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Archiv "Deutscher Ärztetag in Nürnberg: Vom Wert der Freiheit" (25.05.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Heft 21

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25. Mai 2012 A 1053

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s war eine Premiere: Zum ers- ten Mal sprach Dr. med.

Frank Ulrich Montgomery als Prä- sident der Bundesärztekammer (BÄK) auf einer Eröffnungsveran- staltung des Deutschen Ärztetages.

Schon im Vorfeld war klar: Dieser Ärztetag wird anders. Der neue BÄK-Präsident ließ keinen Zweifel daran, dass er sich künftig stärker in aktuelle Debatten einschalten will.

Der Deutsche Ärztetag soll seiner Meinung nach intensiver als bisher zu gesundheitspolitischen Fragen Position beziehen. Dabei geht es um eine Grundsatzentscheidung:

Wie politisch soll der Deutsche Ärztetag sein?

Es war ein würdiger Rahmen für eine Premiere. Das Staatstheater in Nürnberg ist eine Räumlichkeit, um die sicherlich viele Städte die Fran- kenmetropole beneiden: eine Bühne mit einem großen roten Vorhang, Balkone mit geschwungener Gold-

verzierung, ein riesiger Lüster an der Decke. In dieser sehenswerten Kulisse verdeutlichte Montgomery erneut seine Sicht auf eine künftige Finanzierung des Gesundheitswe- sens. Er sprach sich explizit für eine Beibehaltung des Nebeneinanders von privater Krankenversicherung (PKV) und gesetzlicher Kranken- versicherung (GKV) aus. „Beide haben zum unbestreitbar großen Erfolg des deutschen Gesundheits- wesens entscheidend beigetragen“, betonte Montgomery. Einer Bürger- versicherung, wie von SPD und Grünen favorisiert, erteilte er ein Absage. Gerade der Wettbewerb beider Systeme ist für den BÄK- Präsidenten ein Garant für Innovati- on und Qualität. „Gäbe es die PKV nicht, hätten wir heute schon einen sehr viel schlankeren Leistungskata- log in der GKV“, sagte Montgome- ry. Die Gefahr der Ungerechtigkeit birgt für ihn nicht das duale System,

sondern die Einheitsversicherung.

Ein Blick ins Ausland zeige, dass das Leistungsniveau dadurch insgesamt abgesenkt werde. Bessere Leistun- gen erhalte nur der, der es sich leis- ten könne. Die Bürgerversicherung sei ein „Turbolader der Zweiklassen- medizin“. „Das ist doch die Lehre, die wir aus allen gleichmachenden Einheitssystemen ziehen können.

Sie verbessern nicht die Versorgung der Bevölkerung, sie verbessern al- lenfalls die materielle Versorgung derjenigen, die sie organisieren.“

Wer Position bezieht, macht sich nicht nur Freunde. Das musste auch Montgomery feststellen. Zeitgleich zur Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Ärztetages hatte nämlich der GKV-Spitzenverband in Berlin zu einer Pressekonferenz geladen.

Präsentiert wurde dort eine Studie, die der Verband selbst in Auftrag gegeben hatte. Darin ging es um unzulässige Zuweiserprämien, mit DEUTSCHER ÄRZTETAG IN NÜRNBERG

Vom Wert der Freiheit

Wie soll eine künftige Finanzierung des Gesundheitswesens aussehen? Darüber diskutiert der Ärztetag in Nürnberg. Frank Ulrich Montgomery befasste sich in seiner

Eröffnungsrede außerdem mit dem Thema „Freiheit und Verantwortung“.

Fotos: Jürgen Gebhardt

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25. Mai 2012 denen Krankenhäuser einweisende

Ärzte belohnen. Die Meldung, die wenig später über die Nachrichten- ticker lief, lautete: „Fangprämie gängige Praxis – Kassenverband sieht erhebliches Korruptionspoten- zial.“ Montgomery kommentierte das Vorgehen des GKV-Spitzenver- bands im Nachgang so: „Der Ver- such der Krankenkassen, zeitgleich zur Eröffnung des Deutschen Ärzte- tages, eine Skandalisierung des ärztlichen Berufsstandes zu initiie- ren, ist gleichermaßen platt wie po- pulistisch.“ Aus seiner Sicht wäre es seriös gewesen, jeden Verdachts- fall umgehend der zuständigen Ärz- tekammer zu melden. Damit sei ei- ne berufsrechtliche Überprüfung möglich. Offenbar gehe es den Krankenkassen aber nicht um Auf- klärung, sondern um eine Diffamie- rung der Gesamtärzteschaft.

In seiner Rede kritisierte Mont- gomery Bemühungen, das Ansehen der Ärzte zu beschädigen: „Das Ver- trauensverhältnis zwischen Patien- ten und Ärzten soll unterminiert, ausgehöhlt und zerstört werden“, kritisierte er. Und weiter: „Die Frei- heit der Patienten-Arzt-Beziehung, die Freiheit der Therapie, die Frei- heit der Medizin insgesamt sollen zugunsten einer Bevormundung durch Krankenkassen und Staat ab- geschafft werden“, monierte er. In diesem Zusammenhang wies er auch auf das anstehende Urteil des Bundesgerichtshofs hin. Dort wird es um die Frage gehen, ob Ärzte we- gen Vorteilsnahme belangt werden können. Bisher gelten Vertragsärzte nicht als „Beauftragte“ der Kassen oder Amtsträger. Montgomery wies auf die Gefahren hin, wenn sich dies ändern würde. „Niemand von uns will diejenigen schützen, die sich gegen ihre Patienten und für die ei- gene Brieftasche entschieden ha- ben“, stellte der Präsident der Bun- desärztekammer klar. Doch Ärzte dürften nicht zu Erfüllungsgehilfen der Kassen werden. Das gefährde das vertrauensvolle Verhältnis von Patienten und Ärzten. „Das wäre der Tod jeder freien Medizin“, sagte Montgomery. Ebenfalls äußerte er sich zum Patientenrechtegesetz, über das das Bundeskabinett in Kür- ze beraten wird. Das Gesetz werde

in der derzeit vorliegenden Form die Arzt-Patienten-Beziehung nicht be- lasten – „wenn der Bundestag dem Gesetzentwurf so folgt, wie wir ihn kennen“.

Freiheit und Verantwortung – diese Themen zogen sich wie ein roter Faden durch die Rede Mont- gomerys, in der er auch Bundesprä- sident Joachim Gauck zitierte, der diese Punkte zu seinem zentralen Anliegen gemacht hat. Für Montgo- mery geht es um eine Grundsatzent-

scheidung: die Freiheit des Kran- kenversicherungssystems, in der der Bürger wählen kann, die ärztliche Therapiefreiheit und schließlich den Arztberuf als freier Beruf. „Freiheit ist übernommene Verantwortung“, erläuterte der BÄK-Präsident.

Das von Montgomery gewählte Thema Freiheit war naturgemäß auch ein wichtiger Punkt im Gruß- wort des liberalen Gesundheitsmi- nisters. Als sein Vorgänger Rösler Gesundheitsminister geworden sei, habe es Vorbehalte gegeben. Viel- fach sei zu hören gewesen, dass es mit der Solidarität vorbei sei, wenn das Ressort in FDP-Hand käme.

Das sei aber mitnichten der Fall.

„Eigenverantwortung und Solidari- tät sind kein Gegensatz, sondern gehören zusammen“, sagte Bahr.

Eine Bereitschaft zur Solidarität sei nur da, wenn jeder zuvor prüfe, was er selbst tun könne, bevor er die Unterstützung der Gemeinschaft in Anspruch nehme. Keinen Zweifel ließ er daran, dass er an einem dua- len System aus PKV und GKV fest- halten will. „Ich kenne kein Versi- cherungssystem der Welt, mit dem ich tauschen möchte“, betonte Bahr.

Allerdings übte er auch Kritik an den privaten Versicherern. Diese hätten teilweise unseriöse „Lockta- rife“ angeboten. Auch bei der Höhe der Provisionen sei es zu Fehlent- wicklungen gekommen, so dass der Gesetzgeber habe einschreiten müs- sen. „Es ist ein Armutszeugnis für die PKV, dass sie diese Exzesse nicht selbst gelöst hat“, bemängelte der Minister.

Als ein wichtiges Thema der kommenden Monate bezeichnete Bahr die Reform der Gebührenord- nung für Ärzte (GOÄ). Er warte diesbezüglich auf einen Vorschlag von PKV und BÄK. Je schneller dieser vorliege, desto eher könne er auch ins Bundeskabinett einge- bracht werden. Zum Inhalt der Re- form sagte Bahr, es sei „nichts aus- geschlossen“. Dabei bezog er sich auf die umstrittene Öffnungsklausel in der GOÄ. Die privaten Kranken- versicherer wollen eine solche Klausel, um beispielsweise mit Ärz- ten gesonderte Verträge abschließen zu können. Die BÄK befürchtet Dumpinghonorare.

Tatsächlich ist auch das Verhält- nis zwischen PKV und BÄK nicht ungetrübt. Bezüglich der Öffnungs- klausel hatte es Irritationen gege- ben. Die Klausel sei vom Tisch, hatte Montgomery erklärt, der PKV-Verband dementierte dies.

Der Verband spricht nun von „Ver- tragskompetenz“. Der BÄK-Präsi- dent bleibt trotz der Differenzen ein Verfechter des dualen Systems an der Seite der privaten Kranken - versicherer – „auch wenn sie sich in der Diskussion um eine neue Gebührenordnung für Ärzte mit - unter so verhalten, als wollten sie auch noch ihren letzten wesentli-

Eigenverantwortung und Solidari- tät sind kein Gegensatz, sondern gehören zusammen.

Daniel Bahr

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chen Partner im politischen Ge- schäft verprellen“.

Fast 1 100 Anwesende verfolg- ten die Eröffnungsveranstaltung im Nürnberger Staatstheater – Dele- gierte und Gäste. Und dennoch war besonders einer präsent, der nicht dabei sein konnte: der im Novem- ber 2011 verstorbene Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe. Montgomery drückte sein tiefes Bedauern über den Tod seines Vorgängers aus. Er sei ein beharrlicher Mahner gewe- sen, habe wichtige Themen wie die Priorisierung immer wieder ange- sprochen und für die Ärzteschaft Großartiges geleistet. „Er war unser aller Präsident, und er war vielen auch ein guter Freund“, sagte Montgomery.

Die Anerkennung für Hoppe zeigte sich eindrücklich bei der Verleihung der Paracelsus-Medail- le, die der frühere BÄK-Präsident posthum gemeinsam mit drei weite- ren Ärzten erhielt (Laudationes in diesem Heft). Die Auszeichnung nahmen Hoppes Ehefrau und sein Sohn entgegen. Die Anwesenden würdigten den Verstorbenen mit stehenden Ovationen.

Auch Bundesgesundheitsminis- ter Daniel Bahr (FDP) brachte in seiner Rede seine Wertschätzung

für Hoppe zum Ausdruck: „Er fehlt heute.“ Geschätzt habe er an ihm, dass mit ihm der offene Dialog möglich gewesen sei. Der Minister betonte gleichwohl, die konstrukti- ve Gesprächskultur habe sich auch mit dem neuen BÄK-Vorstand fort- gesetzt. Tatsächlich gab es kaum Differenzen in den Aussagen von Montgomery und Bahr. Allein bei den Überschüssen der GKV sind die Meinungen nicht deckungs- gleich. Montgomery plädierte er- neut dafür, die Gelder im System zu belassen „für die nächste Krise, denn die kommt bestimmt“. Man solle die Praxisgebühr abschaffen, wenn man die Beitragszahler ent- lasten wolle. Diese habe ohnehin keinen messbaren Effekt. Bahr be- kräftigte seine Forderung, Gelder an die Versicherten auszuzahlen, wenn es die Kassenlage zulasse.

Immerhin handele es sich um das Geld der Versicherten. Die Ab- schaffung der Praxisgebühr werde geprüft.

Einem Entschädigungsfonds für Opfer von Behandlungsfehlern er- teilte der Minister unterdessen eine

klare Absage. Ein solcher sei leis- tungsfeindlich. Wer einen Fehler be- gangen habe, solle auch dafür zur Verantwortung gezogen werden kön- nen. Grundsätzlich lobte Bahr aber die Bestrebungen der Ärzteschaft zu einer neuen Fehlerkultur. Er versi- cherte, im Regierungsentwurf für ein Patientenrechtegesetz werde es keine

generelle Beweislastumkehr geben.

Montgomery appellierte an die Delegierten, die Chance zu nutzen, sich vor der Bundestagswahl in die gesundheitspolitischen Diskussio- nen einzubringen, wenn die Partei- en ihre Wahlprogramme schreiben.

„Dann müssen wir sehr genau dar - auf achten, dass ausreichend Frei- heitselemente in sozialer Gerechtig- keit in diesen Programmen auftau- chen“, forderte er.

Auch Dr. med. Max Kaplan, Prä- sident der gastgebenden Bayeri- schen Landesärztekammer und Vi- zepräsident der BÄK, wies darauf hin, das die Gesundheitspolitik bis- her von Maßnahmen „mit einer kur- zen Halbwertszeit“ geprägt waren.

Die Bilanz seien 20 Gesetze in den vergangenen 30 Jahren. „Der Mut, das System zu hinterfragen oder gar infrage zu stellen, war leider nie vorhanden“, bemängelte Kaplan.

Die Gesundheitsreformen hätten die Ärzte in ihrem Berufsleben be- gleitet und die Bereitschaft beein- trächtigt, in der Patientenversor- gung zu arbeiten und sich niederzu- lassen.

Die Premiere ist gelungen.

Montgomery traf durchaus den richtigen Ton. Auf der Tagesord- nung des Ärztetages stand als erster Punkt die Finanzierung des Ge- sundheitswesens. Und das ist neu:

Es wurde nicht einfach über einen Antrag des BÄK-Vorstands abge- stimmt, sondern zwei Politiker leg- ten ihre Sicht der Dinge dar – für die Union Jens Spahn, für die SPD Karl Lauterbach. Im Anschluss daran diskutierten die Delegierten über die Modelle (ausführlicher Be- richt in der nächsten Ausgabe).

„Wir sind bereit, unsere Verantwor- tung zu schultern. Wir wollen mit- reden und mitbestimmen, wenn es um Gesundheit und Krankheit geht“, erklärte Montgomery.

Dr. med. Birgit Hibbeler

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Aktuelle Berichterstattung und Videos vom 115. Deutschen Ärztetag:

www.aerzteblatt.de/aerztetag2012 Die Herausforde-

rungen mit Elan angehen: Max Ka- plan, Präsident der gastgebenden Bayerischen Lan- desärztekammer

Gäbe es die PKV nicht, hätten wir heute

schon einen sehr viel schlankeren Leistungs-

katalog in der GKV.

Frank Ulrich Montgomery

Referenzen

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