Monatsthema
14 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 12-2013
Bei internationalen Rankings der Wettbe- werbsfähigkeit schneidet die Schweiz zumeist sehr gut ab. Dank einer robusten Binnen- konjunktur und der leistungsfähigen Export- wirtschaft vermochte die Schweiz die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise gut zu meis- tern. Unsere Wirtschaft erfreut sich momen- tan bester Gesundheit – jedenfalls verglichen mit unseren Nachbarländern.
Dies liegt jedoch nicht etwa an einer be- sonders grossen Wachstumsstärke, denn punkto Arbeitsproduktivität und deren Ent- wicklung liegt die Schweiz nicht über dem Durchschnitt der fortgeschrittenen Industri- eländer. Der relative Wohlstand ist vor allem auf eine im internationalen Vergleich hohe Mobilisierung der Arbeitskräfte zurückzu- führen, die ihrerseits der hohen Arbeitsbetei- ligung und den langen Arbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten geschuldet ist. Die Schweizer Geld- und Finanzpolitik haben ebenfalls einen entscheidenden Anteil an diesem Erfolg.
Wie kann die Schweiz ihren Platz beibehalten?
Um ihren Platz unter den führenden In- dustrieländern der Welt nicht zu gefährden, muss die Schweiz grundlegende Reformen in Angriff nehmen. Der Bericht des Bundesra- tes zur Wachstumspolitik 2012–2015 legt dreizehn Massnahmen in sieben Handlungs- feldern fest, die zum Ziel haben, das Produk- tivitätswachstum der Schweiz zu erhöhen.
Im Handlungsfeld «Optimierung der öffent- lichen Finanzen» erwähnt der Bundesrat ex- plizit die Finan zierung der Transport- infrastrukturen und spricht sich für die Einführung einer generellen Mobility-Pri- cing-Strategie aus.
Teure und überlastete Transport
infrastrukturen
Die Verkehrsnachfrage wächst sowohl auf der Strasse wie auf der Schiene stetig und setzt damit die Verkehrsinfrastrukturen unter Druck. Der motorisierte Individual- verkehr (MIV) hat sich zwischen 1970 und 2011 praktisch verdoppelt.1 Und der Güter- verkehr hat von 1990 bis 2011 (in Tonnen pro Kilometer) um 39% zugenommen; das sind 4% mehr als das reale Bruttoinland- produkt derselben Periode.2
Das Strassennetz hat mit besonders gros- sen Problemen zu kämpfen. Die Verkehrs- überlastungen haben in den letzten 20 Jah- ren stark zugenommen (siehe Grafik 1). Im Jahr 2012 entsprechen sie auf Nationalstras- sen über 16 000 Staustunden. Zählt man auch die anderen Ursachen wie Unfälle oder Baustellen hinzu, beläuft sich die Zahl der Staustunden auf 19 921; das ist beinahe das Doppelte von 2008. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat auf die Problema- tik der Strassenüberbelastung in ihrem Län- derexamen von 2011 hingewiesen.3 Eine Lö- sung für das Problem der Verkehrszunahme drängt sich auch deshalb auf, weil Verkehrs- überlastungen erhebliche externe Kosten verursachen, welche letztlich die Allgemein- heit tragen muss. Gemäss einer Schätzung des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) beliefen sich die externen Kosten des Strassen- und Schienenverkehrs im Jahr 2009 auf rund 9 Mrd. Franken, wovon 94% durch die Strasse und 6% durch die Schiene verur- sacht sind.4 Die OECD empfiehlt deshalb die Einführung einer variablen Stauabgabe. Mit einer Verteuerung in den besonders betroffe- nen geografischen Zonen und in den Spit- zenzeiten würde es eine solche Abgabe erlau- ben, die Transportnachfrage je nach Ort und Zeit umzuverteilen.
Die Mobilitätsabgabe ist ein Wachstumsfaktor
Die Verwendung der öffentlichen Ausga- ben ist Teil der Wachstumspolitik des Bun- des. Dazu gehört die Prioritätensetzung. Ein leistungsfähiges Transportsystem ist essen- ziell für eine produktive Wirtschaft. In den
Eine Mobilitätsabgabe senkt den Druck auf Strasse und Schiene und fördert das Wachstum
Die zunehmende Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen stellt das Mobilitätsangebot und dessen Finanzierung vor bedeutende Her
ausforderungen. Im Rahmen seiner Wachstumspolitik 2012–
2015 hat sich der Bundesrat für ein generelles Mobility Pricing ausgesprochen: eine verkehrs
trägerübergreifende, leistungs
abhängige Nutzungsabgabe, die nach dem Verursacherprinzip ausgerichtet ist und eine An
näherung an die Kostenwahrheit im Verkehr bringt. Das System kann die wirtschaftlich nach
haltige Nutzung der Verkehrs
infrastrukturen ermöglichen und gleichzeitig für Entlastung in den Spitzenzeiten sorgen.
Sarah Bochud Stv. Leiterin a. i. Ressort Wachstum und Wettbewerbspolitik, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern Kasten 1
Definition
Mobility Pricing bezeichnet eine ver- brauchsbezogene Abgabe, die alle Verkehrs- träger einbezieht. Die Abgabe kann anhand der zurückgelegten Kilometer (nach dem Prinzip Benutzer-Zahler) oder nach Fahrplan- Segmenten erhoben werden, um die Ver- kehrsnachfrage zu beeinflussen und so die Verkehrsflüsse besser steuern zu können.
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vorangegangenen Wachstumspolitiken hat- te der Bundesrat vorgeschlagen, Versuche mit Road Pricing durchzuführen.5 Das Par- lament trat 2008 jedoch nicht auf eine sol- che Vorlage ein. In seiner Wachstumspolitik 2012–2015 lanciert der Bundesrat die Frage der Verkehrsfinanzierung neu, diesmal aber auf breiterer Basis: mit einer verkehrsträger- übergreifenden, leistungsgebundenen Mo- bilitätsabgabe, welche dem Verursacher- prinzip verpflichtet ist. Dabei geht es darum, dass die Verkehrsteilnehmer vermehrt selber zur Finanzierung der von ihnen benutzten Verkehrsinfrastruktur beitragen.
Das aktuelle Steuer- und Abgabensystem ist ausschliesslich auf die Finanzierung aus- gerichtet und berücksichtigt Verkehrsüber- lastungen nicht. Das öffentliche Gut der Mo- bilität stösst langsam an seine Grenzen.
Ausgehend von diesem Befund muss das Sys- tem aus langfristiger Sicht überdacht werden.
Ein neues System muss sich nicht nur damit begnügen, die langfristig notwendigen Ein- nahmen zur Deckung der Ausgaben für Nut- zung, Unterhalt und Ausbau zu generieren.
Es muss die Mobilität auch in Richtung einer ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Nutzung der Kapazitäten in besonders über- lasteten Netzen lenken. Dieses Ziel lässt sich mit einer leistungs-, qualitäts- und nachfra- geabhängigen Bepreisung des freien Zugangs zu den Transportinfrastrukturen erreichen.
Die Verkehrsintensität im Tagesverlauf ist stark von den Pendlern und ihren Wegen zum Arbeits- oder Ausbildungsort beein- flusst (siehe Grafik 2). Dies zeigt sich in den Spitzenzeiten am Morgen, über Mittag und am Abend. Abends spielt auch der Freizeit- verkehr eine gewisse Rolle. Eine Mobilitäts- abgabe muss darauf abzielen, das Verhalten so zu beeinflussen, dass die Bewegungen auf einen längeren Zeitraum verteilt werden, da- mit die externen Kosten der Verkehrsüberlas- tungen in den Spitzenzeiten sinken. Zur Op- timierung der Transportinfrastrukturen sind natürlich auch andere Massnahmen nötig, wie beispielsweise flexiblere Arbeitszeiten.
Ein solches Mobility Pricing gibt den öf- fentlichen Entscheidungsträgern eine echte Wahl: entweder mehr in die Erhöhung der Kapazitäten – auch zu Spitzenzeiten – inves- tieren und dabei die ökologischen Externali- täten sowie die Steuerbelastung begrenzen, oder versuchen, die bestehenden Kapazitäten bestmöglich auszunutzen. Das passive Beob- achten der konstanten Zunahme der Ver- kehrsüberlastung ist in jedem Fall die schlechtere Lösung – für das Wohlergehen der Schweiz und erst recht für das Wirt-
schaftswachstum.
Stunden
Überbelastung Unfall Baustelle Andere
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
0 5000 10 000 15 000 20 000
Anteil der Bevölkerung unterwegs
Total Arbeit und Ausbildung Einkäufe Freizeit Andere (geschäftliche Tätigkeit, Dienstfahrt, Service, Begleitung usw.)
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
0%
10%
20%
30%
40%
Quelle: ASTRA, Viasuisse / Die Volkswirtschaft
Quelle: BFS, ARE / Die Volkswirtschaft Grafik 1
Staus auf Schweizer Strassen, 2003–2012
Grafik 2
Verkehrsaufkommen im Tagesverlauf nach Reisezweck, 2010
1 Bundesamt für Statistik BFS (2013), Mobilität und Verkehr 2013, Statistik der Schweiz, S. 47.
2 BFS (2013), S. 58.
3 OECD (2011), OECD Economic Surveys:
Switzerland 2011, Januar 2012.
4 ARE, 2012, Externe Kosten 2005–2009: Berechnung der externen Kosten des Strassen- und Schienenverkehrs in der Schweiz.
5 Dieses System besteht darin, Abgaben für den Zugang zu städtischen Zentren für den MIV nach dem Vorbild ausländischer Metropolen zu erheben.