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or allem ältere Patien- ten haben immer wieder Probleme mit der kor- rekten Einnahme ihrer Me- dikation. Dabei gefährdet die mangelnde Compliance nicht nur den Therapieerfolg im Einzelfall, sondern verursacht für das Gesundheitswesen ins- gesamt hohe Kosten. So wer- den als Folge unzureichender Therapietreue jedes Jahr ton- nenweise Arzneimittel wegge- worfen. Hinzu kommen die Folgekosten für Kranken- hausaufenthalte, Arztbesuche, vorzeitige Heimeinweisungen oder auch Frühverrentungen.Hier setzt die Geschäftsidee der Arzneimittelfirma assist Pharma GmbH an: Die Toch- ter des Arzneimittelimpor- teurs kohlpharma GmbH füllt Fertigarzneimittel in Durch- druckverpackung ab. Die Her- stellung dieser „Blister“ er- folgt im Auftrag kooperieren- der Apotheken und in Zusam- menarbeit mit Ärzten – bis- lang allerdings nur im Mo- dellversuch. Hierbei werden jedem zu versorgenden Pati- enten auf Basis der ärztlichen Verordnung die festen oralen Arzneimittel für sieben Tage zur Verfügung gestellt: sor- tiert nach den Einnahme- zeitpunkten morgens, mittags, abends und nachts. Der Pati- ent drückt dann zum jeweili- gen Einnahmezeitpunkt seine Medikation aus dem Blister und nimmt sie ein, ohne dass er Tabletten zählen müss- te oder Kapseln verwech- seln könnte. Die Sortierung der Medikamente auf die vier Einnahmezeiten des Tages übernimmt eine computerge- steuerte Anlage.
Bundesweite Einführung 2007 Die bundesweite Marktein- führung dieser industriellen
„Verblisterung“ ist für An- fang 2007 geplant.Täglich will assist Pharma dann bis zu 100 000 Wochenblister produ- zieren und an die Apotheken abgeben. Bis Ende 2007 könn- ten rund 600 000 Patienten auf diese Weise versorgt werden, hofft die Firma. „Die patien- tenindividuelle Verpackung ist ein neuer Weg zum effizienten
und wirtschaftlichen Einsatz von Medikamenten“, meint Jörg Geller von der Assist- Pharma-Geschäftsleitung.
Wird die industrielle Verbli- sterung ein Erfolg, müssten die Apotheker mit Umsatz- einbußen rechnen. Deren Re- aktion fällt entsprechend aus:
„Das Versprechen, dass mit dieser so genannten Verbliste- rung die Gesundheitsausga- ben gesenkt werden könnten, ist glatte Augenwischerei“, sagt Hermann S. Keller, Vorsitzen- der des Deutschen Apothe- kerverbandes DAV. Bereits heute stellten die 21 400 Apo- theker bei Bedarf eine indivi- duelle Versorgung mit Medi- kamenten sicher. Dabei stehe den Apothekern das komplet- te Spektrum der Fertigarznei- mittel zur Verfügung und nicht nur die orale Darreichungs- form. Hintergrund: In Deutsch- land sind etwa 50 000 Fertig- arzneimittel auf dem Markt.
Damit sich die industrielle Ver- blisterung rechnet, will assist Pharma die Auswahl auf höch-
stens 400 Präparate beschrän- ken. „So könnte es sein, dass Ärzte nicht mehr zwischen verschiedenen Blutdrucksen- kern wählen können, sondern dass sie nur noch drei oder vier Präparate in der Blister- Liste zur Auswahl finden“, er- läutert Keller.
Die Beschränkung des An- gebots auf 400 Präparate deckt sich ebenfalls nicht mit den Interessen der forschenden Pharmaindustrie: „Das ist ein Albtraum für jeden Arznei- mittelhersteller, der mit Inno- vationen auf den Markt will“, krisitiert der Verband For- schender Arzneimittelherstel- ler (VFA). Die finanzstarke In- teressenvertretung beauftragte den Vorsitzenden des Sach- verständigenrates zur Begut- achtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Prof. Dr.
Eberhard Wille, ein Gutach- ten über den Sinn des industri- ellen Neuverblisterns zu er- stellen. Der Experte kommt zu dem VFA-kompatiblen Er- gebnis, dass das Neuverbli- stern von Arzneimitteln „viel kostet und wenig bringt“. So koste die industrielle Ferti- gung eines Blisters circa 1,50 Euro, die Abgabe an den Pati- enten durch die Apotheke wei- tere 1,50 Euro. Wille: „Minde- stens so viel müssten die Kran- kenkassen also je Blister an anderer Stelle wieder einspa- ren, damit sich das Konzept tatsächlich rechnet.“
Der Volkswirt kritisiert auch die Beschränkung des Ange- bots auf 400 Präparate: „Dies bedeutet im Umkehrschluss für den Arzt, dass er künftig aus einer engen Positivliste verordnen müsste.“ Auch sei die Neuverblisterung für viele Arzneimittel prinzipiell nicht anwendbar. So ließen sich et- wa injektionspflichtige Arznei- mittel nicht in die Blister einbe-
ziehen. Die behaupteten Vor- teile könnten diese Nachteile nicht aufwiegen, folgert Wil- le. Denn: „Mangelhafte The- rapietreue ist nur in einem kleineren Teil der Fälle durch Verblisterung überwindbar.“
Oft seien andere Gründe, et- wa Angst vor Nebenwirkun- gen, ausschlaggebend, wenn Patienten ihre Medikamente nicht einnähmen.
Expertenstreit
Nur bei etwa zehn bis 16 Pro- zent der ambulant versorgten Patienten eines Indikationsge- bietes könne die Verblisterung die Therapietreue beeinflus- sen, meint Wille. Eine Umstel- lung hin zu Blisterpackungen verspreche dann eine bessere Compliance, wenn
> die Gesamtmedikation überwiegend aus festen, ora- len Arzneimitteln der Dauer- medikation besteht und einen großen Umfang aufweist,
> die Gesamtmedikation lange Zeit konstant bleibt,
> die Dauermedikation kaum durch Akutmedikamen- te ergänzt wird,
> bei der Verabreichung der Arzneimittel vier Einnah- mezeitpunkte je Tag ausrei- chen und die Präparate zusam- men eingenommen werden,
> die Patienten ihre Medi- kamente eigenverantwortlich einnehmen und bisher keine Einnahmehilfen wie Schubla- densysteme verwenden,
> die Patienten non-com- pliant sind und
> die Therapieuntreue nicht absichtlich erfolgt.
Prof. Dr. Karl W. Lauter- bach ist hingegen überzeugt, dass die industrielle Verbli- sterung zu Einsparungen in Millionenhöhe für das Ge- sundheitswesen führen könn- te. Der Kölner Gesundheits- ökonom verweist auf die po- sitive Entwicklung in Skan- dinavien. Dort gebe es seit Anfang der 90er-Jahre Ver- blisterungssysteme. Die Zahl der Nutzer sei kontinuier- lich gewachsen, die Höhe der Einsparungen auch. Lauter- bach begleitet den Pilotver- such von assist Pharma wis- senschaftlich. Jens Flintrop V A R I A
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 34–35⏐⏐28. August 2006 AA2259
Medikamentenversorgung
Alles aus einer Packung
Die Sortierung von Medikamenten in Blisterkarten soll die Compliance der Patienten verbessern.
Wirtschaft
Foto:assist Pharma