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Archiv "Der Arzt im Kreuzfeuer der Kritik" (01.05.1975)

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen TAGUNGSBERICHTE

Seit Anfang der 70er Jahre steht die deutsche Ärzteschaft im Kreuz- feuer der Kritik. Den Auftakt der Kritik am System der kassenärztli- chen Versorgung in der Bundesre- publik Deutschland, insbesondere der Kassenärzteschaft und ihren Selbstverwaltungskörperschaften, bildete die seinerzeit vielbeachte- te Rede des DGB-Vize Gerd Muhr, der ausgerechnet die Bundes- hauptversammlung des Verbandes der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (NAV) e. V. im Okto- ber 1971 als Plattform benutzte, um die gewerkschaftlichen Vorstellun- gen zur Reform des Gesundheits- wesens gleichsam im Vorgriff auf die berühmt-berüchtigte WSI-Stu- die über „Die Gesundheitssiche- rung in der Bundesrepublik Deutschland" und das Gesund- heitspolitische Programm des DGB vom Mai 1972 der Öffentlichkeit zu unterbreiten.

Dr. Micka: Für sachliche Kritik In seinem berufspolitischen Haupt- referat anläßlich des XXIII. Inter- nationalen Fortbildungskongresses der Bundesärztekammer vom 10.

bis 23. März 1974 in Davos übte Sa- nitätsrat Dr. Herbert Micka, Präsi- dent der Ärztekammer des Saar- landes und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, herbe Kritik an dieser Welle von Ärzteschelte:

Den konstruktiven Vorschlägen der Ärzteschaft zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens — insbe- sondere dem gesundheitspoliti- schen Grundsatzprogramm, dem

„Blauen Papier", das der 77. Deut- sche Ärztetag 1974 in Berlin nach zähem Ringen verabschiedet hatte, seien weder ein wesentlicher Wi- derhall noch eine sachliche, breite

Auseinandersetzung widerfahren.

Statt dessen — so Micka — wur- den Randerscheinungen wochen- und monatelang in den Massenme- dien hochgespielt, und es wurde der Eindruck erweckt, daß eine kleine Gruppe von Außenseitern das „richtige Rezept für die Ge- sundheitssicherung" entdeckt ha- be. — Der verfaßten Ärzteschaft, die auf demokratischer Basis ge- wählt sei, sei „Zunftdenken" vor- geworfen worden; die noch so gut gemeinten ärztlichen Vorschläge seien meist als „antiquiert und nur ärztlichem Profitstreben dienend abgetan" worden. Zudem hätten ideologische und polemische polit- publizistische Produkte (Micka er- wähnte stellvertretend das recht- zeitig vor dem Davoser Kongreß erschienene Buch des SPD-Ge- sundheitspolitikers Friedel Läpple

„Profit durch Krankheit. Das Ge- sundheitswesen in Arbeitnehmer- sicht") allesamt eher dazu beige- tragen, die Diskussion in einer be- stimmten Richtung aufzuheizen, die Reformbemühungen aber um kei- nen sachlichen Schritt weiterge- bracht. Micka stellte klar: „Kritik ist notwendig; Kritik wird und muß Anlaß sein, immer wieder nachzu- denken, ob das, was man als ein- zelner oder der Stand für richtig hält, zu verbessern ist." Reform könne aber nur dort Platz greifen, wo eine Verbesserung des Status quo klar erkennbar sei. Dabei sei eine sachlich-fundierte Kritik durch- aus nützlich, den Denkprozeß vor- anzutreiben.

Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit Micka versicherte den Zuhörern, daß die ärztlichen Körperschaften und Verbände stets dazu bereit

seien, dort mitzuarbeiten, wo es darum gehe, im gesamten Bereich der ärztlichen Versorgung Verbes- serungen zum Nutzen der Patien- ten zu verwirklichen. An erster Stelle stehe die Verbesserung der Zusammenarbeit aller Ärzte am Krankenhaus sowie die Koordinie- rung und Kooperation mit den Ärz- ten der freien Praxis, den Werks- ärzten und den Ärzten im öffentli- chen Gesundheitsdienst.

All jenen, die den Medizinbe- trieb am liebsten im personalauf- wendigen Krankenhaus konzentrie- ren möchten, hielt Micka eine Klar- stellung entgegen: Von den Bei- tragseinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wurden 1970 noch 21,1 Prozent zur Deckung der Kassenarzthonorare aufgewandt, im Jahre 1973 waren es nur noch 18,3 Prozent. Und der Ausgabenan- teil verschiebt sich in den nächsten fünf Jahren noch weiter zugunsten des Krankenhauses und zuungun- sten der Kassenärzteschaft, wie das Krankenversicherungsbudget von Minister Dr. Heinrich Geißler kürzlich einwandfrei nachwies.

1978 wird der Anteil der Kassen- arzthonorare am Gesamtetat der Kassen voraussichtlich nur noch 17,5 Prozent betragen. Inflations- motor Nummer Eins im Gesund- heitswesen ist seit langem der Sek- tor „Krankenhaus": Sein Anteil am Beitragsaufkommen der Kranken- kassen betrug 1970 noch 28,8 Pro- zent, drei Jahre später, 1973, aber bereits 42,7 Prozent.

Teuer werden den Kassen aber auch die sach- und versicherungs- fremden Leistungen, die der Ge- setzgeber den Krankenkassen im- mer wieder aufbürdet. Sicher sind aber auch die gestiegenen Mehrlei- stungen der Ärzte daran beteiligt.

Nur — so diagnostizierte Micka in Davos — werden diese Mehrlei- stungen infolge des medizinisch- technischen Fortschritts und vor allem wegen des gestiegenen Ge- sundheitsbewußtseins und der da- mit einhergehenden öfteren Inan- spruchnahme kassenärztlicher Lei- stungen bzw. der steigenden Mor- bidität hervorgerufen. Mit aller Ent-

Der Arzt

im Kreuzfeuer der Kritik

Berufspolitisches Hauptthema beim XXIII. Internationalen Fortbildungskongreß der Bundesärztekammer 1975 in Davos

1304 Heft 18 vom 1. Mai 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Sanitätsrat Dr. Herbert Micka, Präsident der Ärztekammer des Saarlandes, im Ge- spräch mit Dr. med. Gerhard Löwenstein, Vorsitzender der Kassenärztlichen Verei- nigung Hessen, im Davoser Kongreßzentrum Foto: Schmidt

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Fortbildungskongreß Davos

schiedenheit müsse dafür eingetre- ten werden, bei der Weiterentwick- lung des Leistungskatalogs eindeu- tige Prioritäten zu setzen. „Auch wir treten dafür ein, alle rechtlich verankerten Möglichkeiten auszu- schöpfen, um jeder Mißwirtschaft und Mittelvergeudung Einhalt zu gebieten... Die Kostensituation im

ZITAT

Sachliche Kritik

„Ich appelliere ... sowohl an alle ärztlichen Verbände als auch an den einzelnen Arzt, durchaus Kritik zu üben, dies aber in sachlicher Form zu tun und nicht polemisch Ein- zelpersonen anzugreifen. Ich glaube, daß niemand ...

dann noch sachliche Kritik vermutet, wenn davon ge- sprochen wird, daß Entschei- dungen gleichsam am ,grü- nen Tisch' getroffen werden,

unter der Schlagzeile ,Generä- le ohne Truppe'. Andererseits bleibt mir nicht erspart, Kritik zu üben an einzelnen ... Ver- tretern unseres Berufsstan- des ... In Wirklichkeit handelt es sich um Einzelfälle, aber auch über Einzelfälle dürfen wir nicht schweigen. Wir sind vielmehr im Interesse eines sauberen Arztstandes ver- pflichtet, auch hierauf unse- ren Finger zu lenken und aufzuzeigen, daß es hier und dort Dinge gibt, die keines- falls geduldet werden kön- nen."

Dr. med. Herbert Micka

Bereich der Gesundheitssicherung kann aber nur im geringsten der Ärzteschaft angelastet werden."

Als konstruktive Neuerungen, die von der Ärzteschaft in den letzten Jahren initiiert und realisiert wor- den sind, nannte Micka:

Für den Laborsektor wurde die Qualitätskontrolle eingeführt. Die hierdurch entstehenden Kosten

werden nicht vom Sozialversiche- rungsträger getragen, sondern be- lasten die einzelnen Praxen deut- lich.

• Die Ersatzkassen-Gebührenord- nung ist zum 1. April 1975 korri- giert worden. Eine Reihe von La- boranalysen wurden zugunsten

„arztspezifischer Leistungen" (zum Beispiel der Hausbesuche) in der neuen Ersatzkassen-Adgo entweder gekürzt oder in nicht gleichem Maße erhöht.

• Gleichzeitig wurden Probleme beseitigt, die bisher bei der An- wendung von Laborautomaten und für größere Laborgemeinschaften bestanden haben.

• Ärztekammern und Kassenärztli- che Vereinigungen haben ihre Mit- glieder aufgefordert, Eintragungen in den Unfallausweisen, die zuneh- mend von den Landesgesundheits- ministerien herausgegeben wer- den, kostenlos durchzuführen, ob- wohl sie mit erheblichem Verwal- tungsaufwand verbunden sind.

• Der KBV-Vorsitzende Dr. Hans Wolf Muschallik hat die Kassenärz-

teschaft anläßlich des Deutschen Ärztetages 1974 aufgerufen, im Rahmen der Vorsorgeuntersuchun- gen eine Blutdruckmessung ko- stenlos durchzuführen.

Eine innerärztliche Epistel

Micka bedauerte, daß die Anti-Ärz- te-Kritik von den ärztlichen Initiati- ven aber kaum Notiz nehme und zum Teil auch innerhalb der Ärzte- schaft herumgemäkelt werde, wie die Aussprache über Mickas Refe- rat in Davos zeigte. Kritik nach in- nen, also an die Adresse der ärztli- chen Kollegen, scheint in der Tat in Einzelfällen angebracht, wie Micka in seiner Epistel über die

„innerärztliche Kritik" ausführte.

Eindringlich erinnerte Micka daran, daß der Sicherstellungsauftrag der Kassenärzteschaft unabdingbar auch die Bemühungen um einen reibungslosen Praxisbetrieb bein- halte. Zu diesen Erfordernissen zählte Micka eine ausreichende Ankündigung und Durchführung von Sprechstunden. Hierbei habe der Arzt die zweckmäßige ärztliche Versorgung und die Gegebenhei- ten seines Praxisbereiches zu be-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18 vom 1. Mai 1975 1305

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Fortbildungskongreß Davos

Blick in den Großen Saal des neuen Kongreßzentrums Davos während des Berufs-

politischen Hauptreferatsam 12. März 1974 Foto: DÄ

achten. Micka wörtlich: "Es kann nicht hingenommen werden, daß ein Arzt Sprachzeiten lediglich an drei Tagen in der Woche und nur für zwei Stunden auf seinem Pra- xisschild ankündigt. Ein Arzt, der weder am Montag oder am Freitag, geschweige denn an Wochenenden seinen Patienten zur Verfügung steht, handelt standeswidrig." Die- se klaren Worte trafen auf den Bei- fall der ärztlichen Kollegen. "Kran- ke und mancher gebrechliche Alte hat unverändert sein Recht, einen Arztbesuch anzufordern", sagte der Vorsitzende des Praktiker-Ver- bandes Dr. med. Werner Haupt, Trittau. Auch die "ganz unglückli- che Dokumentation" (Haupt) auf dem Praxisschild "Nur auf Bestel-

lung" genüge nicht der ärztlichen

Berufspflicht.

..,.. Micka appellierte an die Ärzte- schaft, die Wartezeiten zu verkür- zen und dort, wo es möglich ist - ein Vorbestell- beziehungsweise Nummernsystem einzuführen.

Ein anderer Punkt, der zu Klagen Anlaß gebe, seien die Liquida- tionsusancen einzelner Ärzte. Mik- ka erinnerte an die Rechtsgrundla- gen zur Berechnung des Arzthono- rares, nämlich die GOÄ vom 18.

März 1965. Sie biete mit dem Ein- bis Sechsfachen der Mindestsätze den Rahmen, innerhalb dessen der Arzt sein Liquidationsrecht aus- üben dürfe, soweit nichts anderes vereinbart sei. Dieser Rahmen gel- te grundsätzlich auch für den lei- tenden Krankenhausarzt Dieser müsse sogar noch zusätzlich be- achten, daß die GOÄ eine Kom- plexgebührenordnung sei, die so- wohl die Sachleistungen als auch das ärztliche Honorar beinhalte.

Die Sachleistungen würden aber dem Patienten bereits vom Kran- kenhaus in Rechnung gestellt, so daß dies der liquidationsberechtig- te Arzt berücksichtigen solle. Die Ärztekammer des Saarlandes ist hier bereits aktiv geworden; einem Beschluß zufolge werden alle Zu- widerhandlungen gegen diese Grundsätze berufsgerichtlich ge- ahndet.

Micka erinnerte auch an den Para- graphen 12 der Berufsordnung, wo- nach der nachgeordnete ärztliche Dienst im Krankenhaus einen An- spruch auf angemessene Beteili- gung am Privathonorar des Chefs habe. Eine Abgabe an das Gesamt- personal des Krankenhauses hält Micka allerdings für unzweckmä-

1306 Heft 18 vom 1. Mai 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATT

ßig. ln den meisten Kammerberei- chen bestünden bereits Verträge zwischen Chefarztverband und Marburger Bund. Doch würden die- se Verträge oft nicht eingehalten, und die Klagen der Assistenten seien deshalb berechtigt.

Micka schloß sein Referat mit ei- nem Appell an die versammelten Ärzte, ihrerseits einen Beitrag zu leisten, um vor allem arbeitslosen Jugendlichen zu helfen. Er verwies auf die vorbildliche Situation im saarländischEm Ärztekammerbe- reich, in welchem bereits 23 Pro- zent mehr Ausbildungsplätze als in den Vorjahren von der Ärzteschaft bereitgestellt worden seien. Die Ärzteschaft könne damit, trotz stei- gender Steuer- und Personalko- stenbelastung, einen "wesentlichen

Beitrag im Rahmen ihrer Verant-

wortung für das Gemeinwesen" lie-

fern. Harald Clade

ZITAT ln den Krallen

der öffentlichen Hand

"Wir Ärzte können im Grun- de genommen wenig ma- chen. Wenn draußen gesagt wird, die Verweildauer müßte gekürzt werden, und anderer- seits die Krankenhausträger ihren Ärzten mitteilen, es ginge nicht an, daß sie so kurze Verweildauern hätten, dann können Sie die ganze Schizophrenie sehen. Seien Sie froh, daß Sie, die Sie im wesentlichen im ambulanten Versorgungsbereich tätig sind, nicht von den Krallen der öffentlichen Hand erfaßt sind!"

Dr. med. Karl Jeute, Haupt- geschäftsführer des Verban- des der leitenden Kranken- hausärzte Deutschlands ·e. V., anläßlich des Berufspoliti- schen Kolloquiums auf dem XXIII. Internationalen Fort- bildungskongreß 1975 in Da- vos.

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