Beschreibung einer äthiopischen Handschrift der
Königl. Bibliothek zu Dresden.
Von George H. 8chodde.
Durch Hrn. Prof. Krehl bin ich auf eine interessante äthio¬
pische Handschrift der Königl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden
(E. 458) aufmerksam gemacht worden, und ist es mir durch seine
Vermittelung möglich gemacht worden, dieselbe einige Zeit zu be¬
nützen. Da diese Handschrift nach verschiedenen Seiten hin nicht
ohne Interesse und Wichtigkeit ist, so dürfte eine kurze Beschrei¬
bung derselben nicht ganz nutzlos sein.
Auf starkem Pergament, doppelspaltig geschrieben, umfasst die
Handschrift 162 Blätter in Quart. Fol. 1 — 136 giebt eine Lebens¬
beschreibung der heiligen ©A'l' .' Ä'J^C^l (Walatta Petros,
filia Petri); Fol. 136—144 zwei Lobgedichte auf den heiligen
^C'i'fir (Kirkös Quiricius) und auf den heiligen P'rfl^fi;
(Johannes). Von Fol. 145 bis zum Schluss befinden sich 60 bild¬
liche Darstellungen aus dem Leben der hl. (DA't'I Ä'PC^l •
Diese Gemälde, welche sämmtlich mit Ueberschriften versehen sind,
sind ganz genau nach dem Inhalte des Buches geordnet, und bilden
also eine Art Index zum Ganzen. Obschon mit wenig Sinn für
Proportion gemacht, und mit einer oft an das Lächerliche streifen¬
den Freigebigkeit an den grellsten und glänzendsten Farben bedacht,
sind diese Darstellungen doch mit einer gewissen Genauigkeit und
Sorgfalt nach einem bestimmten Typus gezeichnet, und können mit
Recht als fttr die Kunstgeschichte nicht uninteressante Beiträge
bezeichnet werden. Gleich den bildlichen Darstellungen in etlichen
der jüngsten Handschriften des Rüppell'schen Nachlasses in Frank¬
furt a/M. '), geben sie schon einen bedeutsamen Wink für die ver¬
hältnissmässig späte Abfassungszeit des Buches.
1) Vgl. Küppell, „Heise in Abyssinien" Bd. If. S. 183 und 403 ff.
Bd. XXX. 20
298 Schodde, Beschreibung einer äthiopischen Handschrift
Was nun den Inhalt des Buches selbst anbetrifft, so könnte
man sich leicht durch den stets mit rother Tinte geschriebenen
Namen der Heldin (denn einen Titel und Capitelüberschriften hat
das Bnch nicht) verleiten lassen, in demselben eine Lebensbe¬
schreibung der angeblichen Tochter des Apostel Petrus, der „Petro¬
nilla" zu erwarten; aber schon die Ueberschrift eines der ersten
Bilder, auf welchem dargestellt wird, wie ein König einem Mädchen
eine, wie es scheint, ernste Rede hält, deutet auf eine ganz andere
Persönlichkeit. Die betreffende Ueberschrift lautet: HYl^^I
-t-A/^A: ^-hw. itjh'JP-fi: yj^<H^:y\(s>iK/n\
QöOOj^; d. h. wie der König Süsnejös sie um ihren Glauben
befragt und sie im Zorn anschaut. Der König Süsnejös, einer der
bekanntesten Fürsten Aetbiopiens, regierte vom J. 1607 bis 1632 ').
Dieser König eröffnete, durch politische Gründe bewogen, sein bis
dahin dera koptischen Bischof und dem strengsten Monophysitismus
ergebenes Land den Jesuiten, die nun alle Mittel in Bewegung
setzten, um das Land für ihren Glauben zu gewinnen. Dadurch
gereizt, und in seiner Anhänglichkeit an den Glauben der Väter
{y^Cpi^'V: AfKD':) gestärkt, erhob sich das ganze Volk,
bis sich endlich der König genöthigt sah, die Fremdlinge zu ver¬
treiben und den alten Glauben wieder in seine Rechte einzusetzen *).
Die erwähnte Ueberschrift liess gleich vermuthen , dass hier eine
monophysitische Dulderin vorgeführt werde; und dem ist auch so.
Die Lebenszeit der hl. Walatta Petros fällt wirklich in diese für
die äthiop. Kirche höchst wichtige Periode, und die Heilige wird
hier geschildert als der leitende Genius der anti-jesuitischen Be¬
wegungen in ihrer und in den angränzenden Provinzen. Sie ist
die ihrem Vater schon vor ihrer Geburt angekündigte Tochter eines
reichen und frommen Mannes aus der Provinz /^(Ü^C, \ am
Zana-See. Ueber ihre Jugend wird wenig berichtet. Als aber die
„Hyänen des Westens" ^) in das Land kamen , offenbarte sich auf
einmal der Glanz ihrer Heiligkeit und ihres Glaubenseifers in den
Bestrebungen gegen die Eindringlinge. In anziehender, oft geist¬
reicher, obschon die stärkste Leidenschaft atbmender Sprache wer¬
den ihre Leiden und Kämpfe geschildert. Der Verfasser beschreibt
eingehend den Ruhm ihrer Festigkeit für die*) yj^d^^'f'. YlC
fl-tJ»l: im Gegensatz znr ^J^CH^-V'. t^^-Ci]^'. (dem
1) cf. Tabala genealogica bei Ludolf, Hist. Aethiup. Lib. II c. 7.
2) Hierüber handelt Ludolf sehr ausführlich in seiner Hist. Aethiop. II c. 7 ff. ; im Commentar werden alle dazu gehörigen Briefe, Sendschreiben u. s. w.
gegeben.
3) cf. Ludolf 1. c. Lib. III c. 12. 51.
4) Das Wort \] l?<^4r°^i^ ist fast durchgSngig als Feminin gebraucht.
Glauben der Franken); oder für die W^iH^'t': R.P^il^Gh [
Cj^O't'l (der rechte Glaube des Dioskoros) im Gegensatz zur
yjSifi^'P : AP*"? : Ca-il^ : (der unreine Glaube des Leo) i).
Die grosse Sünde der VJBif?4°^: der Franken ist: 'h.'i't".
^a: ?iaa>: QrhC^ : (D-X-t: ^QCh-i^fi: 5\f^
^'iZ.'. 'l'*P'i,?'I (dass Christus aus zwei Naturen bestehe,
nachdem er doch eine einzige Person gewesen sei). — Die Er¬
zählungen von den Leiden, welche die hl. Walatta Petros wegen
ihres Glaubens erdulden musste, nnd von den Wundern, durch welche
sie aus der Hand des Königs Süsnejös und seines Dieners Pl"?^ A \
(der immer den Titel K^ö\'. Heide erhält) errettet wird, sind
nur neje Auflagen der vielen Wundergeschichten in der alten apo¬
kryphischen Literatur. Nachdem Süsnejös nun zu dem Glauben
seines Volkes zurückgekehrt ist und noch einen Brief an die Wa¬
latta Petros geschrieben hat , zieht sich diese zurück und widmet
sich ganz den asketischen Uebungen, besonders der Gründung und
Regierung eines Nonnenordens, dessen Regeln wörtlich und in ganzer
Ausführlichkeit mitgetheilt werden. Die Schilderungen davon be¬
ginnen ungefähr Fol. 80 und gehen bis zum Schluss des Buches.
Was das wirklich Geschichtliche des Inhaltes anlangt, so
beschränkt es sich nur anf die Erzählung von dem Tode des
Süsnejös und von der Thronbesteigung seines Sohnes '.
(Basilides).
FoU. 115 ff. enthalten, genau nach der Folge der Bilder, Er¬
zählungen über 11 grosse Wunder, die nach dem Tode der hl.
(DA'!'." Al^Cfll auf ihrem Grabe, gewöhnlich an ihrem
Gedächtnisstage, sich ereigneten. Foil. 133 ff. enthalten ein Lob¬
gedicht auf die Heilige, in einer der äthiopischen Literatur wohl
speciellen Art der Poesie, wo einzelnen Theilen des Körpers,
der Reihe nach von oben nach unten, ein /lAP^I zugerufen
wird, und dann ihre Tugenden besungen werden *). Dieses Gedicht
besteht aus 29 Versen zu je 5 Zeilen. Dann folgt ein allgemeines
Lobgedicht auf die Heilige. Von einer systematischen Ordnung der
Endvocale nnd Consonanten, wie z. B. bei Ludolf Gramm. Aethiop.
ed. H. p. 174, findet sich weder in diesem noch in den folgenden
Liedern eine Spur.
Der Zusammenhang der zwei folgenden Lobgedichte auf den
hl. Quiricius und Johannes (Foil. 136—144) mit dem vorigen ist
1) Diese Benennungen stammen aus der Zeit der Clialcedonisclien Synode, welche, dilrch einen Brief des Papstes Leo angeregt, den Bischof Dioskoros nnd mit ihm die monophysitischen Lehren verdammte.
2) Von dieser Art der Poesie , A jfl \ g*"»""') theilt DiUmann in seiner fithiop. Chrest. S. 136 ff. ein Specimen mit.
20*
300 Schodde, Beschreibung einer äthiopischen Handschrift
nicht ganz klar. Das erste besteht aus 34 Versen zu je 4 Zeilen,
das zweite aus 48 Versen zu je 3 Zeilen.
Ueber Verfasser, Besitzer, Abfassungszeit u. s. w. sind wir
genau unterrichtet. Nach einem kurzen und schönen Gebet sagt
der Verfasser : Ich werde nun etwas schreiben , ich ein Sünder
und Unheiliger (■^f^'h: (D^'hJ^'.) Arka Ladis (ACYl."
von den Kämpfen, asketischen und andem Uebungen
unserer heiligen Mutter (DA*!*: Ä'J^Cifll Die Abfassungs¬
zeit wird am Ende der Einleitnng genau angegeben. Hier sagt der
Verfasser: Und nach dem Tode der hl. Walatta Petros, ungefähr
30 Jahre nachdem sie gestorben war, im Jahre 7166 der Gnade
und im 5. Jahre des Königs Johannes, des Gottliebenden,
in der Zeit des Evangelisten Matthäus haben wir geschrieben dieses
Buch*). Sie (d. h. die Heilige) wird verkündet am 17. des
Monats Hedär^), und der Segen ihres Gebets, und die Gnade
ihrer Hilfe sei mit ihren geliebten Arka Kirös und seiner Frau
Walatta Johannes*).
Mit dem 3. Monat des äthiopischen Jahres, Hedär, in welchen
der Tag der hl. Walatta Petros fällt, anfangend, stehn oben, mit
beinahe der gleichen Zahl von Blättern dazwischen, die Namen der
12 Monate in der Form: Wi^C (Fol. 4), H'i"iül\":
(Fol. 15) u. s. w. Der Zweck davon ist nicht klar ersichtlich, da
das Fehlen jeder Abtheilnng an den bezeichneten Orten die Idee
einer Eintheilung ftir den kirchlichen Gebrauch ausschliesst, und
man kaum sich denken könnte, dass der Verfasser dadurch die
Zahl der Seiten angeben wolle, die er in einem Monate geschrieben
habe, und dass das Buch also grade in einem vollen Jahre entstand.
Die Sprache ist verhältnissmässig gut; es ist wirklich erstaun¬
lich, wie fliessend und gewandt der Verfasser die äthiopische Sprache
noch in so später Zeit handhabt Ein grosser Wortschatz steht
ihm zu Gebote ; Verstösse gegen die Grammatik kommen selten vor,
Schreibfehler finden sich dagegen, trotz der zweiten Hand, die durch¬
weg corrigirt hat, hie und da. Kalligraphisch steht die Hand¬
schrift nicht so hoch wie wünschenswerth wäre, besonders sind die
Ueberschriften über den Bildern oft ganz unleserlich. Selbstver¬
ständlich werden U> /fl md 'it UJ md ^l, A und 9, A «nd O
1) Vgl. DiUmann, Lex. Aethiop. Col. 1417.
2) Dies ergiebt genau das Jahr 1653. Für die äthiop. Zeitrechnung vgl.
Rüppell a. a. 0. S. 37 If., und für die Begierungszeit des Johannes, die hier vollkommen passt, S. 360.
3) Vgl. Dillmann's Catalog der ätbiop. Hdschr. der Bodleiana, S. 45.
4) Die Besitzer des Bucbes, für die der Autor scbrieb. Das Buch scheiut nur einen Besitzer gebabt zu haben, da der ursprüngliche Name nie, wie es bei Uebergang zu einem neuen Besitzer zu geschehen pflegt, durch eineu anderen Namen ersetzt ist.
promiscue gebraucht, obschon einige Wörter mit diesen Con¬
sonanten doch nach einer bestimmten Regel geschrieben sind, z. B.
'iUJUJ.' fast immer mit UJ; u. s. w.
Als besondere Eigenthümlichkeiten der Handschrift sind noch
zu erwähnen, dass die Pluralendung des feminin, fast durchgängig
at (statt ät) geschrieben wird; dass statt des Pronomens H.' sehr
häufig ; vorkommt, was sich anderswo wohl selten finden dürfte.
Pie Handschrift hat unläugbar sowohl in sprachlicher wie in
geschichtlicher Hinsicht einen nicht geringen Werth, wenngleich nicht in Abrede gestellt werden kann, dass die historische Glaubwürdig¬
keit des Werkes durch die leidenschaftliche Sprache ihres, wie es
scheint, nur im Parteiinteresse schreibenden Verfassers erhebliche
Einbusse erleidet. Andrerseits gewinnt das Buch aber grade da¬
durch wieder an Interesse, weil man aus ihm recht deutlich ersieht,
ein wie reges Leben zu der Zeit, als der Verfasser schrieb, noch
in der äthiopischen Kirche vorhanden war. Das Buch ist vielleicht
eines der letzten Zeugnisse für diese denkwürdige Erscheinung.
Jedenfalls werden die noch immerhin kärglichen Notizen über diese
interessante Epoche der äthiopischen Kirchengeschichte , wie sie
z. B. von Ludolf (a. a. 0.), und von C. W. Isenberg in s. Buche:
Abessinien und die evangel. Mission (I, S. 58 ff.) mitgetheilt
werden, durch ein genaues Studium der Walatta Petros ergänzt
werden können, wenn man dabei immer das im Auge behält, dass
das Buch, da es im Parteiinteresse geschrieben ist, nothwendig mit
historischer Kritik benutzt werden muss.
Eine andere Handschrift dieses Werkes unter dem Titel:
7^A:a)Ai:-: Äl^Cfi: beschreibt M. Antoine d'Abbadie
in seinem Catalogue raisonn6 de manuscrits Äthiopiens, Paris 1859,
No. 88. S. 99 f. Dieselbe ist jedoch erst im J. 1714 oder 1715
geschrieben.
302
Beiträge zur indischen Chronologie.
Von H. Jacobi.
In meinem Aufsätze: Beitrag zur Zeitbestimmung Kälidäsa's
(Monatsber. der kön. Ak. d. Wissensch, zu Berlin 1873) besprach
ich zwei Stellen aus Kälidäsa's Epen, welche beweisen, dass der
Dichter mit der griechisch-indischen Astrologie bekannt war. Etwas
ähnliches konnte ich aus den Dramen nicht beibringen, ja selbst
die Erwähnung von Zodiakalbildern in denselben schien mir äusserst
zweifelhaft. In Bezug auf Malavika 42, 15 setzte ich meine An¬
sicht auseinander; mittlerweile ist auch die zweite Stelle, in welcher
man ein Zodiakalbild erwähnt glaubte, ürvagi 70, 14, durch Prof.
Pischels Herausgabe des dravidischen Textes der Urvasi in ihrer
eigentlichen Bedeutung klar geworden. Bollensen deutete nämlich
katham bhagavän mrigaräjadhäri 1. c. auf dieSonne im Stern¬
bild des Löwen, was schon deshalb nicht angeht, weil die Sonne
im Juli-August im Löwen steht, unsere Scene aber in den An¬
fang der Regenzeit fällt (v. 70, 73). Kälidäsa lässt dieselbe aber
Meghadüta 2 mit dem 1. Äshädha, also im Monat Juni beginnen.
B.-R. schlagen „Mond" vor, s. v. mrigaräjadhäri. Die südindischen
Mss. lesen gajacarmaväsäh , mrigacarmaväsä bbargah. Dass der
König Qiva für den Geber des Steines hielt, erklärt sich leicht aus
der Nennung der gailasutä im vorhergehenden Verse. Bollensen
wurde zu seiner Erklärung wohl durch die Worte: ürdhvam avalokya
veranlasst. Der König schaut aber aufwärts, weil er glaubt, der
göttliche Geber müsse sich zeigen; er sieht aber nichts, denn (deu
Stein) betrachtend, vilokya, sagt er: katham etc. Die Einleitung
der Worte des Königs mit katham lassen darauf scbliessen, dass
derselbe keinen sichtbaren Anlass zu seiner Annahme hatte.
Es bleibt mir noch übrig, mrigaräjadhäri zu erklären. Dass in
den dravidischen Mss. ein verständlicheres Beiwort Qiva's an die
Stelle von dem seltenen mrigaräjadhäri secundär gesetzt wurde, er¬
sieht man noch aus dem mrigacarmaväsä des Manuscripts A, wofür
B. gajacarmaväsäh setzte, myigaräja scheint ein wenig gebräuch¬
liches Wort lur Mond gewesen zu sein. In dem Comm. zu