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Leopold Stocker – ein Verleger mit Überzeugung

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Anonymer Beschwerdebrief

Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte 1918-1938. Wien 1985.

Leopold Stocker gründet 1917 den Heimat- verlag Leopold Stocker, der zunächst vor al- lem Werke über Landwirtschaft herausgibt.

Er ist überzeugter Antisemit. Anfang Oktober 1920 hetzt Leopold Stocker bei einer Rede in Graz gegen Sozialdemokraten und gegen Jüdinnen und Juden. Er fordert, dass mit der „Bekämpfung der Juden“ endlich Ernst gemacht werden müsse: „Und wenn es nicht auf gesetzlichem Wege gehen sollte, diese Parasiten zu vertreiben, dann müssen andere Mittel gefunden werden und wenn es der Pogrom ist.“ In den folgenden Jahren gibt sein Verlag viele antisemitische Bücher heraus. Leopold Stocker wirbt z.B. für die Werke des ebenfalls fanatisch antisemiti- schen Schriftstellers Karl Paumgartten mit der Aussage, dass diese Bücher dem Judentum gefährlich werden dürften.

Er fordert die Buchhändler auf, reichlich zu bestellen: „Sie verdienen dabei und helfen mit, das deutsche Volk von seinem Krebs- schaden zu befreien.“

Am 31. März 1938, kurz nach dem „Anschluss“

Österreichs, wird Leopold Stocker zum soge- nannten „Vertrauensmann für Steiermark“ʻ ernannt. In dieser Rolle soll er die „Arisie- rung“ des Buchhandels unterstützen, indem er „die arischen buchhändlerischen Betriebe“

seines Bereichs feststellt. Auch nach dem Krieg steht Leopold Stocker in Kontakt mit ehemaligen nationalsozialistischen Gesin- nungsgefährten. Der Leopold Stocker Verlag veröffentlicht auch nach dem Tod Stockers rechtsextremistische Werke, u.a. auch ein Buch des Holocaust-Leugners David Irving.

Leopold Stocker –

ein Verleger mit Überzeugung

Porträt von Leopold Stocker, 1919 Foto: Bildarchiv Österreichische Nationalbibliothek

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Anonymer Beschwerdebrief

Manfred Gailus: Mir aber zerriss es das Herz. Der stille Widerstand der Elisabeth Schmitz. Göttingen 2010.

Elisabeth Schmitz arbeitet als Lehrerin in Berlin. Sie wird ab 1933 Zeugin, wie jüdische oder anti-nationalsozialistisch eingestellte Lehrer_innen aus den Schulen entfernt wer- den. Seit 1934 ist Elisabeth Schmitz Mitglied der Bekennenden Kirche, einer Oppositi- onsbewegung evangelischer Christ_innen.

1935 verfasst sie anonym die Denkschrift

„Zur Lage der deutschen Nichtarier“, die sie in 200 Exemplaren an verschiedene Stel- len ihrer Kirche schickt. Sie will die Kirche aufrütteln und dazu bringen, klar öffentlich Stellung zu beziehen. In der Denkschrift beschreibt sie anhand vieler Beispiele, die sie vor allem aus Zeitungsberichten zusammen- getragen hat, wie Jüdinnen und Juden unter der Verfolgung im Nationalsozialismus zu leiden haben.

Sie schildert auch, wie Zeitungen, Ämter, Nachbar_innen, Kolleg_innen, Geschäfts- partner_innen oder Lehrer_innen an der Ausgrenzung, dem Boykott und der Verfol- gung mitwirken und fordert Solidarität mit allen Verfolgten. Nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze verfasst Elisabeth Schmitz einen Nachtrag zu ihrer Schrift und weist darauf hin, dass die Gesetze auf einem „Mythos von Blut und Rasse“ beruhen.

Sie warnt, dass es für die Menschen, die als

„Nichtarier“ bezeichnet werden, um die Exis- tenz geht, um das nackte Leben, und fordert die Rückbesinnung auf die „Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln“.

Neue Lehrpläne der Nationalsozialisten und die Novemberpogrome 1938 sind für

Elisabeth Schmitz schließlich der Anlass, mit 45 Jahren ihre Versetzung in den Ruhestand zu beantragen.

Elisabeth Schmitz –

eine christliche Lehrerin

Porträt von Elisabeth Schmitz Foto: Wikimedia Commons

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Anonymer Beschwerdebrief

Erwin Baumgartner: „Grande Dame“ und „alte Sau“. Online verfügbar unter http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Aktuelle_Essays/Grande_Dame_und_

alte_Sau_%28Gertrud_Fussenegger%29

Gertrud Fussenegger wird 1912 in Pilsen (Böhmen) geboren. Nach der Matura studiert sie Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie in Innsbruck und München.

Schon 1933 tritt sie der österreichischen NSDAP bei. 1934 wird sie zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf einer Demonstration in Innsbruck das Horst-Wessel-Lied

gesungen und den Hitlergruß gezeigt hat.

Sie veröffentlicht mehrere Texte in der Zeitung Völkischer Beobachter, darunter auch das Gedicht Stimme der Ostmark, in dem sie den „Anschluss“ Österreichs feiert und Hitler verherrlicht: „Betend wallt’ ihm entgegen // freudenweinendes Volk, // sich selbst als Gabe zu bringen, // gewillt zu größtem Be- kenntnis.“ Ihre Gedichte werden in der Folge- zeit auch in mehreren Büchern abgedruckt.

In einem Bericht über eine Reise nach Prag 1941 schildert sie die „positiven Veränderun- gen“ im Prager Stadtbild nach der beginnen- den Ghettoisierung: Im Gegensatz zu früher werde es nun nicht mehr von „Juden“ und Bettlern beherrscht. In ähnlich antisemiti- scher Weise beschreibt sie einen Besuch des alten jüdischen Friedhofs von Prag, den sie im Gegensatz zu christlichen Friedhöfen als

„finsteren und hässlichen Irrgarten“ bezeich- net: „Hier aber berührt uns der Atem einer fremden, einer feindlichen Welt, einer heim- lich noch lauernden Macht, und schaudernd verlassen wir den unseligen Ort.“

Nach dem Ende des Nationalsozialismus distanziert sie sich von diesem nur sehr all- gemein: „Ich bekenne, ideologischer Süchtig- keit erlegen zu sein.“

Gertrud Fussenegger –

eine begeisterte Schriftstellerin

Porträt von Gertrud Fussenegger, 1950 Foto: Bildarchiv Österreichische Nationalbibliothek

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Anonymer Beschwerdebrief

Martin Krist, Albert Lichtblau: Nationalsozialismus in Wien. Opfer – Täter – Gegner. Wien 2017.

Hermine Braunsteiner, 1919 in Wien gebo- ren und dort aufgewachsen, arbeitet nach ihrem Hauptschulabschluss zunächst als Stubenmädchen und Hausgehilfin. Später verpflichtet sie sich zu einem Jahr Arbeit in einer Munitionsfabrik nördlich von Berlin.

1939 erfährt Hermine Braunsteiner, dass im nahegelegenen KZ Ravensbrück junge Frauen für eine gut bezahlte Arbeit gesucht werden. Daraufhin bewirbt sie sich und am 15. August 1939 beginnt ihre Ausbildung zur KZ-Aufseherin.

1942 wird sie in das Konzentrations- und Ver- nichtungslager Lublin-Majdanek im besetz- ten Polen versetzt. Dort ist Hermine Braun- steiner stellvertretende Oberaufseherin.

Sie führt als Rapport- und Blockführerin die Zählappelle durch, kontrolliert die Baracken und wirkt auch bei Selektionen mit, die über Leben und Tod der Häftlinge entscheiden.

Überlebende erinnern sich, dass sie mit ihren eisenbeschlagenen Stiefeln Tritte verteilte und bei vielen Gelegenheiten auch Hunde auf die weiblichen Häftlinge hetzte.

Besonders auffällig ist ihr brutales Verhalten gegenüber Kindern. Braunsteiner schlägt die ausgehungerten Kinder, wenn sie sich zu schnell auf die Essenskübel stürzen, und peitscht Mädchen aus, weil sie ihre Häft- lingsnummer nicht korrekt angenäht haben oder Strümpfe gegen die Kälte tragen.

1975 wird sie in Deutschland im sogenannten Majdanek-Prozess mit anderen Angehörigen des Lagerpersonals angeklagt. Sie bezeich- net sich als „kleines Rad im Getriebe“ und berichtet, dass die Zeit als Aufseherin für sie sehr schwer gewesen sei. 1981 wird Hermine Braunsteiner zu lebenslanger Haft verurteilt, 1996 wird sie begnadigt. Sie stirbt 1999.

Hermine Braunsteiner –

Karriere im KZ

Hermine Braunsteiner in Uniform Foto: Wikimedia Commons

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Anonymer Beschwerdebrief

Thomas Veszelits: Die Neckermanns. Licht und Schatten einer deutschen Unternehmerfamilie. Frankfurt/Main 2005.

Josef Carl Peter Neckermann übernimmt 1933 das Geschäft seines Vaters, eine Koh- lenhandlung, mit der er Großkunden wie die Luftwaffe oder die Reichsbahn beliefert.

Durch die Nürnberger Gesetze geraten jüdische Kaufleute unter Druck und müssen ihre Geschäfte meist zu einem Bruchteil ihres Wertes verkaufen. Josef Neckermann kauft 1935 zwei dieser „arisierten“ jüdischen Kaufhäuser. 1938 entsteht schließlich durch die „Arisierung“ des Versandunternehmens von Karl Amson Joel die Wäsche- und Kleider- fabrik Josef Neckermann. Den viel zu niedri- gen Kaufpreis überweist Neckermann nicht an den früheren Unternehmer, sondern, wie bei „Arisierungen“ üblich, auf ein Treuhand- konto – Karl Joel sieht nie etwas von dem Geld. Neckermann rechtfertigt sein profitori- entiertes Handeln bei den „Arisierungen“ so:

„Wenn ich es nicht tue, macht es ein anderer.“

1941 gründet er mit Georg Karg die Zentral- lagergemeinschaft für Bekleidung, die dem NS-Staat unter anderem Kleidung für Zwangsarbeiter_innen und Uniformen für Soldaten der Wehrmacht liefert. Dafür lässt Neckermann im Ghetto Litzmannstadt billig produzieren, wo die dort eingesperrten Menschen durch Zwangsarbeit ausgebeutet werden.

Als nach dem Krieg die enteigneten Unter- nehmer Entschädigungsansprüche stellen, wehrt sich Neckermann dagegen. Es folgen langjährige Gerichtsprozesse. Karl Joel erhält erst 1957 eine Entschädigung – einen Bruch- teil dessen, was sein Unternehmen wert war.

Josef Carl Peter Neckermann wird mit dem Neckermann-Versandhandel ein sehr erfolg- reicher Unternehmer.

Josef Carl Peter Neckermann –

ein erfolgreicher Unternehmer

Josef Neckermann als erfolgreicher Unternehmer auf dem Spiegel-Cover 1955

Abbildung: DER SPIEGEL 44/1955

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Anonymer Beschwerdebrief

Jörg Krummenacher: Flüchtiges Glück. Die Flüchtlinge im Grenzkanton St. Gallen zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2005.

Paul Grüninger wird 1891 in St. Gallen in der Schweiz geboren. Er arbeitet zunächst als Lehrer, bevor er 1919 bei der Polizei von St. Gallen den Dienst antritt. Die Schweiz betrachtet während des Nationalsozialis- mus jüdische Flüchtlinge im Regelfall nicht als politische Flüchtlinge. Ihnen wird der Grenzübertritt verweigert, wenn sie keine gültigen Einreisepapiere vorweisen können.

Auch Paul Grüninger begegnet der Flücht- lingswelle zunächst zurückhaltend. In einer Sitzung von Polizeifunktionären im August 1938 verteidigt Paul Grüninger jedoch die jü- dischen Flüchtlinge gegenüber seinem Chef Heinrich Rothmund. Dieser will die Schweiz vor „Überfremdung“ schützen. Paul Grünin- ger sagt: „Die Rückweisung der Flüchtlinge geht schon aus Erwägungen der Menschlich- keit nicht. Wir müssen viele hereinlassen.“

In den Jahren 1938 und 1939 hilft Paul Grüninger mehreren Hundert Jüdinnen und Juden sowie anderen Flüchtlingen bei der Flucht von Österreich in die Schweiz.

Er erteilt Aufenthaltsbewilligungen, fälscht Einreisedaten zu ihren Gunsten und bemüht sich um Unterkünfte für Flüchtlinge. Aus diesem Grund wird er 1939 ohne Anspruch auf eine Pension entlassen. 1940 muss er sogar eine geringe Geldstrafe zahlen. In den folgenden Jahrzehnten schlägt er sich mit Gelegenheitsarbeiten und als Aushilfslehrer durch. Er findet nie wieder eine feste Anstel- lung.

Paul Grüninger selbst hat seine Handlungs- weise dennoch nie bereut: „Es ging darum, Menschen zu retten, die vom Tod bedroht waren. Wie hätte ich mich unter diesen Um- ständen um bürokratische Erwägungen und Berechnungen kümmern können?“

Paul Grüninger –

ein ungehorsamer Polizeibeamter

Paul Grüninger (links) in Uniform Foto: Yad Vashem Archives

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t_Otto Friedrich: Die Rückkehr der Grinser. Ruth Beckermann zeigt das erste Filmdokument über eine „Reibpartie“ straßenwaschender Juden in ihrer Installation „The Missing Image“, in: Wochenzeitung Die Furche, Wien 5. März 2015, S. 17.

Schon in der ersten Nacht nach dem „An- schluss“ werden in Wien Schaufenster von Geschäften, die jüdische Besitzer_innen haben, eingeschlagen und diese Geschäfte geplündert. Wohnungen werden in Eigen- regie „arisiert“. Jüdinnen und Juden werden auf offener Straße bespuckt, beschimpft und gedemütigt. Diese Ausschreitungen sind keine Idee der NSDAP, sondern zeigen ein hohes Maß an Eigeninitiative der Wie- ner Bevölkerung und belegen den hier tief verankerten Antisemitismus. Am Tag nach dem „Anschluss“ beginnt in den Straßen Wiens (und Teilen Niederösterreichs) jene Demütigung der jüdischen Bevölkerung, die als „Reibpartien“ oder „Reibaktionen“ in die Geschichte eingehen.

Leute mit Hakenkreuzarmbinden oder die SA in ihren braunen Uniformen holen Jüdin- nen und Juden aus ihren Wohnungen und treiben sie auf die Straße. Dort werden sie gezwungen, mit Bürsten und Zahnbürsten sowie einer ätzenden Lauge die Straßen von Parolen des Austrofaschismus zu „reinigen“.

Die Polizei bleibt passiv, viele Menschen auf den Straßen schauen zu und billigen damit die Erniedrigungen. Viele ergötzen sich an dem neuen Machtgefühl und haben Spaß dabei. Die jungen Frauen auf dem Foto zählen auch dazu. Kaum jemand unter- nimmt etwas dagegen. Auch manche der neuen Machthaber sind von der Brutalität der Demütigungen und Ausschreitungen in Wien überrascht. Hier machen sie die Erfahrung, dass sich viele an den Gewalt- tätigkeiten beteiligen oder sie dulden und dass die große Masse der Menschen einfach wegschaut.

Junge Frauen –

mit einem Lachen dabei

Zuschauende einer „Reibpartie“ in Wien Foto: The Missing Image © Ruth Beckermann 2015

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t_Martin Krist: Vertreibungsschicksale. Jüdische Schüler eines Wiener Gymnasiums 1938 und ihre Lebenswege. Wien 1999, 2. erweiterte Aufl. 2001.

Ernst Peche ist Kunstlehrer am Gymnasium in Wien-Döbling. Schon vor dem „Anschluss“

ist er Anhänger der Nationalsozialisten und Mitglied in der NSDAP, die in Österreich seit 1933 verboten ist. 1935 verwendet Ernst Peche viel Energie darauf, ein bronzenes Denkmal für die „gefallenen Kameraden“

aus dem Ersten Weltkrieg im Stiegenhaus des Gymnasiums anzubringen. Er kümmert sich auch um die künstlerische Gestaltung des Denkmals. Als zehn Tage nach dem

„Anschluss“ der Unterricht wieder aufgenom- men wird, kommt Ernst Peche in SA-Uniform zur Schule. Einen Monat später verlautbart der Stadtschulrat in einem mündlichen Erlass, der an alle Direktor_innen der höhe- ren Schulen geht, dass die jüdischen Schüler_

innen von allen anderen getrennt werden müssen. Gleichzeitig werden „jüdische Sammelschulen“ eingerichtet.

Am 28. April 1938 müssen sich alle jüdischen Schüler im Gymnasium Wien-Döbling im Turnsaal versammeln, unter ihnen auch Michael Kuh aus der 5.A Klasse. Insgesamt finden sich dort 90 Schüler ein. Im Turnsaal warten schon der Schulleiter Albert Kail und einige Lehrer, auch der ehemals illegale und nun legale Nationalsozialist Ernst Peche.

Diese teilen den Schülern mit, dass sie nun von der Schule ausgeschlossen werden. Ab November 1938 ist durch ein Gesetz festlegt, dass jüdische Schüler_innen ausschließlich sogenannte „jüdische Sammelschulen“

besuchen dürfen. Diese werden im Sommer 1940 wieder geschlossen. Der jüdische Ältestenrat organisiert daraufhin Kurse, die allerdings 1942 auch verboten werden.

Ernst Peche –

ein Kunstlehrer

Die 5.A im Schuljahr 1937/38. Michael Kuh in der letzten Reihe im Eck (mit Brille) Foto: Paul Ehrlich

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Wiener Gänsehäufel, 1920er Jahre

Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien. Wien 2008.

Die Magistratsabteilung 37 ist in Wien für öffentliche Bäder zuständig. Schon im März 1938, also unmittelbar nach dem „Anschluss“

und Monate bevor eine entsprechende gesetzliche Bestimmung erlassen wird, untersagt die Magistratsabteilung 37 „auf eigene Verantwortung, ohne Auftrag, den Juden den Eintritt in sämtliche städtische Badeanstalten“. So formuliert es Sachbear- beiter Dipl. Ing. Viktor Herbatsch in einem Brief an das Stadtbauamt. Sämtliche Privat- bäder schließen sich sofort diesem Verbot an.

180.000 Menschen haben nun in Wien keine Möglichkeit mehr, ein öffentliches Bad zu besuchen. Gemeint sind nicht nur Freibäder, sondern auch die öffentlichen Brause- und Wannenbäder. Diese sind nicht nur eine be- liebte Möglichkeit, die Freizeit zu verbringen, sondern werden auch für die regelmäßige Körperpflege genutzt.

1938 verfügen die wenigsten Wohnungen über ein eigenes Badezimmer oder Fließwas- ser. Daher geht ein Großteil der Bevölkerung regelmäßig zum Duschen oder Baden in ein öffentliches Bad.

Immer mehr Gesetze und Verordnungen schränken im weiteren Verlauf die Möglich- keiten der jüdischen Bevölkerung in Wien ein. Ab dem 2. Juli 1938 dürfen Jüdinnen und Juden öffentliche Gärten und Parks nicht mehr betreten und nicht mehr auf Parkbän- ken sitzen. Ab dem 5. Oktober 1938 ist auch das Benutzen von Sportplätzen verboten. Am 12. November 1938 wird das offizielle Verbot für Jüdinnen und Juden erlassen, Theater, Lichtspielhäuser, Konzerte, Ausstellungen, Kinos, Gaststätten, Cafés und Freibäder zu besuchen.

Magistratsabteilung 37 –

eifrige Beamte

Foto: Wikimedia Commons

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t_Gerda Hoffer/Judith Hübner: Zwei Wege ein Ziel – Zwei Frauenschicksale zwischen Wien und Jerusalem, Hg. von Evelyn Adunka und Konstantin Kaiser. Wien 2011.

Anton Weber wird in Mistelbach in Nieder- österreich geboren, arbeitet seit 1929 als Bäcker in Wien und wohnt dort bis 1939 im 4. Wiener Gemeindebezirk in der Anton- Burg-Gasse 4. Seine Cousine, Frau Pawlik, arbeitet als Hausbesorgerin in der Rittergasse 6, ebenfalls im 4. Bezirk.

In diesem Haus wohnt auch die jüdische Familie Winkler. Die Wohnung der Familie Winkler möchte Frau Pawlik, so erinnert sich Jessy Winkler, für ihren Cousin Anton Weber haben und erreicht bei den Behör- den, dass der Mietvertrag gekündigt wird und die Familie Winkler am 31. Oktober 1938 die Wohnung räumen muss. Bevor Familie Winkler die Wohnung verlässt, besichtigt sie Herr Weber. In der Erinnerung von Jessy, der älteren Tochter, hat sich dieser Besuch folgendermaßen zugetragen:

„Er schritt von Zimmer zu Zimmer, hatte ei- nen Klumpfuß, war irgendwie kriegsversehrt und ging am Stock. Mit dem Stock klopfte er alles ab, kontrollierte, ob alles in Ordnung sei – den Kachelofen, das Badezimmer – und wenn er etwas Defektes entdeckte, schaute er uns böse an, als ob wir ihm die Wohnung wegnehmen wollten, und nicht er uns.“ Die Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November verbringt die Familie mit all ihren Möbeln auf der Straße vor dem Haus, da sie noch kein neues Zuhause hat. Am nächsten Tag wird ihnen eine Sammelwohnung in der Sechskrügelgasse 8/9 im 3. Bezirk zugewie- sen, in der vier Familien zusammenleben müssen. Strom und Gas ist dort zuvor abge- dreht worden.

Anton Weber –

der Bäcker aus der Nachbarschaft

Das Haus in der Rittergasse 6 heute Foto: Axel Schacht

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t_Österreichische Historikerkommission (Hg.): „Arisierung“ von Mobilien. Wien 2004.

In der Wiedner Hauptstraße in Wien, in der Nähe der Wohnung von Familie Winkler, liegt die alteingesessene Buchhandlung Alois Reichmann. Dort findet man nicht nur neue Bücher, die Buchhandlung verfügt auch über ein umfangreiches Antiquariat. Eigentü- mer_innen sind Felix Reichmann und seine Mutter Emilie Reichmann. Nach dem „An- schluss“ zeigt der Angestellte Karl Günther seinen jüdischen Chef bei der Gestapo an.

Felix Reichmann wird daraufhin verhaftet, ihm gelingt jedoch später die Flucht ins Aus- land. Günther wird vorübergehend Verwalter der Buchhandlung und möchte das Geschäft, das nun sehr billig zu haben ist, auch kau- fen. Den Zuschlag bekommt allerdings ein anderer: der im Mai 1900 in Wien geborene Johannes Katzler. Seit 1930 arbeitet Katzler für einen Verlag der NSDAP in München, wo er die Werbeabteilung für antikommu- nistische Werke leitet.

Seit 1933 ist er auch Mitglied der SA. Von München aus verschickt er regelmäßig Parteiwerbung an Mitglieder der verbotenen NSDAP in Österreich. Nach dem „Anschluss“ʻ wird Katzler zum größten Ariseur im Buch- handel. Sieben Buchhandlungen eignet er sich an, obwohl er eigentlich nicht über genügend Geld für den Kauf so vieler Geschäfte verfügt – dafür aber über beste Kontakte in die NSDAP. Am 26. Oktober 1938 wird ihm die Buchhandlung Alois Reichmann zugesprochen. Die zuständigen Stellen geben offen bekannt, dass die Entscheidung aus politischen Gründen so getroffen wurde.

Johannes Katzler –

neuer Inhaber von sieben Buchhandlungen

Die von Katzler „arisierte“ Buchhandlung Alois Reichmann Foto: WstLA, Volksgericht, A 1, Vg Vr – Strafakten: Vg 1 Vr 5194/46

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t_Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin-Eppel, Michaela Raggam-Blesch: Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien. Wien 2015.

Zu den Aufgaben der Wiener Polizei gehört ab 1941 auch, die Deportationszüge in Ghettos und Vernichtungslager zu begleiten.

Als am 15. Oktober 1941 Edith Winkler und ihre Mutter mit einem großen Transport nach àódŹ verschleppt werden, wird dieser ebenfalls von Wiener Polizisten begleitet.

Mit diesem Deportationszug beginnt eine groß angelegte „Umsiedlung“ aus dem Deut- schen Reich in die Ghettos im Osten. Wien macht den Anfang, danach folgen Transpor- te aus Prag und Berlin. Viele der uniformier- ten Polizisten sind ungelernte Hilfsarbeiter, die Karriere bei der Polizei machen wollen.

Nicht alle sind Mitglieder der NSDAP, die Mitgliedschaft ist keine Voraussetzung für den Polizeidienst. Die einen bekommen den Befehl, einen Transport zu begleiten, andere melden sich freiwillig.

Jeder dieser Transporte, von der Polizei als

„Judenevakuierungstransporte“ bezeichnet, wird von einem Hauptmann mit bis zu 15 Wachtmeistern begleitet.

Die Polizisten sammeln zunächst die Menschen, die deportiert werden sollen, am Bahnhof oder bringen sie von einer Sammelstelle dorthin, dann überwachen sie die „Beladung“ der Waggons und zählen die Menschen. Die Fahrt von Wien nach àódŹʻ dauert zwei Tage. Immer wieder müssen diese Transporte in Bahnhöfen halten.

Dabei bekommen auch gewöhnliche Reisende die Deportationszüge zu sehen.

Die Polizisten haben Proviant für sich dabei und werden an manchen Stationen auch versorgt. Jüdinnen und Juden erhalten unterwegs keine Verpflegung, oft nicht einmal etwas zu trinken.

Wiener Polizei –

gehorsame Staatsdiener

Polizist überwacht einen Deportationszug im Bahnhof Bielefeld Foto: Yad Vashem Archives

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t_Claudia Brunner, Uwe von Seltmann: Schweigen die Täter, reden die Enkel. Frankfurt/Main 2004.

Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutsch- land an die Macht kommen, ist Lothar von Seltmann 16 Jahre alt und lebt mit seiner Familie in Graz. Schon mit 14 ist er in die Hitlerjugend eingetreten und mit 15 in die SA. Er ist begeisterter Nationalsozialist.

Während seiner Schulzeit wird Lothar einige Male verhaftet, weil er eine verbo- tene Nazi-Zeitschrift herausgibt und an Sprengstoffanschlägen beteiligt ist. In der Steiermark kommt es zu den meisten Atten- taten, deren Ziel in erster Linie Telefonzellen sind. 1934 flieht Lothar von Seltmann nach Deutschland. Dort besucht er eine Legi- onsführerschule in Oberbayern und erhält danach eine Stelle bei der Obersten SA-Füh- rung in München. 1935 wechselt er zur Hitlerjugend. Nach dem „Anschluss“ kehrt er nach Österreich zurück, wird Mitglied der Totenkopf-Division der Waffen-SS und nach Polen versetzt.

Dort lebt er in Krakau und Lublin und arbei- tet im Stab des SS- und Polizeiführers der Region, dem aus Kärnten stammenden Odilo Globocnik. Dieser ist später für die „Aktion Reinhard“ verantwortlich, der systemati- schen Ermordung von Jüdinnen und Juden sowie von Sinti und Roma in den besetzten Teilen Polens und der Ukraine. Der „Aktion Reinhard“ waren die Vernichtungslager Beäñec, Sobibor und Treblinka unterstellt. An- fang 1942 wechselt Lothar von Seltmann in das Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle und als Kulturreferent der SS nach Krakau. Dort ist er mit der Herausgabe des Propaganda- blattes Kolonistenbriefe beauftragt. „Polen raus! Juden raus! Deutsche rein!“ ist darin zu lesen. Anfang 1945 verliert sich

Lothar von Seltmanns Spur im Krieg gegen die Sowjetunion. Die genauen Umstände seines Todes bleiben ungeklärt.

Lothar von Seltmann –

begeistert seit Jugendtagen

Lothar von Seltmann mit Familie zu Weihnachten 1943 Foto: Archiv Uwe von Seltmann

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t_Maria Ecker, Philipp Haydn: Hörspuren – Mit Geschichte in Beziehung treten, Audio-Guide „November 1938“. Online verfügbar: http://www.hoerspuren.at/november38.php

Im Zuge des Novemberpogroms werden in Wien 42 Synagogen und Bethäuser geplün- dert, verwüstet und angezündet. Unter den zerstörten Synagogen ist auch jene in der Siebenbrunnengasse, die oft von der Familie Winkler besucht wurde.

Bevor die größte Synagoge Wiens in der Tem- pelgasse in Brand gesteckt wird, werden die Thora-Rollen und andere heilige Gegenstän- de aus dem Tempel geholt, auf der Straße in den Dreck geworfen oder verbrannt. Gerade einmal eine Stunde dauert es, bis die Einrich- tung vollkommen demoliert ist. Die Plün- derung und Zerstörung der Synagoge zieht viele Schaulustige an. Vor der Synagoge in der Tempelgasse hält sich auch der bekannte Radioreporter Eldon Walli auf.

In New York geboren und in Niederösterreich aufgewachsen, ist er Mitglied der NSDAP und der SS. Direkt vom Schauplatz berichtet er, dass viele Leute aus der Umgebung zu- sehen, wie die Synagoge in sich zusammen- fällt, die „hoffentlich in wenigen Tagen zur Gänze dem Erdboden gleichgemacht wird.“

Walli spricht in dem Bericht auch klar seine Meinung aus: „Die Juden können es sich nur selbst zuschreiben, dass es so weit gekom- men ist.“ Der Reporter bekommt mehrere SA-Männer vor sein Mikrofon, die verhindern sollen, dass Schaulustige zu nahe an das Feuer herantreten. Auf die Frage, ob sie ein Problem mit der Zerstörung hätten, sind sich die Männer alle einig: „Nein, nein, nein.“ Im Hintergrund ist Gelächter zu hören.

Eldon Walli –

ein Radioreporter vor Ort

Die Synagoge in der Tempelgasse in Wien vor 1900 Fot

o: Wikimedia Commons

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t_Shmuel Krakowski: Das Todeslager Cheämno/Kulmhof: der Beginn der „Endlösung“. Göttingen 2007.

Das Vernichtungslager Kulmhof/Cheämno wird im Dezember 1941 mit drei Gaswagen ausgestattet. Diese werden vom Kraftfahr- zeug-Referat II D 3a im Reichssicherheits- hauptamt angeliefert. Erfahrungen mit solchen Gaswagen wurden im Warthegau schon im Zuge der sogenannten „Euthana- sie“ gesammelt, der Ermordung geistig und körperlich behinderter Menschen. Die um- gebauten Lkws haben große Ähnlichkeit mit Möbeltransportern. Die Abgase der Lkw- Motoren werden in das Innere der herme- tisch verschließbaren Fahrzeuge geleitet.

Einer der eingesetzten Lkw-Fahrer ist der 1908 in Wels (Oberösterreich) geborene Erwin Bürstinger. Er ist SS-Hauptscharführer und Teil des SS-Sonderkommandos Kulmhof.

Als ausgebildeter Kfz-Mechaniker ist er dafür verantwortlich, die Autos der Dienststelle in Ordnung zu halten.

Falls der diensthabende Fahrer krank wird, springt auch Bürstinger als Fahrer ein. Den Fahrern wird genau erklärt, wie die Tötung abzulaufen hat. Zuerst werden die Gefan- genen in den Lkw getrieben, dann dessen Flügeltüren geschlossen und mit einem Vorhängeschloss verriegelt. Es ist Aufgabe des Fahrers, den Verbindungsschlauch, der den Auspuff mit dem Inneren des Wagens verbindet, anzuschließen. Die Fahrer sollen auch nicht zu schnell losfahren, sondern nur leicht Gas geben – denn die Opfer sollen nicht schnell ersticken, sondern langsam und still einschlafen und erst dann durch das Kohlenstoffmonoxid sterben. Die Leichen werden anschließend in einen nahegelege- nen Wald gefahren und dort verbrannt oder in Massengräbern verscharrt.

Erwin Bürstinger –

ein Kfz-Mechaniker

Fundamente des Gebäudes, von dem aus die Menschen in den LKW getrieben wurden. Die Kirche im Hintergrund diente als Sammelstelle für die Kleidung der Ermordeten.

Foto: Thomas Köhler

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t_Catherine Epstein: Model Nazi: Arthur Greiser and the Occupation of Western Poland. Oxford 2012.

Ingrid Greiser, geboren 1920, ist die Tochter von Ruth und Arthur Greiser, dem späteren Reichsstatthalter und Gauleiter des

Warthegaus im besetzten Polen. Nach einer Ausbildung zur Sekretärin nimmt sie 1937 eine Arbeit bei der Luftwaffe an und arbeitet ab 1938 im Außenministerium. Am 11. April 1940 besucht sie mit ihrem Vater die Stadt àódŹ. An ihren Verlobten schreibt sie: „Zum Schluss sprach Vati, und er war unerhört in Form, ich war wieder mal ganz schrecklich stolz auf meinen Vati […] Er hatte die Leute sofort in der Hand und bekam natürlich sehr viel Beifall. Er taufte während dieser Rede Lodz in Litzmannstadt um […].“ Am gleichen Tag besucht sie auch das Ghetto in àódŹ, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht komplett abgeriegelt ist. Darüber schreibt sie: „Du, das ist wirklich toll.

Ein ganzer Stadtteil völlig abgesperrt durch einen Stacheldrahtzaun […]. Es ist meist nur Gesindel, was Du da siehst, alles lungert herum. Jeder muss hinten und vorn einen gelben Judenstern auf den Kleidern haben (Vatis Erfindung, er spricht nur vom Lodzer Sternenhimmel).“

Für ihre Aussteuer geht Ingrid Greiser unter anderem bei der Litzmannstädter Waren- handelsgesellschaft einkaufen. Sie schildert diesen Einkauf ihrem Verlobten: „Waren aufgestapelt bis zur Decke, und das viele Zimmer lang. Man wusste einfach nicht, was man zuerst kaufen sollte. […] Man sah immer wieder etwas, was man einfach noch mitnehmen musste. Dazu unwahrscheinlich billige Preise.“ Vermutlich handelte es sich dabei um beschlagnahmte Waren von ent- eigneten Jüdinnen und Juden.

Ingrid Greiser –

eine stolze Tochter

Bewohner_innen des Ghettos Litzmannstadt mit „Judensternen“, 1941 Foto: Bundesarchiv, Bild 101I-133-0703-35 / Zermin / CC-BY-SA 3.0

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t_Elizabeth Harvey: „Der Osten braucht dich!“ Frauen und nationalsozialistische Germanisierungspolitik. Hamburg 2009.

Im Rahmen von Himmlers Umsiedlungs- politik in die besetzten Ostgebiete werden polnische und jüdische Bewohner_innen vertrieben und immer neue Gruppen von

„Volksdeutschen“ angesiedelt. Viele deutsche Frauen werden angeworben, um an der Um- und Ansiedlungspolitik mitzuwirken.

Im besetzten Polen angekommen, über- nimmt ein Teil der Frauen erzieherische und sozialfürsorgerische Aufgaben als Lehrerin- nen, Kindergärtnerinnen oder Dorfberaterin- nen. Andere räumen als sogenannte „Um- siedlungshelferinnen“ die Bauernhöfe und Häuser der vertriebenen Bewohner_innen aus, und hindern diese daran, ihr Eigentum mitzunehmen. Sie putzen Räume und Möbel und richten die Häuser für die „volksdeut- schen“ Umsiedler her.

Die „Ansiedlungsbetreuerin“ Elfriede B.

berichtet im August 1942 in einem Brief über eine Umsiedlung in der Nähe von àódŹ: „Erst sorgten wir dafür, dass die Polen die Häuser verließen, dabei half die Polizei mit. Dann gings an's Saubermachen. […] Als die Siedler dann kamen, sah das Haus so einigermaßen nett aus.“ Einige der meist noch sehr jungen Frauen bekommen bei ihrer Tätigkeit im Osten auch die Deportationen von Jüdin- nen und Juden mit. Hildegard Grabe, die als Lehrerin für die deutsche Bevölkerung im Kreis Kutno im Warthegau arbeitet, erinnert sich nach dem Krieg an Gerüchte, die das Verschwinden der jüdischen Bevölkerung begleiteten: „Die Juden, die in Zychlin und Kutno im Ghetto gewohnt hatten, waren eines Tages verschwunden (ich weiß nicht mehr, wann das war, vielleicht 1942). Sie wä- ren in Autos geladen und vergast [worden], wurde genuschelt.“

Deutsche Frauen im Osten –

Hilfe bei der Umsiedlung

Saubermachen nach Zwangsvertreibungen, Polen 1941 Foto: Deutsches Historisches Museum, Berlin

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Anonymer Beschwerdebrief

Armin Loacker: Im Wechselspiel. Paula Wessely und der Film. Wien 2007.

Paula Wessely wird 1907 in Wien geboren.

Sie ist Bühnenschauspielerin am Theater in der Josefstadt in Wien und am Deutschen Theater in Berlin, bevor sie 1934 ihre Karriere als Filmschauspielerin beginnt. Im selben Jahr ist sie auch bei Adolf Hitler eingeladen, der ein großer Verehrer der Schauspielerin ist. Bei der Volksabstimmung im April 1938 stimmt sie öffentlich für den „Anschluss“ʻ Österreichs an das Deutsche Reich. Sie hält aber weiterhin Kontakt zu ihren jüdischen Freund_innen, obwohl sie von den National- sozialisten wiederholt aufgefordert wird, die

„Judenfreundschaften“ zu beenden. In den folgenden Jahren wird Paula Wessely zu ei- ner der bestbezahlten Schauspielerinnen im Nationalsozialismus. Im Oktober 1941 spielt sie die Titelrolle im sehr erfolgreichen Propa- gandafilm Heimkehr. Die Volksschullehrerin Marie Thomas, Paula Wesselys Rolle, gehört zur wolhyniendeutschen Minderheit Polens,

die einer Reihe von Feindseligkeiten durch die polnische Bevölkerung ausgesetzt ist.

Als Marie Thomas zusammen mit ihrer Fami- lie und anderen in einen Keller gesperrt wird, spricht sie allen Gefangenen Mut durch die Aussicht auf das nationalsozialistische Deutschland zu. In letzter Sekunde wer- den die Gefangenen durch den Einmarsch der deutschen Armee vor einem Massaker gerettet und können am Ende des Films ins deutsche Reichsgebiet übersiedeln.

Der Film rechtfertigt den deutschen Überfall auf Polen und Himmlers Umsiedlungspolitik, die polnische Bevölkerung wird als verroht und menschenverachtend dargestellt. Auch antijüdische Parolen finden im Film Platz.

Als Marie Thomas spricht Paula Wessely zu einem stereotyp dargestellten jüdischen Händler: „Sie wissen ja, wir kaufen nicht bei Juden.“

Paula Wessely –

eine beliebte Schauspielerin

Paula Wessely 1935 Fot

o: Wikimedia Commons

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t_Michael Marrus: Evian, in: Dan Diner (Hg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Band 2. Stuttgart/Weimar 2012.

Seit dem „Anschluss“ versuchen Tausende Jüdinnen und Juden, in anderen Ländern Schutz zu finden. Viele Staaten machen jedoch ihre Grenzen dicht. Daran ändert auch eine internationale Konferenz in Frankreich im Juli 1938 nichts. Das Ziel dieser Konferenz ist es, die Möglichkeiten der Auswanderung für Jüdinnen und Juden zu verbessern. Doch so gut wie keines der 32 Länder bei der Konferenz ist bereit, seine Einreisebeschränkungen zu lockern. Auch die USA und die Schweiz ermöglichen die Einwanderung nicht. In einem Vertrag zwischen der Schweiz und Deutschland wird vereinbart, dass die Pässe deutscher und österreichischer Jüdinnen und Juden ab Oktober 1938 mit einem roten „J“-Stempel versehen werden. 20.000 Schutzsuchende werden an der Schweizer Grenze wieder zurückgeschickt.

„Das Boot ist voll“ ist bereits damals ein häufig vorgebrachtes Argument gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Aufgrund der Einwanderungsbeschränkungen vieler Länder ist es für Jüdinnen und Juden äußerst schwierig, in ein sicheres Aufnahmeland aus- zureisen. Im Mai 1939 entscheidet England, die Einwanderung in das britische Mandats- gebiet Palästina ebenfalls zu beschränken.

Lediglich 15.000 Jüdinnen und Juden dürfen jährlich nach Palästina einwandern.

Palästina bleibt dennoch ein wichtiger Zu- fluchtsort. Ein Weg, dorthin zu gelangen, ist die Aufnahme an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Für die meisten Jüdinnen und Juden stellt jedoch die illegale Einwanderung die einzige Möglichkeit dar, nach Palästina zu kommen.

Die internationale Staatengemeinschaft – Obergrenzen für Flüchtlinge

Reisepass des 15-jährigen Wieners Kurt Menasse mit dem „J“-Stempel

Abbildung: Kurt Menasse

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t_Horst Schreiber: Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol. Opfer – Täter – Gegner. Innsbruck 2008.

Martin Mundschütz wird 1909 in Kärnten geboren. Da er dort als Maschinenschlosser keine Arbeit findet, bewirbt er sich 1930 bei der Polizei in Innsbruck. Er wird aufgenom- men und wechselt 1934 zur Kriminalpolizei.

Als Deutschland im Juni 1941 die Sowjetuni- on angreift, wird Mundschütz der SS-Einsatz- gruppe D zugeteilt. Diese hat die Aufgabe, die jüdische Bevölkerung, Kommunist_innen, Roma und Sinti, Behinderte, Partisan_innen, sowjetische Soldaten und alle, die als Gegner_innen angesehen werden, systema- tisch zu ermorden – unter anderem durch Massenerschießungen. Bis Ende 1941 wird von den Einsatzgruppen eine halbe Million Menschen umgebracht. Auch Mundschütz nimmt an mehreren dieser Exekutionen teil. Nach einer dieser Massentötungen, die einen ganzen Tag dauert, wird es ihm zu viel, er erleidet einen Nervenzusammenbruch.

In der Folge wird er zunehmend depressiver, denkt an Selbstmord und lässt sich vom Arzt Einsatzunfähigkeit bescheinigen. Seine SS-Kameraden beschimpfen ihn daraufhin als „österreichischen Schlappschwanz“.

Von da an ist er nur mehr für die Beschaf- fung von Lebensmitteln für die Einsatzgrup- pe zuständig. Mundschütz leidet jedoch weiterhin an Weinkrämpfen und schreibt an seinen Vorgesetzten, Otto Ohlendorf. Er bittet darum, vom Sonderkommando ab- gelöst zu werden. Sein Vorgesetzter erlaubt ihm, nach Tirol zurückzukehren. Nach einem Aufenthalt in einem Sanatorium in München arbeitet Mundschütz wieder als Polizist in Tirol. Sein Verhalten hat keine negativen beruflichen Folgen für ihn.

Martin Mundschütz –

Rückkehr nach Hause

Martin Mundschütz Foto: Bundesarchiv Berlin, Bild R 9361 III / 137634

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t_Christian Angerer; Maria Ecker: Nationalsozialismus in Oberösterreich. Opfer –Täter – Gegner. Innsbruck 2014.

Die Familie Eichmann zieht 1914 von So- lingen in Deutschland nach Linz, wo Adolf Eichmann seine Jugend verbringt und die HTL für Elektrotechnik, Maschinenbau und Hochbau besucht. Diese bricht er jedoch ohne Abschluss ab. 1932 wird er Mitglied der NSDAP und der SS und geht ein Jahr später nach Deutschland. Dort nimmt Eichmann an einer 14-monatigen militärischen und ideo- logischen Ausbildung der SS teil und beginnt seine Tätigkeit im Sicherheitsdienst (SD) der NSDAP. Von Beginn an arbeitet er im Auftrag des SD an Maßnahmen gegen Jüdinnen und Juden: Er soll die Zwangsumsiedlung der jüdischen Bevölkerung beschleunigen.

Nach dem „Anschluss“ kommt Eichmann nach Wien und baut die Zentralstelle für jüdische Auswanderung auf.

Deren Aufgabe besteht darin, die Vertrei- bung der jüdischen Bevölkerung zu organi- sieren und sie ihres gesamten Eigentums zu berauben. Innerhalb von 18 Monaten werden 150.000 Jüdinnen und Juden aus dem Ge- biet des ehemaligen Österreich zur Flucht genötigt oder vertrieben. Die Akten, die von der Zentralstelle für jüdische Auswanderung systematisch angelegt werden, sind später Grundlage für die organisierte Deportation in Ghettos und Vernichtungslager, die ab 1939 einsetzt. Nach seiner Zeit in Wien leitet Eichmann die Dienststelle im Reichssicher- heitshauptamt in Berlin, die für die Orga- nisation von Deportationen verantwortlich ist. 1942 ist Eichmann Protokollführer bei der Wannseekonferenz, bei der die Organisation der Vernichtung besprochen wird.

Adolf Eichmann –

ein gewissenhafter Bürokrat

Adolf Eichmann 1940 Foto: U.S. Holocaust Memorial Museum, courtesy of Unknown Provenance

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t_Daniel Fraenkel; Jakob Borut: Lexikon der Gerechten unter den Völkern. Deutsche und Österreicher. Göttingen 2005.

Der 1900 geborene Reinhold Duschka arbeitet als Kunstschmied in Wien, wo er Gegenstände aus Messing, Kupfer und Silber herstellt. Als Jugendlicher lernt Reinhold Duschka beim Bergsteigen Rudi Kraus kennen, mit dem er seitdem gut befreundet ist. Gemeinsam besteigen die beiden viele Berge. 1938, während des „Anschlusses“, ist Rudi Kraus für die Firma Siemens beruflich in Persien. Weil die Situation für Jüdinnen und Juden in Wien immer unerträglicher wird, wollen seine Frau, die Apothekerin Regina Hilde Kraus, und die gemeinsame zwölfjähri- ge Tochter Lucia zu ihm nach Persien fliehen.

Sie haben jedoch nicht genügend Geld für die Schiffskarten. Hilde und Lucia müssen ihre Wohnung verlassen und werden einer Sammelwohnung zugewiesen, die sie mit 14 anderen Menschen teilen.

Als die Situation für Jüdinnen und Juden im- mer besorgniserregender wird, bietet ihnen Reinhold Duschka seine Hilfe an. Ab Beginn des Jahres 1939 versteckt er die beiden und schützt sie so vor der Deportation. Als Ver- steck dient ein Verschlag in der Metallwerk- statt in der Mollardgasse, und später, als diese bombardiert wird, für ein halbes Jahr ein dunkler Keller. Reinhold Duschka organi- siert Lebensmittel, Bekleidung, Brettspiele und auch Schulbücher für Lucia. Erst sechs Jahre später, am 13. April 1945, als die Rote Armee Wien befreit, können die beiden ihr Versteck verlassen.

Hunderte Jüdinnen und Juden überleben in Wien als sogenannte „U-Boote“ den Nati- onalsozialismus. Dies verdanken sie Men- schen, die bereit waren, ihnen zu helfen und sie in Wohnungen, Werkstätten, Kellern oder Gartenhäuschen zu verstecken.

Reinhold Duschka –

ein Freund der Familie

Reinhold Duschka (links), Rudi Kraus und ein Unbekannter bei einer Bergtour Foto: Centropa

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t_Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944. Hamburg 1999.

Im Rahmen des Vernichtungskriegs des NS-Regimes finden in Polen und der Sowjet- union zahlreiche Massaker an Jüdinnen und Juden statt. Neben der SS sind daran auch die Wehrmacht und verschiedene Polizeiba- taillone beteiligt – so auch im Oktober 1942 bei drei Massakern an der jüdischen Bevölke- rung in der Stadt Mogilew (weißruss. Mahil- jou). Am 2. Oktober 1942 treiben Polizisten gemeinsam mit SS-Männern und ukraini- schen Hilfspolizisten die jüdische Bevölke- rung im Ghetto von Mahiljou zusammen.

2.200 Menschen, das ist ein Drittel der jüdi- schen Bevölkerung, werden am Tag danach von Polizisten in einem Graben außerhalb der Stadt erschossen. Walter Mattner, ein 36-jähriger Polizeisekretär aus Wien, ist an dieser Massenerschießung beteiligt.

Er berichtet darüber in Briefen an seine Frau:

„Bei den ersten Wagen hat mir etwas die Hand gezittert, als ich geschossen habe, aber man gewöhnt das. Beim zehnten Wagen zielte ich schon ruhig und schoss sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge.“

Ein paar Tage später, am 9. Oktober 1942, schreibt er weiter: „Das Menschenleben ist hier gar nichts. Trotzdem, es ist eine Lust zu leben und ich bin nach wie vor froh, diesen Schicksalskampf unseres Volkes miterleben zu dürfen und mitkämpfen zu dürfen.“

Walter Mattner wird von Heinrich Himm- ler, der am 23. Oktober 1942 nach Mahiljou kommt, zum Leutnant befördert.

Bei einer Nachkriegsvernehmung 1947 sagt Walter Mattner aus, dass er nur geschossen habe, weil er so tun musste, als sei er mit ganzem Herzen dabei.

Walter Mattner –

ein junger Polizeisekretär

Walter Mattner nach 1945 in Kriegsgefangenschaft Foto: Yad Vashem Archives

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t_Raul Hilberg: Sonderzüge nach Auschwitz. Mainz 1981.

Die Deportationstransporte von Jüdinnen und Juden sowie von anderen Verfolgten übernimmt die Reichsbahn, zu der seit März 1938 auch die österreichische Bundesbahn gehört. In Wien fahren diese Transporte in Ghettos und Vernichtungslager vor allem vom Aspangbahnhof ab. Insgesamt werden auf diese Weise innerhalb von zwei Jahren 48.000 Jüdinnen und Juden aus Wien deportiert.

Die Reichsbahn verrechnet für die Fahrt den Tarif einer Fahrkarte dritter Klasse, für Kinder zwischen vier und zehn Jahren die Hälfte, Kinder unter vier Jahren werden kosten- los befördert. Abgerechnet wird mit dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Dieses verhandelt mit der Bahn einen Gruppenta- rif für Züge mit mehr als 400 Menschen: 2 Reichspfennige pro Person und gefahrenem Schienenkilometer, das ist die Hälfte des ursprünglichen Tarifs.

Für die Deportation von 46.000 griechischen Jüdinnen und Juden aus Saloniki erstellt die Reichsbahn z. B. eine Rechnung von 1.938.488 Reichsmark. Anfangs werden für die Transporte noch Personenwaggons zur Verfügung gestellt, später auch Güterwag- gons. Während des Kriegs werden Depor- tationstransporte nicht immer wie geplant durchgeführt, Vorrang haben militärische Transporte. Daher müssen sogenannte

„Judenzüge“ oft mehrere Stunden oder Tage auf Bahnhöfen oder Abstellgleisen warten.

1942 arbeiten an die 1,5 Millionen Menschen bei der Reichsbahn, z.B. als Lokomotivführer, Heizer oder Fahrdienstleiter. Viele von ihnen wissen darüber Bescheid, wohin die Züge fahren. Nur sehr wenige Eisenbahner versu- chen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten den verschleppten Menschen zu helfen.

Die Deutsche Reichsbahn –

ein gewinnbringendes Unternehmen

Deportationszug am 13. Dezember 1941 in Bielefeld Foto: Yad Vashem Archives

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t_Klaus Kundt: „Juden und Mitglieder der Sektion Donauland unerwünscht“, Gedenkstättenrundbrief 117. Berlin 2004, S. 19 – 28.

Eduard Pichl, 1872 in Wien geboren, ist sein ganzes Leben lang ein begeisterter und erfolgreicher Bergsteiger. Während seines Studiums an der Technischen Universität in Wien ist Pichl Mitgründer der deutschnati- onalen schlagenden Burschenschaft Gothia.

Pichl ist vor allem im Alpenverein aktiv, 1921 wird er auch Obmann der Sektion Austria, der größten Gruppe des Alpenvereins in Österreich. Dort setzt er eine völkisch-anti- semitische Politik durch. Noch im gleichen Jahr schließt die Sektion Austria Jüdinnen und Juden generell aus. Dies betrifft 2.000 Menschen, das ist rund ein Drittel der Mitglieder. Von den Ausgeschlossenen wird daraufhin die Sektion Donauland gegründet, der sich auch viele Gegner_innen der antise- mitischen Politik Pichls anschließen.

Schon nach drei Jahren wird die Sektion Donauland jedoch unter enormem Druck der anderen österreichischen Sektionen wieder aus dem Alpenverein ausgeschlossen.

Gleichzeitig haben inzwischen 98 der 100 österreichischen Sektionen den Arierpara- graphen eingeführt und somit Jüdinnen und Juden ausgeschlossen. Die Sektion Austria lässt Plakate mit der Aufschrift „Juden und Mitglieder des Vereines ‚Donauland‘ sind hier nicht erwünscht“ an ihren Berghütten anbringen und will so Jüdinnen und Juden den Eintritt in ihre Schutzhütten verweigern.

Somit wird, lange vor dem Siegeszug des Nationalsozialismus, der Ausschluss

von Jüdinnen und Juden in einer der größten gesellschaftlichen Organisationen

konsequent umgesetzt.

Eduard Pichl –

ein leidenschaftlicher Bergsteiger

Eduard Pichl Abbildung: Bildarchiv Österreichische Nationalbibliothek

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t_Thomas Mang: Die Unperson. Karl Ebner - Judenreferent der Gestapo Wien. Eine Täterbiografie. Wien 2013.

Für die Maßnahmen gegen Jüdinnen und Juden in Wien ist neben der Zentralstelle für jüdische Auswanderung die Gestapo zuständig. Ihr stellvertretender Chef ist der SS-Mann Dr. Karl Ebner. Der aus Südtirol stammende Ebner studiert Rechtswissen- schaften in Graz und Wien. Danach tritt er in den Polizeidienst ein, wechselt 1934 zur Staatspolizei und wird 1938 Mitarbeiter der Gestapo Wien. Ebner organisiert als Leiter des „Judenreferats“ von seinem Schreibtisch aus Enteignungen und Vertreibungen. Ebner ist kein hitzköpfiger Antisemit, er sieht sein Tun vor allem als Aufgabe, die es bürokra-

tisch zu bewältigen gilt. Sein Vorgesetzter, Franz Josef Huber, lässt Ebner völlig freie Hand und gibt so gut wie keine schriftlichen Befehle.

Dies hilft Huber später auch, sich der Ver- antwortung zu entziehen. Ebner selbst baut auch für die Zeit nach einer möglichen Nie- derlage des Deutschen Reichs vor: Er schützt einige ausgewählte Menschen wie Blanca Moser, die jüdische Frau des prominenten Schauspielers Hans Moser, vor der Depor- tation. Unter anderem diese Aktion führt Anfang Jänner 1945 zu seiner Verhaftung und in weiterer Folge zu einem Todesurteil.

In einem Gnadengesuch an Heinrich Himm- ler streicht Ebner seine Verdienste hervor:

„Insbesondere auf dem Gebiete der Juden- maßnahmen ist wohl mein Name mit der Tatsache aufs Engste verknüpft, dass ich es gewesen bin, der die Judenfrage in Wien [...]

in einwandfreier und kompromissloser Wei- se gelöst habe.“ Das Todesurteil wird wegen des Kriegsendes nicht mehr vollstreckt.

Karl Ebner –

ein leitender Juristʻ

Karl Ebner als Leiter des „Judenreferates“ʻ Foto: Bundesarchiv Berlin, Bild R 9361 III / 35805

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t_Zofia Kossak-Szczucka, Eintrag unter http://www.sztetl.org.pl/de/person/167,zofia-kossak-szczucka/

Zofia Kossak, 1889 in Kozmin bei Lublin ge- boren, ist Schriftstellerin, streng katholisch und nationalistisch. Sie erlebt den Beginn des Zweiten Weltkriegs in Warschau, wo sie an der Spitze der katholischen Unter- grundorganisation Front für die Wiederge- burt Polens tätig ist.

Sie schreibt mehrere Texte für Flugblätter und eine Untergrundzeitung. Darin vertritt sie die Meinung, dass die Jüdinnen und Ju- den weiterhin als „politische, wirtschaftliche und ideelle Feinde Polens“ anzusehen sind.

Als Polin und Katholikin stellt sie sich den- noch gegen die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung. Im Flugblatt „Protest“ aus dem Jahr 1942 schreibt sie: „Wir haben keine Möglichkeit, den deutschen Mördern entge- genzutreten, wir können nichts verändern, niemanden retten. Aber wir protestieren […]

als Polen.“

Zofia Kossak appelliert an die polnische Bevölkerung, auf keinen Fall in irgendeiner Weise an den Verbrechen mitzuwirken.

Obwohl es nicht ihr Plan ist, den Jüdinnen und Juden aktiv Hilfe zu leisten, löst „Protest“

Hilfsaktionen aus. Auf Anordnung der pol- nischen Exilregierung gründet Zofia Kossak zusammen mit anderen ein Komitee zur Unterstützung der polnischen Jüdinnen und Juden. Die Mitglieder des Komitees knüpfen Kontakte zu jüdischen Einwohner_innen, bieten finanzielle Hilfe an und besorgen denjenigen, die aus dem Ghetto fliehen, polnische Ausweise, Kleidung, Nahrung, Wohnungen und Arbeit.

Im Oktober 1943 wird Zofia Kossak verhaftet und in das KZ Auschwitz-Birkenau ver- schleppt, von wo aus sie im April 1944 in ein Gefängnis nach Warschau gebracht wird.

Im Juli 1944 gelingt ihre Befreiung durch den polnischen Widerstand.

Zofia Kossak –

eine polnische Nationalistinʻ

Zofia Kossak, vor 1934 Foto: Wikimedia Commons

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t_Rolf Surmann, Dieter Schröder: Vom NS-Goldräuber zum führenden Wirtschaftskriminologen der Bundesrepublik. Die Karriere des Dr. Walter Zirpins.

In: Rolf Surmann, Dieter Schröder (Hgg.): Der lange Schatten der NS-Diktatur. Texte zur Debatte um Raubgold und Entschädigung. Hamburg 1999. S. 51-60.

Walter Zirpins, 1901 im damals zu Deutsch- land gehörenden Oberschlesien geboren, geht nach seinem Jurastudium in Breslau zur Polizei. 1933 wird er zur Politischen Polizei nach Berlin versetzt und auch in die Ge- stapo aufgenommen. Er macht Karriere bei der Kriminalpolizei, zu deren Aufgaben u.a.

die Verfolgung von Sinti und Roma sowie die Kriminalisierung von Homosexuellen gehört. 1937 tritt er in die SS ein und beginnt, Aufsätze zu veröffentlichen. Darin vertritt er die Meinung, dass das Wohl der rassistisch definierten „Volksgemeinschaft“ über dem Schutz des Individuums stehe. 1940 wird er Leiter der Kriminalpolizei in àódŹ. Er ist unter anderem dafür zuständig, das Ghetto ab- zuriegeln und den Zugang zu kontrollieren, um den Schmuggel von Lebensmitteln zu verhindern. Sein besonderes „Anliegen“ ist die Ausplünderung der Ghettogefangenen.

Die Menschen im Ghetto versuchen, ihre letzten wertvollen Besitztümer für Lebens- mittel einzutauschen. Zirpins lässt diese letzten Wertgegenstände beschlagnahmen.

In einem Aufsatz schreibt er: „Die Juden unterliegen im Getto naturgemäß keinen be- sonders üppigen Lebensbedingungen […] Ein großer Teil der Juden hat ein begreifliches Interesse daran, das Getto zu verlassen.“

Im Februar 1941 geht er zurück nach Berlin, wo er Gestapo- und Kripobeamte ausbildet.

Die Karriere von Zirpins geht bis Kriegsende steil nach oben: Noch im März 1945 wird er Chef der Hamburger Kriminalpolizei. Nach Kriegsende schafft es Walter Zirpins, sich als unideologischen Fachmann darzustellen, der nur aus praktischen Gründen bei der SS ge- wesen sei. Er wird als „unbelastet“ eingestuft und kann im Nachkriegsdeutschland weiter Karriere bei der Kriminalpolizei machen.

Walter Zirpins –

ein erfolgreicher Kriminalpolizist

Mitarbeiter der Kriminalpolizeileitstelle des Ghettos Litzmannstadt, Walter Zirpins vermutlich vordere Reihe links

Foto: Emanuel Ringelblum Jewish Historical Institute

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t_Kurt Pätzold, Erika Schwarz: „Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof“. Franz Novak – der Transportoffizier Adolf Eichmanns. Berlin 1994.

Franz Novak, geboren 1913 im kärntneri- schen Wolfsberg, schließt sich schon wäh- rend seiner Lehre als Schriftsetzer der öster- reichischen Hitlerjugend an. Von dort tritt er nahtlos in die SA ein. Nach dem „Anschluss“

Österreichs und seinem Wechsel von der SA zur SS beginnt Novak seinen Dienst in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien. Diese ist eingerichtet worden, um Jüdinnen und Juden aus Wien zu „entfernen“, nachdem man sie vorher ausgeplündert hat.

Franz Novaks Aufgabe ist es, jene Papiere anzunehmen, die von Jüdinnen und Juden für die Genehmigung ihrer Ausreise mitge- bracht werden müssen.

Nach Kriegsbeginn wird Franz Novak nach Berlin in das Reichssicherheitshauptamt versetzt. Dort arbeitet er an der sogenann- ten „Endlösung der Judenfrage“ mit, indem er Transporte von Jüdinnen und Juden in Ghettos und in Konzentrations- bzw. Ver- nichtungslager organisiert – insgesamt über 700 Mal.

Franz Novak bestellt die Eisenbahnzüge, kündigt dem Personal der Lager ihr Kommen an, überwacht und registriert die Fahrten und errechnet Abfahrtszeiten sowie An- kunftstermine. Außerdem koordiniert er SS- und Polizeieinheiten bei der Abwick- lung der Transporte. Auf diesen Transporten werden die Menschen nicht mit ausreichend Nahrung und Wasser versorgt. Bereits vor der Ankunft in den Konzentrations- oder Vernichtungslagern sterben daher viele Menschen.

Franz Novak bezeichnet sich in einem Nachkriegsprozess als „kleines Rädchen“ im nationalsozialistischen Staat, das von dem Schicksal der deportierten Menschen nichts wusste: „Für mich war ein Zielbahnhof eben ein Bahnhof.“

Franz Novak –

ein zuverlässiger Fahrdienstleiterʻ

Franz Novak Foto: Yad Vashem Archives

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t_Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie. München 2008.

Heinrich Himmler macht sich bereits in den 1920er-Jahren einen Namen als Propagan- daleiter in der NSDAP. 1929 wird Himmler von Adolf Hitler zum Chef der SS ernannt, die während des nationalsozialistischen Re- gimes immer mehr Macht erlangt. Himmler wird dadurch zum zweitmächtigsten Mann nach Hitler. Ihm untersteht die gesamte Polizei (dazu gehört auch die Gestapo), die Waffen-SS und der Inlandsgeheimdienst. Er perfektioniert die Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung von politischen Gegner_in- nen, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Kriegsgefangenen.

1933 lässt Himmler das erste Konzentrations- lager bei Dachau errichten, zu dem schnell weitere dazukommen. Er besichtigt in den folgenden Jahren als oberster Vorgesetzter regelmäßig Konzentrationslager und reist auch zu Erschießungsstätten der Einsatz- gruppen in der Sowjetunion.

Besorgt darüber, ob seine SS-Männer die brutalen Massenerschießungen auf Dauer unbeschadet aushalten, soll Himmler ge- fordert haben, dass neue Tötungsmethoden entwickelt werden. Erste Experimente mit Gaswagen und Giftgas werden durchgeführt, die später zur Massentötung in den Gas- kammern weiterentwickelt werden. Im April 1942 besichtigt Himmler vermutlich auch das Vernichtungslager Kulmhof/Cheämno.

Spätestens an diesem Tag dürfte er den Befehl gegeben haben, 10.000 arbeitsunfähi- ge Menschen aus dem Ghetto Litzmannstadt zu ermorden, die zu den bis dahin vom Massenmord verschonten sogenannten

„Westjuden“ gehören. Darunter sind auch Jüdinnen und Juden aus Wien.

Nach Kriegsende wird er trotz falscher Papie- re entdeckt und verhaftet. Daraufhin begeht er Selbstmord.

Heinrich Himmler –

der „Reichsführer SS“ʻ

Familie Himmler: Tochter Gudrun, Ehefrau Marga und Heinrich Himmler

Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1969-056-55 / CC-BY-SA 3.0

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t_Michael Wortmann: Baldur von Schirach. Hitlers Jugendführer. Böhlau 1982.

Baldur von Schirach wird 1907 in Berlin geboren. 1925 trifft er als 17-Jähriger erstmals Adolf Hitler und ist von da an ein begeister- ter Anhänger Hitlers. Mit seiner Volljährig- keit tritt er in die NSDAP ein und macht dort Karriere. 1931 wird er Reichsjugendführer der NSDAP, 1936 Staatssekretär. Nach dem Verbot aller politischen Parteien außer der NSDAP fordert Schirach, dass die Hitler- jugend (HJ) die einzig erlaubte Jugendorga- nisation sein solle. In der nach dem

„Führerprinzip“ organisierten HJ sollen deutsche Jugendliche zu Disziplin, Gehorsam, Kameradschaft und Selbstaufopferung für die „Volksgemeinschaft“ erzogen werden.

Unter Schirachs Führung wächst die Hitlerjugend auf mehrere Millionen Mit- glieder an. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Mitgliedschaft in der HJ für diejenigen Pflicht, die als Angehörige der NS-“Volksge- meinschaft“ gelten.

Wer nicht zur HJ gehört, gilt als Außenseiter.

1940 wird Baldur von Schirach Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien. Bei einem Treffen mit Adolf Hitler weist er auf die Wohnungs- not in Wien hin und setzt die Deportation der Wiener Jüdinnen und Juden durch.

1942 sagt er darüber in einer Rede: „Wenn man mir den Vorwurf machen wollte, daß ich aus dieser Stadt […] Zehntausende und aber Zehntausende von Juden ins östliche Ghetto abgeschoben habe, muß ich antwor- ten: Ich sehe darin einen aktiven Beitrag zur europäischen Kultur.“

1943 tritt Baldur von Schirach während eines Besuchs bei Hitler für eine mildere Behandlung der osteuropäischen Völker ein und seine Frau kritisiert die Bedingungen, unter denen Jüdinnen und Juden deportiert werden. Daraufhin fällt Baldur von Schirach bei Hitler in Ungnade und verliert seinen Einfluss.

Baldur von Schirach –

der Reichsjugendführer der nsdap

Baldur von Schirach (links) bei der Generalprobe der Hitlerjugend zum Reichsparteitag 1938. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H0122-0501-001 / CC-BY-SA 3.0

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t_Peter Klein: Die „Gettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940-1944. Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik.

Hamburg 2009.

Hans Biebow, 1902 in Bremen geboren, ist zu Beginn des Zweiten Weltkriegs als Kaffeegroßhändler tätig. Er bewirbt sich im Ghetto Litzmannstadt in àódŹ für eine Stelle als städtischer Angestellter und wird im Mai 1940 zum Leiter der Ernährungs- und Wirtschaftsstelle Getto ernannt. Dadurch ist er vor der Einberufung in die Wehrmacht geschützt. Biebow arbeitet zunächst ehren- amtlich, also ohne Lohn, später wird er auch dafür bezahlt. Hans Biebow ist als Leiter der nationalsozialistischen Verwaltung des Ghettos hauptverantwortlich für die Abläufe im Ghetto. Ihm unterstehen hunderte von Mitarbeiter_innen. Unter Biebow erfolgt der Einsatz der Ghettobevölkerung zur Zwangs- arbeit. Er will das Ghetto als Wirtschaftsbe- trieb organisieren, der sich selbst finanziert.

Biebow versucht teilweise, die mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln zu verbes- sern, um die Arbeitskraft der Menschen zu erhalten.

Dabei geht es ihm jedoch nur um die „ar- beitsfähigen“ Menschen. Unter Hans Biebow wird die Ghettobevölkerung außerdem zum

„Verkauf“ ihrer Wertsachen gezwungen. Die Menschen erhalten dabei nur einen Bruch- teil des tatsächlichen Wertes in Form von Quittungen, die sie gegen Ghettowährung eintauschen können. Auf Befehl Heinrich Himmlers ordnet er 1942 die Deportation von Ghettobewohner_innen in das Vernich- tungslager Kulmhof/Cheämno an – dort werden ca. 80.000 Menschen aus dem Ghetto Litzmannstadt ermordet. Um seine Position und den Profit aus den Ghetto- fabriken zu erhalten, versucht Biebow, die Auflösung des Ghettos so lange wie möglich hinauszuzögern. Bis Januar 1945, auch nach der Auflösung des Ghettos, bleibt Hans Biebow vor Ort und überwacht die Versendung des Eigentums der ermordeten Menschen nach Deutschland.

Hans Biebow –

ein ehrenamtlicher Mitarbeiter

Hans Biebow in seinem Büro im Ghetto Litzmannstadt Foto: Jüdisches Museum Frankfurt

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t_Beate Kosmala/Revital Ludewig-Kedmi: Verbotene Hilfe. Deutsche Retterinnen und Retter während des Holocaust. Zürich 2003.

Konrad Merget wird 1898 in Neunkirchen in Bayern geboren. Nach seinem Schulab- schluss macht er eine Ausbildung bei der Deutschen Reichsbahn, für die er anschlie- ßend als Bahnpolizist arbeitet. Während des Zweiten Weltkriegs ist er als Eisenbahner in dem kleinen Städtchen Podwoäoczyska in Polen eingesetzt. Dort wird er, nach seiner Erinnerung im Sommer 1942, Zeuge der ersten „Judenaktion“, bei der alte Menschen, Frauen und Kinder erschossen werden. In Podwoäoczyska gibt es auch ein Zwangs- arbeitslager für „arbeitsfähige“ Jüdinnen und Juden, die in der Stadt und auch in der Nähe des Bahnhofs arbeiten müssen. Unter den jüdischen Zwangsarbeiter_innen sind auch die drei Brüder Cylinski, die laut Konrad Merget „gute Arbeit leisten“ und die ihm sympathisch sind: Sie sind 24, 21 und 18 Jahre alt und von Beruf Friseur, Schneider und Schuster.

Im Spätsommer 1942 spricht eines Tages der älteste der Brüder Konrad Merget an. Die Brüder Cylinski wissen, dass das Leben aller Jüdinnen und Juden in Gefahr ist und bitten ihn um Fluchthilfe. Konrad Merget antwor- tet: „Da brauch’ ich Bedenkzeit. Denn über’n Kopf kann ich das nicht brechen, weil ich und meine Familie auch daran leiden muss.“

Konrad Merget hat große Angst um sein eigenes Leben und das seiner Familie.

Er weiß nicht, wie er sich entscheiden soll.

Schließlich entwickelt er einen Plan zur Rettung der Brüder. Er schmuggelt sie in einen Güterwaggon eines Zuges nach Ungarn. Der Waggon verfügt über eine brei- te Luke, durch die die Brüder Cylinski später in Ungarn aussteigen können. Konrad Mer- get erzählt niemandem von der Rettungsak- tion, nicht einmal seiner Frau.

Die drei Brüder überleben den Holocaust.

Konrad Merget –

ein vorsichtiger Eisenbahner

Bahnhof in Podwoäoczyska zu Beginn des 20. Jahrhunderts Foto: Cracovia Leopolis quarterly, Krakow, Poland

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t_Jüdische Museum Frankfurt (Hg.): Unser einziger Weg ist Arbeit: Das Getto in àódŹ 1940-1944. Wien 1990.

Walter Genewein, am 4. Mai 1901 in Saal- felden in Salzburg geboren, wird schon 1933 Mitglied der NSDAP. Genewein meldet sich nach dem „Anschluss“ freiwillig zum

„Osteinsatz“ und wird auf eigenen Wunsch 1940 Finanzleiter des Ghettos Litzmannstadt in àódŹ. Die offizielle Bezeichnung seiner neuen Beamtenfunktion lautet „Leiter der Finanzabteilung der deutschen Ghettover- waltung“. In dieser Funktion bleibt er bis zur Auflösung des Ghettos 1944.

Walter Genewein ist nicht nur für die Finan- zen zuständig, er organisiert auch die Eintei- lung der jüdischen Zwangsarbeiter_innen.

Darüber hinaus beantwortet er Briefe von Angehörigen der im Ghetto eingesperrten Menschen. Er verschweigt es den Angehö- rigen, wenn ihre Familienmitglieder bereits nach Kulmhof/Cheämno deportiert worden sind.

Die Finanzabteilung ist auch in die Organi- sation der Tötungskommandos im nahe gele- genen Vernichtungslager Kulmhof/Cheämno eingebunden, wo knapp 80.000 Jüdinnen und Juden aus dem Ghetto Litzmannstadt ermordet werden.

Walter Genewein ist ein begeisterter Hobby- fotograf. Im Auftrag der national-

sozialistischen Ghettoverwaltung fertigt er in àódŹ hunderte Farbfotos an. Diese doku- mentieren die Zwangsarbeit im Ghetto und zeigen Frauen und Männer in den Werk- stätten und Fabriken. Anhand der Fotos soll das Funktionieren der Wirtschaftsbetriebe gezeigt werden. Einige Bilder zeigen auch die Sortierung von Kleidung jener Menschen, die im Vernichtungslager Cheämno/Kulmhof ermordet wurden.

Walter Genewein –

ein Beamter in àódzʻ

Selbstporträt von Walter Genewein Foto: Jüdisches Museum Frankfurt

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