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Die Gefahrerhöhung im deutschen und US-amerikanischen Versicherungsvertragsrecht

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Die Gefahrerhöhung im deutschen und US-amerikanischen Versicherungsvertragsrecht

Bearbeitet von

Gregor Saremba, J. Matthias von der Schulenburg, Gerald Spindler

1. Auflage 2010. Taschenbuch. 266 S. Paperback ISBN 978 3 89952 515 1

Format (B x L): 14,8 x 21 cm Gewicht: 384 g

Recht > Handelsrecht, Wirtschaftsrecht > Versicherungsrecht

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1. Kapitel: Einführung

A. Beziehung von Gefahrübernahme und Prämie

Die vertragstypische Leistung im Versicherungsvertrag ist die Absicherung des Versicherungsnehmers gegen ein bestimmtes Risiko durch den Versicherer1. Somit übernimmt der Versicherer ein wirtschaftliches Risiko des Versiche- rungsnehmers, wobei Risiko die Gefahr meint, dass ein Schaden eintritt2. Daher ist es erforderlich, dass die versicherte Gefahr im Versicherungsvertrag genau beschrieben wird, um so festzulegen, gegen welche Gefahren die Versicherung den Versicherungsnehmer absichern soll3. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Gefahr ein „Beziehungsbegriff“ ist und daher im Einzelfall nur in Rela- tion zu einem Objekt bestimmt werden kann4.

Da der Versicherer mit dem Versicherungsschutz eine „unsichtbare Ware“5 ver- kauft, ist die Bestimmung der wesentlichen Vertragsbestandteile, wie z.B. die Gefahr, von entscheidender Bedeutung für die reibungslose Durchführung des Versicherungsvertragsverhältnisses. Die Klarheit über die versicherte Gefahr ist auch konstitutiv für die Festsetzung der von dem Versicherungsnehmer zu zah- lenden Prämie6. Die vertragliche Hauptleistungspflicht des Versicherungsneh- mers besteht nämlich in der Pflicht zur Zahlung der Versicherungsprämie nach

§ 1 Abs. 2 S. 1 VVG7. Diese Prämie entspricht grundsätzlich den vertraglich vereinbarten Tarifen, die nach versicherungsmathematischen und versicherungs- technischen Grundsätzen in einem Äquivalenzverhältnis zu dem versicherten Risiko stehen8. Um dieses Risiko richtig einzuschätzen und damit auch den rich- tigen Tarif zu finden, besteht u.a. auch die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers bezüglich aller für die Gefahr erheblichen Umstände nach § 19 VVG. Diese Gefahrenlage bildet die Grundlage für das gesamte Ver- sicherungsverhältnis9.

Der Versicherer kann bei dieser Bestimmung der Gefahr jedoch nicht davon ausgehen, dass die Gefahrenlage dauerhaft konstant bleiben wird. Er könnte da- her schon bei Vertragsschluss alle potenziellen Gefahrerhöhungen in die Prä- mienberechnung mit einbeziehen. Dies würde dann aber zwangsläufig zu erheb- lich höheren Versicherungsprämien führen10 und auch logische und wissen-

1 Um den genauen Leistungsinhalt, den der Versicherer zu erbringen hat, besteht ein hauptsächlich akademischer Streit. Siehe hierzu die Ausführungen unten 3. Kapitel A. II. 2. Fn. 285. Vgl. auch zum kurzen Überblick Römer in Römer/Langheid, § 1 Rn. 6.

2 Weyers/Wandt, Rn. 598.

3 Vgl. hierzu Prölss in Prölss/Martin, Vorbem. II Rn. 2; Weyers/Wandt, Rn. 599 ff.

4 Langenbach, S. 3.

5 Honsell, VersR 1981, 1094.

6 Weyers/Wandt, Rn. 603; Langenbach, S. 86.

7 Prölss in Prölss/Martin, § 1 Rn. 29; Weyers/Wandt, Rn. 346; Honsell, VersR 1981, 1094.

8 Weyers/Wandt, Rn. 347; Deutsch, Rn. 151.

9 BGHZ 7, 311, 318.

10 Prölss in Prölss/Martin, § 23 Rn. 1.

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schaftlich fundierte Grenzen überschreiten. Diese Berechung der Prämien durch grobe Prognosen soll durch die Regelung der Gefahrerhöhung im Interesse der Versicherungsschutzsuchenden vermieden werden, da hierdurch im Falle einer Gefahrerhöhung nachträglich reagiert werden kann11. Denn grundsätzlich soll nach den Regeln der Gefahrerhöhung der Versicherer nur für die Verwirkli- chung des anfänglich übernommenen Risikos einstehen müssen12.

Somit besteht ein maßgebliches Band zwischen Prämie und übernommener Ge- fahr. Wechselseitig sind Gefahr und Prämie voneinander abhängig und stehen grundsätzlich in einem Äquivalenzverhältnis zueinander. Wenn sich aber einer dieser Faktoren verändert, wird das Äquivalenzverhältnis gestört. Um eine Be- seitigung oder Behebung dieser Störung zu erzielen, bedarf es einer Regelung, die den versicherungsrechtlichen Besonderheiten und den damit zusammenhän- genden Interessen der Beteiligten Rechnung trägt. Diese Regelungen finden sich im deutschen Versicherungsvertragsrecht hauptsächlich in den §§ 23 ff. VVG, deren Behandlung den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden wird.

B. Interessen der Parteien des Versicherungsvertrages

Zunächst muss man sich die Interessen aller Beteiligten verdeutlichen, die ggf.

Einfluss auf das aus dem Äquivalenzverhältnis geratene Versicherungsvertrags- verhältnis haben könnten. Bei der Bestimmung der Interessen ist auf durch- schnittliche, vernünftig denkende Versicherungsnehmer abzustellen, wobei es im Einzelfall Abweichungen geben kann. Ob und inwieweit den jeweiligen Inte- ressenpositionen dann tatsächlich eine rechtliche Relevanz zukommt, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu untersuchen sein.

I. Interessen des Versicherungsnehmers

Das Interesse des Versicherungsnehmers im Falle der Gefahrerhöhung liegt im Grunde darin, dass er weiterhin den Versicherungsschutz behalten möchte und dies auch zu einer möglichst gleich bleibenden Versicherungsprämie. Denn ge- rade in dem Fall, dass sich die Gefahr für das versicherte Interesse erhöht hat, hat sich begrifflich die Notwendigkeit für die wirtschaftliche Absicherung der Gefahr erhöht. D.h. nach der Gefahrerhöhung braucht der Versicherungsnehmer eine Versicherung mehr als zuvor.

Für den Fall, dass es aufgrund der Gefahrerhöhung zu einem Versicherungsfall gekommen ist, hat der Versicherungsnehmer ein besonderes Interesse an der Versicherungsleistung, da ihm schließlich ein Schaden widerfahren ist.

11 Motive, S. 101 f.; Prölss in Prölss/Martin, § 23 Rn. 1, 16; Prölss, FS Larenz, S. 497 ff.; Langheid in Römer/Langheid, §§ 23-25 Rn. 3, 9; Wussow, VersR 2001, 678; Prölss, NVersZ 2000, 153, 157. Vgl.

auch BK/Harrer, § 23 Rn. 1.

12 Honsell, VersR 1982, 112, 114.

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II. Interessen des Versicherers

Der Versicherer ist grundsätzlich daran interessiert, seinen Vertragspartner zu behalten. Allerdings liegt es auch in seinem Interesse, ein bestimmtes Risiko nur gegen eine entsprechende Versicherungsprämie abzudecken. Dieses grundsätzli- che Äquivalenzverhältnis von Prämie und Gefahr im Zeitpunkt des Vertrags- schlusses ändert sich jedoch im Falle der Gefahrerhöhung. Dadurch, dass die Gefahr angestiegen ist, steht dem vom Versicherer übernommenen Risiko eine zu geringe und somit nun inadäquate Prämie gegenüber.

Welches Interesse der Versicherer hinsichtlich der Zukunft des Versicherungs- vertrages hat, ist auch abhängig von dem Ausmaß der Gefahrerhöhung. Wenn sich der neue Gefahrstand noch im Rahmen des versicherbaren Risikos bewegt, hat der Versicherer als vernünftiger Unternehmer ein Interesse daran, auch die- ses Risiko zu versichern, jedoch unter der Erlangung einer dementsprechend er- höhten Prämie. Es kann aber auch der Fall eingetreten sein, dass die Gefahr dermaßen erhöht wurde, dass es versicherungstechnisch nicht mehr sinnvoll ist, einen Versicherungsvertrag über dieses Risiko zu schließen bzw. fortzuführen.

Auch kann er deshalb kein Interesse an der Fortführung des Versicherungsver- trages haben, weil das Verhalten des Versicherungsnehmers eine weitere ver- trauensvolle Versicherungsbeziehung ausschließt. Daher kann man für den Fall der Gefahrerhöhung zwei Interessenlagen des Versicherers unterscheiden. Im einen Fall will er die Fortführung des Versicherungsvertrages mit einer erhöhten Prämie, im anderen Fall will er die Versicherung auch nicht mit einer erhöhten Prämie fortführen, sondern er hat ein gesteigertes Interesse an der Vertragsbeen- digung.

Wenn aufgrund der Gefahrerhöhung ein Versicherungsfall eingetreten ist, möch- te der Versicherer grundsätzlich von seiner Leistungspflicht befreit werden, denn sonst muss er den Versicherungsfall gemäß den vertraglichen Abreden re- gulieren.

III. Interessen der Gefahrengemeinschaft

Eine weitere Interessenposition nimmt die sog. Gefahrengemeinschaft ein13. Kurz gesagt, handelt es sich bei der Gefahrengemeinschaft um die Gesamtheit aller Versicherungsnehmer, die bei einem Versicherer ein vergleichbares homo- genes Risiko durch eine Versicherung abgesichert haben. Ohne den später fol- genden Ausführungen vorzugreifen, kann man sagen, dass die Gefahrengemein- schaft als solche ein großes Interesse an möglichst vielen Gefahrengemein- schaftsmitgliedern hat, um eine ausreichende Finanzierung des Schadensaus- gleichs im Kollektiv zu erreichen und über die Optimierungsfunktion eine mög- lichst geringe Versicherungsprämie anzustreben.

13 Ausführlich zum Begriff, zur Bedeutung und zur Frage der rechtlichen Erheblichkeit der Gefahren- gemeinschaft siehe unten 3. Kapitel D. I.

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Die Gefahrengemeinschaft beruht auf einer möglichst homogenen Risikolage.

Daher entspricht es ihrem Wesen, dass sie nach einer Gefahrerhöhung den je- weiligen Versicherungsnehmer nur zu angemessenen Prämien als Mitglied be- halten will. Daher liegt primär eine Vertragsanpassung im Interesse der Gefah- rengemeinschaft. Dieser Tendenz zur Kontinuität in den Vertragsverhältnissen ist aber auch eine Grenze gesetzt. Wenn nämlich der Versicherungsnehmer die Gefahrerhöhung absichtlich betrieben hat, ist zwangsläufig das Vertrauensver- hältnis in Frage gestellt. So kann es in solchen Fällen im Interesse der Gefahren- gemeinschaft sein, das Versicherungsverhältnis zu beenden.

IV. Zusammenführung der Interessenpositionen

Die Interessen der am Versicherungsverhältnis beteiligten Parteien sind im Falle einer Gefahrerhöhung vielschichtig und teilweise unterschiedlich gelagert. Nur in einigen Teilbereichen decken sich die Interessen des Versicherungsnehmers und die des Versicherers, so dass es zu Interessenkonflikten kommt, die von der Rechtsordnung zu lösen sind. Hierbei steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungs- spielraum zu.

Als mögliche legislatorische Regelungsmodelle kommen eigentlich nur zwei grundlegende Systementscheidungen in Frage. Vernünftigerweise wird man in jedem Fall Gefahrerhöhungen, die auf den Willen des Versicherungsnehmers zurückzuführen sind, sanktionieren bzw. dem Versicherer Reaktionsmöglichkei- ten einräumen. Heterogener kann jedoch die Antwort auf die Frage ausfallen, wie man auf Gefahrerhöhungen reagiert, die unabhängig vom Versicherungs- nehmer eintreten. Hierbei könnte man sich einerseits dafür entscheiden, dass diese Fälle vom Versicherer zu tragen sind und uneingeschränkter Versiche- rungsschutz für den Versicherungsnehmer besteht. Jedoch könnte man sich auch dafür entscheiden, dass der Versicherer diese Fälle der Gefahrerhöhung, die un- abhängig vom Versicherer eintreten, nicht uneingeschränkt durch seinen Versi- cherungsschutz abzudecken hat bzw. dass man ihm in einem solchen Fall Lö- sungsmöglichkeiten vom Versicherungsvertrag einräumt.

Somit stehen sich grundsätzlich ein strenges und ein milderes Modell gegenüber.

Das strengere System hält nicht nur Rechtsfolgen für vom Versicherungsnehmer verursachte Gefahrerhöhungen bereit, sondern sanktioniert auch unabhängig ein- tretende Gefahrerhöhungen. Hingegen beschränkt sich das mildere System auf die Sanktionierung solcher Gefahrerhöhungen, die auf den Versicherungsneh- mer zurückzuführen sind, und unabhängig von ihm eintretende Gefahrerhöhun- gen sind vom Versicherungsschutz erfasst. Dieses sind zwei denkbare und grundsätzlich vernünftige Regelungsgrundsysteme, die man dann systemimma- nent durch einzelne Teilaspekte variieren kann, und so in diesem Rahmen, der durch die beiden grundlegenden Systeme aufgespannt ist, eine Vielzahl von un- terschiedlichen Systemen durch Kombinationen und Veränderungen entstehen lassen kann.

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C. Reform des VVG vom 1.1.2008 und die Verknüpfung mit den

§§ 23 ff. VVG

I. Bedeutung der Reform des VVG für diese Arbeit

Diese Arbeit soll sich aber nicht nur den Interessenkonflikten, den Problemen und den Fragestellungen innerhalb der Regeln der Gefahrerhöhung widmen.

Vielmehr werden auch die Veränderungen durch die gerade vollzogene, um- fängliche VVG-Reform vom 1.1.2008 mit einbezogen. Hierbei wird eine Bewer- tung dieser grundlegenden Veränderungen mit dem besonderen Blick auf die Auswirkungen auf die Regeln der Gefahrerhöhung angestrebt. Mit einer Reform sind auch immer Systemveränderungen, Hoffnungen auf Verbesserung und An- passung an die Gegebenheiten und Wertvorstellungen der Gegenwart verbunden.

Welches diese Hoffnungen und Erwartungen im Bezug auf die Gefahrerhöhung waren und ob diese erreicht bzw. gar übertroffen wurden, wird in den folgenden Kapiteln thematisiert.

II. Rechtgeschichtlicher Abriss bis zur Reform des VVG vom 1.1.2008

Um jedoch die zurückliegende Reform in ihrer Bedeutung und Zielsetzung zu verstehen, ist es notwendig, sich einen Abriss der Geschichte des VVG und der darin enthaltenen §§ 23 ff. VVG vor Augen zu führen14.

Vor der Reichseinheit 1871 war das Versicherungsvertragsrecht nur in den je- weiligen deutschen Teilstaaten geregelt, wobei sich hier viele Gemeinsamkeiten und kongruente Regelungsbereiche zeigten15. So war das maßgebliche Ziel des alten VVG die „Herstellung eines gemeinsamen Privatversicherungsrechts“16. Dass das Versicherungsvertragsrecht nicht in das BGB mit aufgenommen wurde, findet seine Ursache schon früh darin, dass Levin Goldschmidt, der von der 1873 eingesetzten Vorkommission mit der Ausarbeitung eines Beschlussvorschlags beauftragt worden war, in seinem Vorschlag von 1874 in das BGB zwar das ge- samte Privatrecht aufnehmen wollte, jedoch nicht dasjenige Recht, das in das zu redigierende HGB aufzunehmen sei, wozu er ausdrücklich das gesamte Versi- cherungsrecht zählte17. Eine ausdrückliche Begründung hierfür sucht man in dem Vorschlag vergeblich18. Jedoch wird dies dadurch zu begründen sein, dass Goldschmidt das gesamte Versicherungsrecht von der Seeversicherung geprägt sah und die Seeversicherung ein Hilfsgeschäft des Handels war19. Zu dieser tief greifenden Reform des HGB ist es jedoch in der Folgezeit nicht gekommen20.

14 Zur Bedeutung der Rechtsgeschichte für die Versicherungswissenschaft siehe Hedderich/Saremba/

Grobenski, ZfV 2007, 136.

15 Vgl. Neugebauer, S. 27 ff.

16 Motive, S. 59.

17 Neugebauer, S. 87.

18 Neugebauer, S. 87.

19 Neugebauer, S. 87 mit Nachweisen.

20 Neugebauer, S. 88.

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Nach der reichseinheitlichen Regelung des Versicherungsaufsichtsrechts nahm sich der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtseinheit und Förderung eines ge- meinsamen Wirtschaftsgebiets auch der Regelung des Versicherungsvertrags- rechts an21. Mit der Kodifikation des deutschen Versicherungsvertragsrechts im VVG vom 30. Mai 1908, das am 1. Januar 1910 in Kraft trat, wurde u.a. die Problematik der Gefahrerhöhung zum ersten Mal einheitlich für das Deutsche Reich geregelt22. Das VVG wurde als „zu den Meisterwerken der Gesetzge- bungskunst“23 zählend betrachtet. Vielleicht ist auch deshalb der Wortlaut der

§§ 23 ff. VVG seit dem Gesetzentwurf vom 29. April 1907, abgesehen von der Einfügung des § 29a VVG a.F. durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19. Dezember 193924, unverändert geblie- ben. Hinsichtlich des gegenteiligen Falls der Gefahrminderung wurde jedoch 1939 der § 41a VVG a.F. eingeführt, der diesbezüglich eine Anpassung des Ver- trages an die geminderte Gefahr vorsah25.

Das VVG gilt gemäß Art. 123 Abs. 1, 125 Nr. 1 GG seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes als Bundesrecht weiter, da es sich beim Versicherungsvertrags- recht um konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 11 GG handelt26. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Gesetzestext der §§ 23 ff. VVG nicht geändert worden. Nicht alleine deswegen stellt die VVG-Reform eine historische Zäsur nach fast 100 Jahren dar.

Zwar ist das Alter einer Regelung allein kein Grund für eine Reform, aber nach fast 100 Jahren sah man sich verpflichtet, zu überprüfen, ob die grundlegenden Wertungen eines Gesetzes noch mit der Gesellschaftswirklichkeit übereinstim- men27. Da dies vom Gesetzgeber verneint wurde, wurde eine umfassende Re- form angestrebt.

Für die zurückliegende Reform wurde viel Zeit veranlagt28. Zunächst setzte das Bundesministerium der Justiz eine Reformkommission ein, die aus selbständi- gen Sachverständigen bestand. Mit der Ausgliederung der Arbeit aus dem Bun- desministerium der Justiz in die selbständige Kommission war die Hoffnung verbunden, dass hierdurch ein größerer Konsens gefunden werden könnte, der auf eine breite Zustimmung treffen würde29.

21 Neugebauer, S. 90.

22 Bruck/Möller, Einl. Anm. 4; Koch, S. 195, 198.

23 Bruck/Möller, Einl. Anm. 5.

24 RGBl. I S. 2443 ff.

25 Weyers/Wandt, Rn. 607.

26 Bruck/Möller, Einl. Anm. 5. Siehe zur Gesetzgebungskompetenz auch RegE, Begründung S. 140.

27 Vgl. hierzu auch Niederleithinger, A Rn. 3.

28 Ein grundlegender und sehr informativer Überblick über das Gesetzgebungsverfahren findet sich bei Niederleithinger, A Rn. 5 bis 14.

29 Niederleithinger, A Rn. 5.

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Am 30.5.2002 wurde ein Zwischenbericht von der Kommission an das Bundes- ministerium der Justiz übergeben30, ehe dann am 19.4.2004 die Kommission ih- ren Abschlussbericht31 vorgelegt hat. Auf dessen Grundlage erstellte das Bun- desministerium der Justiz einen Referentenentwurf32, der mit einigen wesentli- chen Änderungen am 13.3.2006 vorgelegt wurde. Daraufhin beschloss die Bun- desregierung am 11.10.2006 ihren Regierungsentwurf33. Nach dem Gang des formellen Gesetzgebungsverfahrens hat der Bundestag am 5.7.2007 das Gesetz verabschiedet, und der Bundesrat hat am 21.9.2007 das Gesetz beschlossen. Der Bundespräsident Horst Köhler hat am 23.7.2007 das Gesetz unterschrieben und verkündet34.

Wie auch schon das alte VVG aus dem Jahre 1908 erfährt nun auch das neue VVG und insbesondere das Vorgehen in zeitlicher und fachlicher Hinsicht unter Vorbehalt von einzelnen Kritikpunkten teilweise starken Beifall35. Insgesamt kann man rechtshistorisch mit Blick auf die Gefahrerhöhung festhalten, dass nach fast 100 Jahren ohne gesetzgeberische Veränderung der §§ 23 ff. VVG durch die Reform erstmalig in die Regeln der Gefahrerhöhung eingegriffen wur- de.

D. Fallbeispiele zur Gefahrerhöhung

Um einen Einstieg in die Thematik der Gefahrerhöhung und die damit verbun- denen Fragestellungen und Probleme zu erleichtern und die versicherungsrecht- liche Relevanz der Gefahrerhöhung aufzuzeigen, seien hier ein paar unkommen- tierte Beispiele diskutierter Konstellationen der Gefahrerhöhung dargestellt. E- benfalls sollen diese Beispiele die Grenzen des Anwendungsbereichs der

§§ 23 ff. VVG ausleuchten.

30 Dieser Zwischenbericht wurde zwar vom Ministerium als Manuskript und auch als Datei verbreitet, jedoch ist er nie im Druck erschienen.

31 Der Abschlussbericht der Kommission ist unter http://www.bmj.bund.de/media/archive/667.pdf,

Stand: 27.5.2008, abrufbar.

32 Auch dieser Referentenentwurf wurde breit gestreut, ist aber nicht im Druck erschienen. Der Refe- rentenentwurf ist in drei Teilen abrufbar unter:

http://versicherungsreform.de/Dokumente/PDF/Referentenentwurf-VVG-Teil1-13.03.06.pdf, http://versicherungsreform.de/Dokumente/PDF/Referentenentwurf-VVG-Teil2-13.03.06.pdf, http://versicherungsreform.de/Dokumente/PDF/Referentenentwurf-VVG-Teil3-13.03.06.pdf, Stand:

27.5.2008.

33 Niederleithinger, A Rn. 11. Der Regierungsentwurf ist zu finden als BT-Drucksache 16/3945. Der Regierungsentwurf ist ebenso im Internet abrufbar unter

http://www.bmj.bund.de/media/archive/1320.pdf, Stand: 27.5.2008. Die in dieser Arbeit gemachten Seitenangaben beziehen sich auf die Fassung, die auf der Homepage des Bundesministeriums der Jus- tiz unter der angegebenen Adresse abzurufen ist.

34 BGBl. I 2007, 2631 ff.

35 So z.B. Schubach, AnwBl 2007, 215, der das VVG als „rühmliche Ausnahme“ von den sonstigen in Zeitnot und ohne hinreichende fachliche Kompetenz erarbeiteten Gesetzes bezeichnet. Siehe auch Römer, VersR 2006, 740, „ein großer Wurf“. Etwas fraglicher sieht dies Präve, VersR 2007, 1046,

„Ob das Versicherungsvertragsgesetz 2008 ein neues Jahrhundertgesetz werden wird ist ungewiss.“

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• Im Zuge der globalen Erwärmung nehmen in bestimmten Landstrichen Deutschlands die Häufigkeit und Intensität von Wirbelstürmen und sons- tigen Naturkatastrophen erheblich zu. Versicherer V sieht sich nicht mehr in der Lage, seine Elementarschadenversicherungen in diesen Landstri- chen auf der Basis der bestehenden Prämien fortzusetzen. In einigen Ge- bieten will V die Elementarschadenversicherung vollständig beenden, in anderen Gebieten ist er bereit, die Versicherungsverhältnisse gegen eine erhöhte Prämie fortzusetzen.

• Die FIFA schließt zur Absicherung der Fußballweltmeisterschaft 2002 in Japan und Korea im Vorhinein eine Sportveranstaltungsausfallversiche- rung36 beim Versicherer V ab. Am 11.9.2001 ereignen sich die Terroran- schläge auf das World Trade Center in New York, das Pentagon in Wa- shington D.C. und der vereitelte Anschlag mit dem Flugzeug, das in Pennsylvania abstürzt. Daraufhin kommt es infolge des Bündnisfalles nach Art. 5 NATO-Vertrag zum NATO-Einsatz in Afghanistan, in dessen Zusammenhang das globale Terrornetzwerk Al-Qaida den „Heiligen Krieg“ ausruft. V sieht durch diese militärischen und politischen Vorgän- ge die Rahmenbedingungen der Welt verändert und schätzt das Risiko ei- nes Versicherungsfalles in der Ausfallversicherung nun als erhöht ein und möchte das Versicherungsverhältnis mit der FIFA durch Kündigung be- enden37.

• Kaufhausbetreiber K hat für seinen Betrieb eine Feuerversicherung abge- schlossen. In den folgenden Monaten erleidet das Kaufhaus einen Um- satzeinbruch. Um Kosten zu sparen, stellt K die Wartung und den Betrieb der Sprinkleranlage im Lager des Kaufhauses ein, welche bei Ausbruch eines Feuers eigentlich eine schnelle Brandlöschung bezwecken soll. Ver- sicherer V verweigert die Zahlung der Versicherungsleistung unter Hin- weis auf die Gefahrerhöhung durch die Abschaltung der Sprinkleranlage.

K erwidert, dass sich durch die Abschaltung die Wahrscheinlichkeit eines Brandes gar nicht erhöht hat.

36 Eine solche Versicherung gewährt dem Versicherungsnehmer in Fällen von Absage, Abbruch, Ver- schiebung etc. Versicherungsschutz für daraus resultierende Vermögensschäden. Zu weiteren Voraus- setzungen und tieferen Einblicken siehe Langheid, NVersZ 2002, 433.

37 Fall nach LG Köln VersR 2004, 636 ff. = r+s 2005, 345 ff., das eine Veränderung der Weltlage durch den 11. September in Zweifel gezogen hat, die Frage aber im Ergebnis offen lässt, da der Versi- cherer sein etwaiges Kündigungsrecht anderweitig verwirkt hat; siehe zu diesem Fall auch Beckmann, ZIP 2002, 1125 ff. Vgl. hierzu auch den ähnlichen Fall der Kündigung einer Veranstaltungsausfallver- sicherung, welche die FIBA für ihre Basketballgroßveranstaltung abgeschlossen hatte, bei LG Mün- chen, NVersZ 2002, 454 f., das in den Geschehnissen des 11. September 2001 keine Gefahrerhöhung sah, da es schon zuvor zu Attentaten etc. durch islamistische Terroristen gegen westliche Ziele ge- kommen war. Hingegen sieht Langheid, NVersZ 2002, 433, 434 in den Geschehnissen des 11. Sep- tember 2001 einen Terrorakt von einer „solchen unerhörten Wucht und einer derart neuen, bis dato unbekannten und unerwarteten Terrorqualität, dass sich jeder Vergleich mit früheren Terroranschlägen verbietet“.

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• Das Kfz des T wird bei Versicherer B u.a. gegen Diebstahl kaskoversi- chert. Randalierende Jugendliche schlagen eines Tages das Seitenfenster des Wagens ein. Obwohl T diesen Schaden bemerkt, bleibt das Fenster wochenlang unrepariert und an dem frei zugänglichen Parkplatz geparkt.

Nach über einem Monat wird das Auto durch Unbekannte gestohlen. B verweigert den Versicherungsschutz, da durch die eingeschlagene Scheibe die Gefahr einer Entwendung erheblich gestiegen sei38.

• Das Kfz des A wird im fahrtüchtigen Zustand bei Versicherer B versichert.

Nach einiger Zeit tritt an dem Pkw des A ein Mangel auf, der die Ver- kehrstauglichkeit des Pkw aufhebt. A macht sich mit dem Pkw auf den di- rekten Weg zur Werkstatt, um den Mangel beheben zu lassen. Auf dieser Fahrt kommt es zu einem Unfall. B verweigert die Zahlung der Versiche- rungsleistung, da in der Verwendung des verkehrsuntauglichen Pkws eine Gefahrerhöhung liege39.

• Der Gastwirt G hat eine Einbruchs- und Diebstahlversicherung für seinen Betrieb abgeschlossen. Er legt den Gaststättenbetrieb für einen Monat vo- rübergehend still, um die Betriebsferien durchzuführen. Während dieser Zeit kommt es zu einem Einruch. Der Versicherer verweigert die Zahlung der Versicherungsleistung, da durch die Betriebsferien die Gefahr eines Einbruchs erheblich erhöht worden sei. G verteidigt sich damit, dass Be- triebsferien in der Gastronomie absolut üblich und daher mitversichert seien40.

• Hauseigentümer H schließt eine Einbruchdiebstahlversicherung für sein Haus ab. Im Laufe der Zeit treten Schäden am Haus auf, zu deren Repara- tur eine Einrüstung des Gebäudes notwendig ist. Für die Zeit der Einrüs- tung lässt H das Haus von einer Wach- und Schließgesellschaft bewachen.

Trotzdem kommt es zu einem Einbruch und der Entwendung einiger Ge- genstände. Auf die Weigerung des Versicherers V, die Versicherungsleis- tung zu zahlen, da durch die Einrüstung eine Gefahrerhöhung eingetreten sei, erwidert H, dass diese Gefahrerhöhung durch den Einsatz der Wach- und Schließgesellschaft ausgeglichen worden sei41.

• Geschäftsinhaber G versichert sein Ladengeschäft bei der Versicherung V.

Nach der Geschäftseröffnung wendet sich der Dritte D an G und verlangt von ihm „Schutzgeld“, weil ansonsten sein Geschäft zerstört werden wird.

Diese Drohung zeigt G der V nicht an. Nachdem G kein „Schutzgeld“ be- zahlt, wird das Ladengeschäft komplett zerstört. V verweigert den Versi-

38 Beispiel nach OLG Hamm VersR 1996, 448 f.

39 Beispiel nach Weyers/Wandt, Rn. 648. Vgl. auch BGHZ 23, 142, 146 f.; BGH VersR 1968, 1033 f.

40 Beispiel nach Martin, SVR, N III Rn. 47.

41 Beispiel nach BGH VersR 1975, 845 ff.

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cherungsschutz, da die Schutzgelderpressung eine Gefahrerhöhung gewe- sen sei42.

E. Gang der Darstellung

Um sich dem Thema dieser Arbeit auch rechtsvergleichend zu nähern, werden zunächst im sich anschließenden 2. Kapitel die US-amerikanischen Regeln zur Gefahrerhöhung dargestellt. Im 3. Kapitel werden dann die rechtlichen Rah- menbedingungen im deutschen Recht für die Regeln der Gefahrerhöhung be- trachtet. Besonderes Augenmerk findet dann die materiellrechtliche Dogmatik der Gefahrerhöhung aus den §§ 23 ff. VVG im 4. Kapitel. Nach der intensiven Auseinandersetzung mit diesen allgemeinen Kernregelungen der Gefahrerhö- hung wendet sich das 5. Kapitel den besonderen Fällen der Gefahrerhöhung in speziellen Versicherungsarten zu. Nachdem schon in den vorangegangenen Ka- piteln an bestimmten Stellen rechtsvergleichende Schlüsse eingeflossen sind, wird im 6. Kapitel ein zusammenfassender Rechtsvergleich zwischen den Re- geln des US-amerikanischen Versicherungsvertragsrechts zur Gefahrerhöhung und den deutschen §§ 23 ff. VVG vorgenommen. Zum Ende der Arbeit werden im 7. Kapitel zusammenfassende Schlussbetrachtungen angestellt und ein Aus- blick auf die weitere Entwicklung der Regeln zur Gefahrerhöhung gegeben.

42 Beispiel nach Prölss, NVersZ 2000, 153, 156 ff.

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