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Archiv "Dermatologie in Kambodscha: Qualitätsmängel treten überall zutage" (05.02.1999)

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ie 50jährige Patientin hat in Begleitung ihres Sohnes 200 Kilometer zu Fuß, per Ochsen- karren und schließlich im überfüll- ten offenen Buschtaxi zurückgelegt, um das „Nationale Zentrum für Haut- und Geschlechtskrankheiten“

in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh zu erreichen. Da sie we- der Verwandte vor Ort haben noch die Mittel besitzen, ein Hotel aufzusu- chen, haben beide die Nacht vor der Konsultation auf der Straße verbracht.

Die Diagnose: ausgeprägter Pemphi- gus vulgaris. Ei-

gentlich wäre die stationäre Aufnah- me angezeigt – aber abgesehen davon, daß es in Kambod- scha keine stationä- re Einrichtung gibt, die auf die Behand- lung von Haut- krankheiten spezia- lisiert ist, hat die Patientin kein Geld, um die in einem Krankenhaus anfal- lenden Kosten für Behandlung und Verpflegung zu be- zahlen. Sie möchte unter allen Umstän- den noch am selben Tag die Heimreise antreten. Für den

behandelnden Arzt ein Dilemma: Die Patientin gehen zu lassen wäre unver- antwortlich. Sie zu überreden, in Phnom Penh zu bleiben, um wenig- stens die ersten Behandlungstage zu überwachen, scheitert an den finanzi- ellen Gegebenheiten. Man entschei- det sich zur innerlichen hochdosierten

Kortikoidtherapie, äußerlich zur Ap- plikation von Gentianaviolett-Lö- sung. Letztere wird von den Gesund- heitsbehörden unentgeltlich zur Ver- fügung gestellt, das Kortikoid muß die Patientin selber kaufen. Obwohl in der Größenordnung von zwei bis drei DM liegend, stellt sich auf Nachfragen her- aus, daß Mutter und Sohn das Medi- kament nicht bezahlen können. Ihre gesamte Barschaft beträgt rund fünf DM, wovon noch das Essen und die Rückfahrt bestritten werden müssen.

Was tun? Nach längerem Bemühen

stellt schließlich eine amerikanische Hilfsorganisation das Kortikoid ko- stenlos zur Verfügung. Gentianavio- lett wird erst nach mehrfacher Inter- vention von der Verwalterin der Apotheke des „Nationalen Zen- trums“ in ausreichender Menge her- ausgegeben – zu groß ist die Furcht da-

vor, die bescheidenen Vorräte könn- ten vorzeitig zur Neige gehen.

Am Wohnort der Patientin gibt es weder ein Krankenhaus noch einen niedergelassenen Arzt. Zur Weiterbe- handlung ist sie auf einen Kranken- pfleger in der 15 Kilometer entfernten Gesundheitsstation angewiesen. Ein Brief wird aufgesetzt, in dem die Dia- gnose erläutert wird, Hinweise zur Therapie und Ratschläge zum Verhal- ten bei Komplikationen erteilt wer- den. Dennoch bleibt die Ungewißheit:

Wie wird die Patientin auf die Thera- pie reagieren? Wird sie überhaupt zur Gesundheitsstation gehen? Wird der dortige Pfleger die Anweisungen des Briefes befolgen? Was passiert, wenn der mitgegebene Kortikoid-Vorrat aufgebraucht ist? Beunruhigt läßt der Arzt die Patientin ziehen. Medizini- scher Alltag in Kambodscha.

Mit einem Einkommen von 292 US-Dollar pro Kopf und Jahr (1997) gehört Kambodscha zu den ärmsten Ländern der Welt. Die jüngere Ge- schichte des Landes ist geprägt von Krieg, Terrorherrschaft und anhalten- den politischen Unruhen, deren Aus- wirkungen bis in die Gegenwart ein de- stabilisierendes Ele- ment darstellen. 86 Prozent der fast elf Millionen Einwoh- ner leben in länd- lichen Regionen von Subsistenzwirt- schaft. Einer Studie von 1996 zufolge liegt das Einkom- men von 40 Prozent der Landbevölke- rung unterhalb der absoluten Armuts- grenze. Die mittle- re Lebenserwartung beträgt 54 Jahre.

Im Bereich der medizinischen Ver- sorgung sind die un- ter Pol Pot erlitte- nen Verluste bis heute nicht kompen- siert: Während der Schreckensherr- schaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 wurden systematisch alle im Ge- sundheitswesen Tätigen als Vertreter der städtischen Intelligenz liquidiert.

Überleben konnten nur diejenigen, die rechtzeitig ins Ausland flohen A-270 (34) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 5, 5. Februar 1999

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Dermatologie in Kambodscha

Qualitätsmängel treten überall zutage

Nach Jahren der Wirren gelingt es Kambodscha nur mühsam, wieder Fuß zu fassen. Besonders die

medizinische Versorgung ist nach wie vor problematisch.

D

Das „Nationale Zentrum für Haut- und Geschlechtskrankheiten“ in Phnom Penh ist die einzige Einrich-

tung ihrer Art in Kambodscha. Fotos: Christoph Bendick

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oder sich perfekt zu tarnen verstan- den – Ärzte gaben beispielsweise an, Rikschafahrer zu sein und weder lesen noch schreiben zu können. Un- ter dem Terror des „Demokratischen Kampuchea“ begünstigten solche Strategien das Überleben, garantier- ten es aber nicht. Nach Vertreibung der Roten Khmer durch die Vietna- mesen 1979 zeigte sich, daß nur knapp zehn Prozent der vor 1975 in Kam- bodscha tätigen Ärzte überlebt hat- ten. Diese 50 Ärzte wurden nun not- dürftig in allen Bereichen eingesetzt, in denen der akuteste Bedarf bestand.

Obwohl sich die Situation heute, 20 Jahre später, wesentlich besser dar- stellt (1996 waren 1 572 Ärzte in Kam- bodscha tätig, davon 80 Prozent in der Hauptstadt Phnom Penh), sind immer noch Schlüsselstellen im Gesund- heitswesen mit Ärzten besetzt, denen jahrelang jede Möglichkeit zur Fort- bildung fehlte. Qualifizierte Ärzte ar- beiten eher im privaten Sektor, ihnen angetragene Aufgaben im öffentli- chen Gesundheitswesen und an der Universität nehmen sie nicht selten unzureichend oder überhaupt nicht wahr. Hinzu kommt, daß die Ent- scheidung über die Besetzung zahlrei- cher Positionen auf der Grundlage politischen Kalküls getroffen wird, wobei „Beziehungen“ eine bedeutsa- me Rolle spielen. Berufserfahrung und fachliche Qualifikation sind nicht selten nachgeordnete Kriterien.

Auf Hilfe angewiesen

Seit 1995 unternehmen die kam- bodschanischen Behörden mit einer nationalen Gesundheitsreform große Anstrengungen, ein dem Entwick- lungsstand des Landes angepaßtes Gesundheitssystem aufzubauen. Ak- tivitäten von Nicht-Regierungsorga- nisationen (NGO), Organisationen der staatlichen bilateralen Entwick- lungshilfe und Internationalen Orga- nisationen, wie der Weltgesundheits- organisation, spielen dabei noch im- mer eine unverzichtbare Rolle.

Dieses Engagement verbessert die Gesundheitssituation vor Ort je- doch nur langsam. Im weltweiten Ver- gleich gehören die öffentlichen Ge- sundheitsdienste in Kambodscha zu den am wenigsten leistungsfähigen.

Bedenkt man, daß staatlicherseits 1996 pro Einwohner und Jahr 3,24 DM für gesundheitsbezogene Leistungen auf- gewendet wurden, wird die völlig un- zureichende Qualität der medizini- schen Versorgung deutlich. Auch die 5,58 DM, die im selben Jahr per capita durch ex-

terne Zuwendun- gen zusätzlich zur Verfügung stan- den, vermochten die Situation nur graduell zu ver- ändern. Bedingt durch die ange- spannte politische und wirtschaftli- che Lage ist sogar eher mit einer Verschlechterung der Verhältnisse zu rechnen. Da- von ist auch die dermatologische Versorgung be- troffen.

Während den sexuell übertrag- baren Erkrankun- gen, insbesondere der weitverbrei- teten HIV-Infek- tion, im Rahmen

nationaler Programme Rechnung ge- tragen wird, verharrt die Dermatolo- gie in der Rolle einer relativ unbeach- teten Unterdisziplin der Inneren Me- dizin. Davon ausgenommen sind le- diglich die mit der Bekämpfung der Lepra verbundenen Aktivitäten, die in einem eigenen Programm organi- siert sind. Letzteres erhält wesentli- chen logistischen und finanziellen Input von NGO- und WHO-Seite.

Diagnostik und Therapie derma- tologischer und venerologischer Er- krankungen obliegen weitgehend dem

„Nationalen Zentrum für Haut- und Geschlechtskrankheiten“ (NCDV) in Phnom Penh, landesweit der einzigen Institution ihrer Art. Dem Gesund- heitsministerium direkt unterstellt und der Medizinischen Fakultät ange- gliedert, beteiligt sich das Zentrum an Studien und bildet Studenten aus.

Nahe dem Stadtzentrum gelegen, verfügt das NCDV auf rund 200 Qua- dratmetern über sehr bescheiden ausgestattete Räumlichkeiten. Neben

Konsultationsräumen, einem gynäko- logischen Untersuchungsraum, einem Operations-Raum und einem Labor gibt es diverse Büros sowie einen kleinen Konferenzraum. Betten für hospitalisierungsbedürftige Patienten stehen nicht zur Verfügung. Bedingt durch Witterungs- einflüsse und in- tensiven Gebrauch ist das Gebäude stark renovierungs- bedürftig.

Unter dem 54- jährigen Direktor, einem Überleben- den des Pol-Pot- Regimes, arbeiten 14 Ärzte, 24 Kran- kenschwestern und fünf Laboranten in der Regel von 7.30 Uhr bis 11 Uhr und von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr. Das vom Staat gezahlte Gehalt beträgt je nach Qualifikation zwischen 20 und 35 DM im Monat, Beträge, die auch bei bescheidensten Ansprüchen ein Leben in Phnom Penh nicht erlauben. Nahezu alle im Zentrum Tätigen gehen deshalb zu- sätzlich anderen Beschäftigungen nach – seien es der Betrieb einer Apo- theke, private Sprechstunden, Aushil- fe bei NGOs oder auch fachfremde Tätigkeiten.

Weder das NCDV noch andere medizinische Einrichtungen in Kam- bodscha verfügen über einen für Haut- und Geschlechtskrankheiten weitergebildeten einheimischen Arzt.

Auf Initiative des thailändischen Gesundheitsministeriums konnte seit 1995 jedoch ein Arzt pro Jahr zu einem zwölfmonatigen Diplom-Kurs in das renommierte „Institute of Dermatology“ nach Bangkok entsen- det werden. Bislang haben drei Ärzte diesen Kurs absolviert. Diese und künftige Absolventen werden hof- fentlich die Keimzelle einer quali- fizierten Betreuung von dermatologi- schen Patienten bilden.

Das NCDV versorgt rund 50 Pa- tienten am Tag, was, gemessen am A-271 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 5, 5. Februar 1999 (35)

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Im Labor: Die von einer japanischen NGO gespen- dete Zentrifuge wird zuweilen zweckentfremdet.

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Personal, rund vier Patienten pro Arzt und Tag ergibt. Die relativ gerin- ge Fallzahl hat mehrere Ursachen:

1Mangels Kenntnis der Ein- richtung infolge schlechter Transport- möglichkeiten und unzureichender finanzieller Mittel ist für zahlreiche Patienten das Zentrum unerreichbar.

Eine wesentliche Rolle spielt auch die mangelnde Bereitschaft der Ärzte, ihre Patienten zu überweisen.

1Diagnostik und Therapie sind kostenpflichtig. Lediglich die Ärm- sten der Armen und Mönche sind von der Konsultationsgebühr in Höhe von einer DM befreit und erhalten einige wenige Basismedikamente kostenlos (zum Beispiel Whitfield-Creme, Vase- line, Calamin-Lotion oder Gentiana- violett-Lösung). Alle anderen Medi- kamente müssen selbst bezahlt wer- den. Ein Krankenversicherungssy- stem existiert nicht.

1Obwohl von staatlicher Seite Kostenfreiheit zugesichert wurde, sind Diagnostik und Therapie der klassi- schen sexuell übertragbaren Erkran- kungen aufgrund des beengten Ge- sundheitsetats kostenpflichtig. Im Fal- le einer Syphilis fallen hier leicht Ko- sten von zehn bis 12 DM an – ein für viele Patienten unbezahlbarer Betrag.

Aufgrund der Unterstützung von fran- zösischen und amerikanischen Hilfsor- ganisationen sind HIV-Tests sowie die damit verbundenen Beratungen frei.

HIV: Alarmierende Zahlen

Bei den Patienten fällt das ge- samte Spektrum der Haut- und Ge- schlechtskrankheiten an, wobei die Erkrankungen vielfach wesentlich ausgeprägter und weiter fortgeschrit- ten sind als in Ländern mit einer gere- gelten medizinischen Versorgung. Die nicht seltenen systemischen Kolla- genosen wie Lupus erythematodes oder Sklerodermie stellen aufgrund der unzureichenden diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten ein großes Problem dar. Die Vitiligo ist weit verbreitet und kann erhebliche soziale Folgen haben, weil sie vom Laien häufig mit der stark stigmatisier- ten Lepra verwechselt wird. Viele Er- krankungen sind auf einen kritiklosen und nicht indizierten Medikamenten- gebrauch zurückzuführen, darunter

vor allem allergische und toxische Re- aktionen sowie die Palette der Korti- koid-Nebenwirkungen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Krankhei- ten infektiöser Ätiologie: bakteriellen und viralen Infektionen der Haut so- wie parasitären Infestationen. Mali- gne Tumoren, insbesondere Pigment- tumoren, scheinen – wohl aufgrund der stärkeren Pigmentierung der Haut – außerordentlich selten zu sein.

Im Rahmen der sexuell übertra- genen Erkrankungen weisen vor allem die Morbiditäts- und Mortalitätsraten an HIV-bedingten Komplikationen alarmierende Werte auf. Dies wird be- legt durch Seroprävalenzuntersuchun- gen an ausgesuchten Gruppen. Neue- ste offizelle Angaben gehen von 150 000 HIV-Infizierten aus, was 2,8 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren entspricht. Zusätzlich

18 600 AIDS-Kranke und 15 100 an AIDS Verstorbene lassen die Dimen- sion des Problems erahnen. Bereits 5 500 Kinder unter 15 Jahre haben die Mutter oder beide Elternteile durch AIDS verloren. Für die Mehrzahl der meist heterosexuell infizierten Patien- ten sind die Behandlungsmöglichkei- ten gering. Eine antiretrovirale Thera- pie steht aus Kostengründen routi- nemäßig nicht zur Verfügung (darüber hinaus ist das erforderliche Monitor- ing mangels apparativer Ausstattung und Know-how nicht gewährleistet).

In Krankenhäusern, die der staatli- chen Kontrolle unterstehen, werden

Komplikationen behandelt, sofern der finanzielle Hintergrund des Patienten es erlaubt. Ausgenommen hiervon ist die weitverbreitete Tuberkulose, die im Rahmen eines staatlichen Pro- gramms unentgeltlich behandelt wird.

Häuser, die von Hilfsorganisationen kofinanziert werden, behandeln nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten.

Wie auch in anderen Einrichtun- gen ist die medikamentöse Versorgung von Patienten im NCDV besonders schwierig. Sofern nicht auf die Basis- medikamente (deren Verfügbarkeit nicht immer gewährleistet ist) zurück- gegriffen werden kann, erhält der Pati- ent ein Rezept. Die Patienten müssen sich dann auf die Suche nach dem ent- sprechenden Präparat machen, was mühselig sein kann, da jede Apotheke ein unterschiedliches und unvorher- sehbares Sortiment führt. Der größte

Teil der in Kambodscha außerordent- lich zahlreichen Apothekenbesitzer ist fachlich nicht oder nur unzureichend vorgebildet, obwohl das Gesundheits- ministerium vorschreibt, daß in jeder Apotheke jederzeit wenigstens ein ap- probierter Apotheker anwesend sein muß. Patienten erhalten nicht selten völlig andere Präparate, als ihnen ver- ordnet wurden: sei es, daß in der Apo- theke der Name des Präparates ver- wechselt wurde, oder sei es, daß nach eigenem Gutdünken Präparate ausge- tauscht wurden, um den Kunden nicht zu verlieren. Ein weiteres Problem stellen abgelaufene, gefälschte und ge- A-272 (36) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 5, 5. Februar 1999

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Die vier Patienten des Zentrums sind Häftlinge – links ihr Aufpasser.

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streckte Präparate dar. Die finanzielle Belastung ist für die Patienten in der Regel erheblich – daran ist bei der Ver- ordnung stets zu denken.

Die Stellung des Faches Derma- tologie im Rahmen des universitären Unterrichts entspricht nicht seinem Umfang. Als Teilgebiet der Inneren Medizin werden den Haut- und Ge- schlechtskrankheiten zehn Doppel- stunden pro Jahrgang eingeräumt.

Die umfangreiche Thematik kann in diesem Zeitraum nicht annähernd ab- gedeckt werden. Außerdem verfügen zahlreiche Studenten aufgrund ihrer vielfach unzureichenden Schulbil- dung kaum über geeignete Vorausset- zungen für ein Universitätsstudium.

Die Dozenten des NCDV können le- diglich versuchen, ihnen während der abzuleistenden Praktika die häufig- sten Erkrankungen nahezubringen.

Langfristige Aufbauarbeit

Die medizinische Versorgung in Kambodscha muß dringend verbessert werden. Dieses Ziel ist jedoch nicht durch kurzfristige Hilfsprogramme er- reichbar, so sinnvoll diese auch im Ein- zelfall sein mögen. Entscheidend ist ein langfristig konzipiertes Angebot der Hilfe zur Selbsthilfe. Priorität hat dabei die Qualifizierung des einheimischen Personals: Die schulische Ausbildung muß verbessert und die Leistungsfähig- keit der Medizinischen Fakultät der Universität aufgewertet werden. Nur auf der Basis einer langfristigen Auf- bauarbeit ist die Besetzung von Schlüs- selpositionen im Gesundheitswesen mit qualifiziertem und motiviertem Personal zu erreichen. Davon wieder- um ist die nachhaltige Stärkung der me- dizinischen Ausbildung und damit die dauerhafte Verbesserung der Patien- tenversorgung direkt abhängig.

Anschrift des Verfassers

Dr. med. Christoph Bendick, M.A.

National Center of

Dermatology and Venerology P.O. Box 2249

Phnom Penh 3, Kambodscha

Christoph Bendick arbeitet seit 1994 in Phnom Penh. 1996 wurde er vom Deutschen Akademi- schen Austauschdienst als Langzeitdozent im Fach „Haut- und Geschlechtskrankheiten“ an die Medizinische Fakultät der Universität vermittelt.

A-274 (38) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 5, 5. Februar 1999

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND/TAGUNGSBERICHT

ie Weichen für das Berufsziel Allgemeinmedizin werden im Studium gestellt“, sagte die Vorsitzende der Vereinigung der Hochschullehrer und Lehrbeauftrag- ten für Allgemeinmedizin, Prof. Dr.

med. Waltraut Kruse aus Aachen, bei der Eröffnung des 24. Symposiums Anfang November in München. Aber hier liegt manches im argen. Sie hat im vergangenen und in diesem Jahr in der Erstvorlesung des Winterseme- sters die Studienanfänger gefragt, wer von ihnen Hausarzt werden möchte:

1997 waren es sieben, 1998 gerade ein- mal drei Studenten.

Am Ende des Medizinstudiums steht allerdings auch nicht unbedingt der Idealtypus des Hausarztes. Prof.

Dr. med. Michael M. Kochen, Direktor der Abteilung Allge-

meinmedizin der Uni- versität Göttingen, stellte die These auf:

„Heute sind nur weni- ge Studienabgänger in der Lage zu kommu- nizieren, zu untersu- chen oder Kranke em- pathisch zu begleiten, weil sie es an der

Hochschule nicht gelernt haben oder weil die Falschen das Medizinstudium gewählt haben.“

Das geduldige Zuhören, das Nicht-Unterbrechen des Patienten, auch das Berühren des Kranken, überhaupt die Psychologie des Krank- seins müßten im Studium erlernt wer- den. Die Frage sei, wie sich das umset- zen läßt, gab Kochen zu bedenken. Er hält einen Kommunikationskurs für wichtig, der an den meisten Hoch- schulen noch eine Rarität ist, ebenso einen Ethikkurs. Auch die Untersu-

chungskurse müßten deutlich ausge- weitet werden, möglichst unter Betei- ligung von allgemeinmedizinischen Lehrpraxen. „Wir müssen davon abkommen“, meinte Kochen, „nur Kenntnisse abzufragen. Auch Fähig- keiten und Fertigkeiten können ge- prüft werden.“

Der Karlsruher Allgemeinarzt Dr. med. Uwe Müller-Bühl, Lehrbe- auftragter für Allgemeinmedizin an der Universität Heidelberg, hat 1997 Erstsemester nach ihren Erwartungen an das Studium und an die spätere Be- rufsausübung befragt. Von 208 Frage- bogen kamen 175 zurück. 48 Prozent der Studenten hatten schon eigene Erlebnisse als Patienten gemacht. Von diesen nannten 81 Prozent die Ver- traulichkeit, 70 Prozent die rasche

Hilfe als die wesentlichen Aspekte, die sie bei der Behandlung wahrge- nommen hatten. Dagegen waren In- formationen über die Krankheit (46 Prozent) oder Zeit zum Reden und Zuhören (30 Prozent) ganz unten auf der Skala angesiedelt.

Fast alle Studenten erwarteten von der Ausbildung den Erwerb fach- licher Kompetenz. Als Motiv für die Berufswahl wurden vor allem ge- nannt: die Möglichkeit, anderen zu helfen, die interessante Tätigkeit, die menschliche Herausforderung. Unter

Allgemeinmedizin und Hochschule

Wie werden aus

Studenten Hausärzte?

Die Vereinigung der Hochschullehrer und Lehrbeauftragten für Allgemeinmedizin konstatiert: Medizinstudenten werden nicht genügend auf eine hausärztliche Tätigkeit vorbereitet.

D

»Heute sind nur wenige Studienabgänger in der Lage zu kommunizieren, zu untersuchen oder Kranke empathisch

zu begleiten.«

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den Antworten auf die Frage „Was haben Sie sich für Ihre spätere Berufs- ausübung vorgenommen?“ rangier- ten an der Spitze: Zuhören, Reden, Erklären, ganzheitliche Betreuung, sich Zeit nehmen für die Patienten.

Als Wunschfach nannten unter den männlichen Studenten 23 Prozent In- nere Medizin, 22 Prozent Chirurgie und 20 Prozent Allgemeinmedizin, unter den Studentinnen präferierten 36 Prozent die Kinderheilkunde, 24 Prozent nannten Allgemeinmedizin.

Aus gesundheitspolitischer Sicht nannte Ministerialdirigent Dr. Joa- chim Kohler, Abteilungsleiter Ge- sundheitswesen im Innenministerium von Baden-Württemberg, drei Leitli- nien für die Ausbildung von Ärzten:

Da ist zunächst die Patienten-Orien- tierung. Sie bedeutet, daß der Patient mündiger Nachfrager nach Gesund- heits-Dienstleistungen sein soll. Das setzt Transparenz und Information voraus. Kohler betonte die freie Arzt- wahl als wesentliches Element („Dem steht nicht die Lotsenfunktion des Hausarztes entgegen“) und den glei- chen Zugang aller Patienten zu allen Gesundheitsleistungen.

Qualitätsorientierung ist die zweite gesundheitspolitische Leitli- nie: Kohler nannte es erfreulich, daß das Qualitätsmanagement mehr und mehr in Gang komme, auch in seinen Auswirkungen auf die Wirtschaftlich- keit der Versorgung. Die Qualitätsori- entierung gehöre unbedingt zum Aus- bildungsauftrag der Hochschule.

Als dritte Leitlinie nannte er

„vernetzte Strukturen“. Das habe be- gonnen mit der Kooperation von Krankenhäusern, werde fortgesetzt durch die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelasse- nen Ärzten und entwickle sich weiter durch die Kooperation der niederge- lassenen Ärzte mit anderen Gesund- heitsberufen. Für die Ärzte sieht er in den vernetzten Strukturen eine große Chance. „Auch das sollte den Medi- zinstudenten während ihres Studiums beigebracht werden.“

Die Approbationsordnung muß nach seinen Worten den Ausbildungs- auftrag aus der Sicht der Gesundheits- politik widerspiegeln. Daher sei es auch selbstverständlich, daß es bei der Änderung der Approbationsordnung um eine Verstärkung der Allgemein-

medizin und der hausärztlichen Tätig- keit gehen müsse.

Prof. Dr. med. Gerhard Lehnert, Präsident des Medizinischen Fakultä- tentags, wies darauf hin, daß die Ge- sundheitsminister-Konferenz im De- zember 1997 den Entwurf einer neuen Approbationsordnung vorgelegt hat, der von den Medizinischen Fakultä- ten vorbehaltlos mitgetragen werde.

Diesem breiten fachlichen Konsens werde sich wohl auch die neue Bonner Koalition nicht verschließen können.

Zentrales Problem der Ausbil- dung ist für Lehnert die Kapazitäten- frage, und die Ge-

sundheitsminister seien nun endlich bereit, das Kapa- zitätsrecht an die realen Verhältnisse anzupassen. Wenn die neue Approba- tionsordnung end- lich komme, werde manches einfacher,

auch für die Allgemeinmedizin. Nach Ansicht des Ministerialbeamten Kohler sind die Vertreter der Kultus- und Wissenschaftsministerien die ei- gentlichen Bremser bei der Umsetzung einer Studienreform.

Was unter heutigen Bedingungen machbar ist, schilderte der nordbadi- sche Allgemeinarzt Dr. med. Thomas Amon am Beispiel der Universität Heidelberg, an der er einen Lehrauf- trag für Allgemeinmedizin hat. Im

„Heidelberger Modell“ werden die Studenten bereits in den vorklini- schen Semestern in die allgemeinme- dizinische Praxis eingebunden.

Seit dem Sommersemester 1995 haben mehr als 50 Prozent aller Stu- dienanfänger in Heidelberg an dem Modell teilgenommen. Die Studenten hospitieren an zwei Tagen pro Seme- ster in einer Allgemeinarzt-Praxis.

Für die angestrebte kleinste Unter- richtseinheit – ein Arzt, ein Patient, ein Student – werden rund 150 Praxen benötigt, die maximal an 20 Tagen im Jahr einen Studenten aufnehmen sol- len. Nachdem es so viele Praxen in Heidelberg nicht gibt, hat man alle Allgemeinärzte in der Kassenärztli- chen Vereinigung Nordbaden um Be- teiligung gebeten. 233 der rund 1 000 niedergelassenen Allgemeinärzte ha- ben sich dazu bereit erklärt.

Die Hospitationen sollen immer in derselben Praxis stattfinden, damit sich eine zunehmende Vertrautheit mit der Praxis ergibt und eine Längs- schnittbeobachtung von Patienten- und Praxisproblemen möglich wird.

Leitthemen sind im ersten Semester der Einblick in eine Praxis, im zweiten Semester die Subjektivität der Patien- ten, im dritten Semester das Arzt-Pa- tienten-Gespräch und im vierten Semester Befinden und Befund. Im fünften und sechsten Semester wer- den allgemeinärztliche Untersuchungs- kurse hinzukommen. Begleitseminare an der Uni er- gänzen die von den Studenten gemachten Er- fahrungen. Die Akzeptanz ist Amon zufolge sehr groß. Der praxisgestützte Unterricht er- füllt den Wunsch der Studenten, auch menschlich-ärzt- liche Fähigkeiten einzuüben.

Die Hausärzte, die sich zur Auf- nahme von Studenten bereit erklärt haben, nennen als Gründe dafür:

– Die hausärztliche Allgemein- medizin gehört als Fach in die Hoch- schule (85 Prozent).

– Nur der Umgang mit Patienten vermittelt die ärztlich-menschliche Kompetenz (73 Prozent).

– Die Studenten können erleben, wozu sie Medizin studieren (64 Pro- zent).

Auch die Patienten reagieren überwiegend (72 Prozent) positiv auf die Anwesenheit eines Studenten bei ihrem Hausarzt. Das Praxispersonal kommt ebenfalls gut mit den Gästen von der Uni zurecht. 89 Prozent der Studenten bezeichneten die Praxis- Mitarbeiter als kooperativ.

Aus den Erfahrungen in Heidel- berg folgert Amon, daß die zusätzli- chen Aufgaben in Lehre und For- schung dauerhaft mit den bisherigen Mitteln und Strukturen nicht zu be- wältigen sind. Die Bereitschaft der Ärzte, ihre Praxen zu öffnen, sei groß, allerdings unter der Voraussetzung, daß keine zusätzliche Belastung ent- stehe. Für die zwei Tage Hospitation eines Studenten erhält der Praxisin- haber 150 DM. Klaus Schmidt A-275 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 5, 5. Februar 1999 (39)

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

»Die Kultus- und Wissenschaftsministerien

sind die Bremser

der Studienreform.«

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