Documenta
Nachruf
Die jüngste Documenta er- lebte die Renaissance von „gut gemeint“ als Ausstellungsidee.
Der Begründungsaufwand der verantwortlichen Leiterin Ca- therine David übertraf den Betrachtungsaufwand der Be- sucher bei weitem. Von diesen wurde also weniger die Fähig- keit des emphatischen Blicks als die Bereitschaft zum Lesen gefordert: im überdimensio- nalen Katalog, dem opus magnum der ganzen Veran- staltung, im Internet, Ver- breitungsmedium der tägli- chen Kunstdebatten, in den Gebrauchsanweisungen und Regieplänen, die vielen der ge- zeigten multimedialen Raum- installationen beigegeben wa- ren. Der Kommentar wurde zur Hauptsache.
Kassel, trotz eminenter Kriegs- und Nachkriegsschä- den eine Stadt barocken Zu- schnitts, öffnete sich der Puri- tanertugend spröder Selbstbe- züglichkeit. Das Fest der Sin- ne, so Davids Credo, hat in der Gegenwartskunst nichts zu su- chen, denn erstens sei es deren Aufgabe noch immer, im An- gesicht der fragmentierten, bis zur Austauschbarkeit gleich- geschalteten modernen Stadt- welt das kritische Gewissen zu sein, zweitens sei jeder Hul- digung des Jahrmarktcharak-
ters zu wehren, auf welches Niveau die konsumierende Spaßgesellschaft auch die Kunstschauen degradiere.
Die Position der Docu- menta fiel eindeutig aus.
Kunst hat sich den Medien als den Kolonisatoren der Nach- moderne zu öffnen wie zu verweigern: nämlich den Ver- breitungsapparat zu nutzen, um gegen das Verbreitete zu opponieren. Videokunst, wie diese Documenta sie in exten- so zeigte, heißt streng dem Wortsinne nach, daß man be- ständig sieht, daß es aber nichts zu sehen gibt. Ein all- seitiges Flimmern, Wimmern und Sich-selbst-Bedauern er- setzt die klare Optik eines Gezeigten wie den sentimen- talen Wunsch nach etwas Zeigbarem/Zeigenswerten.
Das Wettrennen gegen Com- puter und Fernsehen kann die Kunst nicht gewinnen, wenn sie nur deren Mittel parodiert, ohne fähig zu sein, sie auch zu transponieren.
Die ästhetische Differenz von Sein und Schein, vielfäl- tig bedroht und totgesagt, er- wies sich in wenigen Kunst- werken der Ausstellung.
Im Angesicht der vielfälti- gen „Gemälde“ aus Leitun- gen, Monitoren, Lautspre- chern und Bild- wie Klang- tapeten beschleicht den Be- trachter gar der Verdacht, daß die weitreichendste Form der Medienkritik ein Stromaus- fall wäre: Geburtsstunde der Kunst! Hanns-Marcus Müller
A-2767 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 42, 17. Oktober 1997 (87)
V A R I A FEUILLETON
Musik gehört nicht nur zu den kulturel- len Werten – sie ist auch ein wichtiger Wirtschafts- faktor. 1995 wurde nach Angaben des Bundesver- bandes der Phonographi- schen Wirt-
schaft mit Tonträgern ein Umsatz von fast 40 Milliarden DM erzielt. Fast ein Drit- tel dieser gewaltigen Summe wanderte in US-amerikanische Kassen. Deutschland ist den Statistiken der Musikwirtschaft zufolge der drittgrößte Markt der Welt für
CD und Musikkassetten. N