Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 45⏐⏐11. November 2005 AA3053
S E I T E E I N S
D
as Thema ist kompliziert. Des- halb will Bundesgesundheitsmi- nisterin Ulla Schmidt nicht, dass die Verhandlungen über die Gesund- heitspolitik „auf offenem Markt“betrieben werden. Stillschweigen ist angesagt. Was dennoch an Ergebnis- sen aus den Koalitionsgesprächen zwischen CDU/CSU und SPD den Weg in die Medien fand, ist mager.
Offenbar haben sich die Unterhänd- ler der Parteien auf ein zwei Milliar- den Euro schweres Sparpaket bei den Arzneimittelausgaben geeinigt.
Danach will man die Arzneimittel- preise für zwei Jahre einfrieren und die Naturalrabatte der Pharmaindu- strie an die Apotheker verbieten. Da vor allem große Generikahersteller den Apothekern zwecks Absatzstei- gerung zum Teil erhebliche Preis- nachlässe einräumen, sollen die Her-
steller von Nachahmerpräparaten den Krankenkassen künftig zusätz- lich zum ohnehin fälligen Preisnach- lass von sechs Prozent weitere fünf Prozent gewähren. Für die forschen- den Arzneimittelhersteller soll es Erleichterungen geben. Die Defini- tion für Innovationen soll überprüft werden, heißt es reichlich schwam- mig, denn nur für diese legen die Kassen keine Erstattungsobergren- zen fest.
Gewiss ist, dass sich das Bundes- gesundheitsministerium an das ver- einbarte Stillschweigen hält. Denn dort wollte man die Sparpläne we- der bestätigen noch dementieren.
Arzneimittel-Sparpakete sind ein seit Jahren beliebtes Gegenmittel der Gesundheitspolitik, wenn die Ausgaben im Gesundheitswesen wieder einmal aus dem Ruder zu
laufen drohen. Jetzt greifen die künftigen Koalitionäre auf die
„Wunderwaffe“ zurück. Steht man sich auch in Grundsatzfragen der Fi- nanzierung der Gesetzlichen Kran- kenversicherung weiterhin unver- söhnlich gegenüber, kann man zu- mindest an übersichtlicherer Stelle Handlungsfähigkeit beweisen.
Das neue Sparszenario bezieht die Ärztinnen und Ärzte noch nicht konkret mit ein. Man kann aber da- von ausgehen: Etwaige Bonus-Ma- lus-Regelungen bei Überschreitun- gen der Arzneimittelvereinbarun- gen – die Wiedereinführung des Arzneimittelregresses durch die Hintertür – sind noch nicht vom Tisch. Zumindest lässt die Formu- lierung von der stärkeren „indivi- duellen Verantwortung“ des Arztes darauf schließen. Heike Korzilius
Koalitionsverhandlungen
Sparpaket, wie üblich
Gemeinsamer Bundesausschuss
Grundsätzliche Klärung I
ch will keine Prozesse führen um desStreites willen, aber ich scheue nicht den Prozess, wenn er in Grundsatz- fragen die einzige mögliche Klärung gibt.“ So äußerte sich der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschus- ses (G-BA), Dr. jur. Rainer Hess, vor kurzem im Gespräch mit dem Deut- schen Ärzteblatt. Es ging dabei auch um die Klage des G-BA gegen die Beanstandung seiner Entscheidung zur Protonentherapie durch das Bun- desministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS).
Für Hess kommt das Verfahren zur Protonentherapie vor dem Sozi- algericht Köln einem Musterprozess mit weit reichenden Konsequenzen gleich. Im Grundsatz geht es darum, dass der Bundesausschuss die nötige Unabhängigkeit in seiner fachlichen Verantwortung auch gegenüber dem
Aufsicht führenden Ministerium behält. Durch das erstinstanzliche Urteil vom 19. Oktober sieht sich Hess in seiner Rechtsauffassung voll und ganz bestätigt.
Das BMGS hatte beanstandet, der G-BA hätte beim Ausschluss der Protonentherapie aus dem GKV- Leistungskatalog deren fehlenden Nutzen nachweisen müssen. Das So- zialgericht sah dagegen keine ent- sprechende Verpflichtung des G-BA, weil der wissenschaftliche Nachweis eines nicht vorhandenen Nutzens wohl kaum zu führen sei. Zudem be- schränkt der Urteilsspruch das Mini- sterium auf die Rechtsaufsicht über den G-BA. Ihm stehe nur die Prü- fung darüber zu, ob die wissen- schaftliche Bewertung des G-BA vertretbar und in ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen sei.
Eine weitergehende Befugnis des Ministeriums zur Fachaufsicht er- kannte das Gericht nicht.
Vorbehaltlich des schriftlichen Urteilstextes und einer gleichblei- benden Tendenz auf dem zu erwar- tenden Instanzenweg hätte das Ur- teil große Bedeutung für die Unab- hängigkeit der gemeinsamen Selbst- verwaltung in der GKV. Mehr und mehr hat das BMGS in Sachent- scheidungen des Gemeinsamen Bun- desausschusses eingegriffen. Ein Bei- spiel aus der jüngeren Vergangen- heit ist die Beanstandung der vom G-BA vorgelegten Richtlinie zur enteralen Ernährung. Auch hier hat der G-BA eine Klage gegen die in- zwischen vom BMGS auf dem Wege der Ersatzvornahme erlassenen Richtlinien angekündigt. Das Maß scheint voll zu sein. Thomas Gerst