A 754 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 17|
25. April 2014 Autismus – eine Seltenheit, Frauenmit Autismus – eine Rarität? Das war jedenfalls die gängige Einschätzung noch vor wenigen Jahren. Mittlerwei- le weiß man: Autismus ist keines- wegs selten, etwa ein Prozent der Be- völkerung liegt nach der aktuellen Studienlage im Spektrum. Jungen und Männer sind häufiger betroffen, das Verhältnis von Jungen zu Mäd- chen soll bei circa acht zu eins liegen.
Daran zweifelt nicht nur Christine Preißmann, laut neueren Untersu- chungen ist das Verhältnis mit 2,5 bis vier zu eins mindestens doppelt so hoch. Es ist also Zeit für mehr und differenziertere Informationen zu Mädchen und Frauen mit Asperger.
ASPERGER-SYNDROM
Alltagspraktische Tipps
Nürnberg ist mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus wie auch dessen Abwicklung eng verbunden.
Nicht nur im großen Ganzen, son- dern auch hinsichtlich der Medizin und der ärztlichen Standesgeschich- te. Auf einem Parteitag der NSDAP wurden 1933 die Nürnberger Geset- ze beschlossen, auf einem anderen (bereits 1929) der NS-Ärztebund ge- gründet. In Nürnberg wütete einer der übelsten Propagandisten des NS, Julius Streicher, bevorzugt auch ge- gen jüdische Ärzte. Streicher förder- te hingegen Karl Kötschau, einen Hauptvertreter der Neuen Deutschen Heilkunde und Propagandisten der Leistungsmedizin. In Nürnberg un- terwarf sich 1933 der Vorsitzende der ärztlichen Organisationen, Al- fons Stauder, der aus Nürnberg kam, dem Reichsärzteführer Gerhard Wagner. Andererseits: Nach 1945 fanden in Nürnberg die Nürnberger Prozesse statt, darunter 1946/47 der Ärzteprozess, der mit dem Nürnber- ger Kodex endete. Die Stadt sucht sich heute als Stadt der Menschen- rechte zu profilieren. Und 2012 schließlich verabschiedete der 115.
Deutsche Ärztetag seine Nürnberger Erklärung, mit der er eingestand, dass Ärzte sich im NS vielfacher ÄRZTE IN NÜRNBERG NACH 1933
Vertreibung und „Wiedergutmachung“
Menschenrechtsverletzungen schul- dig gemacht haben und in der er die Opfer und deren Nachkommen um Verzeihung bat.
Vor diesem gut ausgeleuchteten Hintergrund stellt Höffken 133 jü- dische Ärztinnen und Ärzte aus Nürnberg vor, die nach 1933 aus ih- rem Beruf und – zumeist – aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Dem Autor, von Hause aus Internist, ge- lang es, 107 Biografien zu rekon- struieren, von weiteren 26 Personen konnte er lediglich die Lebensdaten ermitteln. 90 Ärzte konnten aus- wandern, 18 wurden deportiert, fünf begingen Suizid.
Ausgewertet wurden vor allem Akten aus Wiedergutmachungsver- fahren, zusätzlich auch solche der Fi- nanzverwaltung. Höffken ergänzte sie, wo immer möglich, durch per- sönliche Erinnerungen aus anderen Quellen. Bei der „Wiedergutma- chung“ ging es um finanzielle Ent- schädigungen auf Antrag. Die An- tragsteller hatten unter Schilderung ihrer Lebensläufe und Vermögensver- hältnisse ihre Verluste glaubhaft zu machen. Folglich sind die Biografien durchweg nüchtern, die Schicksale, die dahinterstecken, blitzen gelegent- lich auf, doch muss der Leser auch
sein Einfühlungsvermögen bemühen.
Aber allein schon die Fakten sind hochinteressant. Man erfährt einiges über das Einkommen und Vermögen der Vertriebenen, über das Abkassieren der Nazis („Reichsfluchtsteuer“, „Ju- denabgabe“) und schließlich über die finanziellen Leistungen der Wieder- gutmachung. Zu all dem gibt es zwar Literatur, doch anhand der Biografien gewinnen die Zahlen an Leben.
Höffkens Buch ist ein ausgezeich- netes Beispiel für die Aufarbeitung der NS-Zeit durch die Ärzte selbst.
Gerade in Bayern haben sich einzel- ne Ärztinnen und Ärzte, ausgehend ursprünglich von linken Listen oder der IPPNW, hervorgetan. Das Buch, das geradezu bibliophil aufgemacht ist, wurde unter anderem durch die Bayerische Landesärztekammer und den Ärztlichen Kreisverband Nürn- berg gefördert. Norbert Jachertz
Bernd Höffken: Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933. Metropol, Berlin 2013, 456 Seiten, gebunden, 29,90 Euro
tionen und Bedürfnislagen für die betroffenen Frauen. Das Buch eröff- net Handlungsspielräume und liefert
Ideen. Tanja Sappok
Das Buch verknüpft individuell geschilderte Lebensgeschichten mit empirisch begründetem Fachwissen und leitet daraus eine Vielzahl von alltagspraktischen Tipps und Mög- lichkeiten ab. Der Fokus liegt auf Themen, die für Mädchen und Frau- en relevant sind, also zum Beispiel die „Herausforderungen der Puber- tät“ oder „Das Leben als erwachse- ne Frau“. Denn nicht nur die autisti- sche Symptomatik ist bei Mädchen zum Teil anders als bei Jungen – weniger expansiv, weniger exzen- trisch, dafür stiller und angepasster –, auch die gesellschaftlichen Er- wartungen unterscheiden sich. Dar - aus ergeben sich andere Konstella-
Christine Preißmann:
Überraschend anders:
Mädchen & Frauen mit Asperger.
TRIAS, Stuttgart 2013, 192 Seiten, kartoniert, 19,99 Euro