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Archiv "Alkoholkranke Ärzte: Die Existenz steht auf dem Spiel" (10.01.2000)

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ilfe geht vor berufsrechtli- che Sanktionen: Das ist der Grundsatz der Bundesärzte- kammer (BÄK), wenn es um sucht- kranke Ärzte geht. „Wir haben ge- genüber unseren Mitgliedern in erster Linie eine Fürsorgepflicht“, sagt Dr. med. Frank Lehmann, BÄK-Re- ferent im Dezernat für Fortbildung und Gesundheitsförderung. Das Be- rufsrecht solle erst bemüht werden, wenn Gefahr für die Patienten besteht – zum Beispiel, wenn sich der kranke Arzt weigert, in Therapie zu gehen.

Der Beruf ist ein Risikofaktor

Schätzungen zufolge sind in Deutschland sechs Prozent der Ärzte einmal im Leben von Hochprozenti- gem abhängig und sieben bis acht Pro- zent generell suchtkrank. Für Durch- schnittsbürger hingegen schätzt die Ärztekammer Hamburg die Präva- lenzrate auf drei Prozent. Die Ursa- chen für das hohe Suchtrisiko der Ärzte liegen vor allem im Beruf. Viele Ärzte stellen zu hohe Anforderungen an sich selbst. Sie wollen dem Ideal des selbstlos Helfenden entsprechen, der zu jeder Zeit mit maximalem Ein- satz arbeitet. Überbelastung und Scheitern sind so programmiert. An- dere setzen sich unter emotionalen Druck, weil sie die Schicksale ihrer Patienten zu nahe an sich heranlassen.

Dazu kommen wirtschaftliche Bela- stungen.

Alkohol wird da leicht zum will- kommenen Ventil; häufig kommt eine Medikamentensucht noch dazu. Phar- maka sind für Ärzte leicht zu haben.

Mit ihrer Wirkung kennen sie sich aus.

Gerade deshalb unterschätzen die meisten aber das Suchtpotential der Mittel.

Ein Arzt, der süchtig ist, will das meist nicht wahrhaben. Patienten scheuen sich ebenso wie Kollegen und Angehörige, ihn auf seine Krankheit anzusprechen. Das Klischee vom un- verwundbaren Helfer und der Glau- be, aufgrund des Medizinstudiums Suchtmittel im Griff zu haben, führen zur Verdrängung. Die Folge: Ärzte sind länger süchtig als andere. Zehn Jahre kann der Unterschied betragen.

Die Ärztekammer Hamburg spricht von „prolongierten Krankheitsver- läufen mit katastrophalen sozialen und körperlichen Folgewirkungen“.

Bei Süchtigen aus Berufsgruppen mit hohem Sozialprestige ende die Krankheit erschreckend häufig mit dem Selbstmord des Betroffenen.

„Das dürfte auch für Ärzte zutreffen“, stellt die Ärztekammer fest.

Die Approbation steht auf dem Spiel

Abhängige Ärzte, die eine The- rapie zu lange hinauszögern, gefähr- den ihre berufliche Existenz. Auf dem Spiel stehen Approbation und Zulas- sung als Kassenarzt: Wenn der Regie- rungspräsident beispielsweise erfährt, dass ein Arzt bei einer Alkoholkon- trolle aufgefallen ist, lässt die Behörde prüfen, ob er suchtkrank ist. Falls ja, wird sie das sofortige Ruhen der Ap- probation anordnen oder ihm die Ur- kunde entziehen, etwa wenn er zu kei- ner Therapie bereit ist. Wer als Kas- senarzt zugelassen werden will, muss fünf Jahre lang ohne Suchtmittel aus- gekommen sein. Fällt er während sei-

ner Praxistätigkeit auf, kann ihm die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Zulassung entziehen.

Hilfe im Kampf gegen die Sucht finden abhängige Ärzte bei den Ärz- tekammern. Die Ärztekammer Ham- burg beispielsweise arbeitet seit sie- ben Jahren mit einem detaillierten Konzept. Über ein ausgefeiltes Sy- stem von Briefen – zunächst eher all- gemein, dann in immer dringlicherem Ton gehalten – versucht sie, den kran- ken Arzt zur Therapie zu bewegen.

Die KV und der Regierungspräsident als approbationserteilende Stelle wer- den nur informiert, wenn er die ange- botene Hilfe nicht annimmt. Das war in Hamburg aber noch nie notwendig.

Der BÄK-Vorstand empfiehlt auch anderen Kammern solche „erprobten Konzepte“.

Gute Erfahrungen der Hamburger Kammer

„Unsere Erfahrungen zeigen, dass eine frühzeitige, offene und ent- schiedene Intervention der Kammer die Therapiebereitschaft Betroffener günstig beeinflussen kann“, berichtet Priv.-Doz. Dr. med. Klaus-Heinrich Damm, Geschäftsführender Arzt der Hamburger Kammer. Motivierend wirke auch, wenn die Kammer einen Therapieplatz in einer Fachklinik ver- mitteln könne, die sich auf die Be- handlung von Ärzten und Angehöri- gen vergleichbarer Berufe speziali- siert habe – zum Beispiel einen Platz in den Oberbergkliniken, mit denen die Hamburger eng zusammenarbei- ten. Viele Patienten werden von den Ärztekammern dorthin geschickt, ei- nige auch von den Kassenärztlichen Vereinigungen. Nach den Lehrern stellen die Ärzte in den Kliniken die größte Patientengruppe.

Vielen fällt es schwer, sich in die ungewohnte Patientenrolle einzufin- den. Zwar verfügten sie fachlich über eine hohe Kompetenz, erklärt Priv.- Doz. Dr. med. Friedhelm Stetter, Chefarzt der Oberbergklinik Extertal, doch das gehe einher mit einer beson- ders großen Angst, sich als Patient an- deren anzuvertrauen. Das macht die Behandlung von suchtkranken Ärz- ten zu einer Herausforderung. „Sie sind in der Klinik, weil sie Hilfe brau- A-28 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 1–2, 10. Januar 2000

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Alkoholkranke Ärzte

Die Existenz steht auf dem Spiel

Ärzte werden häufiger alkoholabhängig als Normalbürger.

Gute Chancen, in den Beruf zurückzukehren, bringt eine Therapie mit engem Kontakt zur Aufsichtsbehörde.

H

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A-29 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 1–2, 10. Januar 2000

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE/AUFSÄTZE

um 1. Juli 1998 traten die meisten Einzelgesetze eines umfassend „Kindschaftsrechts- reform“ genannten Reformpaketes in Kraft. Geändert wurden zentra- le Bereiche des Familienrechts, des Beistandschaftsgesetzes und des Kin- desunterhaltsgesetzes sowie des Ehe- schließungsgesetzes. Unterschiede auf- grund von Geburt im Erbrecht waren schon zuvor neu geregelt worden.

Spezielles Augenmerk muss den neu geregelten Zuständigkeiten im Kin- derschutzverfahren gelten, da diese für Ärzte von direkter praktischer Re- levanz sind.

Die enormen Fortschritte in der Reproduktionsmedizin haben auch ihren Niederschlag im Familienrecht gefunden. Zum ersten Mal sah sich der Gesetzgeber gezwungen – entgegen dem alten familienrechtlichen Grund- satz „pater incertus est, mater semper certa est“ –, der durch die Leihmutter- schaft hervorgerufenen Unsicherheit Rechnung zu tragen und zu definieren, wer Mutter eines Kindes ist. Als Mut- ter des Kindes wird im neuen § 1591 BGB die Frau definiert, die das Kind geboren hat. Ei- und Embryonalspen- de werden in Deutschland als nicht zulässig angesehen, sind aber prinzipi- ell nicht verhinderbar. Der neue Para- graph definiert die Mutterschaft durch den Gebärvorgang und soll so die Leihmutterschaft zivilrechtlich verei- teln. Dies führt zu der für den Arzt et- was paradox anmutenden Situation, dass Vaterschaft genetisch aufgrund eines Gutachtens festgestellt werden kann, wohingegen Mutterschaft eben nicht genetisch, sondern durch den Gebärvorgang definiert ist. Dem Zeu-

gungsvorgang wird dabei im neuen Recht durch den Verzicht auf die „Bei- wohnungsvermutung“ keine zentrale Bedeutung mehr gegeben. Vielmehr wird die Vaterschaft kraft Ehe mit der Mutter angenommen. Diese Definiti- onsschwierigkeiten rund um die biolo- gische und soziale Elternschaft sind Reflex der gesellschaftlichen Verhält- nisse ebenso wie der Fortschritte der Reproduktionsmedizin, die bislang unveränderbar geglaubte Tatsachen zu rechtlich definitionsbedürftigen Gegenständen gemacht haben.

Das zentrale Merkmal der Kind- schaftsrechtsreform ist das Aufgrei- fen der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Ehe ist nicht mehr die einzige familiale Lebensform. Im- mer mehr Kinder wachsen mit allein erziehenden Elternteilen auf, die Zahl der nichtehelichen Lebensgemein- schaften nimmt deutlich zu, während die Zahl der Eheschließungen zurück- geht und gleichzeitig die der Schei- dungen ansteigt. So genannte Patch- work-Familien sind die Folgen neuer Lebensformen. Insofern war es an der Zeit, über Jahrzehnte vom Bundes- verfassungsgericht angemahnte recht- liche Unterschiede zwischen eheli- chen und nichtehelichen Kindern ab- zubauen.

Gemeinsames elterliches Sorgerecht

Nach einer Scheidung erfolgt die Übertragung des alleinigen Sorge- rechts nur noch auf Antrag eines El- ternteils (§ 1671 BGB). Der Gesetzge- ber geht davon aus, dass im Regelfall

Das neue Kindschaftsrecht

Erweiterte

Aufklärungspflicht

Der Regelfall ist jetzt das gemeinsame Sorgerecht der Eltern.

Auch zur Vermeidung von Haftungsrisiken

muss sich der Arzt auf die neue Rechtslage einstellen.

Jörg M. Fegert

Z

chen, und nicht, weil sie sich unter Kollegen einmal über ihre Krank- heit unterhalten wollen“, sagt Stetter.

Durch „Konsequenz in der therapeu- tischen Haltung“ soll das mit den kranken Ärzten erarbeitet werden.

Nach sechs bis acht Wochen kön- nen die Patienten die Oberbergklini- ken meist wieder verlassen. Anders- wo sind vier Monate oder mehr die Regel. Im Normalfall hat die Therapie keine berufsrechtlichen Folgen für den Patienten. Auf Wunsch und mit Einverständnis des Betroffenen neh- men Mitarbeiter der Klinik schon während der stationären Behandlung Kontakt mit der Aufsichtsbehörde auf: bei Lehrern mit dem Schulamt, bei Ärzten mit dem Regierungspräsi- denten. „Bisher gab es noch kein Amt, das nicht zur Zusammenarbeit bereit gewesen wäre“, so Stetter.

Ständiger Kontakt zur Behörde

„Zusammenarbeit“ heißt: Nach seiner Entlassung informiert der Pati- ent die Aufsichtsbehörde regelmäßig persönlich über seine Fortschritte.

Die Therapie setzt er am Wohnort fort, zusätzlich geht er einmal pro Mo- nat zur Kontrolluntersuchung in die Oberbergklinik. Den Befund bringt er danach selbst zur Behörde. „So bleibt er in der Verantwortung, gleichzeitig wird die Aufsicht nicht vernachläs- sigt“, beschreibt Stetter die Vorteile der Methode. Auch rückfällige Pati- enten werden nicht von diesem Pro- gramm ausgeschlossen, sie müssen al- lerdings erneut stationär in die Klinik.

Mit ihrem Konzept erreichen Stetter und seine Kollegen bei alkoholkran- ken Ärzten langfristig Abstinenzquo- ten von 50 bis 60 Prozent. Die Sucht- kranken haben also aus berufsrecht- licher und medizinischer Sicht gute Chancen, in den Beruf zurückzukeh- ren. Ein Problem bleibt die Finanzie- rung der Therapie: Die BÄK fordert die ärztlichen Versorgungswerke zwar auf, die Kosten in voller Höhe zu über- nehmen, aber nicht alle sind dazu bereit. „Manche Ärzte nehmen ihre Therapie auf, ohne zu wissen, wie viel Geld sie erstattet bekommen“, sagt Stetter. Leichter mache das die Be- handlung nicht. Alexandra Endres

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die gemeinsame Ausübung der elterli- chen Sorge wegen der Aufrechterhal- tung von Bindungen im Sinne des Kin- deswohls ist. Trotz gemeinsamer elter- licher Sorge wird aber das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Wesentli- chen bei einem Elternteil haben, was für die ärztliche Behandlung relevante Fragen aufwirft. Nach dem Gesetz (§ 1687 Abs. 1 BGB) ist in Angelegen- heiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Be-

deutung ist, gegensei- tiges Einvernehmen der Erziehungsbe- rechtigten erforder- lich. Das Elternteil, bei dem das Kind sich gewöhnlich auf- hält, darf hingegen in Angelegenheiten des täglichen Lebens allein entscheiden.

Nach D. Schwab (FamRZ 1998, S.

469) sind Angelegen- heiten von erhebli- cher Bedeutung im gesundheitlichen Be- reich: Operationen

(außer in Eilfällen), medizinische Be- handlungen mit erheblichem Risiko, grundlegende Entscheidungen der Ge- sundheitsvorsorge. Zu den Angelegen- heiten des täglichen Lebens zählen Be- handlungen leichterer Erkrankungen (zum Beispiel Erkältungen), alltäg- liche Gesundheitsvorsorge, Routine- impfungen.

Nicht zugelassene Medikamente

Brisant wird diese Unterschei- dung angesichts der Tatsache, dass in der Kinder- und Jugendmedizin etwa 80 Prozent der angewandten Medika- mente „off-label“ verschrieben wer- den. Die Gabe eines nicht zugelasse- nen Medikamentes kann nicht als An- gelegenheit des täglichen Lebens ange- sehen werden. Bei Verordnung nicht zugelassener Medikamente müssen beide Elternteile aufgeklärt werden.

Es muss von beiden eine übereinstim- mende Zustimmung vorliegen, die si- cherstellt, dass nach hinreichend er- folgter Aufklärung die durch die

„off-label“-Behandlung entstehenden

Haftungsrisiken, die der Hersteller außerhalb des Indikationsbereiches nicht trägt, nicht auf den Arzt über- gehen. Vorschnell könnte man den scheinbar logischen Schluss ziehen, dass in solchen Situationen eben ältere zugelassene Substanzen verwandt wer- den müssen. Bei einem solchen Vorge- hen macht sich der Arzt allerdings im Schadensfall potenziell strafbar. Das Oberlandesgericht Köln hat in seiner

Aciclovir-Entscheidung 1991 auf die den Ärzten obliegende Pflicht hinge- wiesen, ihr „Wissen auf dem neuesten Stand zu halten und sich dementspre- chend in akzeptablem Umfang weiter- zubilden“. Dies umfasse mehr als die Information darüber, ob das Medi- kament von der zuständigen Bundes- behörde zugelassen sei; die von der Zulassungsbehörde genannte Indikati- on sei nicht maßgeblich. Vielmehr komme es auf den Stand der medizini- schen Erkenntnisse an.

Wie die Nichtnennung einer be- stimmten Indikation kann auch die Benennung einer Altersgruppe als ge- genindiziert dem aktuellen Wissens- stand, an dem sich der Arzt zu orien- tieren hat, hinterherhinken. Da wegen der mangelnden wirtschaftlichen An- reize immer weniger neue Medika- mente auch für die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen getestet werden, hat sich in der Pädiatrie, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie/

-psychotherapie die „off-label“-Ver- schreibung vieler Substanzen durchge- setzt. In all diesen Fällen gilt es nun be- sonders darauf zu achten, dass bei Kin- dern aus Scheidungsfamilien beide

sorgeberechtigten Elternteile ihren Informed Consent erteilen.

Die Ausdifferenzierung zwischen Angelegenheiten des täglichen Lebens und Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung hat der Gesetzgeber nicht detailliert vorgenommen, sondern es der Rechtsprechung überlassen, hier künftig die Grenzen zu ziehen. Für den behandelnden Arzt bedeutet die neue Gesetzeslage, dass er sich bei Kindern geschiedener oder getrennt lebender Eltern nach dem Sorgerechtsstatus er- kundigen und die Zustimmung zu wei- ter reichenden Maßnahmen von bei- den Elternteilen einholen muss. Bei- den sorgeberechtigten Eltern muss er eine detaillierte Aufklärung anbieten.

Ohne Einwilligung gilt der vorgenom- mene Eingriff als Körperverletzung.

Auch nicht verheiratete Eltern können jetzt durch die Abgabe einer Sorgeer- klärung (§ 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB) die gemeinsame elterliche Sorge für das „nichteheliche“ Kind festlegen. In- sofern muss sich der Arzt auch bei der allein erziehenden Mutter nach den Sorgerechtsverhältnissen erkundigen;

denn Voraussetzung für diese Sorgeer- klärung ist auch nicht ein räumliches Zusammenleben der Kindeseltern.

Neue Zuständigkeiten im Kinderschutz

Nicht selten ergibt sich im Rah- men der Krankenbehandlung eines vernachlässigten, misshandelten oder missbrauchten Kindes die Notwen- digkeit, weiter gehende Kinderschutz- maßnahmen einzuleiten. Hier hat die Einführung des „Großen Familienge- richts“ dazu geführt, dass alle frühe- ren Vormundschaftssachen nun vor dem Familiengericht verhandelt wer- den. Dies bedeutet eine Entlastung für den Arzt, der in belastenden Akutsituationen – Eltern drohen zum Beispiel damit, das gefährdete Kind sofort aus dem Krankenhaus zu holen – grundsätzlich davon ausgehen kann, dass die Zuständigkeit beim Familien- gericht liegt. Dies gilt unabhängig da- von, ob die Eltern in einer Ehe, ge- trennt oder in Scheidung leben oder ob das Kind von einer allein erzie- henden Mutter erzogen wird. Ent- scheidungen zum Aufenthaltsbestim- mungsrecht oder über den teilweisen A-30 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 1–2, 10. Januar 2000

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Die Zahl der allein erziehenden Frauen und Männer nimmt stetig zu. Gleich- wohl müssen bei gemeinsamem Sorgerecht beide Eltern informiert werden.

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oder kompletten Entzug der elterli- chen Sorge werden nunmehr allein vom Familiengericht gefällt.

Die Erkenntnis, dass in solchen Fällen die Interessen der Eltern und der Kinder erheblich kollidieren kön- nen, hat dazu geführt, dass der Ge- setzgeber trotz heftiger Widerstände als „Anwalt des Kindes“ den Verfah- renspfleger nach § 50 FGG eingeführt hat. Der Verfahrenspfleger soll sicher- stellen, dass die Interessen von Kin- dern in den sie betreffenden Verfah- ren wahrgenommen werden. Aller- dings ist derzeit noch wenig umrissen, wer diese Funktion wahrnehmen kann und wird. Sozialpädagogen ha- ben teilweise Ausbildungscurricula zum Verfahrenspfleger absolviert, doch unter den ersten Ausgebil- deten befan-

den sich auch Psychologen, Ärzte und Ju- risten. Gerade wenn es um ge- sundheitlich beein- trächtigte, chronisch kranke oder behinder- te Kinder geht, könnten Ärzte mit ihrem fach- lichen Sachver- stand und einer entsprechenden rechtlichen Zu- satzausbildung ehrenamtlich se- gensreich für das Wohl von Kin- dern wirken.

Verfahrens- pflegern ist der Zutritt im Kran- kenhaus zu ge- währen, da sie die Interessen

des Kindes vertreten sollen, gegebe- nenfalls müssen sie über medizinische Entscheidungen informiert werden.

Dies ist für viele Ärzte noch gewöh- nungsbedürftig, da die Vielzahl der zu informierenden Personen arztrecht- lich neue Fehlerquellen eröffnet. Da- bei gilt es nicht zu vergessen, auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst in altersgemäßer Form über die Tragweite von Eingriffen zu informie- ren, auch wenn diese selbst nicht ein- willigungsfähig und durch ihre Eltern

oder andere Personen vertreten sind.

Auf die Unzulänglichkeit des reinen Informed-Consent-Konzeptes in Be- zug auf Kinder und Jugendliche wur- de vor kurzem (S. Rothärmel et al., MedR 1999, S. 293) hingewiesen.

Umgang und Besucher

Es ist nicht selten, dass im Kran- kenhaus sehr schnell von zerstrittenen Elternteilen Wünsche geäußert wer- den, die den Umgang mit dem ande- ren Elternteil oder den Großeltern be- treffen. Aufgrund der Bedeutung von Bindungen für das Kindeswohl hat sich der Gesetzgeber dazu entschlos- sen, eindeutige Akzente zu setzen.

„Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind ver- pflichtet und berechtigt“, heißt es nun im § 1684 Abs. 1 BGB, und

§ 1626 BGB Abs. 3 lautet neu: „Zum Wohle des Kindes gehört in der Re- gel der Um- gang mit bei- den Eltern- teilen.“ Glei- ches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindun- gen besitzt, wenn ihre Aufrechterhal- tung für seine Entwicklung förderlich ist.

So erhalten ein begrenztes Um- gangsrecht: Großeltern, Geschwister, Stiefeltern und Pflegeeltern. Der Um- gang mit diesen Personen muss dem Kindeswohl dienen, es besteht aber derzeit kein Anspruch des Kindes auf Umgang mit diesen Personen, ebenso wenig eine Umgangspflicht dieser Per- sonen. Eine neue Komponente, deren Auswirkungen noch zu wenig abge- schätzt werden können, ist der so ge- nannte begleitete oder geschützte Umgang (§ 1684 Abs. 4 BGB). Die Sätze 3 und 4 lauten: „Das Familienge-

richt kann insbesondere anordnen, dass der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein ,mitwirkungsbereiter Drit- ter‘ anwesend ist. Dritter kann auch ein Träger der Jugendhilfe oder ein Verein sein, dieser bestimmt dann je- weils, welche Einzelperson die Aufga- be wahrnimmt.“ Zentral ist hier die Feststellung, dass der „Dritte“ mitwir- kungsbereit sein muss. Einzelne freie Träger der Jugendhilfe haben schon differenzierte Angebote des betreuten Umgangs auch in Extremfällen von drohender Kindesentführung oder sexuellem Missbrauch entwickelt.

Während einer Krankenbehandlung kann vom Gericht die Intention an das Krankenhaus oder an einen behan- delnden Psychotherapeuten herange- tragen werden, als „mitwirkungsberei- ter Dritter“ zu fungieren. Gerade in Bezug auf die drohenden Konflikte zwischen ärztlicher oder psychothera- peutischer Schweigepflicht und den Notwendigkeiten einer verantwortli- chen Umgangsbegleitung ist hierbei zur Vorsicht zu raten.

Insgesamt bewirkt das neue Kind- schaftsrecht eine allgemeine Deregu- lierung. Die Scheidung wird nicht mehr prinzipiell als Kindeswohlge- fährdung angesehen, nicht bei jeder Scheidung kontrolliert das Jugend- amt. Genau dies wird aber zum Risiko für die gefährdeten Kinder. Stellt kei- nes der vernachlässigenden Elterntei- le einen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge, sind sich also die Eltern scheinbar einig, ohne dass real für das Kind gesorgt ist, werden diese Fälle in Zukunft vom Gericht primär nicht mehr wahrgenommen werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-29–31 [Heft 1–2]

Das Literaturverzeichnis ist über den Sonder- druck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Jörg M. Fegert

Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie/

Psychotherapie Universität Rostock Gehlsheimer Straße 20 18147 Rostock

A-31 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 1–2, 10. Januar 2000

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Aus: „Kinder in Scheidungsverfahren nach der Kindschaftsrechtsform“, Jörg M. Fegert (Hrsg.), Zeichnung: Philipp Heinisch, Edition „Sprechende Bilder“

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