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Langer, Lorenz (2018): Richterwahlen: Die Akzeptanz ist zentral. Gastkommentar. Neue Zürcher Zeitung, 22.8.2018, S. 10.

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Datum: 22.08.2018

Neue Zürcher Zeitung 8021 Zürich 044/ 258 11 11 https://www.nzz.ch/

Medienart: Print

Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 104'397

Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 377.012

Auftrag: 1070143 Seite: 10

Fläche: 33'638 mm²

Referenz: 70617782

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Richterwahlen

Die Akzeptanz ist zentral

Gastkommentar

von LORENZ LANGER

In der Schweiz werden Richter fast durchweg vom Volk oder von der Legislative für eine beschränkte Amtszeit gewählt bzw. wiedergewählt. Dabei kommt ein informeller Parteienschlüssel zur An- wendung, so dass die Judikative ungefähr die poli- tische Zusammensetzung der Legislative spiegelt.

Einmal gewählt, entrichten die Amtsträger ihrer Partei in der Regel eine sogenannte Mandats- steuer. Dieses tradierte System wurde letztes Jahr von der Staatengruppe gegen Korruption (Greco) mit deutlichen Worten kritisiert: Die politische Affiliation, die Mandatssteuern ebenso wie die be- schränkte Amtszeit entsprächen nicht den «Erfor- dernissen einer modernen Demokratie» und ge- fährdeten die richterliche Unabhängigkeit.

Diese Sichtweise teilen die Urheber der «Jus- tiz-Initiative». Sie monieren, dass nur Bundesrich- ter werde, wer einer Partei angehöre und über

«gute Beziehungen zu Entscheidungsträgern» ver- füge. Dies gefährde die richterliche Unabhängig- keit, die bereits durch die stete Drohung der Ab- wahl kompromittiert sei. Die Initianten wollen nun erreichen, dass auch «gute, ungebundene Juristin- nen und Juristen» ans Bundesgericht gewählt wer- den. Das Parlament wäre nicht länger für die Wahl zuständig; stattdessen nähme eine Fachkommis- sion eine Auswahl unter den eingegangenen Be- werbungen vor. Aus dieser Zahl würden per Los die Richter bestimmt, die dann bis zum 70. Lebens- jahr im Amt blieben.

Nun stehen im politologischen Zeitgeist aleato- rische Wahlverfahren hoch im Kurs; in der Politik aber wäre ein Losverfahren ein Novum, erst recht im Justizbereich. Zwar gibt es historische Präze- denzfälle: Die Initianten selbst verweisen auf die athenische Demokratie. Tatsächlich wurde dort die Heliaia, das oberste Gericht, per Los bestimmt. Es war dieses Gericht, das Sokrates 399 v. Chr. wegen Gottlosigkeit zum Tod verurteilte. Der ferne Prä- zedenzfall ist aber kaum als Grundlage dafür ge- eignet, das Anliegen der Initianten zu bewerten.

Entscheidend ist, ob die Initiative ein tatsächliches Problem identifiziert und dieses gegebenenfalls lösen könnte.

Es stimmt, dass alle Bundesrichter Mitglied einer Partei sind (der letzte parteilose Richter

wurde 1943 gewählt). Und es stimmt ebenso, dass die Wiederwahlen für politische Unmutsäusserun- gen missbraucht werden. Möglicherweise aber er- folgen solche Äusserungen nur, weil sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit folgen- los bleiben. Als 1990 ein Bundesrichter nicht im Amt bestätigt wurde, korrigierte das Parlament diesen Betriebsunfall umgehend. 1942 und 1995 wurden Richter abgewählt, die trotz fortgeschrit- tenem Alter auf einer weiteren Kandidatur bestan- den. Das Risiko einer Abwahl ist also primär abs- trakter Natur. Die vorgeschlagene Alternative hin- gegen vermag weder von praktischer noch prinzi- pieller Warte aus zu überzeugen. Von gegenwärtig 38 ordentlichen Bundesrichtern waren 29 vorher an einem kantonalen Gericht oder am Bundesver- waltungsgericht tätig; dazu mussten sie sich eben- falls parlamentarischen Sukkurs sichern. Soll die traditionelle Praxisnähe des Höchstgerichts ge- wahrt bleiben, wäre auch in Zukunft die Mehrzahl der Kandidierenden parteipolitisch kompromit- tiert. Bei der Ernennung der Fachkommission durch den Bundesrat dürften politische Über- legungen ebenfalls eine Rolle spielen.

Die Initiative ist vage und auslegungsbedürftig.

Was genau sind die von der Fachkommission bei der Auswahl anzuwendenden «objektiven Krite- rien der fachlichen und persönlichen Eignung für das Amt» - ein guter Studienabschluss? Eine um- fangreiche Publikationsliste? Die Kommission würde diese unbestimmten Begriffe nach eigenem Ermessen konkretisieren. Dem Expertengremium fehlte dabei jegliche demokratische Legitimation.

Dass die Judikative solcher Legitimation bedarf, ist zwar umstritten - ja wird teilweise für unvereinbar mit der richterlichen Unabhängigkeit gehalten.

Es ist aber ein grundlegendes Missverständnis, dass es sich bei der dritten Gewalt um eine apoli- tische Institution handelt. Richter haben Wertvor- stellungen, die auch ihre Urteile beeinflussen. Des- halb ist es wichtig, dass das ganze ideologische Spektrum vertreten ist. Wesentlicher noch ist, dass politische und gesellschaftliche Fragen zunehmend an die Gerichte delegiert werden. Die Ausgestal- tung der kantonalen Wahlsysteme etwa oder die vertraglichen Beziehungen zur EU, aber auch Fra- gen des sozialen Lebens von der Einbürgerung bis zum Handschlag gründen nicht länger auf einem

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Datum: 22.08.2018

Neue Zürcher Zeitung 8021 Zürich 044/ 258 11 11 https://www.nzz.ch/

Medienart: Print

Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 104'397

Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 377.012

Auftrag: 1070143 Seite: 10

Fläche: 33'638 mm²

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politischen, gesellschaftlichen oder moralischen Konsens. Stattdessen werden sie auf individual- rechtlicher Ebene vor Gericht geltend gemacht.

Dieser Fokus auf Individuen ist eine wichtige Errungenschaft, weil er Minderheiten vor der Tyrannei der Mehrheit schützt. Voraussetzung ist aber, dass die Mehrheit bereit ist, die entsprechen- den Normen - und ihre Anwendung durch die Ge- richte - auf Dauer zu respektieren. Dabei spielt die demokratische Legitimierung gerade des Bundes-

gerichts eine wichtige Rolle.

Die Richterwahl in ihrer gegenwärtigen Form entspricht nicht in allen Punkten einer dogmatisch interpretierten richterlichen Unabhängigkeit.

Aber sie trägt zur Akzeptanz der Rechtsprechung bei und schützt so deren Unabhängigkeit in der Praxis.

Lorenz Langer ist Dozent an der Universität Zürich und forscht am Zentrum für Demokratie Aarau.

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