• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Hilfe für Beclean: Wenig Geld, große Visionen, viel Erfolg" (15.03.2002)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Hilfe für Beclean: Wenig Geld, große Visionen, viel Erfolg" (15.03.2002)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

E

in deutsches Hilfsprojekt in Rumä- nien? Das klingt nach Vergangen- heit – nach den unmittelbaren Fol- gejahren von 1989, als der Eiserne Vor- hang fiel, Diktator Ceauçescu gestürzt worden war und sich dem empörten Rest der Welt das Ergebnis einer un- menschlichen Politik, einer katastro- phalen medizinischen Versorgung of- fenbarte. Etliche Hilfsdienste stürmten damals in Europas unentdeckten Osten. Sie brachten Lebensmittel mit

und dicke Jacken, Bettgestelle und me- dizinisches Gerät. Die meisten haben sich bald wieder zurückgezogen. Fast überall ist die Anschub-Hilfe heute längst verpufft: Die politische Situation ist immer noch verworren, die Armut im Land so groß wie die Bestechlich- keit, die Wirtschaft liegt brach. Rumä- nien – vergessenes Land.

Die größte Not leiden wie zu kommu- nistischen Zeiten die Randgruppen.

Menschen ohne Lobby und ohne gesell- schaftliche Anerkennung, zum Beispiel psychisch Kranke. Nur langfristig konzi- pierte Entwicklungshilfe kann hier wirk-

lich helfen. Nur wenn sich das Bewusst- sein der Menschen vor Ort ändert, hat die Hilfe von außen Sinn: In der Er- kenntnis war sich eine Gruppe von Ärz- ten und Therapeuten um den Ravens- burger Sozialpsychiater Prof. Paul-Otto Schmidt-Michel, Chefarzt am ober- schwäbischen Zentrum für Psychiatrie

(ZfP) in Weissenau, vor elf Jahren schnell einig. 1990 hatte Schmidt- Michel einen Spendentransport des Malteser Hilfsdienstes nach Beclean begleitet. In dem Dorf am Rande der Karparten, etwa 100 Kilometer von Cluj Napoca (Klausenburg) entfernt, sind bis heute die chronisch psychisch Kran- ken des Distriktes Bistritta-Nassaud (et- wa 320 000 Einwohner) untergebracht.

Menschen, von denen sich niemand Hei- lung erwartete: Schizophrene, Epilepti- ker, Oligophrene. Als die Helfer aus Deutschland zum ersten Mal kamen, leb- ten die etwa 150 Patienten unter Bedin- gungen, die alle Vorstellungen spreng- ten. Schmidt-Michel sprach von „passi- ver Euthanasie“. In einer Dokumentati- on, die unmittelbar nach der ersten Reise entstand und das Entsetzen wenig gefil- tert vermittelt, hielt er fest: „Wir haben Zustände vorgefunden, die mit Worten kaum zu beschreiben sind und die an die Ermordung psychisch Kranker im Drit- ten Reich erinnern. Die Patienten wer- den nicht physisch umgebracht, jedoch im Keller wie Tiere auf engstem Raum eingeschlossen, sodass jegliche menschli- che Regung unmöglich ist.“ Gut 30 Kran- ke waren im Keller untergebracht, Tag und Nacht zusammengepfercht in kalten, klammen Räumen. Meist kauerten sie zu zweit und zu dritt auf ihren Eisenprit- schen, die dünnen Decken dicht an ihre ausgemergelten Körper gerafft. Weder gab es ein Bad noch Toiletten. Für die Notdurft standen Eimer im Zimmer be- reit. Das Essen wurde in Blechnäpfen in die Zellen ge- schoben. Die da- mals einzige Ärz- tin an dem Groß- krankenhaus ließ sich im Keller- geschoss kaum se- hen, und auch das Pflegeperso- nal machte einen großen Bogen um den Trakt, in dem es ekelerre- gend nach Kör- perausdünstun- gen, Kohl und Exkrementen roch. Jahr für Jahr starb fast ein Drittel der Patienten im Keller – nicht an ihren psychischen Krankheiten, sondern an den Verhältnissen, an der Apathie der Fachleute und der Gleich- gültigkeit der Behörden.

Die Bedingungen in Beclean verbes- sern, ohne die Menschen vor Ort zu ent- mündigen und ohne ihnen westeuropäi- sche Ideen überzustülpen – das ist die Leit-Idee, an der sich der Verein „Be- clean – Hilfe für psychiatrische Langzeit- patienten“ orientiert. Mithilfe des Mal- teser Ordens und Spendengeldern, vor T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 11½½½½15. März 2002 AA699

Hilfe für Beclean

Wenig Geld, große Visionen,

viel Erfolg

Seit elf Jahren setzt sich eine Gruppe deutscher Ärzte und Therapeuten aus Ravensburg für bessere Bedingungen in

einem psychiatrischen Bezirkskrankenhaus in Rumänien ein.

Vor der Fertigstellung des Pavillon-Neubaus wa- ren diese Patienten des Bezirkskrankenhauses Beclean im Keller untergebracht.

„Wir haben Zustände vor- gefunden, die mit Worten kaum zu beschreiben sind und

die an die Ermordung psychisch Kranker im Dritten

Reich erinnern.“

Prof. Paul-Otto Schmidt-Michel, 1990

Fotos: Daniel Hartmann

(2)

allem aus Oberschwaben, wurde in den ersten Jahren ein einfacher und funktio- naler Pavillon mit 28 Betten gebaut, um die Kelleretage möglichst schnell räu- men zu können. Schon damals wurde streng darauf geachtet, dass sämtliche Materialien, die Handwerker und die Baugesellschaft aus dem rumänischen Distrikt kamen. Parallel

wurden die Pfleger und die Ärztin geschult – und für zusätzliche Leistungen wie Beschäftigungstherapie, Weiterbildung und Extra- Stunden mit den Patienten mit einem kleinen Zusatz- Gehalt belohnt. Ein Qua- lifizierungsprogramm ent- stand, das die Robert- Bosch-Stiftung in Stutt- gart seit einigen Jahren unterstützt: Rumänisches Klinikpersonal kommt al- le zwei Jahre nach Ravens- burg und kann im Zen- trum für Psychiatrie sehen,

wie moderne Psychiatrie funktioniert.

Bis zu sechs Monate haben Fachleute aus Ravensburg – zum Beispiel ein Er- gotherapeut oder eine Krankenschwe- ster – in Beclean verbracht und ihr Know-how an die osteuropäischen Kol- legen weitergegeben. Deutsche Fach- bücher wurden ins Rumänische über- setzt. Im Januar hat der Verein eine So- zialwissenschaftlerin aus Cluj für zwei Jahre angestellt. Die 27-Jährige soll un- ter anderem herausfinden, welche Pati- enten aus der stationären Psychiatrie entlassen werden und in ihre Heimatge- meinden zurückkehren könnten. Der Verein kann sich wiederum vorstellen, Familien finanziell zu bezuschussen, die ihre kranken Angehörigen zu Hause aufnehmen.

Die Situation im Bezirkskranken- haus von Beclean ist heute wesentlich besser als 1990 und wesentlich besser

als die Situation von vielen anderen Kli- niken im Land: Die Patienten sind in- zwischen auf drei Gebäude verteilt – zusätzlich zu dem Krankenhaus-Pavil- lon kam 1999 die frühere Geburtsabtei- lung mit 16 Betten hinzu – die Renovie- rung finanzierten der Distrikt Bistritta und die Helfer aus Deutschland ge-

meinsam. Die Patienten haben nicht nur mehr Platz – das Klima ist deutlich wärmer, menschlicher geworden. Das Menschenbild hat sich verändert – ganz allmählich. Die Pfleger haben damit be- gonnen, sich für die Kranken zu interes- sieren. Sie malen und arbeiten mit ih- nen, sie gehen mit ihren Schützlingen spazieren – und sie sprechen mit ihnen.

Gemeinsame Ausflüge in die Ortsmitte sind heute ebenso selbstverständlich wie Patienten, die sich alleine im Areal der Klinik tummeln, in der Sonne sitzen oder auf einem gepachteten Stück Land Gemüse für die Krankenhausküche ernten; alles Bilder, die vor zehn Jahren undenkbar waren.

Im jüngsten Rundbrief an die Spen- der im Kreis Ravensburg für das Pro-

jekt „Beclean“ stellt der Verein die er- reichten Ziele den nach wie vor ungelö- sten Problemen gegenüber. Auf der Sollseite ist unter anderem aufgeführt:

„Es leben immer noch über 100 Lang- zeitpatienten auf engstem Raum in sanitär verheerenden Verhältnissen, Arbeitstherapie und Beschäftigungs- therapie konnten bislang nur ansatzweise in den beiden von uns erstell- ten Auslagerungen eta- bliert werden.“ Oder: „1,5 Psychiater für über 150 Patienten ist weiterhin zu wenig, und es fehlt an heilpädagogisch, ergo- therapeutisch und sozial- pädagogisch qualifizier- tem Personal.“ Auf der Habenseite stehen die besseren Wohnbedingun- gen und die Weiterbil- dung von Ärzten und Pflegern. Und: „Als Wich- tigstes haben wir eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den politisch und medizinisch Verant- wortlichen der Region aufbauen kön- nen.“

„Unser Krankenhaus ist jetzt eines der besten in Rumänien“, schwärmte Florin Neascu, der heutige Arzt der psychiatrischen Klinik von Beclean, als

einige Vereinsmitglieder aus Deutsch- land jüngst zu Besuch waren. Da saß man im spartanisch eingerichteten Arztzimmer zusammen, kaute belegte Brote, und die Gäste kamen nicht um- hin, den ein oder anderen Freund- schaftsschnaps zu trinken. Aus Skepsis und Angst vor Bevormundung haben sich bei den Rumänen über die Jahre kollegiale bis freundschaftliche Gefüh- le entwickelt. Und die anfängliche Un- sicherheit der Deutschen hat sich in Vertrauen verwandelt, dass ihr Engage- ment gewollt und Entwicklungshilfe im besten Sinne ist. Nina Poelchau T H E M E N D E R Z E I T

A

A700 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 11½½½½15. März 2002

Kontakt: Beclean e.V., Prof. Paul-Otto Schmidt- Michel, Eisenbahnstraße 30/1, 88212 Ravensburg Spendenkonto:

Kreissparkasse Regens- burg, BLZ: 650 500 10 Konto: 48 048 488

„1,5 Psychiater für über 150 Patienten ist weiterhin zu wenig, und es fehlt an heil- pädagogisch, ergotherapeu- tisch und sozialpädagogisch qualifiziertem Personal.“

Vor zehn Jahren noch undenkbar: Patienten sit- zen im Hof des Bezirkskrankenhauses in der Son- ne.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

September 1895 dem Hofschlossermeister Lutzmann, daß „seit zwei Jahren ein Benzinmotorwagen in der Stadt Dessau und Umgegend verkehre und daß sich der- selbe, soweit zur

Die Maßnahmen sind Teil einer ge- meinsamen Kampagne von KV und AOK, die darauf zielt, „die Versor- gungsqualität der Versicherten in Hessen dadurch zu steigern, dass Ärzte

Grundsätzlich ist es zwar gut, dass die Bundesregierung den Mangel an bezahlbarem Wohnraum nicht ignoriert und mit dem Wohngipfel ein Forum geschaffen hat, dass dazu beitragen

Die Europäische Union ver- fügt damit über ein langfristiges Ak- tionsprogramm (1996 bis 2000) zur Gesundheitsförderung, -aufklärung, -erziehung und -ausbildung, das nicht auf

Dort nahm er unter anderem an einer Vorstandssitzung der Lettischen Ärztegesellschaft teil, er infor- mierte sich über das lettische Gesundheitswesen und besuchte

Aufgrund der sehr hohen Verstärkungsfaktoren von Operationsverstärkern, muss für fast alle Anwendungen die Verstärkung limitiert werden, damit die Ausgangspannung nicht zu

Aktuelle Studien zu Lipidsenkern und Therapiestrategien beim Diabetes zeigen, dass günstige Effekte auf Surrogatpara- meter wie Cholesterin- oder HbA1c-Werte nicht immer mit

in einer hausärztlichen Praxis, ein Monat in einer Eins-zu-eins- Konstellation von Lehrenden und Studierenden, bietet eine Chance, die kaum eine andere Fachrichtung so