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Archiv "Lebenserwartung: Der Mythos vom Rotwein" (17.10.2003)

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T H E M E N D E R Z E I T

Lebenserwartung

Der Mythos vom Rotwein

Der Autor hält den Grundsatz der „Ordnungstherapie“

in epidemiologischen Studien für unterbewertet.

S

tudien zeigen, dass in allen europäi- schen Ländern eine nahezu lineare Korrelation zwischen der Aufnahme tierischer Fette und der koronaren Sterblichkeit besteht und nur Frankreich und weniger deutlich auch die Schweiz eine Ausnahme bildeten (1). Dieser Be- fund führte zu dem Begriff des „French Paradox“. In Untersuchungen, bei de- nen diese Assoziation zwischen Aufnah- me tierischer Fette und der koronaren Sterblichkeit um die täglich konsumierte Weinmenge korrigiert wurde, reihten sich sowohl die Schweiz als auch Frank- reich in die Reihe aller europäischen Länder ein (2). Basierend auf dieser Kenntnis, wurde dem Rotwein eine le- bensverlängernde Wirkung nachgesagt.

In vielen weiteren epidemiologischen Studien werden dem Getränk noch an- dere positive Wirkungen zugeschrie- ben. Eine spanische Studie an etwa 4 000 Mitarbeitern an fünf Universitä- ten ergab, dass Personen, die regel- mäßig ein bis sieben Einheiten Rotwein pro Woche zu sich nahmen, signifikant weniger Erkältungskrankheiten hatten als der Durchschnitt – und zwar 0,4 Er- kältungskrankheiten pro Jahr im Ver- gleich zu 1,35 (3). In einer Kopenha- gener Fall-Kontroll-Studie an 1 700 Menschen wurde auch das Auftreten einer Demenz analysiert. Im Vergleich zum Nichttrinker reduzierte wöchentli- cher Weingenuss das Risiko einer De- menz um mehr als die Hälfte (Odds Ra- tio 0,33 im Vergleich zu eins bei Nicht- weintrinkern) (4). Eine ebenfalls aus Kopenhagen stammende Studie zeigte, dass Weintrinken das Risiko einer trau- matischen Hüftfraktur mit einer Odds Ratio von 0,77 deutlich unter das Risiko von eins bei Nichttrinkern senkt (5).

Dass es nur der Konsum von Rot- wein ist, der mit einer längeren Lebens- erwartung einhergeht, ist nicht belegt.

Eine Studie an 38 000 Mitarbeitern des

amerikanischen Gesundheitssystems zeigte, dass der Konsum von Bier und anderen Spirituosen – nicht aber von Wein – das Infarktrisiko senkte (6). Be- tont wurde in dieser Studie, dass Bier und Spirituosen in dieser Population die am häufigsten konsumierten alko- holischen Getränke waren. Eine Studie aus Shanghai wiederum beschrieb für Reisweintrinker eine geringere korona- re Mortalität (7).

Die Theorien, dass bestimmte Inhalts- stoffe des Rotweins wie Flavonoide, Po- lyphenole oder das Resveratrol die le- bensverlängernde Wirkung des Rot- weins erklären, sind nicht haltbar, da sol- che Stoffe im Bier oder Reiswein nicht in vergleichbaren Mengen vorhanden sind.

Trotzdem lassen sich mit der Rotwein- theorie noch gute Geschäfte machen. So werden in der Apotheke Rotweinlutsch- tabletten verkauft mit der Empfehlung, dreimal täglich zum Essen eine Tablette zu lutschen.Allein diese auf der Packung empfohlene Anweisung sollte solche Produkte fragwürdig erscheinen lassen, denn Rotwein zum Frühstück war nie Gegenstand einer Studie, und das Lut- schen einer Tablette zum Essen ist tech- nisch nicht möglich.

Keine substanzspezifische Erklärung

Da es bis heute keine substanzspezifi- schen Erklärung für den lebensverlän- gernden Effekt verschiedener alkohol- haltiger Getränke in verschiedenen Kulturkreisen gibt, werden immer wie- der die Lebensumstände als zusätzliche Einflussfaktoren diskutiert. So gibt es Studien, die belegen, dass Weintrinker eher mediterrane Kost essen und sich daher gesünder ernähren als Biertrin- ker (8).Andere Studien beschreiben für Weintrinker einen höheren Bildungs-

grad im Vergleich mit Biertrinkern.

Doch allen diesen Erklärungsversu- chen fehlt der gemeinsame Ansatz, um die divergierenden Ergebnisse der ein- zelnen Studien zu verschiedenen alko- holischen Getränken allgemeingültig interpretieren zu können.

Leben in

geordneten Bahnen

Als gemeinsame Aussage aller Studien bleibt nur, dass der regelmäßige Alko- holgenuss in kleinen Mengen positive Effekte hat. Dabei wird eine Men- geneinheit mit 10 bis 12 g Alkohol defi- niert. Innerhalb der verschiedenen Po- pulationen wurde aber immer nur für das in dieser Gesellschaft anerkannte Genussgetränk ein positiver Effekt nachgewiesen.

Um etwas über Jahre hinweg in klei- nen Mengen regelmäßig zu tun, muss man in geordneten Bahnen leben. Et- was in kleinen Mengen regelmäßig tun geht mit Stressreduktion einher und ist der Grundsatz der Ordnungstherapie.

Die Ordnungstherapie ist eine Thera- pieform der Naturheilkunde, wie sie schon von dem Schweizer Arzt Maximi- lian Bircher-Benner (9) und auch Seba- stian Kneipp beschrieben wurde (10).

Der Mensch muss auf seine eigene in- nere Uhr Rücksicht nehmen und die Phasen von Arbeit und Freizeit, Schla- fen und Wachen in einem natur- gemäßen Rhythmus halten. Bircher- Benner war überzeugt: Wer die Ord- nungsgesetze befolgt, wird auch eine gesunde Seele haben und seine Gemütszustände beherrschen.

Diese Ordnungstherapie verfolgt ei- nen ganzheitlichen Ansatz mit dem Ziel der Stressreduktion und empfiehlt ein zeitlich geordnetes Leben mit dosierter physischer und psychischer Belastung.

A

A2706 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4217. Oktober 2003

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4217. Oktober 2003 AA2707

Wichtig hierbei ist die gleichzeitige Inte- gration in der jeweiligen Gesellschaft.

Menschen mit dieser Lebensweise, egal ob sie sich aktiv dafür entschieden haben oder ob sie diese Lebensweise zufällig führen, werden alt. Dies gilt zum Beispiel auch für Teetrinker (11) oder Kirchgän- ger (12) oder die mit 101 Jahren verstor- bene englische Königinmutter, die regel- mäßig ein Glas Gin zum Abend trank.

Weil man mit dem Alkoholgenuss nicht die Lebensweise verordnen kann, wird ein Alkoholgenuss bis heute in kei- nen Leitlinien zur Prophylaxe bezie- hungsweise Therapie der Atherosklero- se empfohlen. Bevor man nicht Instru- mente findet, mit denen man die kovari- ante Lebensführung in epidemiologi- schen Studien zur positiven Wirkung des mäßigen Alkoholgenusses definieren kann, sind prospektive Studien nicht in- diziert. Priv.-Doz. Dr. med. Knut Kröger

Literatur

1. De Lorgeril M, Sälen P, Marin JL, Boucher F, Paillard F, de Leiris J: Wine drinking and risks of cardiovascular complications aftere recent acute myocardial infarc- tion. Circulation 2002; 106: 1465–1469.

2. Renaud SG, Beswick AD, Fehily AM, Sharps DS, EI- wood PC: Alcohol and platelet aggregation. Am J Clin Nutr 1992; 55: 1012–1017.

3. Takkouche B, Regueira-Mendez C, Garcia-Closas R, Figueiras A, Gestal-Otero JJ: Intake of wine, beer and spirits and the risk of clinical common cold. Am J Epi- demiol 2002;155: 853–858.

4. Truelsen T, Thudium D, Grönbäk M: Amount and type of alcohol and risk of dementia. Neurology 2002; 59:

1313–1319.

5. Hoidrup S, Gronbaek M, Gottschau A, Lauritzen JB, Schroll M: Alcohol intake, beverage preference, and risk of hip fracture in men and women. Copenhagen Centre for Prospective Population Studies. Am J Epi- demiol 1999 Jun 1; 149 (11): 993–1001.

6. Mukamal K, Conigrave KM, Mittleman MA, Camargo CA, Stampfer MJ, Willet WC, Rimm EB: Roles of drink- ing pattern and type of alcohol consumed in coronary heart disease in men. N Engl J Med 2003; 348:

109–118.

7. Yuan JM, ROSS RK, Gao YT, Henderson BE, Yu MC:

Follow up study of moderate alcohol intake and mor- tality among middle aged men in shanghai, China.

BMJ 1997; 314: 18–23.

8. Tjönneland A, Grönbäk M, Stripp C, Overvad K: Wine intake and diet in a random sample of 48763 Danish men and women. Am J Clin Nutr 1999; 69: 49–54.

9. Bircher-Benner M: Ordnungsgesetze des Lebens als Wegweiser zur echten Gesundheit. Bad Homburg 1984.

10. Kneipp S: Codizill zu meinem Testamente für Gesun- de und Kranke. München 1928; 282.

11. SoRelle R: Tea for all? Circulation 2002; 105:

E9109–9110.

12. Powell LH, Shahabi L, Thoresen CE: Religion and spi- rituality. Linkages to physical health. Am Psychol 2003; 58: 36–52.

W

ie alle Bürger des ehemaligen Ostblocks erleben die Polen seit ihrer Unabhängigkeit 1990 umwälzende Strukturveränderungen.

Durch diese Rosskur hat es Polen zwar geschafft, die Inflationsrate von 73 Pro- zent (1993) auf knapp vier Prozent (2000) zu senken. Diese Entwicklung geht aber einher mit rückläufigen öf- fentlichen Investitionen, einer Arbeits-

losigkeit von offiziell 18 Prozent und sinkendem Lebensstandard.

Das polnische Gesundheitswesen in seiner heutigen Form ist relativ jung.

Bis 1998 hatten alle Polen einen An- spruch auf unentgeltliche staatliche Ge- sundheitsversorgung. Erst 1999 wurde eine Einheitskrankenversicherung ein- geführt. Seitdem zahlen die Bürger acht Prozent ihres Einkommens dafür, er- halten im Gegenzug aber eine fast gleich hohe Steuergutschrift. Die regio- nal gegliederte Krankenversicherung sollte die Finanzierung der ehemals staatlichen Einrichtungen gewährlei- sten. Zunächst wurden die Regionen (Voivodschaften) Träger der Kranken-

häuser und ambulanten Gesundheits- zentren (Zespol Opieki Zrowowtnej – ZOZ). Da sowohl sie als auch die Kran- kenkassen mit dieser Aufgabe überfor- dert waren, wurden im April 2003 die regionalen Krankenkassen zum Natio- nalen Gesundheitsfonds (Naradowy Fundusz Zdrowiam – NFZ) zusammen- gefasst.

Der Präsident der polnischen Ärzte- kammer, Dr. med. Konstanty Radziwill, kann diesen Schritt nicht nachvollzie- hen. Aus seiner Sicht ist das eigentliche Problem die chronische Unterfinanzie- rung des Systems. 38 Millionen Polen stehen den jüngsten verfügbaren Daten zufolge rund acht Milliarden Euro für Gesundheitsleistungen zur Verfügung.

Das entsprach (1997) etwa 4,24 Prozent des polnischen Bruttosozialproduktes.

Zum Vergleich: Für 72 Millionen Mit- glieder der Gesetzlichen Krankenversi- cherung in Deutschland waren es im vergangenen Jahr rund 158 Milliarden Euro (Angaben:AOK-Bundesverband).

Die Versicherungsbeiträge seien mit acht Prozent des Einkommens zu nied- rig kalkuliert.

Darin stimmt auch Maria Ochman, Vorsitzende der Sektion Gesundheit der Gewerkschaft Solidarnosc, mit Radziwill überein. Der niedrige Bei- tragssatz sei politisch gewollt; auch Prä- sident Leszek Miller lehne eine Er- höhung ab, weil die Beiträge fast voll- ständig über Steuersenkungen gegenfi- nanziert werden. Das neue Versiche- rungssystem hat gegen enorme Bei- tragsrückstände zu kämpfen, da viele Betriebe die Beiträge ihrer Angestell- ten nicht rechtzeitig überweisen. Die staatlichen Zuschüsse für Arbeitslose sind außerdem von 80 Prozent des Re-

Gesundheitswesen in Polen

Das Problem der zu kurzen Decke

Vom 1. Mai 2004 an wird Polen Mitglied der Europäischen Union. Die Missstände im

Gesundheitswesen werden dadurch nicht gelöst.

Dr. Konstanty Radziwill, Präsident der polni- schen Ärztekammer: „Das eigentliche Pro- blem ist die chronische Unterfinanzierung des Systems.“

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