87
Eine Handschrift von Schahin's Genesisbuch.
Von W. Bacher.
Im vorigen Jahrgange dieser Zeitschrift (63, 441—452) ver¬
öffentlicht A. Houtum-Schindler 212 Kapitelüberschriften
einer jüdisch-persischen Handschrift. Die Abschnitte, zu denen diese
Uberschriften gehören, kennzeichnet er als „verschiedene aus der
Bibel und islamitischen Überlieferungen gezogene Episoden" ent- 5
haltend. Die Handschrift selbst beschreibt er nicht. Doch ist es
selbstverständlich, daß sie in hebräischer Schrift verfertigt ist und die Überschriften vom Herausgeber arabisch (persisch) transkribiert
sind. Daß der Anfang der Handschrift fehlt, sieht man leicht an
den ersten drei Überschriften, die von der Beschreibung des 4. und io
5. Wochentages (d. i. Schöpfungstages) und der des Freitag sprechen.
An diesen erkannte ich sofort, welches Werk die Handschrift ent¬
hält, und die übrigen Überschriften bestätigten es; es ist das
Genesisbuch, das heißt die poetische Bearbeitung der im ersten
Buche Moses' enthaltenen biblischen Geschichte von Schah in aus is
Schiras, dem jüdisch-persischen Dichter des 14. Jahrhunderts. Da
ich über diesen Dichter und seine Werke eine erschöpfende Dar¬
stellung geliefert habe in meiner Schrift: „Zwei jüdisch-persische
Dichter, Schahin und Imrani" so wäre es überflüssig, hier etwas
über Schahin und sein biblisches Epos zu sagen. Nur darauf sei 20
es mir gestattet hinzuweisen, daß die nicht jüdischen Quellen
Schahin's in zwei Kapiteln der genannten Schrift („Muhammedanisches"
und „Firdusi's Jusuf und Suleicha", S. 117—145) eingehend nach¬
gewiesen sind.
Es ist sehr erfreulich, daß von Schahin's Genesisbuch durch 26
Herrn H.-S. eine Handschrift bekannt gemacht und der Bibliothek
unserer Gesellschaft überwiesen wurde. Das Werk ist zwar schon
gedruckt 2), aber die Ausgabe, für die Juden von Buchara be-
1) In deu Jahresberichten der Landes-Rabbinerschule zu Budapest für 1906/7 und 1907/8, sowie in Sonderausgabe bei Karl J. Trübner, Straßburg (1. und 2. Hälfte 1907 und 1908). — Vgl. auch meine Vorlesung: „Ein jüdisch- persischer Dichter des vierzehnten Jahrhunderts" im Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur (Berlin 1908), S. 88—114.
2) Unter dem Titel: nun ■pHNC TVW "ItO I. u. II. Band. Jerusalem 1902.
88 Bacher, Ein» Bandschrift von Schahin's Genesisbuch.
stimmt, ist in Europa wohl nur in einer sehr geringen Anzahl von
Exemplaren vorhanden. Eine Handschrift des Genesisbuches, ver¬
bunden mit Schahin's Mosesbuche (zu den übrigen Büchern des
Pentateuchs) besitzt das British Museum (Nr. 4742); aus ihr
sind in JQR. XV, 290—292 (durch Seligsohn) zwei Kapitel
veröffentlicht werden. Die jetzt zum Vorschein gekommene Hand¬
schrift ist um so willkommener , als sie , wie es scheint , mit der
Ausgabe nicht ganz übereinstimmt. Wenigstens haben die Über¬
schriften, die H.-S. zum Abdruck bringt, nicht immer denselben
Wortlaut, wie in der Ausgabe. Das läßt aber auf den Inhalt der
Abschnitte selbst keinen Schluß zu; die Verschiedenheit in den
Überschriften beweist nur , daß diese nicht vom Dicht ■ selbst
herrühren.
Die Liste der Überschriften ist, wie schon oben bemerkt, im
Anfange mangelhaft. Es fehlen die ersten acht Kapitel der Aus¬
gabe, nämlich die einleitenden Kapitel des Werkes und die über
die ersten vier Schöpfungstage 1). Aber auch am Ende fehlt eine
ganze Reihe von Kapiteln, nämlich die zu Gen. 42—50, es sind die
Kapitel 241—288 der Ausgabe. Bedauerlich ist, daß der Heraus¬
geber der Liste nicht bemerkte, daß die Handschrift nicht nur
Lücken innerhalb des in ihr noch vorhandenen Teiles des Genesis¬
buches aufweist, sondern viele Kapitel an unrichtiger Stelle
hat, offenbar weil die Aufeinanderfolge der Blätterlagen in Unordnung
geraten und diese — wenn die Handschrift gebunden ist — un¬
richtig gebunden sind. Nur kurz will ich angeben, wie die Kapitel
in der Numerierung der Liste auf einander folgen müßten : 1—62,
70—111, 63—69, 115—142, 112—114, 143—175, 203—212
(vor 203 fehlen einige Kapitel), 190—191, 176—180, 181—189
(vor 181 eine Lücke), 192—202 (vor 192 eine Lücke).
In der Transkription der hebräischen Charaktere hat sich
der Herausgeber manche Versehen zu Schulden kommen lassen.
Vor allem hätten die biblischen Eigennamen , die in den Über¬
schriften in ihrer Urgestalt dargeboten sind, nicht transkribiert
werden dürfen, denn für die meisten dieser Eigennamen gibt es
besondere arabische Formen, und es ist unstatthaft in arabischer
Schrift nichtarabische Namensformen zu bieten. Zum Beispiel
oLsuaj (= pnaK 1), arab. oLsH, (= TO»), arab. usw.
Der Herausgeber scheint sich aber nicht klar gemacht zu haben,
1) Der 4. und 5. Schöpfungstag heißen in der Liste au»«i ö j und 8 \sy "'° De'^ en Buchstaben sind die hebräischen Zahlbuchstaben - t und H und hätten eigentlich untranskribiert bleiben müssen. Statt x»« lies
«-»JLi. Die Ausgabe hat FPSHD. Wenn die Handschrift H.-S.'s wirklich 7130 hat, dann wäre dies das aramäische Im Jüdisch-Persischen sind manche aramäischen Wörter mit vollem Bürgerrechte aufgenommen.
Bacher, Eine Bandschrift von Schahin's Genesisbuch. 89
daß hier die hebräischen Namen selbst vorliegen; sonst hätte er
S. 441, Anm. zu 9—15 die Bemerkung für \ys» unterdrückt,
da ja ersteres (also in den Handschriften mn) der hebräische Name
ist. Aus demselben Grunde ist die Bemerkung zu 110 (S. 447)
unrichtig, denn mit miaa ist nur das hebräische Wort für Erst- 5
geburtsrecht gemeint ; ein arabisches HjjJy in dieser Bedeutung gibt es nicht 1).
In 12 (und ebenso 13, 14, 22, 23, 24, 50, 56, 87, 92, 160)
ist ujLxi' eine sklavische, aber sinnlose Transkription von 3NPD;
in diesem ist 3 wie auch sonst = • und n vertritt _b. Es muß io
Cs
also überall heißen , i*jltaj>. — 18: lies tVO (der biblische
Eigenname). — 20: yä^oyt, lies jfe jjjft — 27 und 28: ^LijJ,
lies (jlijJb (s. zu 12). — 57: ^s, liesy*, d. i. 1J| (Gen. 14, 13).
— 63: («-O^JLs lies p*XJiAi> (= DTiiijbD). — 69: ^^s», lies ^yJy.
— 70: JjjS' ^Ipj^Z, »jLb yi »ül yüj- Es muß heißen: 15
* ' '
JJiS' ^L^yjjÄ rsjükXi »bSt yXij (Abraham geht zur Besichtigung
der Städte der Ungläubigen , s. Gen. 20, 28). — 88: c ,LaA lies
^UiA-ii (iNWO für IKB'tt gelesen). — 122: v_jLi>, lies uljj», ebenso
192, 193. — 131 lautet: ^ ^Lix-o» yyüo ^JLb;
das gibt keinen Sinn , es muß heißen : jy» \->yuu >_ JLb 20
pb jt |jio^j> (d. h. Jakob verlangt seinen Lohn von Laban). Der
Herausgeber las ^Nicri 1T3 für TN ffi"b "VtO. — 159: jL>l, lies jUS (Anfang), ebenso 167 2). — 178: ,Jo, lies ^j' (= Ittn, Eigenname).
— 184: (jä,U~ lies ^Lx*». — 202: i^j^, lies *Ju/> (d. i. der
Eigenname rnssn). 25
Was die Anmerkungen zur Liste betrifft, verweise ich im all¬
gemeinen auf mein oben genanntes Werk: Zwei jüdisch-persische
Dichter. Im einzelnen: Zu 4—6: brNTy ist auch in Lev. 16, 10
nicht „der Sündenbock". Bei Schahin ist es der Name des Satans.
— Zu 63—69: Für Gen. 16 und 17 lies Gen. 26 und 27. — Zu so
159—166: „Dinah", wie Hiob's Frau genannt wird, ist der biblische
1) In 56 ist »JLy« = tibi»; in 65 xiA&i = !"i:pÖ" .
2) Ich weiß nicht, warum zur Transkription von 3 (= yiT) stets ver¬
wendet ist.
90 Bacher, Eine Bandschrift von Schahin's Genesisbuch.
Eigenname Dinah, da Schahin auf Grund einer agädischen An¬
sicht die Tochter Jakob's Hiob's Frau werden läßt. Die zwei
letzten Bemerkungen zu 203—212 und zu 209 lassen sich nur so
erklären , daß der Herausgeber der Liste die Unordnung in der
Aufeinanderfolge der Abschnitte nicht erkannt, aber auch vom In¬
halte dieser selbst nur sehr flüchtig Kenntnis genommen hat. Sonst
hätte er diese letzten Abschnitte nicht auf Gen. 44 bezogen, da sie
doch zu Gen. 37 gehören und von der mit dem verkauften Joseph
nach Ägypten ziehenden Karawane und ihren Erlebnissen erzählen.
Die falsche Beziehung auf Gen. 44 bewirkt dann , daß H.-S. in
Uberschrift 209 |t g ... auf höchst gezwungene Weise als Übersetzung
von y^aä (Gen. 44, 2) versteht, während das Wort hier in Wirk¬
lichkeit T„Furcht" bedeutet.
Zum Schlüsse kann ich nicht umhin, meine Verwunderun a
darüber auszusprechen, daß der Herausgeber der Liste vor deren
gewiß dankenswerter Veröffentlichung nicht auf dem so engen Ge¬
biete der Arbeiten zum Jüdisch-Persischen Umschau hielt, um
etwaige Aufklärung über die in seinen Besitz gelangte Handschrift zu gewinnen.
91
Zum „Buch der Gesetze der Länder":
Spicileg. syr. ed. Cureton S. 1 ff.
Von Friedrich Schultheß.
Nachdem dies Dokument , das seit Cureton's fast vergriffenen
Ausgabe eine größere Literatur hervorgerufen hat als irgend ein
anderes altsyrisches Erzeugnis, durch F. Nau's Neubearbeitungen 1)
wieder allgemein zugänglich gemacht und es dem Pariser Gelehrten
durch eine Nachkollationierung der Hs. , durch eigene Kritik und
durch Mitteilungen Th. Nöldeke's gelungen ist, den Text in einer
wesentlich gereinigten Gestalt vorzulegen , sei es mir gestattet mit
ein paar Bemerkungen teils noch einmal die literarische Frage zu
berühren, teils den Text an einigen Stellen zu verbessern, die bis¬
her unbeanstandet oder ungeheilt geblieben sind.
Die große Haupt- und Streitfrage, ob der syrische Text Original
sei (so die Meisten , auch Nau) , oder aber aus dem Griechischen
geflossen (Ewald, Hilgenfeld), hat sich mir bei wiederholter Lektüre
immer mehr in letzterem Sinne entschieden. Der oft wiederholte
Hinweis auf den griechischen Geist, der durch die Schrift wehe,
oder auf die griechische Philosophie , die der Verfasser vertrete,
verschlägt allerdings nicht viel. Ebenso braucht kaum bemerkt zu
werden, daß die vielen Unstimmigkeiten zwischen dem Syrer einer¬
seits, den Rekognitionen, Eusebius und der Aberkius-Vita anderseits,
die zu Ungunsten des Syrers sprechen sollen (vgl. Merx, Hilgen -
feld, Nissen), diesen unsern Text gar nicht notwendig berühren,
da die griechische Rezension tiefgreifende Redaktionen erfahren
hat. Worauf es zu allererst ankommt, ist dieses: ob sich der
Syrer aus sich selbst verstehen läßt. Und da glaube ich
nun, trotzdem seine Sprache an Reinheit und Eleganz nicht viel
1) Zuerst 1899, sodann 1907 in Graffin's Patrologia syriaca I, 2, S. 492 ff.
An letzterem Ort findet man auch die ältere und neue Literatur verzeichnet.
Zu meinen Bemerkungen vgl. noch Nissen, ZNTW. IX, 1908, S. 315ff,
Harnack, Chronologie 131, Jülicher bei.Pauly-Wissowa, Art. „Bardesanes", Nöldeke in „Kultur der Gegenwart" I, VII, S. 105.