler und Doku- mentare dar. Dieses Ziel, unter dem Stichwort „Record-Linkage" in der Literatur bekannt, ist mit der Einfüh- rung der Versichertenkarte erstmals in greifbare Nähe gerückt.
Record-Linkage, ein Wunschtraum?
Man muß sich nur vergegenwär- tigen, wie wenig Patienten, nament- lich die älteren, in der Lage sind, ihre Krankengeschichte, die Daten durch- gemachter Erkrankungen, von Schutzimpfungen, erlittener Unfälle und Operationen, diagnostischer und/oder therapeutischer Maßnah- men von einiger Relevanz erinnern und bei der Erhebung der so wichti- gen Anamnese zutreffend beschrei- ben oder wiedergeben zu können.
Ein „Record-Linkage" mit Hilfe der Karte wird aber erst dann mög- lich, wenn
1. wissenschaftliche Fachgesell- schaften, beispielsweise auf Einla- dung des Zentralinstituts der Deut- schen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epide- miologie e. V. (GMDS), sich mittel- fristig darauf einigen, welche Daten im Sinne von Minimum-Standard- Datensets patienten-, krankheits- oder problembezogen auf Chip-Kar- ten (Smart-Cards) gespeichert wer- den sollen;
A1-3288 (28) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993
U
rteil Nr. 1: Eine Papierfabrik im US-Bundesstaat Connecti- cut hat über längere Zeit ver- schmutzte Abwässer in den Fluß ge- leitet, nach dem der Staat seinen Na- men hat.Zwar betonten die Behörden, daß niemals eine Gefahr für die Be- völkerung bestanden habe, aber trotzdem wurde die Papierfabrik im Gerichtsverfahren zu einer Geldstra- fe von umgerechnet rund 18 Millio- nen Mark verknackt.
Urteil Nr. 2: Das Landgericht Darmstadt verhandelte gegen eine 27 Jahre alte Frau, die, ohne je eine Ausbildung abgeschlossen zu haben, sich als Heilpraktikerin und Di- plompsychologin bezeichnet und be- tätigt hatte. 50 000 Mark hatte sie un- ter diesen Titeln kassiert (übrigens:
von privaten Krankenversicherun- gen!). Reflexzonen-Behandlung und Laser-Therapien waren ihre Metho- den.
Verurteilt wurde sie wegen Be- trugs, illegaler Ausübung der Heil- kunde, Mißbrauch von geschützten Berufsbezeichnungen und gefährli- cher Körperverletzung. Das vom Land- gericht festgesetzte Strafmaß: 2 600 Mark Bußgeld und 19 Monate Haft mit Bewährung.
Achtzehn Millionen, obwohl kei- ne Gefährdung vorlag. Dagegen: Be- währung und 5 Prozent der Scha-
Zwei Urteile
denssumme als Bußgeld bei vier Straftatbeständen, unter denen sich auch die gefährliche Körperverlet- zung befand.
Zwei Fragen: Auf welcher Seite des Atlantiks wird besseres Recht ge- sprochen? Und: Treten deutsche Richter irgendeiner „alternativen Medizin" noch immer mit einer ge- wissen Ehrfurcht gegenüber? Die Private Krankenversicherung wird sich auch fragen lassen müssen, ob sie denn wirklich alles bezahlt.
(Anmerkung: Die Tatsachen-In- formationen stammen von den Agentu-
ren AP und dpa). bt
THEMEN DER ZEIT
2. alle beteiligten Ärzte und Ein- richtungen über eine computerge- stützte Krankenblatt- und/oder Kar- tei-Organisation verfügen, mit deren Hilfe sich diese Anamnese-Daten in die medizinische Dokumentation der Systeme integrieren lassen;
3. Einigung dazu herbeigeführt ist, wer nach welchen Vorgaben be- rechtigt ist, ein Update vorzuneh- men;
4. die Mehrzahl der Versicher- ten/Patienten sich freiwillig dazu be- reitfindet, ihre Krankendaten, Risi- kofaktoren, Impftermine etc. auf Da- tenträgern, also Chipkarten, spei- chern zu lassen und mit sich zu füh- ren;
5. Karten-Lesegeräte in Arzt- praxen und Krankenhäusern in der Lage sind, nicht nur Speicher-Chips der Krankenversichertenkarte, son- dern auch Prozessor-Chip-Karten zu lesen und zu beschreiben.
Sind diese Voraussetzungen ein- mal erfüllt, würde das Verfahren we- sentlich zur Überwindung des soge- nannten Grabens zwischen ambulan- ter und stationärer Krankenversor- gung beitragen können.
• Der Datenschutz reklamiert, daß die Speicherung von Gesund- heitsdaten auf Chip-Karten nur mit Einverständnis des Patienten, also auf freiwilliger Basis, getrennt von der Versichertenkarte, auf einer zweiten Karte erlaubt sein soll. Die- ser Forderung kann entsprochen werden, wenngleich in vielen euro- päischen Ländern multifunktionale Karten erprobt werden, die sowohl verwaltungs- als auch medizinische Daten gespeichert vorhalten.
Schlüsselkarte und die Standards
Unverzichtbar wird es sein, eine nationale Einigung auf eine Schlüs- selkarte, zur Identifikation der Zu- griffsberechtigten (Gesundheitsberu- fe), herbeizuführen und „Trusted Third Parties" zu benennen. Es ist ferner zu definieren, wer nicht nur teilweise oder in Gänze den Karten- inhalt zur Kenntnis nehmen darf, sondern insbesondere wer verant- wortlich welche Informationen im Chip der Karte eintragen darf.
AUFSÄTZE / GLOSSE
Schließlich sind Vorkehrungen zu treffen, daß die Inhaber von Karten den vollständigen Inhalt des Chips an neutraler Stelle zur Kenntnis neh- men können, um gegebenenfalls von dazu autorisierten Personen eine Korrektur fehlerhafter Daten vor- nehmen zu lassen oder auch Daten zu löschen, mit deren Weitervermitt- lung der Karteninhaber nicht (mehr) einverstanden ist.
Viele nationale und internatio- nale Gremien, das DIN mit seinen Normierungsausschüssen, das Direk- torat XIII der EG-Kommission in Brüssel, CEN, mit seinen techni- schen Kommissionen, widmen sich ebenso wie Fachgesellschaften (Tele- TrusT Deutschland e. V.) der Frage der Normierung, Standardisierung und Sicherheit bei der Verwendung von Mikro-Chips in Verwaltung und Medizin. Vorarbeiten sind also gelei- stet. Sie bedürfen der Koordination.
Fazit
Es wäre fatal, wenn die Infra- struktur, die wir uns gerade anschik- ken, zum Einsatz der Versicherten- karte zu schaffen, dieser vorherseh- baren Entwicklung nicht alsbald Rechnung tragen würde. Ohne eine vorausschauende Planung, nur und weiterhin nach der Methode des
„That and Error" vorzugehen, ist an- gesichts dieses komplexen Themas nicht sinnvoll und nicht vertretbar.
Deswegen scheint vor einer Fortset- zung der Bemühungen, Kartensyste- me im deutschen Gesundheitswesen zu etablieren, eine nationale Konsen- suskonferenz aller Beteiligten und Betroffenen der einzig mögliche Weg, diese große Herausforderung zu bestehen. Die Bundesregierung, der Datenschutz, die Verbände der Krankenkassen, die ärztlichen Fach- gesellschaften und Körperschaften sind gefordert.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Otfrid P. Schaefer Internist/Medizinische Informatik Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen
Georg-Voigt-Straße 15 60325 Frankfurt/Main
Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993 (29) A1-3289