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Archiv "Zerstört Kritik Vertrauen?" (20.03.1975)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

THEMEN DER ZEIT:

Zerstört Kritik Vertrauen?

Famulatur

in der freien Praxis

Das Bundesverdienstkreuz und die

Leistungsgesellschaft

FORUM:

Die Entarztung der Welt

GESCHICHTE DER MEDIZIN:

Patient Lenin:

ein Übermensch?

BEKANNTMACHUNGEN:

Kassenarztsitze

PERSONALIA:

Ernst-von-Bergmann- Plakette

für Verdienste um die Fortbildung

Seit Gerd Muhr, der stellvertreten- de Vorsitzende des Deutschen Ge- werkschaftsbundes, im Herbst 1971 vor der Hauptversammlung des Verbandes der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (NAV) gewerk- schaftliche Vorstellungen zur Re- form des Gesundheitswesens vor- trug, gibt es eine breite Welle öf- fentlicher Kritik an der Ärzteschaft, insbesondere an den Kassenärzten und ihren Vertretungen. Die Ant- wort der Ärzteschaft auf vielerlei Vorhaltungen und Vorschläge ist vielschichtig. Es gibt eine Gruppe von Ärzten, die das Gespräch mit den Autoren von Reformvorschlä- gen aufgenommen hat. Andere Gruppen bleiben indifferent, wieder andere begegnen der Kritik an ih- rem Berufsstand mit heftiger Ge- genkritik. Die verschiedenen Strö- mungen haben zur Formulierung jener gesundheits- und sozialpoliti- schen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft geführt, die als „Blaues Papier" seit dem 77. Deutschen Ärztetag in Berlin im Frühsommer 1974 die offizielle Stellungnahme der Ärzteschaft zur Reformdiskus- sion darstellen.

Die jüngste Geschichte lehrt, daß öffentliche Debatten des Ausma-

ßes, das die Auseinandersetzung über unser Gesundheitswesen an- genommen hat, Kennzeichen ge- sellschaftlicher Wandlungen sind.

So hat die Industrialisierung über- kommene Produktionsstrukturen verändert: Handwerker, Arbeitneh- mer, Fabrikanten bekamen einen anderen Platz im gesellschaftlichen Gefüge. Ein anderes Beispiel: Die Demokratisierung veränderte die Position des Unternehmers. Oder:

Die Technisierung der Agrarwirt- schaft wies dem Bauern eine neue Rolle in der Gesellschaft zu. Es scheint, als deute die explosive De- batte über neue Formen der Ge- sundheitssicherung einen großräu- migen Wandlungsprozeß an, in dessen Verlauf es nun auch zur Umschichtung traditioneller Bezie- hungen zwischen Arzt und Patient, Arzt und Krankenversicherung, Arzt und Staat kommen wird.

Die Zahl jener Ärzte wächst, die wissen oder ahnen, daß die Gesell- schaft ihren Beitrag zur Formung neuer Strukturen braucht, die da- von überzeugt sind, daß derjenige nicht mitsteuern kann, der abseits steht und sich in der Verteidigung des Gewohnten erschöpft. Wer bei- spielsweise glaubt, daß Arzt und

Zerstört Kritik Vertrauen?

Günther Windschild

Der Autor hat sich Gedanken darüber gemacht, ob die Ärzte, ein- zeln oder als ganzer Berufsstand, auf Kritik ..richtig" reagieren.

Günther Windschild ist Redakteur für Sozialpolitik beim Westdeut- schen Rundfunk in Köln (Fernsehen und Hörfunk) und vielen Lesern dieser Zeitschrift durch einflußreiche gesundheitspolitische Sen- dungen und Artikel bekannt. die nicht immer volles Wohlgefallen unter Ärzten hervorgerufen haben. Er sucht mit seinem Beitrag „die Chance zu Gesprächen".

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 12 vom 20. März 1975 827

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Zerstört Kritik Vertrauen?

Patient in einem Verhältnis zuein- ander stünden, das Dritten ver- schlossen bleiben muß, sieht jene Zeichen nicht, die signalisieren:

Die Gesundheitssicherung wird auch in Dimensionen wahrgenom- men, die über das Arzt-Patient-Ver- hältnis hinausreichen.

Der Staat als Instrument der Ge- sellschaft regelt mit seiner Sozial- gesetzgebung den Rahmen des Ge- sundheitswesens. Der Patient tritt dem Arzt nun nicht allein als hilfesuchender Mensch gegenüber, dessen Privatsache es ist, wie er die Behandlung vergütet. Der Pa- tient ist Hilfesuchender und Mit- glied einer Versichertengemein- schaft, für die er ein Stück Verant- wortung mitträgt, auch finanziell.

Es erscheint in diesem Zusammen- hang unerheblich, ob die Versi- chertengemeinschaft auf unterneh- merischer oder gesetzlicher Basis gegründet ist.

Betrachtet man die Dinge von der anderen Seite, so ergibt sich: Der Arzt begegnet dem Patienten nicht allein als Helfer, als Anbieter medi- zinischen Wissens und medizini- scher Kenntnisse; er befindet sich zugleich auch im Feld der Bezie- hungen zwischen Ärzteschaft und Krankenversicherung und damit ebenfalls in einem Bereich der Ver- antwortung gegenüber der Gemein- schaft.

Dabei geht es nicht allein um Geld.

Das wäre ein fatales Mißverständ- nis. Es geht auch um Wissen, das der nicht nur seinem Patienten, sondern auch einem sozialpoli- tischen Ziel verpflichtete Arzt ein- zusetzen gehalten ist. Das Ziel heißt Gesundheitssicherung. Hier wirken der Arzt und der aktive Pa- tient zusammen. Neben den indivi- duellen Wunsch jedes Menschen, gesund zu bleiben oder gesund zu werden, ist jetzt das Bemühen ge- treten, ein Instrumentarium einzu- setzen, das allen Versicherten die Voraussetzungen für Gesundheits- schutz bietet. Die demokratische Gesellschaft handelt nach dem Ge- bot der Solidarität, wenn sie so verfährt.

Der Wandlungsprozeß, von dem hier die Rede ist, bezieht den Arzt mit ein, ob ihm das nun bewußt ist oder nicht. Man hat allerdings den Eindruck, daß solche Einsicht es schwer hat, sich durchzusetzen.

Wie anders wären die Attacken ge- gen Reformer zu verstehen, die al- lein aUs Emotionen bestehen und mit der Absicht begründet werden, Angriffe von „Systemveränderern"

abzuschlagen? Wie anders auch wären Verhaltensweisen zu begrei- fen, die allein von dem Glauben bestimmt zu sein scheinen, Sach- verstand im Gesundheitswesen könne doch nur der Arzt haben, weil er den medizinischen Sach- verstand besitze? Dies kann zu ge- fährlicher Überheblichkeit führen.

> Da ist der junge Internist, der es ablehnt, mit einem kritisch fragen- den Patienten über die Höhe einer Rechnung zu reden, weil allein schon dessen Frage nach der Be- rechtigung der Rechnungshöhe das Vertrauensverhältnis zerstöre;

der Internist lehnt wegen dieses Vorganges die weitere Behandlung des Patienten und seiner Familie ab.

D Da ist der HNO-Facharzt, der auf Vorhaltung einer Patientin, er habe unberechtigt eine Verrichtung gleich mehrere Male berechnet, die Rechnung zwar korrigiert, aber nunmehr einen höheren Multiplika- tionsfaktor wählt, um am Schluß auf die gleiche Summe zu kom- men.

> Da ist der Augenspezialist, der einen die Rechnungshöhe rekla- mierenden Patienten bestraft, in- dem er der zu gleicher Zeit behan- delten Ehefrau des Patienten einen Zahlungsbefehl ins Haus schickt.

Drei Beispiele, alle mit Namen und Einzelheiten zu belegen; sie zei- gen, daß Einsichten in größere Zu- sammenhänge nicht überall in der Ärzteschaft anzutreffen sind. Ärzte, die Vertrauen nur dann für gege- ben halten, wenn ihre Ansichten und Forderungen akzeptiert wer- den, diskriminieren das Vertrau- ensverhältnis zwischen Arzt und

Patient, ohne das in der Tat Ge- sundung und Heilung unmöglich sind. Ärzte, die so verfahren, wer- den schmerzlich erfahren, daß sie nicht auf einem unberührbaren Ei- land praktizieren. Sie werden es schwerer haben als jene, die auf- merksam den Entwicklungs- und Veränderungsprozeß in unserer Gesellschaft verfolgen und Hand anlegen bei seiner Gestaltung.

Die antiautoritären Strömungen un- serer Zeit, die Ausdruck demokrati- schen Bewußtseins sind, machen vor der Arztpraxis nicht halt. Je eher sich diese Erkenntnis in der Ärzteschaft durchsetzt und je eher dort die öffentliche Diskussion über den Arzt als das erkannt wird, was sie wirklich ist — nämlich sichtbarer Ausdruck der Einbet- tung des Arzt-Patient-Verhältnisses in gesamtgesellschaftliche Bezüge

—, desto größer sind die Chancen, die Ärzteschaft unverwundet in ver- änderte Verantwortungsbereiche einzuführen.

Anschrift des Verfassers:

Günther Windschild 505 Porz-Wahn Am Börschsgarten 20

Z I TAT Belobigtes

Gesundheitsbewußtsein

„Es wird Zeit, daß wir aufhö- ren, uns für ein ,Gesundheits- bewußtsein' belobigen zu lassen, das sich zwar in der Nutzung von kassenfinanzier- ten medizinischen Leistun- gen darstellt, aber schon bei der Vorsorgeuntersuchung zu 80 Prozent aussetzt. Wir sind weniger gesundheitsbe- wußt als medizingläubig, und vor allem fühlen wir uns an- spruchsberechtigt, weil versi- chert. In der Kostendynamik spielen wir jedenfalls keine geringe Rolle."

Christian Schütze, in „Süd- deutsche Zeitung" vom 20.

Februar 1975.

828 Heft 12 vom 20. März 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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