belassen. Frauen würden im Vergleich zu Männern eher als seelisch krank diagno- stiziert. Ihre gesundheitlichen Beschwer- den würden häufig mit Medikamenten behandelt, obwohl oft eher eine psycho- soziale Betreuung notwendig wäre, sagte die Präsidentin des Ärztinnenbundes.
Um den Blickwinkel stärker auf weib- liche Gesundheitsbedürfnisse zu lenken, müsse die mangelhafte Präsenz von Frauen in Leitungspositionen mit Dele- gations- und Entscheidungsmacht im Gesundheitswesen deutlich verbessert werden. Bühren wies darauf hin, dass le- diglich 2,3 Prozent der Lehrstuhlinhaber in klinisch bettenführenden Abteilungen beziehungsweise Fachgebieten Frauen sind (Stand: 1998). Untersuchungen hät- ten außerdem ergeben, dass zum Bei- spiel in pharmakologischen Studien Frauen häufig nur dann als Teilnehme- rinnen einbezogen sind, wenn Frauen/
Ärztinnen zu den Studienleitern gehö- ren. Frauen verlangten mehr „sprechen- de Medizin“. Wenn Politiker und Politi- kerinnen etwas verändern wollten, soll- ten sie konsequent nur Modellvorhaben und Studien fördern, die die Perspektive von Frauen einbezögen. Zudem sollten Fachleute der Ministerien bei Verhand- lungen mit ärztlichen Standesorganisa- tionen fordern, dass auch Ärztinnen dar- an teilnehmen.
Im Rahmen der mehrstündigen An- hörung wurde deutlich, dass die Kritik an einer mangelhaften frauenspezifi- schen Gesundheitsversorgung längst nicht mehr nur von einzelnen Gruppie- rungen geäußert wird – schon gar nicht nur von solchen, die man mit dem Eti- kett „Feministinnen“ gern zur Bedeu- tungslosigkeit abstempeln möchte. In- zwischen wird die These durch zahlrei- che wissenschaftliche Studien zu Krankheitsbildern untermauert; nicht zuletzt Wissenschaftler und Wissen- schaftlerinnen äußerten bei der An- hörung ihr Unbehagen über die man- gelnde Berücksichtigung geschlechts- spezifischer Unterschiede.
PD Dr. Ursula Härtel vom Human- wissenschaftlichen Zentrum der Ludwig- Maximilians-Universität München nann- te als ein Beispiel Studien zur Versor- gung von Herzinfarktpatienten. Jüngere Frauen erlitten zwar seltener einen Herz- infarkt als Männer gleichen Alters, stürben dann jedoch eher daran. Der
Infarkt bleibe häufiger unerkannt, mög- licherweise als Folge einer anderen Pa- thophysiologie oder als Folge einer Fehl- diagnose der Beschwerdesymptomatik (Prof. Dr. Ulrike Maschewsky-Schnei- der, Institut für Gesundheitswissenschaf- ten der TU Berlin). Nach einem überleb- ten Infarkt profitierten Frauen seltener als Männer an Reha-Maßnahmen. Sie lit- ten dann andererseits sehr viel häufiger als diese an Angststörungen.
Breiten Raum nahm auch die Diskus- sion um eine verbesserte Brustkrebspro- phylaxe und die Versorgung der betrof- fenen Frauen ein: „Es gibt kaum eine an- dere diagnostische oder therapeutische Methode in der Medizin, die . . . so viel emotionalen Irritationen unterliegt wie die Brustkrebs-Früherkennung“, heißt es in einem Konsens-Papier, das Prof.
Dr. med. Klaus-Dieter Schulz von der Deutschen Gesellschaft für Senologie
vorlegte. Einigkeit bestand nur darüber, dass es Deutschland im Vergleich zu vie- len europäischen Ländern nicht gelun- gen ist, die Zahl der Todesfälle zu sen- ken, und dass der Streit um ein Massen- screening das Land lähmt.
Doch das Thema hat viele Facetten.
„Es ist ein großes Problem, dass Frauen über 50, die ein erhöhtes Risiko haben, immer seltener zum Frauenarzt gehen“, sagte Irmgard Naß-Griogleit. Dr. med.
Harlfinger vom Berufsverband der Frau- enärzte regte deshalb an, Hausärzte und Fachärzte anderer Disziplinen (zum Bei- spiel Internisten) in die Versorgung ein- zubeziehen. Angesichts der geringen Teilnahme an Früherkennungs-Untersu- chungen in ländlichen Regionen forderte er zudem: „Wir müssen aufs Land.“ An- dere Expert(inn)en hingegen meinten, dass die Früherkennung, vor allem die Mammographie, in die Verantwortung hochspezialisierter Fachleute gehöre.
Schulz gab zu bedenken, dass die Früher- kennung keine risikofreie Methode sei und man entsprechende Projekte nur
„im Hinblick auf die Lebensqualität der Frauen“ angehen könne.
Auch zu den Möglichkeiten, Gebär- mutterhalskrebs zu verhindern, wurden Sachverständige befragt. Dabei ging es vor allem um den Nutzen eines breit ein- zusetzenden HPV-Tests (HPV: Human- Papillom-Virus). Die Deutsche Gesell- schaft für Zytologie hat sich in ihrer schriftlichen Stellungnahme gegen ein Screening ausgesprochen, „selbst bei Hochrisiko-Typen“. Prof. Dr. med. Tho- mas Iftner von der Abteilung Medizini- sche Virologie der Universität Tübingen erläuterte, dass Gebärmutterhalskrebs sich verhindern lasse, wenn eine erstklas- sige Früherkennung rechtzeitig greife.
Dass die Sterberate in Deutschland im europaweiten Vergleich noch hoch sei, liege daran, dass zu wenig Frauen in den relevanten Altersgruppen zur Vorsorge kämen. Der Nachteil des HPV-Tests sei, dass er an der Ursache beziehungsweise dem Risiko einer Frau ansetze, nämlich einer Infektion. So würden auch Frauen durch ein positives Testergebnis beun- ruhigt, bei denen die Infektion rasch abheile. Zurzeit versuche man im Rah- men einer Studie herauszufinden, von welcher Dauer an Infektionen riskant würden. Zuvor solle man kein Screening
einführen. Sabine Rieser
P O L I T I K
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A880 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 14½½½½6. April 2001
Zwei Anträge, eine Anhörung
Das Thema „frauenspezifische Gesundheitsver- sorgung“ wird „von vielen Akteuren im Gesund- heitwesen unterschätzt und wenig beachtet. For- schung, Gesundheitsversorgung und Prävention berücksichtigen die geschlechtsspezifischen Un- terschiede (im Sinne des Gender-Mainstreaming) nicht in ausreichendem Maße.“ Das stellten Ab- geordnete der SPD-Bundestagsfraktion und der von Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag an den Bundestag im vergangenen Jahr fest. Die Uni- onsabgeordneten relativierten daraufhin in einem eigenen Antrag: „Grundsätzlich kommen Fort- schritte der Medizin und Medizintechnik Frauen und Männern gleichermaßen zugute, und zwar in ganz Deutschland. Es bleibt aber Aufgabe der Ge- sundheitspolitik, unterschiedliche Gesundheits- probleme bei Frauen und Männern und die Art und Weise, wie beide mit Krankheiten umgehen, stärker als bisher zu berücksichtigen.“
In etlichen Details, aber auch in grundsätz- lichen Bewertungen liegen Rot-Grün und Union durchaus nahe beieinander: Sie konstatieren, dass Frauen Gesundheit anders wahrnehmen als Männer, Belastungen auf andere Weise bewälti- gen und auch mit Krankheit anders umgehen. Ein deutlicher Unterschied besteht im Hinblick auf fi- nanzielle Notwendigkeiten: „Eine frauenspezifi- sche Gesundheitsversorgung geht nicht zwangs- läufig mit einer wachsenden finanziellen Bela- stung für das Gesundheitswesen einher, sondern würde eher helfen, unnötige Ausgaben zu vermei- den“, heißt es bei SPD und Grünen. Die Union hin- gegen ist der Auffassung, „dass die Budgetierung die Etablierung zusätzlicher Versorgungsangebo- te sowie innovativer Behandlungsmethoden er- schwert, was häufig zulasten der frauenspezi- schen Gesundheitsversorgung geht“. Rie Textkasten