Primär- und Sekundärprophylaxe der HIV-Erkrankung
Zu dem Beitrag von Dr. med. Hans Jäger in Heft 44/1989
111Pentamidin-Inhalation problematisch
0 Die Überschrift weckt unbe- gründete Hoffnungen. Tatsächlich wird nicht über die Prophylaxe bei AIDS berichtet, sondern nur über die gegen die in etwa 50 Prozent der Fälle auftretenden Pneumocystis-ca- rinii-Infektionen mit Pentamidin und über die mit Zidovudin gegen den viralen Infekt, auch über die Kombination beider Stoffe in diesem Zusammenhang.
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Das seit langem bekannte, recht toxische Pentamidin wurde bis- her i. v. gegeben. Mit dem Angebot, per Inhalationen durch Dosisminde- rung eine Toxizitätsminderung zu er- zielen und systemische Wirkungen auszuschalten, ist keine brauchbare Lösung erreicht. Das Pentamidin wird dabei auf der Schleimhautober- fläche der Luftwege deponiert, kei- neswegs gleichmäßig in der ganzen Lunge. Selbst wenn bei monatlich einmaliger Inhalation eine Vermin- derung der Erregermasse zustande- käme (Beweise dafür gibt es nicht), wäre damit natürlich eine Therapie der PCP nicht möglich, ist sicherlich auch nicht beabsichtigt; statt des er- warteten prophylaktischen Effekts käme es aber schnell zur Pentami- din-Resistenz, die bei unwirksam ge- bliebener Prophylaxe eine Pentami- din-Therapie ineffektiv machen würde.0
Der technische Umstand bei der Inhalation ist erheblich, in vielen Ländern nicht praktikabel, eine Ge- fährdung des Pflege- und Wartungs- personals ist nicht ausgeschlossen, die zusätzliche Infektion der Kran- ken mit Opportunisten aus der Um- gebung nicht immer vermeidbar. Die Nebenwirkungen sind nicht unbe- deutend. Eine Zusatzmedikation ge- gen Nebenwirkungen der Hauptme- dikation einzusetzen, kann in be-drohlichen Situationen sinnvoll sein, aber das Mißverhältnis zwischen Er- folg und Nebenerscheinungen beim Pentamidin rechtfertigt das nicht.
43 Andere pulmonale Infektio- nen, auch durch Mykobakterien, ein- schließlich der Tuberkulose, sind nicht selten, bilden aber ebenso wie das Asthma eine Kontraindikation.
Außer Pneumocystis carrinii gibt es bei AIDS zahlreiche andere durch Pentamidin nicht beeinflußbare op- portunistische Infektionen, die für den Kranken tödlich sein können.
Was macht man bei ihnen?
„Die HIV-Krankheit ist eine schwere, aber behandelbare Ge- sundheitsstörung" — behandelbar, wenn man das so nennen will, aber mit Pentamidin oder mit Zidovudin und auch mit beiden zusammen nicht heilbar. Worin besteht der mit so großem publizistischem Aufwand angekündigte Fortschritt wirklich?
Seit langem gibt es in Deutschland entwickelte Kombina- tionen, die, oral appliziert, mit mini- maler Unverträglichkeitsrate bei fast allen opportunistischen Infektionen einschließlich Pneumocystis und Tu- berkulose, sowohl therapeutisch als auch prophylaktisch, hochwirksam sind. Dem Kranken ist damit zweifel- los mehr gedient.
Professor Dr. Dr. Enno Freerksen Sterleyer Straße 44 • 2410 Mölln
Die Pneumocystis-carinii-Pneu- monie ist die häufigste relevante op- portunistische Infektion im Rahmen der HIV-Erkrankung. Sie ist deshalb als Beispiel für eine inzwischen mög- lich gewordene Primär- und Sekun- därprophylaxe gut geeignet. In naher Zukunft werden Fragen der CMV-, der Toxoplasmose-, der Kryptokok- kose-, eventuell auch Tuberkulose-
Prophylaxe relevant werden, bezie- hungsweise sie sind es bereits. Be- handlung und zum Teil Prophylaxe der häufigsten Todesursachen bei AIDS sind damit möglich geworden.
Immer noch versterben allerdings die meisten Patienten nach einigen Jahren an dieser Krankheit.
Die Entwicklung einer Pentami- din-Resistenz bei prophylaktischer Anwendung, wenngleich denkbar, wurde bisher nicht ausreichend be- legt. Natürlich ist ein 100prozentiger Schutz nicht möglich. Derzeit wird darüber nachgedacht, ob mögliche extrapulmonale Pneumocystis-cari- nii-Infektionen durch zwei- oder dreimonatige i. v.-Gaben von Penta- midin sinnvoll verhindert werden können.
In der Behandlung — meine Ar- beit geht allerdings nur auf die Pro- phylaxe ein — stellt die Kombination von früher systemischer Therapie mit zum Beispiel Sulfamethoxazol- Trimethroprim oder Pentamidin und anschließender Pentamidin-Inhala- tion einen derzeit erwogenen neuen Weg dar.
Herr Kollege Freerksen weist zu Recht darauf hin, daß die an sich einfache Technik der Inhalation in vielen Ländern nicht praktikabel ist, wohl auch bei uns („Man muß wis- sen, wie es geht.") noch oft vermeid- bare Fehler gemacht werden. Eine Gefährdung des Pflegepersonals läßt sich grundsätzlich, zum Beispiel durch Mitinhalation oder Infektion etwa mit Mykobakterien, nicht aus- schließen. Die bisherigen wenigen Fallmitteilungen hierzu geben aller- dings Anlaß zu der Vermutung, daß die statistische Gefährdung des Per- sonals eher sehr klein ist. Die von Herrn Kollegen Freerksen angeführ- te, in Deutschland entwickelte Kom- bination, die, oral appliziert, mit mi- nimaler Unverträglichkeitsrate bei fast allen opportunistischen Infektio- nen, einschließlich Pneumocystis und Tuberkulose, sowohl therapeu- tisch als auch prophylaktisch hoch- wirksam ist, ist mir nicht bekannt.
Wenn es sie gibt, wären solche Sub- stanzen natürlich ein großer Segen.
Dr. med. Hans Jäger
Kuratorium für Immunschwäche Mozartstraße 3 • 8000 München 2
i Schlußwort
A-950 (68) Dt. Ärztebl. 87, Heft 12, 22. März 1990