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Archiv "Medizinische Hilfe in Ruanda: Mit wenig Geld viel erreichen" (10.05.1996)

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M

it dem Inkrafttreten des Vertrages über die Euro- päische Union verfügt die Europäische Gemeinschaft über eine Rechtsgrundlage für ein Tätigwerden auf dem Gebiet des Ge- sundheitswesens. Zu den neuen Auf- gaben der Europäischen Gemein- schaft gehört es auch, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Gesund- heitsschutzniveaus zu leisten.

Gemeinschaftsrecht als Vorwand

Die europäische Gesundheitspo- litik ist auf die Verhütung von Krank- heiten, insbesondere der weitverbrei- teten schwerwiegenden Krankheiten einschließlich der Drogenabhängig- keit, gerichtet (Erforschung der Ursa- chen und der Übertragung der Krank- heiten, Gesundheitsinformation und -erziehung). Artikel 129 EG-Vertrag sieht vor, daß jedes Gemeinschafts- handeln in Zukunft gesundheitsver- träglich ausgestaltet sein muß: „Die Erfordernisse im Bereich des Ge- sundheitsschutzes sind Bestandteil der übrigen Politiken der Gemein- schaft.“ Trotzdem wird das geltende Gemeinschaftsrecht von den Mit- gliedstaaten oft als Vorwand benutzt, um eine europäische Gesundheitspo- litik zu erschweren.

In seiner Stellungnahme zur be- vorstehenden Regierungskonferenz befürwortet der zuständige Parla- mentsausschuß daher eine begrenzte Harmonisierung, jedenfalls soweit es sich um Mindestqualitätskriterien für

die Diagnose, Behandlung und Ge- sundheitsfürsorge handelt.

Die aktuellen Fördermaßnah- men der europäischen Gesundheits- politik werden von Parlament und Rat gemeinsam beschlossen. Damit ist erstmals sichergestellt, daß die eu- ropäische Gesundheitspolitik durch das Europäische Parlament mitge- staltet wird. So bereitet das Parlament derzeit aus eigener Initiative Vor- schläge zur Bekämpfung der Alzhei- mer-Krankheit, zur Selbstversorgung mit Blut, zur Alternativmedizin und zur Einführung eines europäischen Gesundheitspasses vor.

Die neue demokratische Kompo- nente der europäischen Gesundheits- politik führt dazu, daß ein Vermitt- lungsausschuß einberufen wird, wenn die Gesundheitsminister der 15 Mit- gliedstaaten nicht alle Vorschläge der europäischen Abgeordneten anneh- men. Vor kurzem wurden die ersten Rechtsakte verabschiedet, über die sich nach einer erfolgreichen Vermitt- lung der Gesundheitsministerrat und das Europäische Parlament geeinigt haben. Die Europäische Union ver- fügt damit über ein langfristiges Ak- tionsprogramm (1996 bis 2000) zur Gesundheitsförderung, -aufklärung, -erziehung und -ausbildung, das nicht auf die verschiedenen Aspekte eines spezifischen Gesundheitsproblems abstellt, sondern allgemeine Faktoren der Prävention und für die Gesund- heitsförderung relevante Vorgehens- weisen umfaßt:

1 Unterstützung der Strategie der Gesundheitsförderung im Rah- men der Gesundheitspolitik in den

Mitgliedstaaten durch Hilfe für ver- schiedene Maßnahmen der Zusam- menarbeit (Erfahrungsaustausch, Pi- lotprojekte, Netzwerke);

1 Anregung zu einer gesunden Lebensgestaltung und einem gesund- heitsfördernden Verhalten;

1 Förderung der Kenntnisse über Risikofaktoren und gesundheits- fördernde Aspekte;

1 Förderung sektorübergrei- fender und multidisziplinärer Ansät- ze zur Gesundheitsförderung unter Berücksichtigung der sozioökonomi- schen Bedingungen und der physi- kalischen Umweltgegebenheiten, die für die Gesundheit des einzelnen und der Gesamtbevölkerung unerläßlich sind, insbesondere für benachteiligte Gruppen.

Gesundheitsförderung

Dem Programm liegt der Ansatz der Gesundheitsförderung zugrunde.

Dieses gerade nicht krankheits-, son- dern gesundheitsorientierte Konzept zielt darauf ab, eine verantwortungs- volle Lebensweise zu fördern. Den verschiedenen sozialen Gruppen sind die Fertigkeiten und das Wissen für eine gesunde Lebensführung zu ver- mitteln; außerdem sind die für eine gute Gesundheit erforderlichen so- zioökonomischen Bedingungen und Umweltbedingungen zu schaffen.

In Zukunft werden grenzüber- schreitende Netze und Projekte natio- naler, regionaler und lokaler Einrich- tungen der Gesundheitsförderung un- terstützt. Zu den geförderten Schwer- A-1250 (34) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 19, 10. Mai 1996

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Gesundheitsförderung in Europa

Beispiel für die Dynamik der Integration

Martin W. Kamp

Die Gesundheitspolitik der Europäischen Gemeinschaft ist ein gutes Beispiel für die Dynamik der europäischen Integration. Mit der Einführung des Mitentscheidungs- rechts des Europäischen Parlaments erhält die euro- päische Gesundheitspolitik eine neue, für die Unions-

bürger sichtbare Dimension. Wesentliche Fortschritte

bei dem Aktionsprogramm zur Gesundheitsförderung

sowie bei den Aktionsplänen zur Krebs- und AIDS-Be-

kämpfung sind darauf zurückzuführen. Auch finanziell

konnte das Parlament seine Forderungen durchsetzen.

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punkten gehört die Rolle der Er- nährung und anderer mit der Lebens- weise zusammenhängender Faktoren bei der Ätiologie von Krankheiten.

Auf Drängen des Parlaments werden dabei die neuen Techniken und Me- thoden der Darbietung und Zuberei- tung von Nahrungsmitteln zu beurtei- len sein. Der Öffentlichkeit soll ein besseres Verständnis grundlegender Ernährungsprinzipien vermittelt wer- den. Verstärkt gefördert werden in den nächsten Jahren innovative Maß- nahmen zur Prävention

von Herz-, Kreislauf- und Hirngefäßerkrankungen sowie der Informations- austausch über die Risiko- faktoren für diese Krank- heiten. Ein Erfahrungsaus- tausch wird auch über die vernünftige Anwendung von Arzneimitteln, insbe- sondere über Generika und Selbstmedikation, ge- führt. Zu den Schwerpunk- ten des Programms ge- hören weiterhin Vorbeuge- maßnahmen gegen den Al- koholmißbrauch und – auf Drängen des Parlaments –

die Vorbeugung bei altersbedingten Krankheiten sowie die Förderung regelmäßiger körperlicher Betäti- gung und das Erlernen geeigneter körperlicher und mentaler Hygie- nepraktiken.

Gesundheitserziehungsprojekte für Jugendliche und Heranwachsende – einschließlich einer vom Parlament geforderten Sexualerziehung – wer- den unterstützt. Gefördert wird auch die Gesundheitserziehung am Ar- beitsplatz. Berufsbildende Förder- maßnahmen zielen darauf ab, dem Gesundheitspersonal, den im Bereich Gesundheitspolitik beschäftigten Personen sowie den Hauptakteuren der Gesundheitsförderung (Lehrer, Erzieher, Sozialarbeiter) Wissen, Konzepte und Methoden aus den Bereichen öffentliche Gesundheit, Prävention, Gesundheitsförderung, Aufklärung und Gesundheitserzie- hung nahezubringen. Weil die Ge- sundheitsminister die Mittelausstat- tung dieses Programms kürzen woll- ten, konnte erst im Vermittlungsaus- schuß eine Einigung zwischen Parla- ment und Rat erzielt werden. Der Fi-

nanzrahmen für die Ausführung die- ses Programms beträgt damit die vom Parlament geforderten 35 Millionen ECU.

Das Aktionsprogramm wird von der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten durch- geführt. Die internationale Zusam- menarbeit mit Drittländern und mit internationalen Organisationen und Nicht-Regierungsorganisationen soll gefördert werden. Insbesondere steht das Programm einer Beteiligung der

assoziierten Länder Mittel- und Ost- europas offen.

AIDS ist gegenwärtig eine weit- verbreitete, nicht heilbare Krankheit, zu deren Bekämpfung sowohl auf der Ebene der Europäischen Gemein- schaft als auch weltweit Maßnahmen in den Bereichen Therapie, For- schung und Prävention erforderlich sind. Parlament und Rat haben ein Aktionsprogramm in Höhe von 49,5 Millionen ECU beschlossen, um die Ausbreitung von AIDS einzuschrän- ken und das Risiko der Infektion durch andere Infektionserreger zu mindern. Auch Nicht-Regierungsor- ganisationen und Selbsthilfegruppen können davon im Kampf gegen AIDS profitieren.

AIDS-Aktionsprogramm

In diesem Aktionsprogramm (1996 bis 2000) werden Gemein- schaftsmaßnahmen zur Prävention von AIDS mit solchen zur Prävention von anderen übertragbaren Krank- heiten verbunden. Dabei wird ange-

strebt, die mit dem Programm „Euro- pa gegen AIDS“ seit 1991 gewonne- nen Erfahrungen auch in andere Be- reiche zu übertragen. Das Aktions- programm sieht Maßnahmen in ver- schiedenen Bereichen vor:

– Überwachung und Kontrolle der übertragbaren Krankheiten;

– Bekämpfung der Übertragung;

– Information, Erziehung und Ausbildung;

– Betreuung von HIV-Infizier- ten/AIDS-Kranken und Bekämpfung der Diskriminierung.

Die Europäische Gemeinschaft wird das Europäische Zentrum für die epidemiologische AIDS-Überwa- chung unterstützen und eine Vernet- zung regionaler und nationaler Über- wachungssysteme fördern. Außer- dem wird ein Katalog von Sorgfaltsre- geln für Strategien und Praktiken bei HIV-Tests ausgearbeitet. Auf Vor- schlag des Parlaments soll ein gemein- schaftsweites Epidemiologienetz mit Blick auf die Vereinbarung gemeinsa- mer Überwachungsverfahren und -in- strumente errichtet werden. Eine sol- che koordinierte Problembewälti- gung ist insbesondere im Falle eines epidemischen Ausbruchs notwendig.

Regelmäßig werden europäische In- formationsschriften zur Überwa- chung übertragbarer Krankheiten beitragen. Angeregt wird darüber hinaus zu einer stärkeren Sensibilisie- rung für die Probleme nosokomialer Infektionen. Dies gilt ebenfalls für Untersuchungen zur Wirksamkeit und Durchführbarkeit eines Scree- ning auf verschiedene Arten über- tragbarer Krankheiten wie Tuberku- lose oder Hepatitis insbesondere bei Schwangeren.

Krebsbekämpfung

Krebserkrankungen sind für ein Viertel der Sterbefälle in der Eu- ropäischen Gemeinschaft verant- wortlich. Seit 1987 führt die Gemein- schaft deshalb ein Programm zur Krebsbekämpfung durch, das erste größere Präventionsvorhaben auf eu- ropäischer Ebene. Der neue Aktions- plan zur Krebsbekämpfung ist in er- ster Linie als Katalysator und Anstoß für Maßnahmen der Mitgliedstaaten gedacht. Dazu müssen das Wissen im

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

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Bereich der Krebsvorbeugung und die Entwicklung und Einführung wirksamer Krebsvorsorgeuntersu- chungs- und Diagnoseverfahren für gefährdete Bevölkerungsgruppen verbessert werden. In dem Aktions- plan Europa gegen den Krebs werden Ziele, Inhalte und Arbeitsinstrumen- te festgelegt, um eine gemeinsame eu- ropäische Nutzung der Ergebnisse si- cherzustellen.

Bei der Krebsvorbeugung sollen die Unionsbürger ab dem Kindesalter durch Maßnahmen der Gesundheits- erziehung zu einer gesunden Lebens- führung angeregt werden, wobei der Erziehung zum Nichtrauchen Prio- rität eingeräumt wird. Ein klares Ziel, für das sich vor allem das Parlament einsetzt, ist die Vermeidung des un- freiwilligen Passivrauchens. Bis zum Beginn der entscheidenden Beratun- gen wurde von den Gesundheitsmini- stern und der Kommission behauptet, daß eine von den Abgeordneten ge- wünschte Kampagne gegen das Pas-

sivrauchen nicht durchsetzbar sei. Im Vermittlungsausschuß gelang es der Parlamentsdelegation, ihre Haltung nahezu unverändert durchzusetzen.

Die Vorstellung des Parlaments ist es, daß führende Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur einen wirksamen Beitrag zur Gesundheitsförderung leisten, indem sie sich dazu verpflichten, in der Öf- fentlichkeit nicht zu rauchen. Zu den jetzt beschlossenen Aktionen gehört ein Medienprojekt führender Mei- nungsmacher zur Bekämpfung des Passivrauchens.

Parlament und Rat wollen Me- dienkampagnen zugunsten einer ge- sunden Ernährung, insbesondere des verstärkten Verzehrs von Obst und Gemüse, fördern. Jährlich wird eine Woche „Europa gegen den Krebs“

veranstaltet. Weitere Maßnahmen sind unter anderem die europaweite Einführung einer gemeinsamen Ter- minologie und Klassifikation für Ana- tomen und Zytopathologen sowie die

Errichtung europäischer Netze von Pilotprojekten im Bereich der Reihenvorsorgeuntersuchungen auf Brustkrebs und Gebärmutterhals- krebs. Für die Ausführung dieses Ak- tionsplans konnte das Parlament den Gesundheitsministern 64 Millionen ECU abringen. Das ist mehr, als für frühere Aktionen bereitgestellt wur- de – aber sehr wenig im Vergleich zu den die Tabak-Epidemie erst ermögli- chenden Beihilfen für die Tabaker- zeugung.

Anschrift des Verfassers:

Martin W. Kamp Rechtsberater

Europäisches Parlament Fraktion der EVP B-1047 Brüssel

A-1252 (36) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 19, 10. Mai 1996

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE/BLICK INS AUSLAND

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-1250–1252 [Heft 19]

D

ie Bilanz der Entwicklungspo- litik ist oft ernüchternd.

Großprojekte werden am grü- nen Tisch der Geberländer ge- plant, häufig ohne traditionelle und lokale Gegebenheiten in den Ent- wicklungsländern ausreichend zu kennen oder zu berücksichtigen. Sol- che Projekte können mittel- und lang- fristig nur im Sande verlaufen. In Ruanda, das bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 1994 als entwicklungs- politisches Musterland galt, finden sich dazu viele Beispiele: Jahrzehnte- lange Hilfe aus dem Ausland führte dazu, daß Straßen gebaut wurden – europäisch korrekt mit Zebrastreifen in den Dörfern. Obwohl die Ruander wenig Brot essen, wurde im Süden des Landes mit sieben Millionen DM ein Projekt zum Weizenanbau finanziert.

Das funktioniert allerdings nur so lan- ge, wie der Nachschub an teurem

Kunstdünger gewährleistet ist. Diese Beispiele zeigen, wie wenig Verständ- nis die Planer für die echten Probleme der Menschen vor Ort hatten.

Ausgangssperre erschwert Versorgung von Patienten

Seit Dezember 1994 ist die Orga- nisation „Ärzte für die Dritte Welt“ im Norden Ruandas im Einsatz. Drei deutsche Ärzte arbeiten jeweils sechs

Wochen lang unentgeltlich in den Ge- sundheitszentren von Nyakinama und Kampanga. Durch den Bürgerkrieg mit 50 000 Toten und 2,3 Millionen Flüchtlingen ist das Land ausgeblutet.

Qualifiziertes Personal fehlt überall.

Die Bedrohung aus den Flüchtlingsla- gern in Zaire, Burundi und Tansania ist spürbar und hat vor allem in den Grenzregionen zu massiver Militär- präsenz geführt. Schußverletzungen bei Militärrazzien und andere gewalt- tätige Auseinandersetzungen sind an

Medizinische Hilfe in Ruanda

Mit wenig Geld viel erreichen

Wolfgang Schafnitzl

Viele Entwicklungshilfe-Projekte scheitern, weil sie an den Bedürfnissen vorbei

geplant wurden. „Helfen wollen“ allein reicht nicht. Entscheidend ist es, die Ge-

gebenheiten vor Ort genau zu kennen. Dr. med. Wolfgang Schafnitzl, Vorstands-

mitglied von „Ärzte für die Dritte Welt“, berichtet über die Arbeit seiner Organi-

sation in Ruanda. Das Land galt bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr

1994 als entwicklungspolitisches Musterland. Aber wo ist diese Hilfe geblieben?

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der Tagesordnung. Nach der Erstür- mung des Gefängnisses von Nyakina- ma, bei der die Gefangenen gewalt- sam befreit wurden und der Polizei- chef hingerichtet worden war, wurde von 18 Uhr bis 6 Uhr eine Ausgangs- sperre verhängt. Patienten können in dieser Zeit nicht versorgt werden, dringende Verlegungen ins nächste Krankenhaus sind nicht möglich, weil ohne Vorwarnung geschossen wird.

Die Patienten können erst wieder am nächsten Morgen behandelt werden.

Der 50jährige Mann, dem in der Nacht mit einer Machete der Bauch aufge- schlitzt wurde, liegt solange in seiner Hütte; die Schwangere mit verlänger- ten Wehen, die eigentlich einen Kai- serschnitt bräuchte, hat vielleicht Glück und wird doch noch normal ent- bunden.

Rund 200 Patienten werden täg- lich von den „Ärzten für die Dritte Welt“ im Gesundheitszentrum von Nyakinama ambulant versorgt. Für schwere Fälle ist eine kleine stationä- re Einheit mit 30 Betten dem Zen- trum angegliedert worden.

Zweimal wöchentlich fährt das Ärzteteam über schwer zugängliche Wege nach Kampanga, das am Fuße der Virunga-Vulkane unmittelbar an der Grenze zu Zaire liegt, um die dortige Außenstation zu versorgen.

„Ärzte für die Dritte Welt“ hat sich

entschieden, nicht in den Flüchtlings- lagern in Zaire aktiv zu werden, son- dern den Menschen, die in ihr Land zurückkehren wollen, eine medizini- sche Basisversorgung anzubieten. Die medizinischen Möglichkeiten sind eng begrenzt: Die Standardausrüstung ei- nes Arztes besteht aus einem Stetho- skop und einem Ohrenspiegel. Einfa- che Urinuntersuchungen beispiels- weise bei der Schwangerenvorsorge sind möglich; in Nyakinama können auch Stuhluntersuchungen und Blut- tests auf Malariaerreger vorgenom- men werden.

Ärzte müssen

improvisieren können

Ärzte, die es gewöhnt sind, in Deutschland auf eine zuverlässige Medizintechnik zu vertrauen, müssen in Ruanda umdenken. Dort ist der diagnostische Blick entscheidend, das Gespür dafür, ob ein Patient gefähr- det ist. Eine mindestens eineinhalb- jährige Berufserfahrung ist deshalb Voraussetzung, um bei „Ärzte für die Dritte Welt“ mitarbeiten zu kön- nen. Aber auch für erfahrene Ärzte ist der Arbeitsbeginn in Ruanda oft ein Sprung ins kalte Wasser. Gefragt sind plötzlich medizinische Fachaus- drücke auf französisch – für Überset-

zungen aus der Landessprache ins Französische stehen Dolmetscher zur Verfügung. Dosierungen von Medi- kamenten für Kinder, die nach Milli- gramm pro Kilogramm Körperge- wicht bemessen werden, müssen von Nicht-Kinderärzten häufig nachge- schlagen, fehlende Kenntnisse um- gehend aufgefrischt werden. Sämtli- che Hauterkrankungen sehen auf schwarzer Haut völlig anders aus, so daß beispielsweise ein Masernexan- them kaum zu erkennen ist. Vertraute Medikamente stehen nicht oder nicht in entsprechender Form zur Verfü- gung. Die Ärzte müssen improvisie- ren. Wenn es keine Zäpfchen für Kin- der gibt, die an Fieberkrämpfen lei- den, wird alternativ ein eigentlich in- tramuskulär zu applizierendes Präpa- rat peranal eingesetzt – mit hervorra- gender Wirkung.

Bezogen auf den Landesdurch- schnitt sind die Ausstattung und der Medikamentennachschub in den von

„Ärzte für die Dritte Welt“ betreuten Gesundheitszentren geradezu opti- mal. Dennoch stößt man immer wie- der an Grenzen. So steht im Regio- nalkrankenhaus in Ruhengeri das einzige Röntgengerät weit und breit, für das es zudem häufig keine Rönt- genfolien gibt. Unter solchen Bedin- gungen ist eine gewissenhafte Lun- gentuberkulose-Diagnostik so gut wie unmöglich.

Dabei wäre es wichtig, frühzeitig mit der Tuberkulosebehandlung zu beginnen, bevor massiv Lungengewe- be zerstört ist und bevor die nächste Umgebung angesteckt ist. Außerdem gibt es kaum Transportmöglichkeiten im Land. Es kommt daher nicht selten vor, daß Kranke Fußmärsche von mehr als zehn Kilometern zurückle- gen müssen, um im Gesundheitszen- trum behandelt zu werden. Unter die- sen Umständen ist es nicht möglich, einen Patienten eben kurz zum Rönt- gen zu schicken. Den Ärzten bleibt nichts anderes übrig, als sich auf das landesübliche Niveau zu begeben, sich auf Auswurffärbungen zu be- schränken und zu akzeptieren, daß nur ein Bruchteil der Tuberkulose- kranken erkannt und behandelt wer- den kann.

In der Außenstation Kampanga fehlt sogar die Möglichkeit, den Aus- wurf zu untersuchen, so daß den Men-

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Dr. med. Wolfgang Schafnitzl standen während seines Einsatzes für „Ärzte für die Dritte Welt“ in Ruanda nur einfachste medizinische Hilfsmittel zur Verfügung. Foto: Bernhard Ehlen SJ

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schen dort de facto der Zugang zu ei- nem Tuberkuloseprogramm fehlt.

Das ist in ganz Afrika die Regel und nicht die Ausnahme. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation gibt es dort nur für 25 Prozent der Tuber- kulosekranken Diagnostik- und The- rapiemöglichkeiten.

Oft hilft nur Hoffen

Bei der Malariabehandlung lie- gen die Probleme anders. Die Mala- riaerreger werden zunehmend resi- stent gegen gängige Medikamente, so daß sich die Wirksamkeit eines Medi- kaments kaum mehr einschätzen läßt. Jeder Zeitverlust, den die Be- handlung mit einem nicht oder nur

wenig effektiven Medikament mit sich bringt, kann jedoch tödliche Fol- gen haben. Patienten mit einer schweren Malaria würden in Deutschland intensivmedizinisch versorgt werden, um Gefahrensitua- tionen wie eine Unterzuckerung während der Chinininfusion oder ein akutes Nierenversagen rechzeitig er- kennen und entsprechend behandeln zu können. Eine stationäre Versor- gung der Malaria-Patienten in Ruan- da ist dagegen nur eingeschränkt

möglich. Die „Ärzte für die Dritte Welt“ konzentrieren sich auf die be- sonders gefährdeten Gruppen der Kleinkinder und Schwangeren. Bei komatösen Malaria-Patienten (cere- brale Malaria) helfen nur noch sym- ptomatische Therapiemaßnahmen wie die Behandlung von Krampfan- fällen und die Hoffnung, daß die Be- handlung anschlägt.

Schwierig ist auch die Situation unterernährter Kinder, die zusätzlich an einer Durchfallerkrankung leiden.

Gerade Kleinkinder reagieren beson- ders empfindlich auf Flüssigkeitsver- luste und werden manchmal in schwer exsikkiertem Zustand in das Gesund- heitszentrum gebracht. Eingetrübten Kindern wird Flüssigkeit über eine Magensonde zugeführt. Liegt zusätz-

lich auch Erbrechen vor, erfolgt eine Infusionsbehandlung über einen Ve- nenzugang. Ist auch keine Vene mehr zu finden, bleibt als letztes Mittel die Punktion des Bauchraumes mit Flüssigkeitssubstitution. Gerade bei Durchfallerkrankungen ist es wichtig, Aufklärungsarbeit bei den Müttern zu leisten. Sie müssen in die Lage ver- setzt werden, Flüssigkeitsverluste frühzeitig mit Hilfe von Elektrolyt- trinklösungen auszugleichen, die sie zu Hause selbst zubereiten können.

So können schwere, oft tödlich ver- laufende Krankheitsbilder vermieden werden.

Ohnmacht gegenüber staatlicher Willkür

Die meisten deutschen Ärzte ge- wöhnen sich nach kurzer Zeit an die schweren Krankheitsbilder und die be- grenzten medizinischen Möglichkei- ten. Schwerer wiegt das Gefühl der Ohnmacht gegenüber staatlichen Will- kürmaßnahmen. Oft müssen Helfer schon bei der Einreise negative Erfah- rungen machen. Obwohl deutsche Staatsbürger kein Einreisevisum für Ruanda brauchen, kommt es vor, daß eins verlangt wird und erst nach langen Diskussionen „ausnahmsweise“ die Einreise genehmigt wird. Vier Militär- kontrollen auf der Fahrt nach Norden – viermal alles auspacken. Wer keine Geduld hat, muß zu Hause bleiben.

Das gilt auch für den Umgang mit Behörden. Den Helfern werden im- mer neue Auflagen erteilt. So müssen sämtliche Anschaffungen wie Fahr- zeuge nach Projektabschluß im Land bleiben. Die bisher übliche Zollbefrei- ung bei Einfuhren soll „modifiziert“

werden. 38 meist französische Hilfsor- ganisationen mußten ohne Angabe von Gründen das Land verlassen.

Und dennoch, die Menschen in Ruanda sind auf Hilfe angewiesen.

Mit wenig Geld und einfachen Mit- teln kann sehr viel erreicht werden.

Eine Wurmbehandlung kostet bei- spielsweise nur Pfennigbeträge, eben- so eine Vitamin-A-Prophylaxe, die verhindert, daß Patienten nach einer Masernerkrankung erblinden. Teurer hingegen ist die Malariabehandlung, vor allem bei komplizierten Fällen und ungenügender Abwehrlage, ebenso wie die antibiotische Behand- lung von bakteriellen Durchfaller- krankungen.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Wolfgang Schafnitzl St. Georgensteige 67

75175 Pforzheim A-1256 (40) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 19, 10. Mai 1996

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Den 1 500. Einsatz eines deutschen Arztes in einem medizinischen Notstandsgebiet konnte im März das Komitee „Ärzte für die Dritte Welt“

verzeichnen. Jedes Jahr opfern nach Angaben der Organisation rund 200 Ärzte ihren Jahresurlaub, um unentgeltlich zu helfen.

Sieben Projekte des vor zwölf Jahren gegründeten Komitees auf den Philippinen, in Indien, in Bangladesch und Kolumbien werden inzwischen kontinuierlich mit zwei bis fünf Ärzten besetzt. Seit Dezember 1994 arbei- ten außerdem drei deutsche Ärztinnen oder Ärzte in Ruanda, das immer noch unter den Bürgerkriegsfolgen leidet. Neben diesen Projekten, in de- nen „Ärzte für die Dritte Welt“ nach eigenen Angaben „in örtliche Basis- gesundheitsarbeiten eingebunden ist“, unterstützt das Komitee auch ein- heimische Organisationen.

Alle Ärzte sind nicht nur unentgeltlich im Einsatz, sie zahlen sogar mindestens die Hälfte der Flugkosten. Das Komitee garantiert, „daß alle Spenden ohne Abstriche voll in die Arbeit der in der dritten Welt tätigen Ärzte geleitet werden“.

1Informationen: Komitee „Ärzte für die Dritte Welt“, Elsheimer- straße 9, 60322 Frankfurt, Telefon 0 69/71 91 14 56, Fax 71 91 14 50. Bank- verbindung: Frankfurter Sparkasse, Konto 234 567, BLZ 500 502 01. EB

1500 Einsätze des Komitees

„Ärzte für die Dritte Welt“

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-1252–1256 [Heft 19]

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