Chinesisches Papiergeld
„Einem Freund", erzählte uns Wang Ke-Chiang, unser chine- sischer Nachbar, „habe ich zu verdanken, daß ich mein Medizinstudium aufgab." Wir verlangten selbstverständlich mehr zu wissen. Wie viele Infor- mationen aus erster Hand be- kommt man gewöhnlich schon über die Verhältnisse im rotchi- nesischen Schanghai?
„Dieser Kerl war ein vollkom- mener Narr", lachte der Erzäh- ler. „Zur Zeit der Kulturrevolu- tion ging er mit mir in einem Tümpel schwarze Käfer fangen, so runde Biester mit Schwimm- füßen. Die mußte man lebend aufbeißen und aussaugen — es war eine von alther erprobte Süßigkeit, eine Volks-Praline sozusagen. Für angehende Me- diziner gehörte es sich selbst- verständlich, auf diese Weise die Volksverbundenheit zu be- weisen ..." — Meine Frau wurde
leicht grün im Gesicht, und das kam bestimmt nicht von dem Tee in den kleinen Tassen.
„Wir hatten einfach nicht ge- nug Leichen zum Sezieren", fuhr Wang unbekümmert fort.
„Dabei war der Platz unter un- seren Betten vollgestopft mit menschlichen Knochen, die wir
aus der Uni geklaut hatten, um unsere Studien etwas ruhiger betreiben zu können. Wir wohnten in einer winzigen Kammer, müssen Sie wissen.
Zwei Studenten und ein Haufen menschlicher Knochen . . ." — Meine Frau wechselte bereits wieder die Farbe.
„Also", fuhr Herr Ke-Chiang fort, „mein Freund sagte, nach dem Gebot des Vorsitzenden Mao müssen junge Kommuni- sten in Ausnahmefällen immer selbst die Initiative ergreifen.
Der Ausnahmefall hieß: Wir hat- ten aus der Klinik nicht genug Leichen. Die Initiative hieß: Wir müssen uns welche besorgen!"
„Wir beschafften uns zunächst zwei Spaten", gab Wang mit tausend freundlichen Fältchen um die Augen bekannt. „Dann in der hellen Mondnacht hinaus zum Friedhof. Zuerst erschra- ken wir uns furchtbar: Da war schon eine andere Gruppe am Buddeln! Die hofften aber nur, etwas Wertvolles am Leichnam zu finden, während für uns selbst der Leichnam das Wert- vollste war ... Na, dann also los mit dem Schippen!" — Karin verließ das Zimmer in Richtung Bad.
„Aber es ging nicht gut", sagte mit einem Anflug von Traurig- keit Herr Ke-Chiang. „Unsere Studenten-Parteigruppe wurde von den Verwandten informiert, die eigens einen Wächter an das frische Grab beordert hat- ten. Zwar war die Partei auch der Meinung, die Wissenschaft, der unsere Grabschändung diente, hätte Vorrang vor den alten Totenbräuchen. Trotzdem mußten wir vor den Augen der Verwandten Geld über dem lee- ren Grab verbrennen, um den Geist ihres von uns gestohle- nen Verblichenen im Jenseits zu beruhigen. Dieser Aberglau- be, er hat mir meine Heimat ver- ekelt! Ich bin über Kow-Loon und Hongkong in den Westen.
Geld für die Totengeister ver- brennen — stellen Sie sich vor!"
Herr Ke-Chiang lachte bereits wieder ganz herzlich: „Das Be- ste, was uns einfiel, wir ver- brannten buddhistische Bank- noten. Die kauften wir beim Alt- warenhändler für ein paar Pfen- nige! Wertlos. Die Hauptsache war ja, daß es ordentlich rauchte!"
Er hat wirklich gut lachen. Er hat sich bei uns umschulen las- sen zum Textil-Ingenieur.
Arno Reinfrank, London POST SCRIPTUM
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Aufsätze • Notizen
106 Heft 9 vom 4. März 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A