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Archiv "Georg Groddeck: Wurzeln und Wirkung" (23.04.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Georg Groddeck: Wurzeln und Wirkung

Der nachstehende Beitrag zeigt einen neuen Ansatz zum Verständ- nis der Es-Mythologie; er befaßt sich mit dem historischen Umfeld der Psychosomatik in der deutschen Romantik. Anlaß ist der Inter- nationale Kongreß, den die Georg-Groddeck-Gesellschaft unter dem Motto "Poesie der Krankheit — Paradoxie der Heilung" vom 10. bis zum 12. Juni in Bad Nauheirn ausrichtet. Informationsblätter und Anmeldeunterlagen können bei Beate Schuh, Kongreßbüro der Groddeck-Gesellschaft, Holzhausenstraße 4, W-6000 Frankfurt 1, angefordert werden.

„Jede Krankheit kann man eine Seelenkrankheit nennen". Das Zitat klingt wie aus dem Munde Georg Groddecks, des „Vaters der Psycho- somatik", stammt jedoch von Fried- rich von Hardenberg. Offensichtlich reichen die Wurzeln des Faches weit in das vorige Jahrhundert hinein; so ist die Verbindung von Poetik und Naturphilosophie aus Groddecks Weltbild nicht wegzudenken. Dabei sind die spekulativen Ansätze deut- scher Romantiker, wie Novalis und Richard Wagner, ebenso in die Schöpfung seines psychosomatischen Konzeptes eingeflossen wie die Ge- dankenwelt Nietzsches.

Hier soll auf die breite Wirkung Groddecks aufmerksam gemacht werden, der nicht nur in der psycho- analytischen Bewegung als Ideen- schöpfer und „enfant terrible" be- kannt wurde, sondern auch mit sei- nem literarischen Werk Dichter wie Lawrence Durrell und Ingeborg Bachmann anregte und beeindruck- te. In der Medizin ist Groddeck vor allem mit seinen Arbeiten zum psy- chophysischen Zusammenhang bei organischen Erkrankungen hervor- getreten. Der Arzt Groddeck wird als ausgeprägte, eigentümliche Per- sönlichkeit beschrieben. Sein viel- leicht aktuellster Ansatzpunkt, näm- lich die Verknüpfung von Physiothe- rapie und psychoanalytischer Tech- nik, hat in den körperbezogenen Psy- chotherapieformen eine Fortsetzung gefunden.

All dies ist um so erstaunlicher, als die Groddeck-Rezeption in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg so gut wie abgebrochen war. Er selbst hat sich zeitlebens ge-

gen jede Systematisierung seines An- satzes gewehrt, was sich auch darin ausdrückt, daß er keine Schüler aus- bildete, die eine Groddecksche The- rapieschule hätten gründen können.

Daß dies sogar kennzeichnend für seine „Methode" ist, kann am Begriff des Es gezeigt werden. Groddecks eingeborene Skepsis gegenüber dem rein begrifflichen Denken, die sich mit einem leidenschaftlichen Inter- esse für Sprache paarte, geben sei- nen Texten eine ungewöhnliche Fri- sche und Aktualität.

Der Begriff des Es

Aus einer Arztfamilie stam- mend, ergriff Groddeck das Medi- zinstudium in Berlin, wo er sich Ernst Schweninger, dem Leibarzt Bismarcks, anschloß. Schweningers physikalisch-diätetische Therapie, seine Forderung, den Kranken, nicht die Krankheit in den Mittelpunkt zu stellen, und sein Lehrsatz, daß der Arzt nur behandeln könne, die Na- tur aber selbst die Heilung vollbrin- ge, prägten Groddecks medizinische Anschauungen. Damit steht Grod- deck in der Tradition großer Ärzte, bis Hufeland und Paracelsus zurück- reichend, deren gemeinsames Merk- mal ein undogmatischer Umgang mit Naturheilverfahren und ein antiau- toritativer Gestus ist.

Groddecks Mutter stammte aus der Familie eines bekannten Litera- turhistorikers und war mit einer aus- geprägten Goethe-Verehrung groß- geworden. Sie übertrug ihre literari- schen Neigungen auf ihren Sohn. In- teressanterweise gehörte Friedrich

Nietzsche zu den Gästen ihres El- ternhauses. Ein weiterer Anknüp- fungspunkt ist, daß Groddeck dassel- be humanistische Gymnasium, die Landesschule Pforta bei Bad Kösen, besuchte, wo auch Nietzsche zur Schule gegangen war. Für Groddeck sollte dies in mehrfacher Hinsicht bedeutsam werden: Nietzsches Schriften kannte er gut, die vielfa- chen Zitate in seinen Vorträgen und anderen Texten belegen das. Vor al- lem in Groddecks frühen Schriften findet die Gestimmtheit von Nietz- sches Denken, die Verbindung intel- lektueller Überschärfe und scho- nungsloser Introspektion mit der

„Philosophie des Leibes" einen Wi- derhall.

Auch Nietzsches eigene „Psy- chopathologie" beschäftigte Grod- deck: „Verfolgt man sein (Nietz- sches) Leben und liest seine Schrif- ten, so kommt man auf die Idee, er ging zugrunde an dem ewigen Kampf mit dem Stock, mit dem Schlagen.

Ich habe das gerade bei diesem Mann, der mich psychologisch inter- essiert, verfolgt, und es ist meine fe- ste Überzeugung: Erstens war er nie- mals geisteskrank und hatte keine Gehirnerweichung; zweitens, das ei- gentliche grundlegende Phänomen, was seine Krankheit hervorrief, war die belastete Psyche, das Wort Sadis- mus. Es ist ein grandioses Beispiel dafür, wie ungeheuer verwüstend die Sachen wirken." Die konkreteste Auswirkung Nietzsches besteht je- doch in der assoziativen Anregung für Groddecks Begriff des Es.

Das Es, von Groddeck als Ar- beitshypothese formuliert, um in der praktisch-klinischen Tätigkeit bei der Beschreibung psychophysischer Vorgänge hilfreich zu sein, ohne die freie Beobachtung einzuschränken, wurde von Freud aufgegriffen und in modifizierter Form in dessen Termi- nologie eingefügt. Hier möchte ich auf eine bisher unbekannte Quelle des Es-Begriffs aufmerksam machen.

Am 26. Januar 1867 schreibt Richard Wagner: „Wie deute ich dieses klei- ne, so oft und immer nur flüchtig ein- geworfene, scheinbar so nichtssagen- de ,es'?...Erst wenn dies stolze Welt- rauschen verstummt, in stiller Nacht, da hören wir das Rieseln des trauten Quells, der uns dies milde, süß-ein- Dt. Ärztebl. 90, Heft 16, 23. April 1993 (19) A1-1163

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Studie zum Gesundheitswesen in acht Industrieländern

Technologischer Wandel als

Hauptverursacher des Kostenschubs

Im Auftrag der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft (Schweizer Rück) wurde eine wissenschaftliche Studie zur verglei- chenden Ausgabenentwicklung in Gesundheitssystemen von acht Staaten erstellt. Ein zentrales Ergebnis ist, daß kein Zusammenhang zwischen der Organisation des Gesundheitswesens bzw. der Finan- zierungsstruktur und der Wachstumsrate der Gesundheitsausgaben besteht. In die Untersuchung wurden Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Schweiz, Spanien, Kanada und die USA einbezogen.

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT THEMEN DER ZEI

silbige ,es' zuflüstert, und die Seele fühlt, daß dies so unaussprechlich groß und allumfassend ist, daß kein Wort, noch so groß und mächtig, es aussprechen und umfassen kann."

Am Ende dieses Briefes tituliert sich Wagner als „alter Meister des ,es'".

Wagner, der psychologischste al- ler Tonkünstler, gibt hier eine Schil- derung des „es", die in ihrer Bedeu- tungsweite auf Groddecks Es voraus- weist, indem sie sich gegen jede De- terminierung wendet. Nietzsche hat Wagner 1868 kennengelernt. In Triebschen war Nietzsche ab Mai 1869 häufiger Gast bei den Wagners.

Ich halte es für naheliegend, daß Wagner den befreundeten Philoso- phieprofessor mit seinem spekulati- ven Gedanken über das „es" vertraut gemacht hat. Deshalb möchte ich hier eine neue These aufstellen, nämlich die, daß Nietzsche über Wagner zum „es" gelangte. Bei bei- den bleibt das „es" noch ein vorwie- gend stimmungsbezogenes Moment der Anschauung.

Groddecks Leistung ist es, den Begriff aus der „Es"-Stimmung be- freit und zur Methode erhoben zu haben. Er verstand darunter sowohl die körperlichen wie seelischen Aspekte des Krankheitsvorgangs:

das Agens, das in die Krankheit führt und, nach Lösen des Widerstands, wieder aus ihr heraus. Das Es ist der Versuch, die Aufspaltung in Psychi- sches und Organisches sprachlich zu überwinden; und was kann prakti- zierte Psychosomatik mehr sein? Mit der entschiedenen Hinwendung zur Persönlichkeit des Kranken und des- sen individuellem Schicksal ging Groddeck einen für seine auch von pseudowissenschaftlichen Auswüch- sen geprägte Zeit ungewöhnlichen Weg. Daß er keine Statistiken zum Behandlungserfolg seiner Methode vorgelegt hat, die eine nachträgliche Qualitätssicherung erlaubten, darf uns nicht verwundern.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Tobias Back Max-Planck-Institut für Neurologische Forschung Gleueler Straße 50 W-5000 Köln 41

Z

iel der Studie war es, einerseits die Bedeutung der privaten Krankenversicherung in unter- schiedlichen ordnungspolitischen Umfeldern darzustellen; anderer- seits sollten die Entwicklung der Ge- sundheitsausgaben in den acht Indu- strieländern sowie deren Ursachen analysiert werden. Dabei müsse be- rücksichtigt werden, so die Verfasser der Studie, „daß es keine objektiv richtige Höhe oder Wachstumsrate der Gesundheitsausgaben gibt". Al- lerdings stellten die Höhe und das Wachstum der Kosten im Gesund- heitswesen in allen Ländern ein Pro- blem dar.

Trotz unterschiedlicher Finan- zierungsformen stieg der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoin- landsprodukt in den untersuchten OECD-Ländern von durchschnitt- lich 5,3 Prozent im Jahr 1970 auf 7,5 Prozent in 1990 (siehe Tabelle). Daß sich die Ausgabenentwicklung der Länder im letzten Jahrzehnt gegen- über dem Zeitraum von 1970 bis 1980 mit Ausnahme der USA und Kanada verlangsamt hat, führt die Schweizer Rück auf Kostenbegren- zungsmaßnahmen der jeweiligen Ge- sundheitspolitik zurück.

Bei dem Vergleich fällt auf, daß so unterschiedliche Systeme wie der staatliche Gesundheitsdienst Groß- britanniens mit 1,6 Prozent und das subventionierte Krankenversiche-

rungssystem der Schweiz mit 2,2 Pro- zent die geringsten Wachstumsraten innerhalb der letzten gut 20 Jahre aufweisen. Daraus zieht die private schweizerische Krankenversicherung den Schluß, daß ein Zusammenhang zwischen der Organisationsstruktur des Gesundheitswesens bzw. der Fi- nanzierungsform und der Ausgaben- entwicklung nicht erkennbar sei.

Starke Unterschiede sind in der volkswirtschaftlichen Bedeutung der privaten Krankenversicherungen in den acht Staaten erkennbar. Dies läßt sich mit der Versicherungs- durchdringung, dem Quotient aus Prämieneinnahmen der Privatversi- cherer und dem Bruttoinlandspro- dukt messen. Hier nehmen die USA, wo die Finanzierung des Gesund- heitswesens primär dem privaten Sektor überlassen wird, und Deutschland eine Spitzenstellung ein. In Italien, Spanien und Großbri- tannien, den Ländern mit einem staatlichen Gesundheitsdienst und dem zugleich geringsten Wohlstand innerhalb der Vergleichsgruppe, ist die Versicherungsdurchdringung der Privaten am geringsten.

Als Hauptfaktor für das reale Wachstum der Gesundheitsausga- ben ermittelte die Schweizer Rück eine vermehrte Inanspruchnahme medizinischer Leistungen (Mengen- wachstum). Relative Preisänderun- gen im Gesundheitswesen sowie das A1-1164 (20) Dt. Ärztebl. 90, Heft 16, 23. April 1993

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