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Archiv "Versorgung am Lebensende: Bedürfnis nach „sprechender Medizin“" (03.06.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 22

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3. Juni 2011 A 1225 VERSORGUNG AM LEBENSENDE

Bedürfnis nach „sprechender Medizin“

Die Erfahrungen von Patienten und Angehörigen können Ausgangspunkt für (selbst-)kritische Reflexionen von Ärzten, Pflegekräften und Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen sein.

Jutta Bleidorn, Katharina Klindworth, Sandra Krenz, Nils Schneider

G

etragen von der Bundesärz- tekammer, der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und dem Deutschen Hospiz- und Palliativverband wurde im vergan- genen Jahr die Charta zur Betreu- ung schwerstkranker und sterben- der Menschen in Deutschland ver- abschiedet. Mehrere Hundert In- stitutionen, Organisationen und Einzelpersonen haben in einem Konsensusverfahren Anforderun- gen an eine adäquate Weiterent- wicklung der Versorgung Schwerst - kranker und Sterbender formuliert (http://charta-zur-betreuung-sterben der.de/). Großen Raum nehmen darin die Bedürfnisse der Betrof - fenen ein. So wird unter anderem gefordert, die Perspektiven der Patienten- und Angehörigen in der Forschung stärker zu berücksich - tigen.

Von April 2010 bis März 2011 wurde im Rahmen der Förderinitia- tive Versorgungsforschung das Pro- jekt „Palliativmedizinische Versor- gung aus Sicht von Patienten und Angehörigen – Stärken, Schwächen

und Möglichkeiten zur Verbesse- rung“ gefördert.

Für dieses Projekt wurde ein qualitatives Forschungsdesign ge- wählt, um die Erfahrungen und Be- dürfnisse von Betroffenen besser verstehen zu können.

Zunächst wurden leitfadenge- stützte Einzelinterviews mit 40 Pa- tienten und Angehörigen geführt. Die Befragten wurden über Hausarzt - praxen, Fachspezialisten, Selbsthilfe - gruppen und Palliativstützpunkte in Niedersachen rekrutiert. Einschluss- kriterium war das Vorliegen einer un- heilbaren, fortschreitenden Erkran- kung mit potenziellem palliativmedi- zinischem Versorgungsbedarf, abge- schätzt mit Hilfe folgender Frage an den behandelnden Arzt: „Wären Sie überrascht, wenn Ihr Patient inner- halb der nächsten zwölf Monate ster- ben würde?“ Diese Frage hat sich in anderen Studien bewährt, um Pallia- tivpatienten zu identifizieren.

Zur weiteren Verdichtung der Er- gebnisse wurden in einem zweiten Schritt zwei Gruppendiskussionen mit Angehörigen und Patienten

(fünf Teilnehmer) beziehungsweise hinterbliebenen Angehörigen (sie- ben Teilnehmer) durchgeführt. Drei Leitthemen standen im Mittelpunkt der Gruppendiskussion: Beratung pflegender Angehöriger, Zusam- menarbeit der an der Versorgung beteiligten Professionen, Entschei- dungsfindung in der letzten Le - bensphase. Die Interviews und Gruppendiskussionen wurden digi- tal aufgezeichnet, wörtlich transkri- biert und inhaltsanalytisch ausge- wertet.

Schnittstelle ambulant/stationär

Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse aus den Gruppendis- kussionen vorgestellt und punktu- ell durch Zitate veranschaulicht.

Dem Forschungsansatz und der Methodik entsprechend ist zu be- rücksichtigen, dass die Schilde- rungen die Wahrnehmungen und Sichtweisen der teilnehmenden Patienten und Angehörigen wie- dergeben, ohne Anspruch auf Re- präsentativität.

Angehörige berich- ten von Problemen bei der Versorgung von Palliativpatienten – unter anderem von durch Schmerztherapie hervorgerufener Benommenheit und der Tabuisierung von Sterben und Tod.

Foto: Picture Alliance

Institut für Allgemein- medizin, Medizinische Hochschule Hannover:

Dr. med. Bleidorn Institut für Epidemiolo- gie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemfor- schung, Medizinische Hochschule Hannover:

Dr. med. Bleidorn, Dipl.-Ges.wirtin Klindt- worth, Dipl.-Reha.-Päd.

Krenz MPH, Prof. Dr.

med. Schneider MPH

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A 1226 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 22

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3. Juni 2011 Die Entlassung schwerstkranker

und sterbender Patienten aus der stationären in die ambulante häus- liche Versorgung stellt eine im- mense Herausforderung für die pflegenden Angehörigen dar und wird häufig als defizitär bezeich- net. Ist die Rolle der Angehörigen während der stationären Behand- lung eines Patienten eher passiv, so ändert sich das mit der Entlas- sung schlagartig: Auf einmal sind Angehörige nicht nur für die di- rekte Versorgung zuständig, son- dern auch für organisatorische und koordinierende Aufgaben, denen sie nach eigenem Empfinden häu- fig unvorbereitet gegenüberstehen – nicht zu vergessen dabei die psy- chische Belastung durch den be- vorstehenden Verlust eines nahe- stehenden Menschen.

Mehrere Angehörige berichten, nicht gewusst zu haben, an wen sie sich nach der Entlassung aus der stationären Behandlung wenden sollten. Wünschenswert sei eine Koordination der weiteren Versor- gung bei häuslicher Pflege durch einen festen, schnell und unkom- pliziert zu erreichenden, kompe- tenten Ansprechpartner. Ein aus- führliches Gespräch bezüglich Prognose und Versorgung bereits während des stationären Aufent- halts sei ebenfalls erforderlich, fehle aber zumeist. H_11*, zur Schnittstelle Krankenhausentlas- sung: „Aber es ist kein Mensch da, der wirklich sagen kann, was Sa- che ist. Woher sollen wir als Pa- tienten dann wissen, wohin wir uns wenden sollen?“ Andere An- gehörige hingegen berichten über positive Erfahrungen mit Beratung und Koordination. In diesen Fällen scheinen jedoch mehr die persön- lichen Kontakte und das Engage- ment Einzelner zur ,,gelungenen Versorgung“ beigetragen zu haben als systematisch aufeinander abge- stimmte Konzepte.

Patienten und Angehörige neh- men den Austausch zwischen den behandelnden Ärzten teilweise als schlecht wahr, wie eine Angehöri- ge schildert: A_05: „Und man hängt so’n bisschen in der Luft

(betreffs Auskunft durch Spezia- listen). Hm, das hab ich paar Mal schon mal unserm Hausarzt ge- sagt, und der hat bei ihm da ange- rufen, und beim nächsten Ge- spräch (beim Spezialisten) – ihm (Spezialist) gefällt das nicht, wenn ich zu unserem Hausarzt gehe, und der bei ihm anruft (. . .) Ist er ab- solut dagegen.“

Auch die Konkurrenz der Leis- tungsanbieter in der Pflege wird als unangenehm empfunden. In der ohnehin schwierigen Situation der Pflege eines Schwerkranken oder Sterbenden stellen diesbe- zügliche Entscheidungen und mög - liche als negativ empfundene Kon- sequenzen eine zusätzliche Belas- tung dar. H_05: „Da muss man sich noch dafür entschuldigen, dass man nicht den Palliativdienst von dem Pflegedienst genommen hat, äh, das muss man sich zu Hause am Krankenbett dann an- hören, ne. (. . .) Ja, das ist ganz, ganz wichtig, dass man das nicht noch zu spüren kriegt in so’ner Si- tuation.“

Entscheidungsfindung durch Patienten und Angehörige

Hinterbliebene Angehörige be- richten, Entscheidungen über me- dizinische Maßnahmen in der letz- ten Lebensphase seien so lange wie möglich vom Patienten selbst getroffen worden. Sei das nicht mehr möglich, übernähmen Ange- hörige zunehmend Entscheidun- gen, im Bemühen, dem Willen des Patienten Ausdruck zu verschaf- fen. Vorhergehende Gespräche mit dem Patienten über die Umstände von Tod und Sterben sind dabei aus Sicht der Angehörigen von großer Bedeutung, scheinen je- doch durch die gesellschaftliche Tabuisierung des Themas nicht selbstverständlich. Die Angehöri- gen erwarten, dass auch die be - handelnden Ärzte eine Enttabui- sierung fördern. Das Niederlegen des Patientenwillens in Form ei- ner Patientenverfügung wird als Erleichterung für alle Beteiligten empfunden.

Schwierigkeiten können entste- hen, wenn Patienten Wert auf ei - gene Entscheidungen legen, je-

doch die Tragweite und die Aus- wirkungen auf die Angehörigen nicht erfassen können.

Bezüglich der Schmerztherapie in der Sterbephase werden unter- schiedliche Aspekte hervorgeho- ben. Die Verabreichung von Medi- kamenten durch Angehörige ist üblich, allerdings sind fehlerhafte Anwendungen der Medikation nicht immer auszuschließen. An- gehörige wünschen einerseits, dass der Patient nicht unter Schmerzen leiden muss, anderer- seits wird vor allem die durch die Schmerztherapie hervorgerufene Benommenheit kritisch gesehen.

Ausgangspunkt für kritische Reflexionen

Verschiedene Faktoren scheinen Einfluss darauf zu haben, wie die Versorgung Schwerkranker und Sterbender von den Betroffenen und von ihren Angehörigen wahr- genommen wird: Ort und Umge- bung, persönliche Kontakte, das Engagement Einzelner, familiäre Konstellationen und eigene Krank - heitsvorerfahrungen spielen eine Rolle. Verbesserungsbedarf wird bezüglich Koordination und Bera- tung an der Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Versor- gung gesehen. Deutlich wird auch das große Bedürfnis der Betroffe- nen nach „sprechender Medizin“.

Die Erfahrungen von Patienten und Angehörigen sollten aber Aus- gangspunkt für (selbst-)kritische Reflexionen aufseiten von Ärzten, Pflegekräften und Entscheidungs- trägern im Gesundheitswesen sein.

Die Ergebnisse aus diesem Projekt bieten zum Beispiel Ansätze für Weiterentwicklungen in der Aus-, Weiter- und Fortbildung sowie in der Versorgungspraxis und -sys- temgestaltung, aber auch für wei- tere Forschungsarbeiten.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2011; 108(22): A 1225–6

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Jutta Bleidorn

Institut für Allgemeinmedizin, OE 5440 Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover

bleidorn.jutta@mh-hannover.de

*„A_. . .“ = Angehörige, „H_. . .“ = Hinterbliebene

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