A2616 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 40⏐⏐6. Oktober 2006
T H E M E N D E R Z E I T
und wäre auch als Möglichkeit für die Schwangere beziehungsweise das Paar zunächst ausgeschlossen.
Pränataldiagnostik und Pränatal- medizin kämen somit dem Wissens- gewinn (Richtlinien PND, Vorwort und 2. Abs. 1) und therapeutischen Einsatzmöglichkeiten und der Beru- higung der Schwangeren nach: Als Sinn der PND ist zu definieren, ein erweitertes Wissen über den gesund- heitlichen Zustand des Kindes zu be- kommen. Dass damit auch ein mög- licherweise belastendes Wissen mit in Kauf genommen werden muss, gehört zu den wie bei allen me- dizinischen Maßnahmen verbunde- nen Risiken und Nebenwirkungen, über die vorher eine angemessene Aufklärung stattfinden muss. Dazu gehört auch die Information dar- über, dass pränatale Untersuchun- gen nicht von vornherein die Option eines Schwangerschaftsabbruches einschließen.
3. In der ärztlichen Aufklärung zu PND müssen die Schwangere und deren Partner über die Zielsetzung der Wissenserweiterung durch PND informiert und es muss ihnen deut- lich gemacht werden, dass dieses Wissen zur Beruhigung beitragen kann, aber auch zu Verunsicherung, Beunruhigung und Belastung.
Nur bei einer nicht anders über- windbaren Notlage kann ein Ab- bruch von der Schwangeren ge- wünscht werden, wenn sie von sich aus, aufgrund einer dauerhaft zu schwer belasteten psychischen und physischen Situation diese selbst nicht mehr aushalten kann und die Schwangerschaft deshalb abbre- chen möchte. Erst dann würde die medizinische Indikation des § 218 a StGB, die eigentlich eine psychoso- ziale ist, greifen und auch genügen.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2006; 103(40): A 2612-6
Anschrift der Verfasserin Annegret Braun
Leiterin der PUA-Beratungsstelle zu Pränatalen Untersuchungen und Aufklärung
Diakonisches Werk Württemberg Heilbronner Straße 180 70191 Stuttgart
E-Mail: pua@diakonie-württemberg.de
A
uf konkrete Schritte zum Um- gang mit Spätabbrüchen konn- ten sich Union und SPD in ihrem Ko- alitionsvertrag nicht einigen. Man werde prüfen, „ob und gegebenen- falls wie die Situation bei Spätabtrei- bungen verbessert werden kann“, heißt es in der Regierungsvereinba- rung lediglich. Es war die SPD, die sich im Koalitionsausschuss gewei- gert hatte, das Thema ausführlicher zu behandeln. Weil die Sozialdemo- kraten befürchten, dass die Union weite Teile des Abtreibungsrechts in- frage stellen könnte, lehnen sie ei- ne Änderung des § 218 Strafgesetz- buch ab.Mit ihrem jüngst vorgelegten Vorschlag für einen Gesetzentwurf bezieht sich die Bundesärztekam- mer (BÄK) deshalb ganz bewusst nur auf das Thema Spätabtreibung (dazu das Interview mit BÄK-Prä- sidenten Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe in diesem Heft). Die Initiati- ve sieht unter anderem vor, dass bei der Entscheidung über einen Ab- bruch die Lebensfähigkeit und das Alter des ungeborenen Kindes be- rücksichtigt werden. Generell sollte die Abtreibung eines behinderten, aber überlebensfähigen Kindes nur noch unter bestimmten Vorausset- zungen nicht rechtswidrig sein. Den Eltern müsse nach Meinung der BÄK bei einem auffälligen Befund eine „Zeit des Nachdenkens“ einge- räumt werden.
Mitte September trafen sich die Fraktionsspitzen von Union und SPD mit Vertretern der Kirchen, um über neue Regeln für Spätabtreibun- gen zu beraten. Konkrete Ergebnis- se seien aber nicht erzielt worden, sagte der Beauftragte der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion für die Be- lange behinderter Menschen, Hu- bert Hüppe. Doch ist eine Gesetzes- initiative aus seiner Sicht unum-
gänglich. Wer glaubwürdig für die gleichberechtigte Teilhabe von Men- schen mit Behinderung eintreten wolle, könne nicht dulden, dass die- sen Menschen ihr Lebensrecht ge- nommen werde. Denn Spätabtrei- bung sei nichts anderes als „Früh- euthanasie“. Sie unterscheide sich von Kindstötung nur dadurch, dass sie im Mutterleib stattfinde. „Ein geborenes Kind zu töten ist straf- bar. Spätabbrüche sind dagegen nicht strafbewehrt und werden dazu noch von den Krankenkassen finanziert“, kritisierte der CDU-Politiker.
Sollte die Koalition eine Ge- setzesänderung nicht gemeinsam angehen, werde er sich für einen An-
trag aus der Mitte des Parlamentes einsetzen, sagte Hüppe. Gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt kündigte er an, dass die Vorarbeit der Bun- desärztekammer dabei mit einbezo- gen werde.
Auch die SPD will das BÄK-Pa- pier „sorgfältig prüfen“. Die stell- vertretende SPD-Fraktionsvorsitzen- de, Nicolette Kressl, sagte: „Wir werden das Gespräch mit dem Bundesärztekammer-Präsidenten su- chen.“ Eine Gesetzesänderung lehn- te sie jedoch ab: „Wir haben die Sor- ge, dass dann die gesamte Grund- satzdebatte um den § 218 erneut aufbricht.“ Mit der Union gebe es aber Schnittmengen. So sei man sich einig, dass eine umfangreiche Beratung nötig sei, so Kressl. Auch über die Einführung einer Bedenk- zeit nach einem auffälligen Befund
ließe sich reden. I
Samir Rabbata Die Gesamtfassung der Stellungnah-
me im Internet unter: www.aerzte blatt.de/plus4006
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SPÄTABBRÜCHE