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Archiv "Hearings zur Gesundheitsreform: „Etliche neue Erkenntnisse“" (04.07.2003)

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as Gesundheitswesen ist als Hai- fischbecken verschrien. Bleibt man bei dem Bild, dann kam es am Montag vergangener Woche bei der ersten Anhörung des Gesundheitsaus- schusses zur Gesundheitsreform 2003, zu einem munteren Stelldichein der ge- fürchteten Meeresbewohner. Gekom- men waren sie fast alle nach Berlin – große und kleine Haie, friedliche und aggressive. Am sicheren Beckenrand saßen die Gesundheitspolitiker der Fraktionen. In einer zehnstündigen Marathonsitzung, unter-

brochen nur durch drei kurze Pausen, befrag- ten sie Verbändever- treter und Einzelsach- verständige zum ge- planten Gesundheits- systemmodernisierungs- gesetz (GMG) und zu Alternativvorstellungen der Union und der FPD. Das war aller- dings nur der Anfang, denn die Anhörung setzte sich über mehre- re Tage fort.

Eine komplette Kurs- änderung von Regie-

rung sowie roter und grüner Fraktion, darüber bestand bei den Kritikern des GMG im Vorfeld kein Zweifel, würden die stundenlangen Fragen und Antwor- ten nicht bewirken. Über Kursänderun- gen wurde sowieso einen Tag nach der ersten Anhörungsrunde an einem ganz anderen Ort beraten. Am vergangenen Dienstag trafen sich bekanntlich Bun- desgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und der stellvertretende Frakti- onsvorsitzende der Union, Horst See- hofer (CSU), mit Fachpolitikern zu ei- nem vertraulichen Gespräch über eine

mögliche Zusammenarbeit bei der Ge- sundheitsreform.

Ergebnis: Das straff organisier- te GMG-Gesetzgebungsverfahren wird ausgesetzt. SPD und Bündnis 90/Die Grünen schieben ihre Positivlisten-Pläne auf die lange Bank, die Union ihren An- trag auf eine Änderung des Beitragssatz- sicherungsgesetzes. Stattdessen wollen beide Seiten am 4. Juli Konsensverhand- lungen aufnehmen mit dem Ziel, bis En- de Juli Eckwerte einer gemeinsamen Re- form zu vereinbaren. Im August soll dann

ein neuer Gesetzentwurf erstellt werden.

Ihren generellen Segen bekam diese par- tielle Vernunftehe bereits am vergange- nen Mittwoch von Bundeskanzler Ger- hard Schröder (SPD) und der CDU-Par- teivorsitzenden Angela Merkel.

Die Anhörungen im Gesundheitsaus- schuss liefen jedoch weiter. Die unter- schiedlichen Reformvorschläge liegen schließlich nach wie vor auf dem Tisch.

Werden Pro und Contra wie geplant erörtert, bleibt den Fachleuten im Parlament mehr Zeit, die Fülle der auf- genommenen Informationen zu ver-

arbeiten. Schließlich erstreckte sich das Themenspektrum der Befragungen von

„A“ wie „Arzneimittelversorgung“ bis

„Z“ wie „Zentrum für Qualität in der Medizin“.

Am Montag früh, zu Beginn der An- hörung, spielt das „Z“ eine besondere Rolle. „Ein Aufmarsch, als ob Baren- boim ,Parsifal‘ dirigiert“, scherzt ein äl- terer Herr im Großen Saal des Bundes- finanzministeriums. 138 Verbände und 15 Einzelsachverständige waren zur Anhörung geladen, fast alle kommen.

Der Saal füllt sich, man begrüßt sich, gibt – wie Prof. Dr. med. Dr. sc.

Karl W. Lauterbach – noch rasch ein Inter- view. Meist finden An- hörungen zu gesund- heitspolitischen The- men in den Sitzungs- sälen von SPD oder Union im Reichstag statt, doch am Montag ist man aus Platzgrün- den zu Hans Eichel ausgewichen.

Wer im Saal ange- langt ist, hat schon einen flughafenähnli- chen Sicherheitscheck am Eingang mit Ausweis- und Taschenkontrolle hinter sich. Oben, vor dem Saal, kann man sich dann bedienen; zwar nicht an einem Buffet, aber an den Tischen, auf denen sich die Stellungnahmen stapeln. 110 Kopien von jeder hat das Sekretariat des Gesundheitsausschusses hier ausgelegt.

Ob Bundesverband der Innungskran- kenkassen, Komitee Forschung Na- turmedizin oder Kassenärztliche Bun- desvereinigung – wer zur Anhörung ein- geladen ist, hat ein Anliegen und meist auch eine umfangreiche Stellungnahme P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 274. Juli 2003 AA1837

Hearings zur Gesundheitsreform

„Etliche neue Erkenntnisse“

Ulla Schmidt und Horst Seehofer vereinbaren eine Denkpause. Im August soll ein neuer Gesetzentwurf stehen.

Unterdessen holt der Gesundheitsausschuss Expertenmeinungen zur Gesundheitsreform ein.

Gemeinsames Strahlen: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Unions-Gesund- heitsexperte Horst Seehofer (CSU) wollen Eckpunkte für eine Reform des Gesund- heitswesens ausarbeiten, auf die sich Regierung und Opposition einigen könnten.

Foto:ddp

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zu bieten. Sie wird seit Anfang des Jah- res meist als E-Mail an die Ausschuss- mitglieder und deren Stellvertreter ge- schickt, an Fraktionsreferenten, Landes- vertretungen; großer Verteiler also.

Kurz nach zehn Uhr. „So meine Da- men und Herren, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen“, verlangt der Aus- schussvorsitzende Klaus Kirschner (SPD). Die Stichpunkte für die näch- sten drei Stunden hat jeder der Anwe- senden im Kopf: „Regelungen zur Ver- besserung der Qualität der Versorgung, Maßnahmen zur Qualitätssteigerung der medizinischen Versorgung und Ein- richtung eines Deutschen Zentrums für Qualität in der Medizin (DZQM).“

Lange gefackelt wird nicht. Helga Kühn-Mengel (SPD) schaltet ihr Tisch- mikrofon ein und möchte wissen, wieso die Einrichtung eines solchen Zentrums notwendig ist und welche praktischen Auswirkungen es für die Versicherten

hätte. Die Fragen sollten bitte die Ein- zelsachverständigen Prof. Lauterbach und Prof. Dr. Peter T. Sawicki beantwor- ten sowie Dr. rer. nat. Gerd Antes für das Deutsche Cochrane Zentrum und Dr. Ursula Engelen-Kefer für den Deutschen Gewerkschaftsbund.

Überraschung bei den Experten?

Keineswegs. Anhörungen sind bestens vorbereitet, nicht wenige meinen: viel zu abgekartet. Dazu gehört, dass die Fraktionen „ihren“ Experten teilweise schon im Vorhinein detaillierte Frageli- sten übermitteln. Das macht manchmal Sinn, denn selbst ein Fachmann hat nicht alle erfragten Daten auf Anhieb parat. Beispiel: Die Anhörung zur ge- planten Positivliste im Frühjahr. Dort wurden komplexe Berechnungen zu Substitutionseffekten präsentiert, die man nicht aus der Tasche zaubern kann.

Andererseits können entsprechend in- struierte Experten zuweilen mit Detail-

wissen glänzen, ihre Gegenspieler aber nicht.

Im Großen Saal hat Prof. Lauterbach als Erster das Wort. Das Zentrum werde dazu beitragen, Über-, Unter- und Fehl- versorgung abzubauen, erläutert Lauter- bach. Für die Patienten werde sich die Wahrscheinlichheit erhöhen, nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand be- handelt zu werden. Sawicki weist darauf hin, dass ein solches Zentrum wichtig sei, damit sich Ärzte und Patienten frei und unabhängig entscheiden könnten. Antes betont, dass beim Wechsel zum Einzel- vertragssystem für Fachärzte der Bun- desausschuss in seiner heutigen Form nicht mehr zu halten sei. Auch deshalb sei „eine andere Konstellation zwin- gend“, sprich: das DZQM als normative Ebene für die Ärzte außerhalb des Kol- lektivvertragssystems notwendig.

Dann ist Kühn-Mengeles Partei- freund Horst Schmidbauer an der Rei- P O L I T I K

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A1838 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 274. Juli 2003

Mit jeder Anhörung wird bei Abgeord- neten, Fachleuten und Journalisten der Blick für die wunden Punkte eines Ge- setzesvorhabens geschärft, beispiels- weise für Vorgaben, die praxisuntaug- lich sind oder keinesfalls so viel Geld einsparen helfen, wie sie angeblich sol- len. Hier kann die Opposition die Re- gierungsfraktion in die Zange nehmen und unangenehme Wahrheiten zutage befördern helfen. Anhörungen sind schließlich ein Minderheitenrecht. So heißt es in § 70 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages: „Bei über- wiesenen Vorlagen (aus dem Bundes- tag an den Ausschuss,Anm. d. R.) ist der federführende Ausschuss auf Verlan- gen eines Viertels seiner Mitglieder da- zu verpflichtet; bei nicht überwiesenen Verhandlungsgegenständen . . . erfolgt eine Anhörung auf Beschluss des Aus- schusses.“ In der Regel wird eine öf- fentliche Anhörung angesetzt, wenn der Gesundheitsausschuss über einen Gesetzentwurf nach der ersten Lesung federführend beraten muss.

Wie viele Verbände oder Einzelsach- verständige gehört werden und wer – das ist ein heikles Thema. Auch hier macht die Geschäftsordnung des Bun-

destages eine entsprechende Vorgabe:

Beschränkt man sich auf eine bestimm- te Expertenzahl, so „kann von der Min- derheit nur der ihrem Stärkeverhältnis im Ausschuss entsprechende Anteil an der Gesamtzahl der anzuhörenden Auskunftspersonen benannt werden“.

Praktisch legen die Gesundheitsobleu- te von SPD, Union, Grünen und FDP einvernehmlich fest, welche Verbände gehört werden sollen. Einzelsachver- ständige dagegen lädt jede Fraktion nach einem bestimmten Schlüssel selbst ein.

Manche Verbände und Organisatio- nen sind in nahezu jeder Anhörung ver- treten, weil sie stets betroffen sind, bei- spielsweise die Verbände der Kranken- kassen, aber auch Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereini- gung. Wenn den Obleuten klar ist, dass die Meinungen innerhalb eines „La- gers“ auseinander gehen, werden meh- rere Verbände einladen. Auch hier ist die GMG-Anhörung ein gutes Beispiel:

Bewusst wurden nicht nur KBV und Bundesärztekammer, sondern auch der Deutsche Hausärzteverband, die Ge- meinschaft Fachärztlicher Berufsver- bände und zahlreiche andere ärztliche

Gruppierungen um Stellungnahmen gebeten. Manch einer wurde jedoch nur für einen Tag wegen eines bestimmten Aspekts nach Berlin gebeten. Extrem hohe Kosten verursacht das dem Bun- destag nicht. Denn nur die Einzelsach- verständigen bekommen ihren Auf- wand vergolten und erhalten normaler- weise für ihre Beteiligung an einer eintägigen Anhörung durchschnittlich 500 Euro für Reisekosten, Übernach- tung und Verpflegung. Die Verbände müssen ihre Beteiligung dagegen selbst finanzieren. Man erwartet, dass sie das im eigenen Interesse gern tun.

Damit eine Anhörung des Gesund- heitsausschusses nicht im Chaos endet, werkelt hinter den Kulissen ein neun- köpfiges Sekretariat. Von dort aus wer- den Experten eingeladen, Stellungnah- men gesammelt und vervielfältigt, Ter- mine koordiniert, das umfangreiche Pro- tokoll erstellt und verteilt. Viel Zeit ist nicht, denn häufig soll bereits zwei, drei Wochen nach der ersten Lesung eines Gesetzes ein Anhörungstermin festste- hen. Ist die Gästeliste vollständig, wird die Sitzordnung entworfen. Hier spielen sachliche Überlegungen eine Rolle, nicht divergierende Auffassungen. Deshalb sitzt Hausarzt neben Facharzt, AOK- neben IKK-Geschäftsführer, Prof. Lauterbach neben Prof. Dr. med. Fritz Beske. Rie

Anhörung: Recht der Minderheit

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he. Wer fragt, in welcher Reihenfolge, was – auch das wird vorher in der Frak- tion weitgehend geklärt. Schmidbauer will aus berufenem Mund den Unter- schied zwischen Leitlinien und Richtli- nien erläutert bekommen und wissen, ob sich denn eine Behandlung auf Basis von Leitlinien tatsächlich den Vorwurf der „Kochbuch- oder Listenmedizin“

gefallen lassen müsse. Antworten möge als Erster – Lauterbach. Nach diesem Muster vergehen die nächsten 45 Minu- ten. Dann hat der Kölner Professor ein wenig Zeit sich auszuruhen. Die Rede- zeit der SPD in der ersten Fragerunde ist verbraucht.

Die andere Seite ist an der Reihe, in jeder Hinsicht. Warum man die Auffas- sung von CDU/CSU teile, dass das Zen- trum einen Einstieg in die Staatsmedi- zin bedeute, fragt Ausschussmitglied Andreas Storm (CDU). Als erstes möchte er von Prof. Dr. med. Jörg-Diet- rich Hoppe eine Antwort, Präsident der Bundesärztekammer, dann vom Einzelsachverständigen Prof. Dr. med.

Bruno Müller-Oerlinghausen, Vorsit- zender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, schließlich von Dr. jur. Rainer Hess, Hauptge- schäftsführer der Kas-

senärztlichen Bundes- vereinigung (KBV).

Wie kritikwürdig die drei die vorherigen Äußerungen von Lau- terbach und anderen auch fanden – sagen dürfen sie dazu streng genommen nichts. Denn bei Anhörungen gilt:

Antworten darf nur, wer gefragt wird. Und wer gefragt wird, be- zieht sich exakt auf die gestellte Frage, zumin- dest theoretisch.

Prof. Hoppe antwor-

tet. Leitlinien seien als Instrument nicht umstritten; es komme jedoch darauf an, wer sie erstelle und implementiere, sagt er als erstes. Das ist keine direkte Antwort auf Storms Frage. Aber es ist eine geschickte Replik auf die Experten zuvor, die von allen gehört und ins Wortprotokoll aufgenommen wird. Dann macht der Kammerpräsident deutlich, weshalb die Bundesärztekammer dem

Zentrum skeptisch gegenübersteht: Die ganze Konstruktion beinhalte „eine sehr mechanische Vorstellung“ des Arzt-Patient-Verhältnisses. Es sei aber ein Fehler zu glauben, man könne etwas derart Individuelles so stark von oben steuern. Ähnlich sieht es Müller-Oer- linghausen: Wenn Leit-

linien nicht durch Ärzte selbst entwickelt und dann umgesetzt wür- den, sondern von oben, würden sie nicht ange- nommen.

Noch deutlicher wird Hess: Die Schaffung ei- nes DZQM sei ein Paradigmenwechsel hin zur Staatsmedizin. Er hat auch bei den näch- sten Fragen der Union reichlich Gelegenheit, die Kritik der KBV an- zubringen und auf ei- nen Alternativvorschlag zu verweisen, den man mit den Krankenkas-

senverbänden erarbeitet habe. Diese lehnen das DZQM in seiner jetzigen GMG-Konstruktion nämlich ebenfalls ab und würden ein un- abhängiges Gremium bevorzugen, das die ge- meinsame Selbstverwal- tung berät.

Fragen, Antworten, Fragen, Antworten.

Nach rund einer halben Stunde haben die Kon- servativen und die von ihnen befragten Exper- ten ihre Redezeit auf- gebraucht. Nun sind die Grünen und die FDP an der Reihe. Zweite Runde, kurze Pause.

Vor der Saaltür kann man sich an einem klei- nen Stand mit Nudelsalat, Brötchen und Buletten stärken. Dann geht es wei- ter: Veränderungen der Versorgungs- strukturen und die Reform des ärztli- chen Vergütungs- und Abrechnungs- systems stehen heute noch auf dem Programm.

Wem nutzen stundenlange Befra- gungen, wenn die meisten Abgeordne- ten sich scheinbar doch nur nach dem

erkundigen, was sie sowieso schon wis- sen, und dann auch noch bei denjeni- gen, die sie – wie Prof. Lauterbach die SPD-Fraktion – schon beraten? „An- hörungen stehen immer im Verdacht einer Alibiveranstaltung“, findet Dr.

med. Jörg-Andreas Rüggeberg, Vor- sitzender der Arbeits- gemeinschaft Fachärzt- licher Berufsverbände.

Zumutungen seien An- hörungen wie diese, ärgert sich Prof. Dr.

med. Klaus-Dieter Kos- sow, Bundesvorsitzen- der des Deutschen Haus- ärzteverbandes: Bei 30 Grad im Schatten sitze man Stunden in zu en- gen Räumen und er- kenne einmal mehr:

„Große Reformen ma- chen großes Gesülz.“

Andererseits höre man immer wieder einmal Argumente und wisse:

„Daran hast Du nicht gedacht.“ Kritisch äußert sich auch KBV-Hauptgeschäftsführer Hess: „Man fragt die Positionen ab, die man hören will.“

Die Parlamentarier sehen das an- ders. „Die Sitzungen der vergangenen Tage haben zu etlichen neuen Erkennt- nissen geführt“, befindet SPD-Gesund- heitsexperte Horst Schmidbauer am Freitag zufrieden. Nun gelte es, das Gehörte gegebenenfalls in das Reform- werk einfließen zu lassen. „Natürlich versucht jede Seite, insbesondere durch Befragung der Einzelsachverständigen, auch Bestätigungen für die eigene Posi- tion zu erhalten“, räumt er gleichwohl gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt ein.

Auch Ausschussmitglied Dr. med.

Hans Georg Faust (CDU) sieht nun kla- rer. Neue Erkenntnisse gewinne man insbesondere dann, wenn Sachverstän- dige ihre Botschaften prägnant vermit- teln können. So könne man etwas damit anfangen, wenn einem beispielsweise gesagt werde, dass eine GKV-Bürger- versicherung faktisch eine Erhöhung der Staatsquote bedeute. Und dass der

„eigene“ Sachverständige plötzlich fachlich fundiert etwas anderes vertrete als erwartet, komme durchaus vor.

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Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 274. Juli 2003 AA1839

Ein kritischer Zuhörer: Klaus Kirschner (SPD) leitete als Vorsit- zender des Gesundheitsausschus- ses des Bundestages die mehrtä- gigen Expertenanhörungen ...

Foto:Dietmar Gust

... im Wechsel mit seinem Stell- vertreter, Wolfgang Zöller (CSU).

Foto:phalanx

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Ein Beispiel für diese Behauptung bietet Antes vom Deutschen Cochrane Zentrum. Zwar plädiert er, wie erwar- tet, für das DZQM, doch gegen Leitli- nien, die am Schreibtisch fernab der Praxis erstellt werden. Echte Leitlinien funktionierten nur, wenn Ärzte und Patienten eingebunden würden.

Storm findet: „Für mich sind An- hörungen das Salz in der Suppe der par- lamentarischen Arbeit.“ Hier könne man fundiertes Wissen erwerben und Anregungen erhalten, zum Beispiel wenn man Experten frage, wo sie noch Handlungsbedarf sehen würden. Er ist sich auch sicher, dass die Erkenntnis- se aus der GMG-Anhörung in die Konsensgespräche einfließen werden.

Auch Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen) hat einige Ideen aus der An- hörung mitgenommen, „besonders wenn es um mögliche Kompromissli- nien ging“. Die Arbeit im Ausschuss wird ihrer Meinung nach durch die be-

schlossenen Konsensgespräche keines- falls entwertet: „Solche Gespräche bie- ten mehr Raum zur Einigung als ein formelles Verfahren im Vermittlungs- ausschuss.“

Auch Dr. Dieter Thomae (FDP) ist der Ansicht, dass man immer neue Er- kenntnisse gewinnt. „Diese prüfen wir eingehend. Wenn Argumente plausibel sind, werden sie in Form von Ände- rungsanträgen aufgegriffen“, ergänzt er. Damit beschreibt der Liberale die Hauptbedeutung vieler Anhörungsver- fahren. Während die Marschrichtung eines Gesetzesvorhanbens ohnehin im verantwortlichen Ministerium bezie- hungsweise in „Hinterzimmergesprä- chen“ ausgearbeitet wird, obliegt es der Fachebene im Ausschuss, in einzel- nen Punkten nachzubessern. Schließ- lich steckt der Teufel oftmals im Detail.

Ausschussanhörungen sind deshalb in der Regel reine Arbeitssitzungen, de- nen jeglicher parlamentarischer Glanz

fehlt. Dafür liegt hin und wieder der Duft von Buletten und Kaffee in der Luft, denn bei Anhörungen darf geges- sen und getrunken werden. „Ich wün- sche der kassenartenübergreifenden Apfelrunde einen guten Appetit“, ruft Ausschuss-Vorsitzender Klaus Kirsch- ner zwischendurch einmal in den Saal, wo die Vertreter der Krankenkassen einträchtig kauen.

Ebenso einträchtig werden Redezei- tenblöcke getauscht, damit der Einzel- sachverständige Prof. Dr. Bernd Raffel- hüschen rechtzeitig zum Hauptstadt- kongress ans andere Ende der Stadt ei- len kann. Eines vereint am Ende eines Anhörungstags alle, ob Fragesteller oder Experten: die Mattigkeit nach stundenlanger Sitzung. Auch dafür hat Ausschussvorsitzender Kirschner noch einen Spruch parat: „So meine Damen und Herren, jetzt können Sie wieder munter werden: Jetzt hören wir nämlich auf.“ Samir Rabbata, Sabine Rieser P O L I T I K

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Stumme Experten

138 Verbände und Interessenorganisa- tionen, 15 Einzelsachverständige: Sie alle wurden eingeladen, um den GMG- Entwurf und konkurrierende Anträge der Opposition mehrere Tage lang zu beraten. Doch zu Wort kam in etwa nur jeder fünfte Experte – alle anderen mussten zuhören. Dies ist auch dann die Pflicht eines Experten, wenn er glaubt, eine Frage sachkundiger als ein anderer beantworten zu können oder gar eine falsche Antwort korrigieren zu können.

Dies findet Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen problematisch.

Der Vorsitzende der Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) war am vergangenen Montag als Einzelsachverständiger geladen, um zum Thema Qualität der Versorgung/

Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin Stellung zu nehmen. Er hatte jedoch seiner Auffassung nach nicht in ausreichendem Maß Gelegenheit, Be- hauptungen wie die zu widerlegen, dass es weder für die deutsche Ärzteschaft noch die Patientenschaft irgendeine in- dustrieunabhängige Information zu Nutzen und Risiken von Arzneimitteln

in Deutschland gebe. In seiner Stellung- nahme heißt es:

„Wie selbst der ,Spiegel‘ in seiner Ausgabe vom 31. 3. 2003 schrieb, be- sitzt die verfasste Ärzteschaft in Form der Arzneimittelkommission eine Insti- tution, die neutrale, kritische, indu- strieunabhängige Information liefert.

Diese Information steht allen deut- schen Ärzten und Ärztinnen in vielfa- cher Form, das heißt als Printmedium oder im Internet, zur Verfügung. Alle zwei Jahre erscheint das Buch ‚Arznei- verordnungen‘, das schon vor vielen Jahren eine quasi ärzteeigene Positivli- ste mit knapp 800 ausdrücklich emp- fohlenen Wirkstoffen darstellte. Vier- mal im Jahr wird zudem das Bulletin

‚Arzneiverordnung in der Praxis‘ ver- öffentlicht, das zur internationalen Ge- sellschaft der pharmaunabhängigen kri- tischen Drug Bulletins (ISDB) gehört.

Die hierin enthaltene Information wird zudem in Deutschland durch weitere unabhängige, pharmakritische Infor- mationsblätter wie ‚Arzneimittelbrief‘

oder ‚arznei-telegramm‘ optimal ergänzt.

Entsprechend Nr. 14 der Arzneimit- telrichtlinien erstellt die AkdÄ seit Jah- ren evidenzbasierte Leitlinien, die von der im europäischen Vergleich als aus- gesprochen hochkarätig anzusehenden

Clearingstelle, dem Ärztlichen Zen- trum Qualitätssicherung, sehr positiv zertifiziert wurden. Die Vertragsärzte- schaft ist verpflichtet, den Inhalt dieser Leitlinien zur Kenntnis zu nehmen.

Sie stellen auch die Grundlage für das nationale Leitlinienprogramm der Bundesärztekammer dar, das in den vergangenen Monaten gezeigt hat, dass die verfasste Ärzteschaft in der Lage ist, auch unter massivem Zeitdruck qualitativ hochwertige nationale Ver- sorgungsleitlinien zu erstellen. Die ,Therapieempfehlungen‘ sind weiter- hin Basis für leicht verständliche Pati- entenbroschüren, die von Krankenkas- sen gemeinsam mit der Arzneimittel- kommission erstellt und in Millionen Exemplaren verteilt worden sind. Im Deutschen Ärzteblatt berichtet die AkdÄ zudem regelmäßig unabhängig und kritisch über neue Arzneimittelrisiken.

Selbstverständlich ist das Problem des starken Einflusses der pharmazeu- tischen Industrie auf die ärztliche Fort- bildung ein gravierendes Problem, zu dem die Kommission unzählige Male kritisch Stellung genommen hat. Aber jedem deutschen Arzt und jeder deut- schen Ärztin steht der Weg zur unab- hängigen Information offen: Er oder sie muss sie nur nutzen!“ EB

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