Pflegeversicherung:
Einneuer Kosten- treibsatz?
Pflegebedürftige Menschen sind heute oftmals in unseren Kranken- häusern untergebracht, obwohl für sie aus ärztlicher Sicht eigent- lich ein Aufenthalt in einer so ko- stenträchtigen Einrichtung nicht unbedingt erforderlich ist. Um die- sem Personenkreis eine speziell auf seine Bedürfnisse abgestimm- te Betreuung, nämlich eine ausrei- chende und qualitativ gute Pflege zukommen zu lassen und diese vor allem finanziell abzusichern, ist von einer Bund-Länder-Arbeits- gruppe unter Federführung des Bundesministers für Jugend, Fa- milie und Gesundheit eine einheit- liche Kostenregelung für ambu- lante und stationäre Pflegedienste untersucht worden. Eine der theo- retisch denkbaren Lösungsalter- nativen ist es, zur Absicherung des Pflegerisikos eine eigenständige
"Pflegeversicherung" zu schaffen, deren Kosten bis auf gewisse Zu- schüsse durch die Bundesländer den Versicherten und den Arbeit- gebern aufgebürdet werden sol- len. Nach Plänen des Bundesmini- steriums für Arbeit und Sozialord- nung ist dafür sogar eine "Volks- versicherung" vorgesehen, in die die Gesamtbevölkerung im Wege der Versicherungspflicht einbezo- gen werden soll.
Gegen die Einrichtung einer sol- chen "Zwangs" -Pflegeversiche- rung hat die Ärzteschaft bereits im vergangenen Jahr anläßlich eines Experten-Hearings erhebliche Be- denken erhoben, die jetzt der Vor- stand der Bundesärztekammer noch einmal bekräftigt hat. Dabei sieht die Ärzteschaft durchaus das Problem der Pflegebedürftigkeit, insbesondere vieler älterer Men- schen. Die Ärzte bezweifeln aber, ob das Lebensrisiko "Pflegebe- dürftigkeit" überhaupt versiche- rungsmäßig erfaßt werden kann.
Es ist zu befürchten, daß die Auf-
gabe der bisherigen subsidiären Finanzierung vor allem über die Sozialhilfe durch den generellen Rechtsanspruch aller auf Pflege zu unübersehbaren Kostensteige- rungen führen wird. Der Staat könnte sich so nur allzu leicht sei- ner finanziellen und moralischen Verpflichtungen entziehen!
~ So wird zum Beispiel aus den Niederlanden berichtet, daß dort nach Einführung einer vergleich- baren Regelung sich innerhalb von zehn Jahren die Zahl der Pfle- gefälle verdoppelt, der Pflegesatz verdreifacht, die . Pflegesätze in den Heimen vervierfacht und die Kosten schließlich verachtfacht haben.
Zum Vergleich sei erwähnt, daß die verschiedenen Träger der So- zialhilfe in der Bundesrepublik al- lein für Heimpflege zur Zeit mehr als drei Milliarden DM ausgeben.
Wesentliche Mehrkosten würden vor allem dann entstehen, wenn mit Einführung einer Pflegeversi- cherung auf Pflegeleistungen ein genereller Rechtsanspruch auf Pflege besteht. Nach Ansicht der Ärzte wäre dann ein erhebliches Ansteigen der Leistungserwartun- gen zu verzeichnen.
Neben der Kostensteigerung wür- de aber auch das Prinzip der Soli- darität im Familienverband in ei- nem wichtigen Bereich aufgege- ben, Humanität möglicherweise durch institutionelle Regelungen ersetzt. Zudem können auch keine wesentlichen Ersparnisse im Kran- kenhausbereich erzielt werden.
Bei einer Verkürzung der Verweil- dauer- wie sie bei einer strengen Nichtaufnahme oder frühzeitigen Entlassung noch pflegebedürfti- ger Menschen eintreten würde - ist eine Konzentration der Kran- kenhausleistungen auf einen kür- zeren Zeitraum mit höherem Ein- satz von Personal und Sachmitteln festzustellen. Ein neuer Kosten- schub wäre also durch die Einfüh- rung einer "Volkspflegeversiche- rung" auch im Krankenhaus nahe- zu unvermeidlich. PdÄ/DÄ
DER KOMMENTAR
Prostaglandin-Anhörung
Keine
beneidenswerte Aufgabe
Prostaglandine werden in den letzten Jahren zunehmend zum Schwangerschaftsabbruch ver- wendet. Besonders nach der zwölften Schwangerschaftswoche sollen sie allen anderen Methoden überlegen sein. Ob sie auch ange- wendet werden dürfen, war bei der Anhörung des Bundesgesund- heitsamtes am 23. September Ge- genstand einer heftigen Kontro- verse. Die Fronten verliefen unge- wohnt: Die Wissenschaftler, der Hersteller sowie die vom Bundes- gesundheitsamt berufenen Sach- verständigen (ausnahmslos Män- ner) waren der Meinung, daß die Prostaglandine den Schwanger- schaftsabbruch risikoärmer ge- macht hätten.
Ihre Gegner waren Vertreter der Frauengruppen, die in der öffentli- chen Anhörung anwesend, wenn auch nicht eingeladen waren. Ihre Vorwürfe waren schon seit länge- rem durch Presseberichte wie Strafanzeigen gegen drei Ärzte be- kannt geworden: Die Nebenwir- kungen seien unerträglich, den Frauen nicht zuzumuten, außer- dem seien die bisher mehr als 2000 Patientinnen entweder nicht gefragt oder nicht ausreichend aufgeklärt worden.
Bei den Prostaglandinen handelt es sich um interessante hormon- ähnliche Stoffe mit vielfältigen Ei- genschaften: Sie sorgen für die Erweiterung von Blutgefäßen, be- einflussen die Blutgerinnung, re- gulieren Peristaltik und Wasser- strom in Magen und Darm, lösen Schmerzen und Entzündungsre- aktionen aus und führen zu Kon- traktionen des Uterus. Wegen letz- terer Wirkung wurden natürliche Prostaglandine gezielt eingesetzt, um den Geburtsvorgang zu unter- stützen oder aber einen künstli- chen Abort einzuleiten. I>
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1980 2525
DER KOMMENTAR
Es überrascht nicht, daß bei der Vielfalt der Prostaglandinwirkun- gen dabei zahlreiche unerwünsch- te Wirkungen mit auftraten. Bisher waren zwei natürliche Pro- staglandine als Arzneimittel zuge- lassen: Dinoproston (Prostaglan- din E 2) und Dinoprost (Prosta- glandin F2 alpha).
Anlaß zu der Anhörung im Sep- tember war der Antrag auf Zulas- sung eines weiteren synthetischen Prostaglandins, des Sulproston.
Dieses soll deutlich weniger Be- schwerden machen als die bisher zugelassenen natürlichen Pro- staglandinpräparate. Immerhin hat auch Sulproston noch Begleit- erscheinungen wie Schmerzen und Krämpfe, die so erheblich sein können, daß sogar die Sachver- ständigen starke Schmerzmittel oder eine Lokalanästhesie für an- gezeigt halten. Allerdings spielen dabei viele unberechenbare Fak- toren eine Rolle: Dosis, Anwen- dungsform (intravenös, intra-, ex- traamnial), Dauer der Schwanger- schaft, Erwartungshaltung der Pa- tientin. Außerdem ist es wahr- scheinlich im ersten Drittel der Schwangerschaft den bisherigen mechanischen Methoden des Schwangerschaftsabbruches un- terlegen. Die positive Beurteilung durch die (männlichen) Wissen- schaftler wurde von den anwesen- den Vertretern der Frauengruppen nicht geteilt, die nach Abschluß der offiziellen Anhörung Gelegen- heit bekamen, ihre Argumente vor- zubringen. Das Bundesgesund- heitsamt wird nun entscheiden müssen, ob es den Nutzen der Prostaglandin-Anwendung (weni- ger gefährliche Nebenwirkungen) so hoch einschätzt, daß die uner- wünschten Begleiterscheinungen (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schmerzen und Krämpfe) in Kauf genommen werden können. Es ist um diese Aufgabe nicht zu benei- den. Möglicherweise lassen sich die Nachteile dadurch vermindern, daß die Dosis vermindert, be- stimmte Anwendungsarten oder die Anwendung während gewisser Schwangerschaftsabschnitte aus- geschlossen werden. HO
AUS DEN BUNDESLÄNDERN
BERLIN
Systemforschung ohne niedergelassene Ärzte?
Mitte Juni dieses Jahres wurde in Berlin die „GSD Gesellschaft für Systemforschung und Dienstlei- stungen im Gesundheitswesen mbH" gegründet. Alleiniger Ge- sellschafter ist das Land Berlin.
Der Aufgabenbereich der Gesell- schaft umfaßt nach dem Gesell- schaftsvertrag „die Durchführung von betriebswirtschaftlichen und
informations-technologischen Entwicklungs- und Beratungs- dienstleistungen für Einrichtun- gen des Gesundheitswesens so- wie anwendungsorientierte Sy- stemforschung im Gesundheitsbe- reich und in angrenzenden Ge- bieten".
Die neugegründete Gesellschaft wird auch Aktivitäten überneh- men, die bisher in der Senatsver- waltung für Gesundheit und Um- weltschutz durchgeführt worden sind, beispielsweise das kaufmän- nische Krankenhausrechnungs- wesen. Soweit der Einsatz von EDV-Anlagen notwendig ist, arbei- tet die GSD mit dem Berliner Landesamt für Elektronische Da- tenverarbeitung (LED) zusammen.
Für den Bereich der Systemfor- schung hat die GSD neue Ansätze entwickelt, die zur Zeit bei ver- schiedenen Förderern im Antrags- verfahren sind.
Mitte September waren bei der GSD 25 Mitarbeiter beschäftig. Die Zahl wird sich noch vergrößern.
Zwei Tage vor Gründung der GSD war eine andere Gesellschaft, die
„Medizinische Informations-Zen- trum Berlin GmbH" (MIZ), durch Urteil des Landgerichts Berlin auf- gelöst worden. Gesellschafter der MIZ waren je zur Hälfte das Land Berlin und die „Arbeitsgemein- schaft der Berliner Praxisgemein- schaften e. V." (APG). Gegenstand dieser Gesellschaft war das „Be- treiben einer Datenverarbeitungs-
einrichtung für anwendungsorien- tierte Forschung und technische Entwicklung zur Durchführung des Teilprojektes I (DOMINIG) im Rahmen der Förderung durch den Bundesminister für Forschung und Technologie . . . nach Maßga- be der Automationsplanung des Landes Berlin". Außerdem konnte die Gesellschaft im Bereich der anwendungsorientierten For- schung und technischen Entwick- lung weitere Aufgaben aus dem Gesamtprojekt DOMINIG über- nehmen.
Hinter dem Kürzel „DOMINIG" ver- birgt sich das Forschungsvorha- ben „Datenverarbeitungs-Einsatz zur Lösung überbetrieblicher Or- ganisations- und Management- Aufgaben durch Integration des normierten Informationsflusses zwischen verschiedenen Einrich- tungen des Gesundheitswesens - . Das Teilprojekt DOMINIG 1 umfaß- te ein „Regionales Medizinisches Organisations- und Planungssy- stem für überbetriebliche Aufga- ben und Aufgaben des öffentli- chen Gesundheitswesens" (RE- MOPLAS).
Das Forschungsprojekt DOMINIG I wurde vom Bundesforschungsmi- nisterium zum 30. September 1979 beendet. Dies ergibt sich aus einer Antwort des Senats von Berlin auf eine kleine Anfrage im Abgeordne- tenhaus von Berlin. Damit konnte die MIZ zwar die im Gesellschafts- vertrag vorgesehene Aufgabe nicht mehr erfüllen. Tatsächlich bearbeitete sie aber seit längerer Zeit auch eine Reihe anderer Pro- jekte, die außerhalb des Gesell- schaftszweckes lagen, u. a. drei Projekte, die mit Mitteln des Bun- desforschungsministeriums geför- dert wurden:
> Versorgungsfunktionen bei Langzeiterkrankungen (ARGOS),
> Berliner Organisationsmo- delle: Berliner Blutspendedienst, Zentraler Bettennachweis;
• Erfolgskrontrolle zur Erfas- sung von Nebenwirkungen der
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2526 Heft 43 vom 23. Oktober 1980