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Zur Exegese und Kritik der rituellen Sutras.
Von W. Caland.
I. Hira^yakeäigrhyas. I. 12, 14—16; 13, 16.
Unter den Vorschriften die im Grhyasütra des Hiranyakesin
für die Bewirtung eines Gastes durch den Madhuparka gegeben
werden, hat besonders eine der modemen Interpretation viele
Schwierigkeiten gemacht. Die gemeinte Stelle lautet: hrasiyasy
äniya varsiyasäpidhäyänilciTiäni prthag ädäpayati kürcam pä¬
dyam arghyam äcamaniyam madhuparka iti \ 14 | anvaiin anu-
samvrßnä so 'nupakificayä väcaikaikam präha | 15 ( kürca iti
kürcam | 16 | . Oldenberg übersetzt (S.'b. E. XXX. S. 171 flg.):
, having poured (those substances) into a smaller vessel, and having covered it vrith a larger (cover than the vessel is), (the host) makes (the guest) accept (the foUovring things) separately, one after the
other, viz. a bunch of grass (to sit down on), water for washing
the feet, the Argha water, water for sipping and the honey mixture
(Madhuparka). Going after (the single objects, which are brought
to the guest, the host) in a faultless not faultering (?) voice an¬
nounces (each of these objects to the guest). The bunch of grass
(he announces by three times saying): ,The bunch of grass*. —
Es handelt sich hier besonders um die Deutung von anusarn-
vrjinä, welches Oldenberg in anusamvrjinyä ändem möchte und
von anupakiücayä. Im folgenden hofi'e ich zu zeigen, dass weder
der Text verdorben , noch die Übersetzvmg zweifelhaft ist , vrie
Oldenberg gemeint hat; dass vielmehr die Handschriften vom Heraus¬
geber des Sütra und vom Übersetzer nicht richtig gelesen sind
und dass man den betrefl'enden Passus nicht ganz begriffen hat.
Den Schlüssel zum richtigen Verständnis unserer Stelle liefem
die Gfhyasütras des Bhäradväja, des Baudhäyana und des Päraskara.
Im Bhäradväja (II. 22) lautet die betreff'ende Vorschrift: hrasiyasy
äniya varsiyasäpidadhäti pürvah kürcena pratipadyate 'nvan.^)
pädyenänvariri arghyenänvann äcamanlyenänvan, madhuparkenänu-
1) Statt 'nvaii liest die Granthahs. hier und im folgenden nvam oder nvam. Dieseihe Korruptel liegt in der Granthahs. des Hir. vor, Sitz. Ber. der Kais. Akad. der Wiss., phil.-hist. KI., CXXIV, Nr. IV, sq.
samvrajaiy atfiäamä äsanam iti vedayate. Die einschlägige Bau- dhäyanastelle (grhs. I. 2) lautet : var^yasä tyomayenäpidhäya nänä
purusä arghyadravyäny ädadate 'nvag anusamvrjitäh}) kürca iti
kürcam präha. Auch die folgende Päraskarastelle (grhs. I. 3, 5, 6)
bringe ich in Erinnerung: äharanti vistaram padyam padärtham
udakam arghyam äcamaniyam madhuparkam dadhi madhu ghrtam
apihitam kämsye kämsyena \ 5 | anyas tris trih präha vistarädi \ 6 |.
Vergleicht man die citierten Stellen unter sich , so wird es
zunächst klar dass die Worte des Hir. : anücinäni prthag ädä-
payati bedeuten: ,er lässt (die folgenden Gegenstände) hinter¬
einander gesondert (also: von verschiedenen Leuten) aufnehmen*.
Nicht ödaMe ist ja das stehende Wort, welches das Empfangen,
das Entgegennehmen einer Sache durch den Gast andeutet, sondem
pratigrhnäti. Dass mehrere Leute bei der Bewirtung beschäftigt
sind ist schon an sich wahrscheinlich; bewiesen wird diese Wahr¬
scheinlichkeit durch Päraskara's äharanti. Wenigstens fünf Personen
treten also hintereinander mit den Argbya-Substanzen zum Gaste
hin , der erste mit dem Grassbüschel , der nächstfolgende mit dem
Pusswasser u. s. w., vgl. Bhäradväja ; hinter allen {anu), sie begleitend {sarri) schreitet {vrajati) der Wirt, der mit klarer (nicht heiserer)
Stimme dem Graste jeden Gegenstand besonders ankündigt. In
diesem Zusammenhange ist auch Päraskara's anyah zu beurteilen.
Es kommt jetzt darauf an Hiranyakeäin's anusarnvrjinä und
Baudhäyana's anusamvrjitäh zu bestimmen. Ohne Zweifel ist an
beiden Stellen das Nom. agentis anusamvrajitä^) zu lesen, welches
in diesem Zusammenhange ungef&hr mit einem Partic. praes. gleich¬
wertig ist; vra und vr sind bekanntlich in Grantha-, und t und n
in Devanägari-Schrift so gut wie nicht zu unterscheiden. Mir
erscheint es zweifeUos, dass auch Mätrdatta unsere Stelle (wenigstens sütra 15) so gelesen und begrilfen hat; es heisst bei ihm: anusam-
vrajinä (Ues : anusajnvrajitä) saha kürcädinä dravyena tad agra¬
tah krtvänugantä. Er umschi-eibt somit die Praep. sam, nach meiner
Ansicht weniger richtig, durch saha kürcädinä dravyena, die Praep.
anu durch tad agratah krtvä und anuvrafitä vollkommen zu¬
treffend durch anugantä, ebenfaUs ein Nomen agentis. Im folgenden (S. 117, Z. 9) ist anusatnvrjiteti herzusteUen, Z. 13 jedoch ist von Kirste richtig anusarnvrajineti gelesen.')
HöchstwahrscheinUch ist nun auch Hir I. 13, 16: te§v asmai
bhuktavatsv anu^sarnvrajitam (statt ^vrjinam) annam äharayaii zu
1) So die Hang'sche Hs.; anusamvrjitäh eino Granthahs.
2) Wie auch wirlilich eine mir inzwischen zugegangene Kopie des Bau¬
dhSyana hietet [Korr.-Note].
3) Hat man das Kecht jede von Mstrdatta ab prdmSdapä^ha oder apapätha bezeichnete Lesart in den Text aufzunehmen ? Ist nicht vielmehr so eine Lesart eine von inm in seinen HSS. zwar vorgefundene aber von ihm verurteilte ? In diesem Falle hätten wir Hir. I. 1,21 mit allen HSS. yathopapädam und I. 20, 2 abhyäoartya zu lesen. Vgl. auch Böbtlingk in dieser Zeitschr. XLIII, S. 598.
Bd. LL 9
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130 Caland, Zur Exegese und Kritik der rituellen Sütras.
lesen und zu übersetzen: „wenn diese (die im Vorbergebenden ge¬
nannten Brahmanen) gespeist haben, lässt er ihm Speise bringen
die (von anderen Zuthaten) gefolgt und begleitet ist' (Mätydatta:
vydhjanaüi sarngatam ity arthah). Das Scholion S. 120 Z. 2 ist
wieder zu lesen: anüclnarn ca tat sarvarn vrajiiarn cänusam-
vr ajitam,.
Jetzt bleibt noch anupakiricayä zu deuten, übrig. Es scheint, dass vrir es hier mit einer ganz eigenthümlichen Bahuvrlhi-bildung
zu thun haben. Das Wort ist nach meiner Ansicht in folgender Weise
zu umschreiben : yasminn upa nästi kiUca sah , also eigentlich :
„wo sich nichts drauf befindet, ungedrückt, ungehindert'. Es ge¬
hört zu derselben Kategorie wie 'ivvSgog, Hv&eog (= vScug, &s6v iv iavTtp ^wv), iniat}fiog, insignis. Mätrdatta: uttarenänupaha-
tayoccairbhütayety arthah; uttarena bedeutet hier wohl „vom
Nordwind', also uttarenänupahatah : „unerkältet, nicht heiser'.
II. Die Vorbedingungen für eine Heirat.
Die hierauf bezügliche Stelle des Mänavagrhyasütra I. 7:
pafica viväJialcaranäni bhavanti vittarn rüparn vidyä prajnä bän-
dhavam ity; ekäläbhe vittarn visrjed, dvüiyäläbhe rüparn, tt-tiyä-
läbhe vidyäm; prajnäyärn bändhava iti ca vivähante, findet eine
erwünschte Erklärung durch die Parallelstelle im Bhäradväjagrhya- sütra I. 11: catväri viväAakaranäni : vittarn rüpam prajä bändha-
vam iti; täni cet sasrväm na Sahnuyäd, vittam udasyet; tato
rüpam. prajäyärn tu ca bändhave ca vivadante; bändhavam
udasyed ity eha ähur, aprajena hilcah samväso'i 'thaitad aparam:
na khalv iyam arthebhya ühyate. prajä, närtho 'syärn prädhä-
nyah. Es ist nicht unschwer einzusehen , dass die verdorbenen
Lesarten im Mänavatext prajnä, prajriäyäm, vivähante, die schon
dem Kommentator vorgelegen haben, resp. in prajä, prajäyäm, vi¬
vadante zu emendieren sind.
III. Zum ärsa viväha.
Das Rituell eines ärsa viväha ist uns allem Anschein nach im
Kausikasütra (79, 17—19) bewahrt: ihed asäthety etayä Sulkam
apäkrtya, dväbhyäni nivartayafiha mama rädhyatäm atra taveti,
yathä vä manyante.
Mit dem Kürzen der Haare hat hier nivartayati nichts zu
thun , wie Weber (I. S. V. 407) vermutet hat ; ebensowenig ist
an Sulkam etwas zu ändern. Die Stelle hat nach meiner Ansicht
folgenden Sinn :
„Mit dem Spruche: „Hier nur bleibet, geht nicht weg von
hinnen; machet diesen (d. h. mich, imarn — märn), o Kühe, reich
durch eure Kälber (auch : „durch Nachkommen')! stattlich schreitend,
rötlich, wie Soma strahlend! Mögen die Allgötter bannen hier
eure Herzen' teilt er (d. h. der Brautwerber) den (aus Kühen
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bestehenden) Preis (von seiner Herde) ab. Mit den zwei Sprüchen :
„Hier nnr bleibet' (wie oben) und: „Umgebet diesen, o Kühe, mit
euren Kälbern (auch: „mit Nachkommen"). Den Göttern schmälert
er nicht ihren Anteil. Diesem möge euch Püsan und die Maruts
alle, ihm euch Dhätar und Savitar zugestehen" mit diesen beiden
Sprüchen lässt er (wohl der Vater des Mädchens*)) sie (die Kühe)
(zum Brautwerber) zurückkehren, indem er sagt: „Hier möge mir
Gedeihen sein, dort dir."
Das hier geschilderte Rituell steht ganz in Einklang mit der
bekannten Vorschrift Apastambas (dbs. I. 13. 12), dass die Schenkung
der für ein Mädchen als Brautpreis zu bezahlenden hundert Kühe
nebst einem Wagen rückgängig gemacht werden soU.^)
In den Mänava- und Käthakagrhyasütras wird ein absonde»
liches Rituell verordnet für eine brahmadeyä, eine Tochter, die
nach Brahma-Art verheiratet wird (Män. grhs. I. 7 Schluss und 8
bis brahmadeyäpitä^) hhräiä vä dadyät; Ka^h. grhs. XV). Die
Hauptsache hierbei ist, dass der Geber dreimal: „ich gebe" sagt, der Empfänger : „ich nehme an." Die Schenkung wird in üblicher Weise von einer Wasserlibation begleitet. Danach folgt das Rituell
für die Heirat einer sulkadeyä. Nach dem Käth. grhs. (XVI) über¬
reichen sie einander gegenseitig das Gold {hiranyarn vyaJbiharatah).
Der eine (der Geber) überreicht es dem andern mit den Worten:
„dich zur Nachkommenschaft" ; der andere empfängt es mit den
Worten: „dich zur Mehrung des Besitzes.' Nach dem Män. gfhs. (I. 8)
wirft der Geber eine Handvoll Gold in die zusammengehaltenen Hände
des andern und sagt: „dich zum Reichtum." Der andere wirft ihm
das Gold zurück und sagt: „dich zum Kindersegen." — Obschon
hier nicht von Rindern , sondern von Gold die Rede ist , dürfte
dieses Rituell doch eine Art ärsa viväha sein. Es wäre ja auch
ein wenig unbequem , für eine derartige Formalität einige Rinder
herbeizuholen. Überdies sagt das Mänavagrhs. I. 7 s. f. sarnjustärn
(sc. hanyärn, nach der Brautprobe) dharmenopayacheta brähmena
(HSS. : brähmaria) Saulkena vä Satam adhiratham (HSS. und
Komm, itiratham) dadyät gomtthunam vä. Die letzten Worte
umschreiben offenbar den Begriff des Wortes Saidkam.
Im Käthakasütra heisst es also:
prajäbhyas tueti pradadäti, räyasposäya tveti pratigj-hnäti.
1) In dessen Mund nur der zweite Vers passt: „umgebet diesen." Die Vorschrift, dass auch der erste: ..hier nur bleibet" vom Vater zu sprechen ist, hat wohl ihren Grund darin, dass man den eigentlichen Sinn sowobl der Hand¬
ung wie der Mantras nicht mehr begriff.
2) Siebe die Stellen bei Bühler, S. B. E. XIV, p. 7; II, p. 132, JoUy, Becht und Sitte, S. 51 Agg.
3) Wahrscheinlich ist brahmadeyäm zu lesen.
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132 Caland, Zur Exegese urid Kritik der rituellen Sütras.
Im Mänavasütra dagegen:
dhanäya tveti dätä putrebhyas tveti pratigrahitä.
Versteht man unter dätar und pratigrahltar den Geber und
den Empfänger des Mädchens, so ergiebt sich aus keinem von
den beiden Texten ein gesunder Sinn. Nur wenn man unter dätar
den Geber des sulk a , also den Brautwerber, und unter prati¬
grahltar den Empfönger des sulka, also den Vater der Braut
versteht, giebt wenigstens der Mänavatext einen befriedigenden Sinn.
Denn die Worte: „dich zum Reichtum' müssen einst die Übergabe
des Kaufpreises an den Vater, die Worte: „dich zum Kindersegen'
die Übergabe des gekauften Mädchens an den Brautwerber be¬
gleitet haben. Ursprünglich war also die Sitte, sich eine Frau zu
kaufen , auch durch das Rituell sanktioniert. Beim Fortschreiten
der Kultur aber machte sich das Bestreben geltend, diese rohe
Sitte zu antiquieren. Daher die oben erwähnte Vorschrift des
Äpastamba. Als demnach später die Kaufsumme vom Brautvater
zurückerstattet wurde , blieben die Worte , die von alters her die
Handlung begleitet hatten, dieselben.
Auch im Rituell der Baudhäyaniyas hat sich von diesem ur¬
alten Brautkauf eine unzweideutige Spur erbalten, deren Sinn jedoch
den beteiligten Personen offenbar verborgen war. Wenn nämlich
die Verlobung {vägdänani) stattfinden soll und der Vater der Braut den Vater des Freiers oder dessen Stellvertreter hat niedersitzen
lassen mit dem Angesicht nach Osten, während er selbst das An¬
gesicht nach Westen kehrt, nimmt er fünf Betelnüsse (deren Farbe
goldgelb sein soll) und ein Stück Gelbwurz und wirft, während
er verspricht, an dem und dem Tage, seine aus der und der Familie
stammende so und so genannte Tochter dem so und so genannten
Sohne des so und so genannten Vaters zur Frau geben zu wollen,
diese fünf Betelnüsse dem Vater des Freiers in den Zipfel seines
Gewandes, worauf dieser einen Knoten in seinen Zipfel schlingt
(bekanntlich ist dies die gewöhnliche Art, wie man Geld bewahrt).
Darauf wirft dann der Vater des Freiers die Betelnüsse dem Geber
zurück und dieser verknüpft dieselben ebenso in seinem Zipfel.')
Weitere Erläuterungen sind nach dem oben Bemerkten überflüssig.
Bekannt ist also das Rituell des ärsa und des brähma viväha.
Auch das Ceremoniell des daiva viväha ist überliefert und zwar
im Baudhäyanagrhyasütra (I. 1). Die hierauf bezügliche Stelle
findet man bei Winternitz , das altindische Hochzeitsritneil , S. 40, Z. 12 citiert.
1) Frayogatnälä und Prayogasikhämani : tato dätäearato haridräkhan- tlain paiica drdhapügiphaläni . . . grhitvämukapravaränvitäya . . . varä- yämukapravaränvitäm . . . kanyärn . . . däsye iti . . . uktvä varapiträdi- vastrapränte täni pugiphaläni praksipya granthim krtvä u. s. w. Vgl. auch Ind. Stud. V, S. 298.
IV. Das Betreten des Hauses durch die Jung¬
vermählten.
Wenn das jungvermählte Paar zum erstenmale nach der Hoch¬
zeit sein Haus betritt, findet ein interessanter Akt statt, der bis
jetzt nicht aufgemerkt worden ist: aparasminn ahnah sandhau
grhän pratipädayita prati brahmann iti jnraiyavarohati manga-
läni prädur bhavanti gosthät santatäm ulaparäjlm strnäti räthäd
adhy opäsanäd yesv adhyeti pravasan yesu saumanasam mahat \
grhän upahvayämahe te no jänanto äyata^) ili tiyäbhyupaiti
(Män. grhs. I. 14); aparähne 'dhivrJcsasürye grhän upayäyorjam
bibhratl{ti) grhän pratidrSya japati (folgen die Mantras); ula-
paräjiim) sti-näty ä dayanlyät, tayä praviiati (Käth. gfhs. 27 s. f., 28 init.). Wenn also das junge Paar, zur Zeit der Abenddämmerung
heimkehrt, sollen vom Hause her glückverheisseude Worte und fröh¬
liche Musik ihnen entgegenklingen. Dann steigt der junge Mann
vom Wagen herab, der ihn begleitende Priester streut eine un¬
unterbrochene Reihe Ulapagräser vom Wagen bis zum Hause (oder
bis zur Lagerstätte); darüber schreitet der Mann (und nach ihm
natürlich die junge Prau) hinein. Bekanntlich wird diese ulaparäjl
beim gewöhnlichen ärauta-Opfer zwischen den beiden Hauptfeuern
in drei Reihen ausgestreut um die beiden Feuer, das Gärhapatya-
und das Ähavanlyafeuer miteinander in Verbindung zu bringen (vgl.
Äpast. ärs. I. 15. 4; Schwab, das altind. Tieropfer, S. 53; Verf.,
die altind. Toten- und Bestattungsgebräuche, S. 18). Der Zweck,
den man durch das Streuen der ulaparäjl zur Gelegenheit der Heim¬
kehr erreicht, ist demgemäss, dass der Neuvermählte in direkter
Verbindung mit seinem Hause gebracht und unterwegs , zwischen
dem Wagen und dem Hause , keinen schädlichen Einflüssen aus¬
gesetzt wird.
V. Die rituelle Kraft des Beatmens.
Wünscht der Gatte die Conception zu fördern, so soll er nach
vollzogenem Beilager auf seine Gattin atmen, indem er die Worte
sagt: ,In deinen Atem lege ich den Samen nieder, o du, N. N."
Die Gattin ihrerseits soll seinen Atemzug in sich aufnehmen. Diese
bis jetzt , wie ich meine , noch ziemlich unbekannte merkwürdige
rituelle Handlung ist uns bezeugt erstens im Öäükhäyanagj-hya
(I. 19. 4) und im Sämbavyagrhya (I. 13). Ich teile die Stelle
nach der meines Erachtens richtigeren Überlieferung der letzteren
Quelle mit : samäpte 'rthe japet präne te reto dadhämy asäv ity
apänyänupränya. Unrichtig übersetzt Oldenberg (Ind. Stud. XV,
1) HSS.: prasavan statt pravasan; tenopah.v° siM. grhän upahv°; äga¬
tam statt äyata. Ich habe nach AS. VII. 60. 3 und VS. III. 42 gebessert.
1 -l *
X34 Caland, Zur Exegese und Kritik der rituellen Sütras.
S. 36) anujn-änyät: .hier hole er Atem." In S. B. E. XXIX, S. 45
ist die Übersetzung dieses Wortes unerklärlicherweise ganz fort¬
geblieben. Die Präpos. anu scheint in der Säökhäyanastelle darauf
hin zu deuten, dass apänya fortgefallen ist; Sänkh. I. 24. 2 steht
es, obschon leicht verdorben, davor. Übrigens ist zu bemerken,
dass präniti und apäniti nicht bedeuten resp. ,ein- und ausatmen*
(so Oldenberg zu Sänkh. I. 24. 2), sondern im Gegenteil präniti
„et atmet aus', apäniti „er atmet ein.* Das wird von der zweiten
Belegstelle erwiesen: athäsyä apavrktärtho 'pavrktärthäyai {apa-
vrttä" die HSS.) mukhena mukham sarnnidhäya pranipatyaitam
pränam apänihiti tarn sä praty apäniti^) (Bhär. gfhs. I. 20, nach
berichtigter Zählung): „er nähert seinen Mund dem ihrigen, sich
zu ihr niederbeugend, und sagt: „Atme diesen Atemzug von mir
ein' xmd die Gattin atmet ihn ein". Ganz damit in Überein¬
stimmung ist Bfh. är. up. VI. 4. 11: atha yäm ichen na, garbham
dadhiteti tasyäm artham nistäya^) mukhena mukham sandhäyä-
bhipränyäpänyäd indriyena retasä reta ädada ity aretä eva
bhavati. Im entgegengesetzten Palie heisst es : apänyäihipränyäd
und im Mantra: reta ädadhämi. Das abhipränana des Gatten ist
also ein Procreativum bzw. eine lebenschenkende Handlung, deshalb
atmet denn auch der Vater auf den neugeborenen Knaben dreimal
(ein imd hinterher) aus: abhyapänyänupränyät.
VI. Ein Angurium.
Eine ähnliche Ceremonie wie die von Baudhäyana (grhs. I. 13,
Vgl. Winternitz, das altind. Hochzeitsrituell, S. 101) beschriebene
findet sich in Bhäradväja (grhs. I. 21). Unmittelbar nach der
Scheitelziehung , im vierten Monat der Schwangerschaft , werden
drei Schüsseln mit Reisbrei, mit Butter begossen, vor der Prau
niedergesetzt, auch eine mit Wasser. Indem sie nun nach jeder
einzelnen Schüssel hinblickt, fragt der Gatte sie: „Was siehst du?'
Worauf jene antwortet: „Söhne und Vieh.' Den Inhalt von einer
dieser Schüsseln giebt er einigen Brahmanen, der zweiten einigen
Brabmanenfrauen zum Verspeisen, den Inhalt der dritten isst sie
selber zusammen mit einigen Knaben : trin odanän uddhrtya sar-
pisopasicyopanidadhäty udadarävam ca caturtham; tesäm ekai¬
kam aveksamänäm pr chati: kirn pajy asiti. puträrnd ca padümd-
ceti pratyäha. tesäm ekam brähmanän bhoj
ntr, ekarn saha kumäraih sä prädnäti.
1) Ein prayoga: atha . . , patili . . . etam jiränam apänihiti jäyäm uktvä näsäjrmtähhyäm antaram pränaväyum nihsärayet jäyä ca nihsrtam pränaväyum svanäsäjmtäbhyäin sväntaram pravesayet.
2) Walirsclieinlicli ist nihsthäya zu lesen : artham nilisthäya, „nachdem er das Ziel erreicht hat" (vgl. BR. s. v. sthä -)- nis 3). ariha braucht dann nicht euphemistisch statt sepha gebraucht zu sein.
1 3 «
ayedj ekam brahma-
vn. Die Gottheiten der Früh- nnd Abendspenden.
Nach Säükh. (I. 3. 14), My. (I. 9. 6, 7), Päraskara (I. 9. 3, 4),
Gobhila (I. 3. 9, 10), Khädira (I. 3. 13—15), dem Mänavagrhya
(II. 3. 1, 2), Baudh. (II. 9 nach ber. Zählung) wird abends die
Hauptspende dem Agni, morgens früh dem Sürya dargebracht;
auch Bhäradväja (L. 17) und Hiranyakeäin (I. 23. 8, 9) erwähnen,
obschon sie selber die beiden Spenden dem Agni darbringen lassen,
dass „einige' die Morgenspende dem Sürya weihen; desgleichen
Äpastamba grhs. 7. 21. Wenn man dies im Auge behält, wird
man mir recht geben, wenn ich vorschlage, den von Bloomfield
herausgegebenen Text des Kausikasütra (72, 27—29) in folgender
Weise zu emendieren : säyam prätar vrihin ävaped yavän vägnaye
svähä prajäpataye sväheti säyam | 27 | süry äya svähä prajäpa¬
taye sväheti prätah | 28 |
VIII. Säükh. grhs. n. 3. 2 sqq.
Die Übersetzung, welche Oldenberg (Inä. Stud. XV, S. 51 und
S. B. E. XXIX, p. 64) von diesem Passus vorschlägt, würde fol¬
gendes Rituell ergeben: wenn der Lehrer, der mit dem Angesicht
nach Osten gekehrt (II. 1. 28) dem einzuführenden Knaben gegen¬
über steht, dessen beide Hände ergriffen hat (LI. 2. 11) — der
Hauptakt des upanayana — soll er sich unter Hersagung des
Spruches: „Ich wandle auf Indras Bahn, ich wandle der Bahn der
Sonne nach', rechtshin iun wenden (er kehrt also dem Knaben den
Rücken zu), mit der rechten Hand über seine Schulter hinabfassen
und die Stelle seines Herzens berühren, indem er die Worte spricht:
„Möge ich deinem Herzen lieb und du unverletzt sein"*). Darauf
soll er sich linkshin umwenden (sodass er also dem Knaben wieder
gegenüber steht) und die Hand auf das Herz des Knaben legen
mit dem Spruch: „In meinen Willen nehme ich dein Herz.' Nun
ist es freilich möglich, dass der Lehrer sich umwendet , dem
Knaben den Rücken zukehrend, und dann sein eigenes Herz be¬
rührt, aber natürlich soll er über die Schulter des Knaben hinab-
fassen und dessen Herz, nicht sein eigenes berühren. Dass vom
Herzen des Knaben die Rede ist, stellt der Spmch: „Möge ich
deinem Herzen' u. s. w. ausser allen Zweifel. Vielleicht würde
Oldenberg seine Übersetzung zu retten suchen, indem er sagte:
der Lehrer dreht sich jedesmal so um, dass er sofort wieder mit
dem Angesicht dem Knaben gegenüber zu stehen kommt. Aber
geschweige davon , dass ein solches Umdrehen sinnesleer wäre,
wie soll er, mit dem Angesicht dem Knaben gegenüberstehend, mit
der rechten Hand über seine (d. h. des Knaben) Schulter
1) arisyatas te hrdayasya priyo bhüyäsam, Oldenberg: „Deinem un¬
verletzten Herzen möge ich lieb sein." arisyatas ist aber wohl zu te zu nehmen.
136 Caland, Zur Exegese und Kritik der räuellen Sütras.
hinabfassen und die Stelle seines (d. h. des Knaben) Herzens be¬
rühren? Die Stelle des Herzens ist doch nicht im Rücken zu
suchen! Daraus folgt, dass Näräyana vollkommen recht hat mit
seiner Behauptung, der Lehrer soll den Knaben sich umdrehen
lassen, sodass dieser mit dem Angesicht nach Osten steht; erst
dann wird es ihm ja möglich sein, das Herz des Knaben in der
geschilderten Weise zu berühren. Alle Gfhyasütras, sofem sie diesen
Akt erörtem, bestätigen diese Auffassung. Am deutlichsten redet
das Kausikasütra (55. 16): ,Er fasst den Knaben bei den Armen,
stellt ihn mit dem Angesicht nach Osten und mit der rechten Hand
die SteUe seines Nabels berührend, flüstert er" u. s. w. Wir haben
also anzunehmen, dass Säükhäyanas Text entsteUt ist und dass
Näi-äyana noch das richtige anvävartya und paryävartya (II. 3. 2
und II. 4. 3) gelesen hat. Was endUch den Spmch angeht, gerade
hier bietet das Sambavyagfhya das einzig Richtige: anvävartasva.
IX. Zu Hir. gfhs. L 26. 13, 14.
Da, wo uns, wie in der 16. Kandikä des 1. Prasna in Hiranya-
kesins (jfhyasütra, die einheimischen Kommentare im Stich lassen,
sind wir auf die verwandten Texte angewiesen, die uns für diesen
Passus, wo Oldenberg in seiner Übersetzung mehrere Pragezeichen
gelassen und Textesändernngen vorgeschlagen hat, die gewünschte
Auskunft erteilen. Zuerst sind die Sütras vom Herausgeber des
Hiranyakeäin nicht richtig getrennt. Sie sollten folgendermassen
abgeteilt werden: eJcaikaJo vyährtih samastäJ ca hutvä | 12 | ayäd
cägne 'sy . . . . bhesajarn svähety etäm | 13 | manasvatlrn präjä-
■patyäm saptavatirn ca hutvä dadahotärarn maruisänudrutya samgra¬
harn hutvä u. s. w. Die SteUe bedentet: ,Er opfert (drei Spenden)
mit den Vyähfti gesondert und dann eine mit den vereinigten
Vyähfti ; eine Spende mit dem Spruche : ayäd cäffne 'si; eine
mit dem Manasverse (TS. I. 5. 3, 2); eine mit dem Prajäpativerse
(TS. L 8. 14, 2); eine mit dem , Siebenverse" (TS. L 5. 3, 2);
endlich sagt er im Geiste schnell die DaSahotrformel (TA. III. 1.1)
her und opfert eine Spende_ (mit der Dasahotfformel) samt dem
Graha genannten Spruche (TA. III. 1. 2)." Dasselbe RitueU flndet
sich auch im Baudhäyanasmärtasütra (im ParibhäsäteUe) und im
Bhäradväja (III. 2). Im Baudhäyana kommen zur Anwendung die
saptavati, die drei tantumati, die vier abhyävartini, die manasvati,
die präjäpatyä, die annkhyä (TS. IV. 1. 2, 2: anv agnir usasäm
agram akhyät), der präyascittamantra (ayäd cägne 'si), die jyotis¬
mati (TS. IV. 1. 7, 4: ud vayam), die 'äyui-dä (TB. I. 2. 1, 11)
und schliesslich die zwei mindähuti.
Verzeichnis der behandelten Stellen.
Baudh. grhs. I. 2 I.
Bhäradv. grhs. I. 11 II.
I 20 V.
,1-21 VI.
, II. 22 I.
Hir. grhs. I. 1. 21 I (Pussnote).
. , I. 12, 14-16 I.
, , I. 13, 16 I.
, I. 26, 13—14 IX.
Käth. grhs. 15. 16 IIL
, 27. 28 IV.
Kaus. sü. 72, 27—29 VII.
, 79, 17—19 IIL
Män. grhs. I. 7 II.
, , I- 7, 8 HL
, L 12 IV.
Sämb. grhs. I. 13 V.
Säükh. grhs. I. 19, 4 V.
, L 24, 2 V.
, , II. 3, 2 VIII.
, II. 4, 3 VHI.
138
Die Schaltmonate bei den Babyloniem
und die ägyptisch-chaldäische Ära des Nabonassar.
Von Julius Oppert.
I. Ursprung der Ära des Nabonassar.
Mit Logarithmentafeln macht man keine Geschichte. Die Auf¬
steUung und die Begründung dieses Lehrsatzes sind so überflüssig
nicht, wie sie im ersten Augenblicke erscheinen dürften. Die Be¬
weisführung wird sich aus der folgenden Darlegung ergeben.
Achttausend und vierzehn Anfänge von Kalendermonaten hat uns
Herr Dr. Eduard Mahler in einem sogenannten „Kanon" der babylo¬
nischen Monate von dem vermeintlichen Beginn der Ära des Nabonassar
geliefert. Eine dankenswerte Arbeit. Erkenntlicher müssten wir ihm
sein, wenn er anstatt der ziemlich unbestimmten Kalendermonate die
astronomischen Neomenien jedes dieser 8014 Monde gegeben. Die
k. k. Akademie der Wissenschaften zu Wien würde ihm dieses so gern
gewählt; haben, wie sie es dem Preiherm Eduard von Herdtl gegenüber gethan, der in einer trefflichen und höchst nützlichen Arbeit vier-
tausenddreihundertfünfnndfünfzig Neomenien gab (Band XLIX der
Denkschriften der k. k. Akademie der Wissenschaften math. -phys.
Klasse für 1884), und die sich vom Januar 957 n. Chr. bis Januar
605 vor Chr. erstrecken. Da nun Herr Dr. Eduard Mahler alle
Ersten der Monate vom 23. April 747 bis 1. März 99 verzeichnet,
so sind siebenzehnhundertvierundfünfzig gemeinsam, und wenn Herr
Dr. Eduard Mahler zu den wirklich wissenschaftlichen und ansprachs¬
losen Listen des Herm Dr. Eduard von Herdtl nur noch sechs-
tausendzweihundertundsechzig Neomenien hinzugefügt, so hätten wir
vom 1. Januar 957 bis 1. März 99 v. Chr. eine ununterbrochene
Reihe von zehntausendsechshundertundfünfzehn Neumonden, die jedem
Historiker und Chronologen , vorkommenden Falles , genehm sein
können.
Pür jene 8014 Kalenderdaten danken wir dem Herm Dr. E.
Mahler, und können imnier, wenn das Bedürfnis erscheint, den
LXII. Band der Denkschiiften der genannten Akademie (1895,