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Archiv "Desinfektion: Präventive Bedeutung nicht infrage stellen" (06.09.2002)

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Desinfektion

Zu dem Beitrag „Flächendesinfek- tion im Krankenhaus: Eine unver- antwortliche Verschwendung“ von Prof. Dr. Walter Marget in Heft 18/2002:

Präventive Bedeutung nicht infrage stellen

Kurz vor Abschluss der Ar- beit der RKI-Kommission Krankenhaushygiene und In- fektionsverhütung an den Empfehlungen zur Flächen- reinigung/-desinfektion hal- ten wir eine fachliche Stel- lungnahme zu den in polemi- scher Form getroffenen nach- weisbar falschen Aussagen in dem Artikel von Marget für kontraproduktiv und wollten daher nicht reagieren. Da je-

doch der Vorstand der DGKH mit einer Fülle von Anfragen konfrontiert wur- de, wird uns leider eine Ant- wort aufgenötigt.

Marget geht nicht darauf ein, dass die Aussage falsch ist, dass die Desinfektion ge- genüber der Reinigung von Flächen unverantwortlich höhere Kosten verursacht.

Hierzu ist seit längerem be- kannt, dass weit mehr als 90 % der Kosten für die Hausreinigung durch die Per- sonalkosten bedingt sind, wo- bei eine desinfizierende Rei- nigung keinen wesentlich höheren Aufwand erfordert als die Reinigung allein. Die geringen Mehrkosten stehen in keinem Verhältnis zu den Kosten u. U. nur einer zusätz- lich auftretenden nosokomia- len Infektion. Darauf hat be-

reits der von Marget als re- nommierter deutscher Hy- gieniker zitierte Borneff in seinem Leitfaden der Hygie- ne für Studenten und Ärzte 1982 ausdrücklich hingewie- sen. Wenn schon eine Aussa- ge von Borneff auf einem Workshop aus dem Jahre 1977 zur Ablehnung der Flächendesinfektion heran- gezogen wird, hätten korrek- terweise auch die hierzu von ihm fünf Jahre später in dem genannten Leitfaden getrof- fenen Aussagen zitiert wer- den müssen: „Die Flächen- desinfektion ist ein Glied in der Abwehrkette von Hospi- talinfektionen, sie sollte un- ter Berücksichtigung der epi- demiologischen Situation we- der unter- noch überbewertet werden. Entscheidend sind nicht die Bakterienzahlen, sondern die Keimarten. Die Fußbodenreinigung ohne

Desinfektion birgt die Ge- fahr in sich, dass vorzugswei- se gramnegative Bakterien durch das Wischwasser ver- breitet werden, das bis zu Millionen/ml enthalten kann.“ Und an anderer Stelle wird fortgesetzt: „Die Not- wendigkeit der Desinfektion von Flächen an Geräten und Einrichtungsgegenständen wird nicht bezweifelt. Es sei aber ausdrücklich erwähnt, dass Decken und Wände so- wie andere senkrechte Flächen weitaus geringer als Fußböden kontaminiert sind (ca. 1/100) und einer Desin- fektion nur bei direkter An- schmutzung bedürfen.“

Wenn entschieden wird, dass eine Flächendesinfektion notwendig oder sinnvoll ist, ist eine Grundanforderung an die Präparate, dass eine gesicherte antimikrobielle Wirksamkeit belegt werden

A

A2322 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 366. September 2002

Leserzuschriften werden von der Redaktion sehr beachtet. Sie geben in erster Linie die Meinung des Briefschreibers wieder und nicht die der Redaktion. Die Veröffentlichungsmöglichkeiten sind leider beschränkt; der Redaktion bleibt oft keine andere Wahl, als unter der Vielzahl der Zuschriften eine Auswahl zu treffen. Die Chance, ins Heft zu kommen, ist umso größer, je kürzer der Brief ist. Die Redaktion muss sich zudem eine – selbst- verständlich sinnwahrende – Kürzung vorbehalten.

LESERZUSCHRIFTEN

Anonym

Die Redaktion veröffentlicht keine ihr anonym zugehen- den Zuschriften, auch keine Briefe mit fingierten Adres- sen. Alle Leserbriefe werden vielmehr mit vollem Namen und voller Anschrift gebracht. Nur in besonderen Fällen können Briefe ohne Namensnennung publiziert werden – aber nur dann, wenn intern bekannt ist, wer geschrieben

hat.

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muss. Desinfektionsverfah- ren unterscheiden sich zum Teil erheblich in dem von ih- nen erfassten Erregerspek- trum und in den dazu not- wendigen Konzentrations- und Zeitrelationen. Verlässli- che Daten über die Wirksam- keit von Desinfektionsver- fahren werden durch unab- hängige Prüfungen nach standardisierten Testbedin- gungen erstellt (Koch 1981, Spicher and Peters 1988, Standardmethoden der DGHM zur Prüfung chemi- scher Desinfektionsverfah- ren 2002 und Anforderungs- katalog für die Aufnahme von chemischen Desinfekti- onsverfahren in die Desin- fektionsmittel-Liste der DGHM 2002, europäische Normen). Auf diesen Grund- lagen erfolgt die Listung für folgende Bereiche:

prophylaktische Desinfek- tion in medizinischen Ein- richtungen (DGHM-Liste)

behördlich angeordnete Desinfektion (RKI-Liste, je- weils neueste Version www.rki.de)

Liste von chemischen Des- infektionsverfahren im Le- bensmittelbereich der Deut- schen veterinärmedizini- schen Gesellschaft (DVG).

Die Kosten für die Gutach- ten und Listung sind durch- aus unterschiedlich, stehen aber in keinem Verhältnis zum Prüfaufwand für Anti- biotika. Im Gegensatz zu den Äußerungen von Marget zeugt es von großem Veran- wortungsgefühl für Patienten und Personal, wenn in einem Land im Wesentlichen nur die Präparate verwendet werden, die firmenunabhängig ent- sprechend europäischer Prüf- standards auf antimikrobielle Wirksamkeit geprüft wer- den.

Nicht zuletzt in Hinblick auf die in der aktuellen Draft

„Guideline for Disinfection and Sterilization in Health- care Facilities“ der HICPAC (http://www.cd.gov/ncidod/hi p/dsguie/dsguide.pdf) erfolg- ten Neubewertung der Flächendesinfektion wäre es zum jetzigen Zeitpunkt un- verantwortlich, die präventi-

ve Bedeutung der Flächen- desinfektion infrage zu stel- len, und dies erkennbar mit einer emotionalen Zielset- zung.

Prof. Dr. med. A. Kramer,Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Institut für Hygiene und Umwelt- medizin, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Hainstraße 26, 17493 Greifswald

Starke Zweifel

Bereits 1970 versuchte sich die industrielle Reinigung in Krankenhäusern als Fremd- reinigung durchzusetzen. Vor dieser Zeitspanne hat es in den Kliniken keine Erfah- rung mit der industriellen Reinigung gegeben und so- mit auch kein Vertrauen. Die Industrie sah zum damaligen Zeitpunkt einen großen wirt- schaftlichen Vorteil auf sich zukommen und versuchte von 1976 bis 1985 den Kran- kenhäusern eine Qualitäts- reinigung anzubieten. Das Reinigungspersonal wurde vor Beginn dieser Reinigung geschult und außerdem vor der Einstellung in den Be- trieb betriebsärztlich unter- sucht. Die Desinfektionsmit- tel wurden von der Industrie in der Dosierung eingesetzt, dass eine völlige Keimabtö- tung gewährleistet war. In dieser besagten Zeit wurde mit verschiedenen Laborato- rien in dieser Richtung zu- sammengearbeitet. So wur- den drei- bis viermal jährlich Abklatschuntersuchungen in Krankenhäusern durchge- führt. Pro Station wurden mindestens 10 Abklatsche durch Fachpersonal aus Hy- gieneinstituten entnommen.

Unser Institut überwachte den Hygienestatus in 350 bis 400 Krankenhäusern in Deutschland und führte jähr- lich 250 000 bis 280 000 Ab- klatsche durch. Das bakterio- logische Resultat dieser Un- tersuchungen war: durch- schnittlich 92 % bis 95 % negative Abdruckkulturen.

Die eingesetzten Wischer wurden bei 95 °C gewaschen, und somit bestand keine Ge- fahr für eine Übertragung der Bakterien von einem in

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den anderen Raum. So wur- de die industrielle Reinigung damals eingeführt. Die Indu- strie hatte dadurch zu 90 % die Reinigung in Kranken- häusern übernommen.

Außerdem war diese Art der Reinigung billiger als durch das hauseigene Personal und zusätzlich noch qualitativer.

Ab 1985 begannen bereits die ersten Probleme mit der industriellen Flächenreini- gung. Es wurden ab dieser Zeit keine erforderlichen bakteriologischen Überwa- chungsuntersuchungen mehr vorgenommen und auch kei- ne regelmäßigen Reinigungs- personaluntersuchungen. Für ein Krankenhaus mit 400 Betten wurden nur noch ma- ximal 20 Abklatsche von Lai- en und nicht mehr von medi- zinisch ausgebildetem Perso- nal durchgeführt. Die Desin- fektionsmittel wurden nur noch als „Augenwischerei“ in zu niedriger Dosierung ein- gesetzt, und somit kam es zu der heutigen Resistenzbil- dung. Außerdem wurden die Wischer nur noch mit zu niedriger Waschtemperatur gewaschen. Somit wurden die Qualitätsreinigung und Überwachung durch die In- dustrie von Jahr zu Jahr schlechter und zusätzlich noch teurer. In der jetzigen Zeit hat die industrielle Rei- nigung zu 90 % in der Lei- stungsfähigkeit versagt und ist im Endeffekt dreimal teurer als früher durch das hauseigene Personal.

Im Jahr 2001 hat unser Insti- tut einen Versuch in elf Kran- kenhäusern durchgeführt, welche mit eigenem Personal reinigten, und 7 860 Abklat- sche entnommen. Resultat:

7 309 Abklatsche (92,99 %) negative Abdruckkulturen.

Die Flächenreinigung wurde bei den vorgenannten Unter- suchungen mit hauseigenem Personal fünfmal wöchent- lich nur mit warmem Wasser – ohne Desinfektionsmittel – und einmal wöchentlich mit Schmierseife durchgeführt.

Für jedes Krankenzimmer wurden bakteriologisch ein- wandfreie Aufnehmer ver- wendet. Die Reinigungs- flächen waren durch die An- wendung dieser Methode op- tisch sauber.

Es bestehen daher starke Zweifel, ob eine industrielle Reinigung in Kliniken über- haupt noch durch die gegebe- nen Umstände durchgeführt werden soll.

Dr. Posevec,Institut für Krankenhaus- hygiene, Mikrobiologie, Arbeitsmedizin und Strahlenschutz, Mercatorstraße 96–98, 47051 Duisburg

Universität Erfurt

Zur Laudatio für Prof. Dr. med. Dr.

med. h. c. Dr. med. vet. h. c. Hanns Gotthard Lasch anlässlich der Ver- leihung der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft in Heft 22/2002, in der es hieß, er war „Vor- sitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Universität Erfurt zur Errichtung eines Forschungszen- trums für Vaskuläre Biologie und Medizin in Erfurt“:

Hochschulschließung weithin unbekannt

. . . Ein Zentrum für Vaskulä- re Biologie und Medizin wur- de zum 1. Januar 1994 in Er- furt als ein Bestandteil der Friedrich-Schiller-Universität Jena aus Arbeitsgruppen ei- niger Institute der zum 31.

Dezember 1993 aufgehobe- nen Medizinischen Hoch- schule Erfurt (von 1954 bis

1992 Medizinische Akademie Erfurt) gegründet. Dabei konnte nicht allen Empfeh- lungen des „Wissenschaftli- chen Beirates zur Ausgrün- dung eines medizinisch-bio- logisch orientierten For- schungszentrums aus der Me- dizinischen Hochschule Er- furt“ unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Lasch, der vom Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst am 30. März 1993 auf Vorschlag des Medizinausschusses des Wissenschaftsrates berufen worden war, gefolgt werden.

Prof. Lasch kannte die ein- schlägigen Arbeitsgruppen in Erfurt aus langjährigen Ver- bindungen und Besuchen.

Die Universität Erfurt wurde im April 1994 formal gegrün- det und hat einen, allerdings umfänglich begrenzten, Stu- dienbetrieb erst Jahre danach aufgenommen. Die Univer- sität Erfurt verfügt weder über eine Medizinische noch eine Naturwissenschaftliche Fakultät.

Ich erlaube mir abschließend die Vermutung, dass die hi- storische Tatsache einer im Jahre 1993 erfolgten Schlie- ßung einer Medizinischen Hochschule in Deutschland in Ärzte- und Hochschulkrei- sen weithin nicht bekannt zu sein scheint beziehungsweise in Vergessenheit geraten ist.

Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Haupt- mann,Ruländerweg 17, 69168 Wiesloch

Sprachliches

Falsche Übersetzung von „evidence based medicine“:

Gegenteil vermittelt

. . . „Evidence based medi- cine“ heißt „nachweisorien- tierte Medizin“.

Der englische Begriff „evi- dence based medicine“ pro- pagiert ja gerade Therapien, deren Wirksamkeit „nachge- wiesen“ sind, und nicht sol- che, die nur „offenkundig“

sind. Mit der falschen Über- setzung wird damit das zen- trale Anliegen der „evidence based medicine“ nicht zum

Ausdruck gebracht, ja gera- dezu das Gegenteil vermit- telt.

Und nebenbei: „based“ mit

„basiert“ zu übersetzen zeugt nur davon, dass man sich um das treffende deutsche Wort keine Gedanken gemacht hat.

Dr. med. Wolf-Diedrich Reinbach, Klingenteichstraße 6 B,

69117 Heidelberg

Homöopathie

Zu den Leserbriefen in Heft 18/2002, die sich auf den Beitrag

„Verständnis in Bildern“ von Dr.

med. Susanne Thor in Heft 9/2002 bezogen:

Denktradition außer Kraft gesetzt

Die lebhafte Diskussion über ein anachronistisch anmuten- des Heilverfahren, dessen Wirksamkeit auch nach mehr als 200-jährigem Einsatz un- bewiesen blieb, ist ausge- sprochen verwunderlich. Die Beliebtheit der Homöopa- thie bei den Patienten beruht wohl auf ihrer Verwechslung mit Naturheilverfahren, mit denen sie allerdings nicht das Geringste zu tun hat. Zwar kommen Stoffe wie Schwe- fel, Quecksilber, Blei und Schlangengifte durchaus in der Natur vor, sind aber schwerlich das, was sich alter- nativ eingestellte Patienten erwarten; vielmehr trägt die Verabreichung solcher Sub- stanzen in Niederpotenzen zur ohnehin verbreiteten Schadstoffbelastung bei, was bislang nur die Stiftung Wa- rentest zu beunruhigen scheint.

Die beiden Grundprinzipien der Homöopathie – das Simi- le- und das Verdünnungs- prinzip – sind bereits im ge- danklichen Ansatz nicht nachvollziehbar. Schon dem medizinisch nicht geschulten Verstand eines Laien dürfte es schwer fallen, seinen er- höhten Blutzucker mit einer Blutzucker-steigernden Sub- stanz behandeln zu lassen, wie es die Ähnlichkeitsregel erfordert, und dass eine Arz- A

A2324 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 366. September 2002

E-Mail

Briefe, die die Redaktion per E-Mail erreichen, werden auf- merksam gelesen. Sie können indessen nicht veröffentlicht werden, es sei denn, sie würden ausdrücklich als „Leser- brief“ bezeichnet. Voraussetzung ist ferner die vollständige Anschrift des Verfassers (nicht die bloße E-Mail-Adresse).

Die Redaktion behält sich ohne weitere Mitteilung vor, E-Mail-Nachrichten, die als Leserbrief erscheinen sollen,

zu kürzen.

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nei durch extreme Verdün- nung (psychologisch ge- schickt als „Potenzierung“

und „Dynamisierung“ ver- brämt) wirksamer werden soll, ist nur einem Liebhaber von Paradoxien klar zu ma- chen und setzt eine zweiein- halbtausendjährige abend- ländische Denktradition außer Kraft. Außerdem gibt es „die Homöopathie“ gar nicht, sondern lediglich di- verse, sich gegenseitig Un- wirksamkeit vorwerfende homöopathische Schulen so- wie viele Polypragmatiker, die je nach Erwartungshal- tung ihrer Patienten eine bunte Mischung aus Homöo- pathie, Naturheilverfahren, Akupunktur und Schulmedi- zin anbieten.

Der Ansicht von Herrn Dr.

Dogs, den Placebo-Effekt ei- ner homöopathischen Thera- pie auszunützen, kann man

nur zustimmen, sollte sich aber bewusst sein, was man tut, und potenziell toxische Niederpotenzen vermeiden.

Während wir auf anderen medizinischen Gebieten den Amerikanern alles nachzu- machen pflegen, ist dies in Bezug auf die Homöopathie nicht der Fall. In den USA wurde die letzte homöopathi- sche Weiterbildungsstätte – das Hahnemann-College in Philadelphia – bereits 1950 geschlossen, und 1959 wurde die homöopathische Lehre endgültig aus dem Lehrplan für Medizinstudenten elimi- niert. Warum diese hierzulan- de als besondere Therapie- richtung anerkannt und von den Ärztekammern auch noch durch Zuerkennung ei- ner entsprechenden Zusatz- bezeichnung besonders ge- würdigt wird, bleibt unklar – die Protektion der Homöo-

pathie im Dritten Reich im Rahmen der „neuen deut- schen Heilkunde“ dürfte ja wohl keine Rolle mehr spie- len. Wie sich die seit Jahren laufenden Qualitätsoffensi- ven und die Protegierung der evidence based medicine mit

der offiziellen Akzeptanz der Homöopathie vereinen las- sen, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.

Prof. Dr. med. Manfred Stöhr, Klinikum Augsburg, Neurologische Klinik, Postfach 10 19 20, 86009 Augsburg

Fortschritt

Zu dem Beitrag „Grenzfragen zwi- schen Wissenschaft und Ethik: Die Bedrohung der Gattung ,Mensch‘“

von Prof. Dr. phil. Wolfgang Früh- wald in Heft 19/2002:

Irritation

Anstelle der Bedrohung der Gattung „Mensch“ wird eine Irritation des Individuums

„Mensch“ gesehen. Wie ist es, ein technisch geplanter, opti- mierter, ein gezüchteter Mensch zu sein? Die wesent-

lichen Attribute: über einen freien Willen verfügen zu können, in einem eigenen Leib zu leben, zu einem sozia- len Kontext zu gehören, wer- den zusammengehalten im Anspruch auf eine autonome Lebensführung. Dieses Selbstbild eines autonomen Wesens wird gewonnen und abgesichert dadurch, dass der biologische Anfang (die Pa- rallelisierung zweier haploi- der Chromosomensätze) mit einer Zufallsentscheidung der Natur anhebt. Kraft dieses Zufalls kann die biologische

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Determiniertheit physiologi- scher Aktivität soweit in den Hintergrund treten, dass Frei- heit in der mentalen Selbstbe- stimmung verwirklicht wird.

Der Austausch dieser Zufalls- entscheidung durch einen wunschgesteuerten, techni- schen Produktionsprozess wird durch einen gezüchteten Menschen gedanklich verge- genwärtigt werden. Er wird sich des Artefakts in seinen biogenetischen Grundlagen bewusst werden, wodurch sei- ne Freiheit in der Selbstbe- stimmung irritiert, wenn nicht infrage gestellt wird.

Priv.-Doz. Dr. med. R. Erkwoh, Lütticher Straße 132, 52074 Aachen

Abtreibung

Erfahrungen mit der Schwanger- schaftsvorsorge:

Zur Diskussion

In unserer Schwesternschaft herrscht gerade Betroffenheit über die Erlebnisse einer aus- ländischen schwangeren Frau, bei der eine Ultraschall- untersuchung im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge beim Kind die Diagnose ei- nes Anenzephalus ergab.

Der Frau wurde daraufhin ge- sagt, man wolle die Geburt einleiten. Dieser Ausdruck ist für die Mutter als Ausländerin völlig unverständlich und selbst für Deutsche verschlei- ernd, da es sich ja um eine Ab- treibung handelt.Als die Mut- ter dies begriff, wehrte sie sich gegen den Eingriff und steht nun bei jeder Vorsorge gegen die Meinungen inzwischen mehrerer konsultierter Ärzte.

Alle Ärzte raten zum Schwan- gerschaftsabbruch, unter an- derem mit der Begründung, dass es die Mutter doch so viel leichter haben könnte, wenn sie das Kind nicht austragen würde. Die Frau geht gemein- sam mit ihrem Mann tapfer ihren Weg und sagt „ich bin doch nicht der Herr über Le- ben und Tod“ – und zum Arzt gewandt „und Sie doch auch nicht“. Eine Gruppe von uns Schwestern begleitet die Fa- milie im Gebet. Es ist aber

auch unser Wunsch, dass die Familie gerade in unserem Land noch andere Erfahrun- gen mit Ärzten machen darf.

Dr. med. Elisabeth Lerp, Schwester Damiana,Evangelische Marien- schwesternschaft, Heidelberger Landstraße 107, 64297 Darmstadt

Arzt-Beruf

Zu dem Leserbrief „Zu viel Kapi- täne und zu wenig Ruderer“ von Klaus-A. Ronneberger in Heft 23/2002:

Falsche Aussage

Herr Ronneberger schreibt in seinem Leserbrief: „Die DDR hatte ja den Arzt abge- schafft und durch den Di- plom-Mediziner ersetzt.“

Diese Aussage ist schlichtweg falsch. In der DDR wurde dem Medizinstudenten nach erfolgreichem Abschluss des Studiums, mit bestandenem Staatsexamen, die Approba- tion als Arzt, das heißt die staatliche Genehmigung zur selbstständigen Ausübung des Arztberufes, erteilt. Un- abhängig davon konnte nach der „Verordnung über die akademischen Grade“ vom 6. November 1968 das Di- plom eines Wissenschafts- zweiges als erster akademi- scher Grad erworben wer- den. Dieses Diplom wurde von den Medizinischen Be- reichen der Universitäten und den Medizinischen Aka- demien bei bestandener Hauptprüfung sowie positi- ver Beurteilung und erfolg- reicher Verteidigung einer Diplomarbeit verliehen und berechtigte zur Führung des Titels Diplom-Mediziner (Dipl.-Med.). Die weiteren Stufen waren Promotion A (Dr. med.) und Promotion B (Dr. sc. med.).

Analoges galt für Stomatolo- gen und Apotheker und die spätere Studienrichtung

„Medizinpädagogik“.

Der Arzt ist somit in der DDR weder abgeschafft noch durch den Diplom-Me- diziner ersetzt worden.

Prof. Dr. Edgar R. Steiner,Friedrich- Hegel-Straße 18, 15230 Frankfurt/Oder

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A2326 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 366. September 2002

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