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Archiv "Tierversuche: Die Relevanz für den Menschen ist umstritten" (17.09.2004)

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ie Substitutionstherapie mit Insu- lin, die Millionen Diabetikern das Leben ermöglicht, ist erst durch die Entdeckung von Frederick Banting und Charles Best im Jahr 1921 durch Versuche mit Hunden möglich gewor- den. Hätten sie für ihre Versuche nicht Hunde, sondern Meerschweinchen ge- wählt, würden vielleicht heute noch viele Typ-1-Diabetiker bereits im Kin- desalter versterben. Denn bei Meer- schweinchen bewirkt Insulin angebo- rene Missbildungen, sodass man die Anwendung beim Menschen wahr- scheinlich für nicht verantwortbar ge- halten hätte.

Der Einsatz des Schlafmittels Thali- domid hingegen war nach Tierversu- chen an Mäusen und Ratten als unbe- denklich beurteilt worden. Das terato- gene Potenzial beim Menschen hat sich erst auf dramatische Weise nach der Zu- lassung gezeigt. Diese Beispiele ma- chen deutlich, wie schwierig die Beur- teilung der Relevanz von Tierversuchen in der Medizin ist. Diesem Thema wid- met sich auch eine Studie von Pound et al. (BMJ 2004; 328: 514–517), in der sie zu dem Schluss kommen, dass die Er- gebnisse aus Tierversuchen stärkeren Qualitätskontrollen zugeführt werden müssten, insbesondere durch das häufi- gere Erstellen systematischer Reviews und Metaanalysen.

Parallel wurden klinische Studien durchgeführt

Angeregt durch ihre Arbeit in der Cochrane Collaboration untersuchten die Autoren den Nutzen von Tierversu- chen in Bezug auf ihre Relevanz für kli- nische Studien. Im Rahmen einer Meta- analyse fanden sie in fünf von sechs

Review-Artikeln überwiegend metho- disch schlecht durchgeführte Tierver- suche. Und obwohl im Tierversuch kein potenzieller Nutzen für die Über- tragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen erkennbar war, wurden – teilweise parallel – klinische Studien durchgeführt.

Die Frage der Übertragbarkeit auf den Menschen ist der größte Streit-

punkt an der Forschung mit Tieren. Be- fürworter der Tierversuche argumen- tieren, dass es viele wertvolle Arznei- mittel ohne Tierversuche nie gegeben hätte. Ebenso seien Fortschritte von Operationstechniken – zum Beispiel in der Gefäßchirurgie und Mikrochir- urgie – nur durch vorangegangene Tierversuche möglich geworden. Dar- über hinaus könne man bestimmte Untersuchungen, wie etwa die Bestim-

mung der Langzeit-Toxizität eines Stof- fes, nur an lebenden Organismen durch- führen.

Tierversuchsgegner kritisieren hin- gegen, dass immer wieder Fälle von feh- lender Übereinstimmung vorkommen.

Eine Erklärung für diese Diskrepan- zen ist die Tatsache, dass die Abläufe im menschlichen Organismus äußerst komplex sind und sich nur sehr be- grenzt durch Versuche am Tier simu- lieren lassen. Daher kann der gleiche Test bei unterschiedlichen Tierrassen zu teilweise gegensätzlichen Ergebnissen führen – wie das Beispiel Penicillin zeigt: Das Antibiotikum ist zwar to- xisch für Meerschweinchen, nicht je- doch für Mäuse.

Tierversuche täuschen falsche Sicherheit vor

Nach Ansicht der „Ärzte gegen Tier- versuche e.V.“ täuscht die präklini- sche Testung von Arzneimitteln an Tieren eine falsche Sicherheit vor, da nicht gewährleistet sei, dass die Me- dikamente beim Menschen tatsächlich unbedenklich angewendet werden könn- ten. „Es gibt eine lange Reihe von Me- dikamenten, welche von den zustän- digen Behörden für den Verkauf in der Apotheke zugelassen wurden und dann aufgrund von Problemen, wel- che tierexperimentell nicht vorausge- sehen wurden, wieder aus dem Ver- kehr gezogen oder zumindest im Ge- brauch erheblich eingeschränkt werden mussten.“

So sind nach einer vom Institut für Klinische Pharmakologie Bremen im Jahr 2001 veröffentlichten Studie jähr- lich 210 000 Krankenhauseinweisungen auf Arzneimittelnebenwirkungen zu- M E D I Z I N R E P O R T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3817. September 2004 AA2511

Tierversuche

Die Relevanz für den Menschen ist umstritten

Eine aktuelle Metaanalyse kritisiert bei Tierversuchen methodische Mängel und fehlende Standardisierung.

Mäuse und Ratten werden mit Abstand am häufigsten für Tierversuche eingesetzt.

Foto:Caro

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rückzuführen. Davon wurden 70 000 als lebensbedrohlich eingestuft und 16 000 führten zum Tod (DGPT-Forum 2001, Nr.

28, 15–19). Für die Gesellschaft Gesund- heit und Forschung ist die fehlende Über- tragbarkeit von Untersuchungsergebnis- sen nicht allein auf Tiere und Menschen beschränkt: „Eine Übertragbarkeit . . . der Ergebnisse existiert nicht einmal von Mensch zu Mensch.“

Durch jahrelange Erfahrung der mit Tierversuchen betrauten Wissenschaft- ler habe sich jedoch herausgestellt, dass ausgesuchte Tierarten für bestimmte Fragestellungen besonders gute Über- tragungswerte ergeben – zum Beispiel:

> Ratten und Mäuse für Gift,

> Ratten, Kaninchen und Pri- maten für keimschädigende Wir- kung,

> Kaninchen für Arterioskle- roseforschung,

> Schweine für Verdauung und Stress und

> Hunde für Nieren und Kreislauf.

Nach dem heutigen Stand des Wissens könne man davon aus- gehen, dass Wirkungen und Ne- benwirkungen von Arzneimit- teln vor ihrer Anwendung am Menschen zu 70 bis 80 Prozent im Tierversuch erkannt werden.

Das heißt: Tierversuche liefern Basisdaten, die in Abhängigkeit von der Ähnlichkeit des Ver- suchsmodells mit den Verhält- nissen beim Menschen wichti- ge Rückschlüsse auf den Menschen zulassen.

Viel diskutiert wird auch die Verwen- dung von Alternativmethoden, die in den letzten Jahren als Ersatz oder Ergänzung zum Tierversuch entwickelt und etabliert wurden. Dazu zählen vor allem Untersu- chungen an Zell-, Gewebe- oder Organ- kulturen, biochemische Verfahren wie die PCR oder ELISA oder die Verwen- dung von Computer-Simulationen. Der Draize-Test am Kaninchenauge auf Au- gen-/Schleimhautreizung einer Sub- stanz konnte etwa durch den Hühnerei- Test an der Chorion-Allantois-Mem- bran (HET-CAM) ersetzt werden. Zum

Nachweis von Botulinumtoxin wird heu- te nicht mehr das Gift in die Bauchhöhle von lebenden Mäusen injiziert, sondern an einem isolierten Zwerchfell-Präpa- rat nachgewiesen.

Diese Verfahren sind zwar nicht tier- versuchsfrei, jedoch nicht mit Schmerzen für ein Tier verbunden und werden daher bevorzugt. Dennoch können Alternativ- methoden die Tierversuche nicht in allen Bereichen ersetzen. Bestimmte Frage- stellungen, wie die Verteilung eines Arzneistoffs im Körper, die Verteilung auf Organsysteme und die Ausscheidung lassen sich nur am lebenden Organismus untersuchen und auch noch nicht voll- ständig am Computer simulieren.

Argumente für die Standardisierung

Unabhängig von der Einstellung ge- genüber Tierversuchen besteht jedoch Übereinstimmung, dass aus durchge- führten Studien der größte Nutzen ge- zogen werden sollte. Eine Vorausset- zung dafür ist, dass die Studien metho- disch korrekt durchgeführt werden und durch Randomisierung und Verblin- dung eine gute Aussagefähigkeit ge- währleistet wird. Nach Ansicht von Pound könnte die Zahl der Tierversu- che vermindert werden, indem die bis- herigen Ergebnisse in Form einer Meta- analyse zusammengefasst würden.

Auch müsste ein vermehrter Ver- gleich von Tierversuchen und klini- schen Studien durchgeführt werden, da- mit die Vorhersagefähigkeit besser ein- geschätzt und die finanziellen Ressour- cen optimiert werden könnten. Zudem kritisieren die Autoren, dass die phar- mazeutische Industrie die Ergebnisse ihrer Tierversuche aus kommerziellen Gründen meist nicht der Öffentlichkeit zugänglich macht, was wiederum zu einer Verzerrung der Ergebnisse eines systematischen Reviews führt.

Idealerweise, so das Resümee, soll- ten Tierversuche nur dann durchge- führt werden, wenn alle bisherigen Studien zu dem entsprechenden For- schungsgegenstand einer gründlichen Analyse unterzogen worden seien und ihre Validität und Generalisierbarkeit zu klinischen Studien nachgeprüft wor-

den sei. Amina Elsner

M E D I Z I N R E P O R T

A

A2512 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3817. September 2004

Grafik

Verwendete Haustiere in 2002

I IMäuse I IRatten I IFische I

IKaninchen I

IVögel/Geflügel I

IMeerschweinchen I

IAmphibien I

ISchweine I

Iandere Nager I

IHamster I Isonstige 1 200 000

1 000 000

800 000

600 000

400 000

200 000

0 Quelle: BMVEL

Nach der Statistik des Bundesmini- steriums für Verbraucherschutz, Er- nährung und Landwirtschaft wurden im Jahr 2002 insgesamt 2,2 Millionen Tiere für Versuche verwendet. Den weitaus größten Forschungsbereich macht dabei die biologische Grundla- genforschung mit 826 000 Versuchs- tieren (38 Prozent) aus. Es folgen die Bereiche Forschung und Entwicklung mit 536 000 Versuchstieren (25 Pro- zent) und die Herstellung oder Qua- litätskontrolle von Produkten und Ge- räten mit etwa 317 000 Versuchstieren (zwölf Prozent).

Für toxikologische Untersuchun- gen und andere Sicherheitsprüfungen wurden etwa 207 000 Versuchstiere (neun Prozent) verwendet. In der Me- dizin werden Tierversuche häufig zur Erforschung von Krankheiten und zur Entwicklung neuer Arzneimittel durch- geführt. Beispielsweise werden trans- gene Mäuse gezüchtet, die ein der zystischen Fibrose ähnliches Krank- heitsbild aufweisen oder als Modell der Entstehung von Krebs herangezo- gen werden. Auch werden etwa neue Wirkstoffe zur Behandlung für Aids an Affen getestet.

Wofür Tiere ihr Leben lassen müssen

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