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Archiv "Dresdener Beitrag zur gesamtdeutschen ärztlichen Standespolitik" (10.05.1990)

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Formierung der Standesorganisationen im 19. Jahrhundert

Dresdener Beitrag

zur gesamtdeutschen ärztlichen Standespolitik

Vom Ärztlichen Verein zu Dresden zum Deutschen Ärztevereinsbun.d

Günter Heidel

Ein „Unabhängiger Verband der Ärzte und Zahnärzte Sachsens e. V.", wie er am 10. März 1990 in Dresden ge- gründet wurde, füllt tatsächlich eine hier seit viereinhalb ,

Jahrzehnten bestehende Lücke. Rechnet man die voran- gegangenen zwölf Jahre faschistischer Diktatur hinzu, in denen auch die ärztlichen Standesorganisationen gleich- geschaltet waren und mißbraucht worden sind, so beläuft sich das Defizit an einschlägigen praktisch-demokrati- schen Erfahrungen auf insgesamt 57 Jahre. In einer sol- chen, nicht unkomplizierten Situation des Neubeginns kann der Medizinhistoriker vielleicht ein wenig zusätzli- che, wenn auch nicht entscheidende Starthilfe dadurch leisten, daß er seit längerem vernachlässigte und etwas der Vergessenheit anheimgefallene, weiter zurückrei- chende besondere Traditionen auf dem Gebiet der ärztli- chen Standesorganisationen in Sachsen und vor allem in Dresden wieder ans Licht bringt. Wenn dies hier versucht werden soll, dann hauptsächlich mit der Zielstellung, das sich aktuell formierende Selbstverständnis des ,,Unabhän- gigen Verbandes der Ärzte und Zahnärzte Sachsens"

auch ein wenig historisch zu untersetzen, aber nicht zu- letzt auch mit der Absicht, das bis vor kurzem noch vor- rangig negativ etikettierte standespolitische Engagement unserer Altvorderen wieder entsprechend seiner tatsächli- chen Bedeutung zu würdigen,

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

bwohl das 18. Jahrhun- dert gelegentlich auch als das „gesellige" be- zeichnet worden ist, weil das Zeitalter der Aufklärung nicht wenige gelehrte Gesellschaften und Sozietäten — unter reger Teilnahme von Ärzten — hervor- gebracht hat, ist Dresden von dieser Entwicklung bis in das frühe 19. Jahrhundert zunächst nicht berührt worden. Gründe hierfür sind in der noch gerin- gen Zahl von Ärzten und gene- rell von wissenschaftlich Gebil- deten ebenso zu suchen wie im Fehlen einer Universität. Von dem hier seit 1748 als Bildungs- stätte für Militärchirurgen und Landwundärzte wirkenden Col- legium medico-chirurgicum wa- ren Impulse für das ärztliche Vereinswesen wegen des ver- gleichsweise niederen Ranges dieser Chirurgenschule mit ei- nem lediglich nebenamtlichen Lehrkörper kaum zu erwarten.

Erst als sich die in der Nachfolge des alten Collegium 1815 gegründete Chirurgisch- medicinische Akademie im Kurländer Palais eben konsoli- diert hatte, gingen von dem jetzt hauptamtlichen Lehrkör- per dieser Ärzteschule Bemü- hungen aus, die am 19. Septem- ber 1818 in die Gründung einer

„Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden" mün- deten. Diese erste Dresdener ärztliche Vereinigung bezweck- te zunächst die Förderung wis- senschaftlicher Bestrebungen und die Verbreitung neuer Er- kenntnisse — auch durch eine eigens hierfür eingerichtete Bibliothek — sowie die Be- kanntschaft und den Erfah- rungsaustausch zwischen Ärz- ten und Naturwissenschaftlern.

Die „Gesellschaft für Na- tur- und Heilkunde", die hier bis in die Zeit des zweiten Weltkrieges, also rund einund- einviertel Jahrhundert gewirkt hat, war zwar keine ärztliche Standesorganisation, aber als erste freiwillige Vereinigung dieser Berufsgruppe in unserer Stadt zumindest ein erster Schritt in diese Richtung. Fragt man also nach der unmittelba- ren Vorgeschichte der wenig später auch die Dresdener Ärz- te erfassenden standespoliti- schen Bestrebungen, so ist vor allem auf diese „Gesellschaft für Natur- und Heilkunde" zu verweisen, die das Zusammen-

gehörigkeitsgefühl und die In- teressenübereinstimmung und damit ein neues Selbstver- ständnis dieser Berufsgruppe von Anfang an gefördert hat.

Der damit bereitete Boden hat nach 1830 im Kontext der jetzt auch in Sachsen zuneh- mend dominierenden bürgerli- chen Emanzipation und der in sie eingebetteten Medizinalre- formbewegung erste ärztlich- standespolitische Forderungen sowie nachfolgend einschlägige Standesorganisationen hervor- gebracht. Als frühester Beleg für die damit beginnende ei- gentliche Geschichte der ärztli- chen Standesbewegung in Sachsen darf eine 1831 unter dem Titel „Bescheidene Wün- sche für eine künftige Medici-

nalordnung des Königreichs Sachsen" (1) anonym erschie- nene Schrift gelten. Der einge- weihten Zeitgenossen durchaus bekannte Verfasser Johann Ludwig Choulant (1791-1861), derzeit Professor an der Chir- urgisch-medicinischen Akade- mie und später — ab 1844 — zu- sätzlich Medizinalreferent im Sächsischen Ministerium des Innern und damit der höchste Medizinalbeamte Sachsens, meldet sich von einer Position zu Wort, die von dem eben neu erlangten Standesbewußtsein augenfällig Zeugnis ablegt:

„In einer Zeit der Umge- staltung, wie die jetzige über- haupt ist und für unser Vater- land hoffentlich . . . noch wer- den wird, darf es wohl dem

ärztlichen Stande vergönnt seyn, der öffentlichen Stimme dasjenige bescheiden vorzule- gen, was er in Beziehung auf die Stellung der Aerzte zu ihren Mitbürgern, in gerechtem Ver- langen nach einem möglichst ausgebreiteten und segensrei- chen Wirkungskreise, und in Hoffnung auf eine würdige An- erkennung des von ihm Erstreb- ten und Geleisteten, erwartet und mit Zuversicht zu hoffen wagt. Mögen . . . die Verhältnis- se, welche hier zur Sprache kom- men, geringfügig erscheinen ge- gen die großen politischen Stür- me und Umwälzungen, von wel- chen reiche Staaten und alte Dy- nastien bedroht sind; mögen .. . dem beschränktem Blicke die Angelegenheiten des ärztlichen, Standes klein und bedeutungs- los erscheinen: sie sind es darum nicht" (2).

Einen ersten Höhepunkt er- reicht die Medizinalreformbe- wegung in Sachsen in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts.

Als die aktivsten Promotoren dieser Entwicklung haben sich vor allem Hermann Eberhard Richter (1808-1876), Professor an der Chirurgisch-medicini- schen Akademie, und Carl Otto Seidenschnur (1818-1850), ein jüngerer Praktiker, beide in Dresden, sowie Carl Ernst Bock (1809-1874), Professor an der Leipziger Landesuniversität, hervorgetan. Als erstes sichtba- res Ergebnis dieser Bemühun- gen konstituierte sich bereits 1842 in der sächsischen Resi- denz der „Ärztliche Verein zu Dresden".

Richter, der hieran maß- geblich beteiligt war, hat es später als wichtigste Aufgabe dieser Vereinigung bezeichnet, das Standesbewußtsein der Ärzte zu fördern, um sie zu be- fähigen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen (3). Ganz in diesem Sinne wie- sen die Statuten des Vereins vor allem „Förderung der Col- legialität" und „Aufrechterhal- tung und Stützung der Würde des ärztlichen Standes" aus, und erst als dritte Position „Be- sprechung über Gegenstände der ärztlichen Wissenschaft und Kunst" (4), wobei letzteres weiterhin vorrangig der „Ge- sellschaft für Natur- und Heil- kunde" als einer rein wissen- schaftlichen Vereinigung über- lassen bleiben sollte.

Dt. Ärztebl. 87, Heft 19, 10. Mai 1990 (39) A-1523

(2)

Der „Ärztliche Verein zu Dresden" hat in der Folge wie- derholt zu drängenden Fragen der Medizinalreform Stellung genommen und damit das Sächsische Ministerium des In- nern ebenso beschäftigt wie den Sächsischen Landtag. Nen- nenswerte Änderungen und Fortschritte sind dadurch aller- dings zunächst nicht auf den Weg gebracht worden. Ein tat- sächlicher Erfolg war einzig ei- ner 1848 propagierten Auffor- derung zu einer Generalver- sammlung der Arzte Sachsens beschieden, die in dem im glei- chen Jahr gestarteten „Medici- nischen Reformblatt für Sach- sen" erschien (5). Die schließ- lich als „Congreß sächsischer Ärzte" etikettierte Zusammen- kunft fand am 20. August 1848 im Dresdener Sitzungssaal der Stadtverordneten statt und hat- te — neben einer Erweiterung und Präzisierung des Medizi- nalreformprogramms — als wohl wichtigstes Ergebnis die Bildung eines „Ausschusses der sächsischen Ärzte" zur Folge.

Dieser Ausschuß, dessen Vorstand sich aus fünf Dresde- nern rekrutierte, darunter Richter und Seidenschnur, war die erste Standesvertretung der sächsischen Ärzte. Er hat, ob- wohl er von der Regierung zu- nächst nicht anerkannt wurde, in den folgenden Monaten bis nach dem Maiaufstand 1849 ei- ne erstaunliche Fülle von Akti- vitäten entfaltet, wovon das

„Medicinische Reformblatt für Sachsen", das ab der siebenten Nummer den Untertitel „Or- gan des Ausschusses sächsi- scher Ärzte" trug, beredtes Zeugnis ablegt.

Es ist bisher weitgehend übersehen worden, daß sich der durch den Kongreß sächsi- scher Ärzte gewählte Ausschuß mit einem programmatischen Beschluß vom 1. September 1848 vor allem zwei grundsätz- liche Aufgaben gestellt hat, er- stens die „Vertretung und Wahrung der ärztlichen Inter- essen" durch eine selbstge- wählte Standesvertretung mit einer obersten ärztlichen Kam- mer und Gremien der einzel- nen Bezirke und zweitens die

„Anbahnung gleichförmiger Medicinaleinrichtungen für ganz Deutschland", wofür ins- besondere Richter als „Schrift- führer für das Ausland" fungie-

ren sollte (6). Letzteres ist ins- besondere deshalb bedeutsam, weil hier erstmals eine die säch- sisch-territorialstaatlichen Be- lange überschreitende deutsche Dimension zukünftiger ärzt- licher Standesvertretung und -politik in den Blick gefaßt wird.

Hier ist das Ziel, das insbe- sondere Hermann Eberhard Richter in den folgenden dreieinhalb Jahrzehnten mit außerordentlichem Engage- ment verfolgt hat, erstmals ein-

deutig fixiert. Hier liegt die ei- gentliche Wurzel für einen si- cher zu Recht zu konstatieren- den späteren besonderen Bei- trag Sachsens zur konföderati- ven Zusammenführung und Koordinierung der territorial- staatlichen ärztlichen Standes- vertretungen nach der Reichs- gründung.

Zunächst allerdings gehörte dieses Ziel auch hier in Dres- den zu den Hoffnungen, die nach der Niederschlagung des Maiaufstandes 1849 — zumin- dest zeitweilig — begraben wer- den mußten. Am 30. und 31.

August 1849 fand in Dresden noch ein zweiter Ärztetag mit nur wenigen Teilnehmern statt, der sich außerstande sah, neue Beschlüsse zu fassen. Zwei Vorstandsmitglieder des "Aus- schusses sächsischer Ärzte", Richter und Seidenschnur, be- fanden sich wegen ihrer Teil- nahme am Maiaufstand in Haft, und das „Medicinische Reformblatt für Sachsen" stell- te mit der Nummer 50 im Au- gust 1849 sein Erscheinen ein.

Gegen den bereits am 9.

Mai 1849 verhafteten Hermann Eberhard Richter ist ein Hoch- verratsprozeß geführt worden, der zweieinhalb Jahre dauerte.

Fast zwei Jahre war Richter in- haftiert und wurde noch vor dem Urteilsspruch von seiner Professur an der Chirurgisch- medicinischen Akädemie ent- hoben. Aber weder sein Wir- ken für eine Reform des Medi- zinalwesens noch sein standes- politisches Engagement sind

Johann Ludwig Choulant (1791-1861), Li- thographie von Adolf Hohneck, 1841

hierdurch beeinträchtigt wor- den. Allerdings hat auch er zu- nächst der im Nachgang zur Revolution vorherrschenden Reaktion Rechnung tragen müssen. Noch in der Haft schrieb er in einem Beitrag für Schmidt's Jahrbücher: „Der Himmel behüte uns vor einem Medicinalgesetz in solcher Zeit!

Wir liefen Gefahr, alle Ärzte in unbesoldete, polizeilich versetz- und absetzbare Staatsdiener verwandelt zu sehen. Zum Glück ist die jetzt herrschende Reaktion ohne schöpferische Zeugungskräfte" (7).

Richter hat in der Folge bis zu seinem Tode im Jahre 1876 als angesehener und erfolgrei- cher Praktiker in Dresden ge- wirkt und seit Ende der 50er Jahre wieder jede freie Minute der Medizinalreform und der ärztlichen Standesbewegung gewidmet. Befördert worden ist dies dadurch, daß die in Sach- sen während der 50er Jahre zu- nächst stagnierende Medizinal- reformbewegung 1858 durch ei- nen Antrag der Ständever-

sammlung, die Dresdener Chir- urgisch-medicinische Akade- mie aufzuheben, rasch wieder in Gang kam.

Nach Schließung der Aka- demie im Jahre 1864 wurde 1865 ein Sächsisches Landes- medizinalkollegium gegründet, dem von Anfang an auch Rich- ter angehörte. Einen großen Fortschritt für die ärztliche Standesbewegung in Sachsen brachte vor allem ein die Schaf- fung des Landesmedizinalkol- legiums flankierendes „Regula- tiv, die Bildung ärztlicher und pharmaceutischer Kreisvereine betreffend" (8) aus dem glei- chen Jahr, mit dem die seit den 40er Jahren bestehenden ärzt- lichen Standesorganisationen staatlich legitimiert und durch gewählte Abgeordnete in die- ses beratende Gremium inte- griert wurden.

Für Richters standespoliti- sches Bekenntnis ist in diesem Zusammenhang charakteri- stisch, daß er dem Landesmedi- zinalkollegium nicht als von der Regierung ernanntes ordent- liches Mitglied beitrat, wie ihm angetragen worden war, son- dern als außerordentliches Mit- glied, aber gewählter Abgeord- neter des Dresdener ärztlichen Kreisvereins. Mit dieser Ent- scheidung nahm er auch den Verlust des ihm nach Aufkündi- gung der Professur seit 1852 ge- zahlten Wartegeldes von jähr- lich 600 Talern in Kauf, um seine Unabhängigkeit zu bewahren.

Neben seinem streitbaren Wirken als eigentlicher „Oppo- sitionsführer" im Sächsischen Landesmedizinalkollegium hat sich Richter seit Mitte der 60er Jahre wieder vordergründig für das bereits 1848 in den Blick gefaßte Ziel einer gesamtdeut- schen Zusammenführung und Koordinierung der ärztlichen Standesorganisationen enga- giert. Noch 1865 reiste er — nach eigenem Zeugnis eigent- lich „kein Liebhaber der Natur- forscherversammlungen" (9) — zur Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte nach Hannover, um dort mit Kolle- gen aus Bayern und Baden, al- so aus Ländern mit ähnlichen Medizinalverfassungen, in Er- fahrungsaustausch zu treten.

Er verteilte unter den Mit- gliedern der medizinischen Sektion einen „Entwurf über die Organisation des ärztlichen A-1524 (40) Dt. Ärztebl. 87, Heft 19, 10. Mai 1990

(3)

Fotos 2): Sächsische Landesbibliothek, Dresden

Standes", in dem gefordert wurde, „ I. . . daß der ärztliche Stand eine vom Staate aner- kannte Körperschaft bilde, 2.

daß diese Körperschaft das Recht besitze, ihre Berufsange- legenheiten selbständig zu be- rathen und zu verwalten, 3.

desgleichen an der öffentlichen Gesundheitspflege Theil zu nehmen (und) 4. . . . mittels selbstgewählter Abgeordneter bei den Staatsregierungen ver- treten zu sein" (10).

Der Präsident der Sitzung ließ eine allgemeine Diskussion hierüber nicht zu, so daß eine Erörterung dieser programma- tischen Gedanken nur in den Vortragspausen möglich war.

Immerhin konnte Richter die Bildung einer sechsköpfigen.

Kommission für Medizinalre- formfragen erreichen, der ne- ben ihm noch Cohne, Dawoski, Erlenmeyer, Kirchhoff und.

Wietfeld angehörten. Die Kom- mission konnte zunächst si- chern, daß auf der 41. Versamm- lung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte 1867 in Frankfurt am Main bereits eine den Medizinalreformfragen vorbehaltene Extrasitzung an- beraumt wurde. Richter, der sich in diesem Zusammenhang selbst als „einen umherziehen- den fanatischen Apostel der Medicinalreform" (11) bezeich- net hat, stellte hier erneut sein standespolitisches Vierpunk- teprogramm zur Diskussion.

Im darauf folgenden Jahr 1868 wartete Hermann Eber- hard Richter auf der Naturfor- scherversammlung in Dresden mit einer 14 Thesen umfassen- den Diskussionsgrundlage auf, die in der Debatte präzisiert und auf 28 Thesen erweitert wurde. Das Material enthält nach der einführenden Prämis- se „Die ärztliche Wissenschaft und Kunst bedarf zu ihrem Ge- deihen unbeschränkter Frei- heit" ein detailliertes und weit- gespanntes Forderungspro- gramm unter besonderer Be- rücksichtigung der standespoli- tischen und -organisatorischen Erfordernisse (12). Hier in Dresden ist dann schließlich noch eine ständige Kommission gewählt worden, die 1869 in Ei- senach getagt und die Debatten der Sektion Medizinalreform für die nächste Naturforscher- versammlung programmatisch vorbereitet hat.

Im Jahr der Reichsgrün- dung 1871 ist Richter auf der 44. Naturforscherversammlung in Rostock zum Vorsitzenden der Sektion Medizinalreform gewählt worden und hat in sei- ner Eröffnungsansprache „ .. . an das Schwinden des deut- schen Particularismus ganz be- sondere Hoffnungen für die Entwicklung auch der öffent- lichen Gesundheitspflege . . ."

geknüpft (13). Vor allem aber war jetzt das von ihm seit Jah- Hermann Eberhard

Richter (1808-1876), Li- thographie von Jo- hann Georg Wein- hold, 1848

ren beharrlich verfolgte Ziel ei- nes konföderativen Zusam- menschlusses der inzwischen in allen deutschen Ländern ent- standenen Ärztevereine in greifbare Nähe gerückt. Rich- ter lud deshalb Vertreter der Ärzteschaft aller deutschen Länder für den 14. August 1872 nach Leipzig ein, um zu bera- ten, „in welcher Weise ein ge- meinsamer Verband oder Mit- telpunkt für sämtliche ärzt- lichen Vereine Deutschlands eingerichtet werden könne, da- mit dieselben ihre Aufga- ben . . . auf eine gleichförmige und planmäßige Weise über das ganze Gebiet des deut- schen Reiches beraten und lö- sen können" (14).

Die Beratung wählte schließlich nach längerer De- batte einen provisorischen Ge- schäftsausschuß mit Richter als Geschäftsführer sowie mit dem Auftrag, die Beschlußfassung über die Satzungen und die endgültige Konstituierung ei- nes Vereinsbundes für die nächste Naturforscherver-

sammlung vorzubereiten. Als wichtiges Agitations- und Ver- einigungsmittel gab Richter seit dem gleichen Jahr 1872 auf ei- gene Kosten als standespoliti- sches Organ das „Ärztliche Vereinsblatt" heraus, dessen Herausgeber er bis zu seinem Tode blieb.

Am 17. September 1873 können dann schließlich in Wiesbaden durch Beschluß die inzwischen vorbereiteten Sat- zungen angenommen und der

Deutsche Ärztevereinsbund gegründet werden. Mit dem nun endlich erreichten Zusam- menschluß der — wie es in den Satzungen heißt — „zerstreuten.

ärztlichen Vereine Deutsch- lands zu gegenseitiger Anre- gung und gemeinsamer Bethä- tigung (im Interesse) des ärzt- lichen Standes" (15) fand nicht zuletzt Richters jahrzehntelan- ges engagiertes standespoliti- sches Wirken seinen krönen- den Abschluß. Als Vorsitzen- der des Ärztevereinsbundes wurde Eduard Graf (1829- 1895) aus Elberfeld gewählt, und Richter versah weiterhin das Amt des Geschäftsführers.

Sucht man nach heute noch lebendigen Relikten jenes ehe- maligen besonderen sächsi- schen und Dresdener Beitrages zu einer gesamtdeutschen ärzt- lichen Standesbewegung und -organisation, so ist vor allem auf zwei wenig bekannte Sach- verhalte zu verweisen:

Erstens ist zu Ehren von Hermann Eberhard Richter und Eduard Graf am 10. Sep-

tember 1897 in der Eisenacher Wartburghalle ein Denkmal enthüllt worden, ein Obelisk aus rotem schwedischen Granit mit den in Bronze . gegossenen Bildnissen beider Arzte. Heute allerdings sucht man vergebens danach, da es bereits im März 1953 im Ergebnis einer verfehl- ten Kulturpolitik sowie eines repressiv eingeengten Tradi- tionsverständnisses abgetragen worden ist.

Zweitens ist darauf zu ver- weisen, daß Richter die Eigen- tumsrechte seines „Ärztlichen Vereinsblattes", das seit 1873 als „Organ des Deutschen Ärz- tevereinsbundes" erschien, zu- sammen mit einem Legat von eintausend Mark testamenta- risch dem Ärztevereinsbund überlassen hat.

Hieraus ist schließlich das von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung noch heute her- ausgegebene „Deutsche Ärzte- blatt" hervorgegangen (16), dessen sächsisch-dresdnerische Tradition und „Anschubfinan- zierung" heute allerdings keine Erwähnung mehr findet. Viel wichtiger aber als solche heute nicht mehr oder doch noch nachweisbaren Relikte ist, und das sollte hier vor allem gezeigt werden, das Bewußtsein einer weiter zurückreichenden be- deutenden sächsischen und Dresdener Tradition auf ärzt- lich-standespolitischem Gebiet, deren schließlich erlangte deut- sche Dimension sich in unsere heutige Bemühungen schon einzubringen lohnt.

Nach dem Festvortrag „Zum Dresdner Beitrag zur Formierung ärztlicher Standesorganisationen im.

19. Jahrhundert" auf der konstituie- renden Versammlung des „Unab- hängigen Verbandes der Ärzte und Zahnärzte Sachsens e. V." am 10.

März 1990 in Dresden

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med.

Günter Heidel

Abteilung für Geschichte der Medizin

der Medizinischen Akademie

„Carl Gustav Carus"

Fetscherstraße 74 DDR — 8019 Dresden

Die in Klammern gesetzten Zahlen im Text beziehen sich auf Anmerkungen und Literatur- hinweise, die den Sonderdruk- ken beigefügt werden.

Dt. Ärztebl. 87, Heft 19, 10. Mai 1990 (45) A-1525

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