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Archiv "Der heilige Geist ist (noch) nicht eingekehrt..." (14.11.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHT

D

ie Bundesregierung hat — nach der üblichen „Schon- frist" — längst nicht mehr den ungeteilten Beifall der im Hart- mannbund organisierten Ärzte.

Das wurde erneut bei der diesjäh- rigen Baden-Badener Hauptver- sammlung dieses nach eigenen Angaben 37 066 Mitglieder zäh- lenden Ärzteverbandes überaus deutlich. Die Enttäuschung, der Frust über das, was die CDU/CSU- FDP-Bundesregierung seit der vielbeschworenen „Wende" auf sozial- und gesundheitspoliti- schem Gebiet unternommen — oder genauer formuliert: unterlas- sen — hat, ist nicht etwa nur bei den Delegierten und der Ver- bandsführung des Hartmannbun- des groß. Auch bei den Kollegin- nen und Kollegen „von der Ba- sis", in Klinik und Praxis, wächst die Verärgerung über die nicht nur atmosphärischen Störungen.

Der Hartmannbund-Vorsitzende, Prof. Dr. med. Horst Bourmer (Köln), führte ein langes „Sünden- Register" der amtierenden Regie- rung an, die arge Zweifel an deren ordnungspolitischen Glaubwür- digkeit und Geradlinigkeit gerade bei den Heilberufen aufkommen ließen. Der HB-Chef ist gewiß nicht allein mit seiner Meinung, die da lautet: Während der beiden vergangenen Jahre hat sich eine eigenständige Gesundheitspolitik so gut wie nicht abgespielt. Es ist noch nicht einmal der Ansatz zu einer Loslösung der Gesundheits- politik von der Sozialpolitik, von der Politik der Kostenverlagerung und der Finanzverschiebung zu erkennen.

Bourmer ließ allerdings keinen Zweifel darüber aufkommen, daß auch die Ärzte mithelfen wollen, den Ausgabenanstieg in der ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV) in wirtschaftlich vertretba- ren Grenzen zu halten. Allerdings beginne der Dissens da, wo die Regierung eine von der verflosse- nen Bundesregierung übernom- mene Politik mit den alten Mitteln betreibe. Entgegen der Aussagen christlich-demokratischer und li-

Der heilige Geist ist

(noch) nicht eingekehrt

Hartmannbund übt herbe Kritik an der Gesundheitspolitik seit der Bonner „Wende"

beraler Parteiprogramme ist die Gesundheitspolitik systematisch den Zielen des Bundessozialmini- steriums untergeordnet worden.

Mehr noch: Das in der „Ehren- berg-Epoche" verkündete Dogma von der Kommanditgesellschaft habe seinen Verkünder überlebt.

Bourmer interpretierte dies eben- so sarkastisch wie zutreffend. In dieser „KG" spiele die gesetzli- che Krankenversicherung an- scheinend die Rolle des unbe- schränkt haftenden Komplemen- tärs, wohingegen die gesetzliche Renten- und Arbeitslosenversi-

ZITAT

Gemüsemarkt

„Ein Problem, für dessen Bewältigung nichts wirklich Entscheidendes getan wird, das ist die ‚Ärzteschwem- me'. Ich liebe dieses Wort nicht, denn es verharmlost Probleme menschlichen Schicksals zu Angebots- schwankungen des Gemü- semarktes."

Prof. Dr. Horst Bourmer, 1. Vorsit- zender des Hartmannbundes, in seinem Bericht „Zur Lage"

cherung vom „Bau des Verschie- bebahnhofes" weiter profitierten.

Die mit sämtlichen technischen Raffinessen ausgestatteten Verla- gerurigs- und Finanzierungstricks würden weiterhin genutzt. Fragte Bourmer: „Bringt es der Regie- rung auf lange Sicht Vorteil, wenn sich statt des Verschiebebahn- hofs ihre eigene Glaubwürdigkeit demontiert?"

Als Früchte des „Dornengartens"

machten die Hartmannbund-Dele- gierten die erste Novelle zur amt- lichen Gebührenordnung für Ärz- te (GOÄ), die am 1. April 1983 wirksam gewordene Arzneimittel-

„Negativliste”, das ominöse Haus- haltsbegleitgesetz '83 und man- che in den Amtsstuben des Hau- ses Blüm ruhende Zukunftspro- jekte aus. Paradebeispiel: Der

Entwurf eines neuen Kranken- haus-Finanzierungsgesetzes, „bei dem der Bundesrat im Begriff ist, dem Minister einen mißgestalte- ten Wechselbalg unterzuschie- ben, den er als sein Geisteskind anerkennen soll. Daß dabei der Minister Rückendeckung von den Krankenkassen, Gewerkschaften und SPD bekommt, aber auch CDU-regierte Länder gegen sich hat, rundet das makabre Bild ab."

(So Bourmer in seinem Lagebe- richt.)

Auch die Liberalen bildeten nicht mehr das spürbare „Korrektiv", wie sie es noch in der soziallibera- len Ära gewesen waren. Hinzu komme, daß es zwar manche per- sonelle Veränderungen in der Lei- tung der Krankenversicherungs- abteilung im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ge- geben habe, eine Kursänderung sei indes nicht festzustellen. Das Prinzip der einnahmenorientier- ten Ausgabenpolitik in der gesetz- lichen Krankenversicherung — von den Gewerkschaften und den Ortskrankenkassen Mitte der sieb- ziger Jahre „erfunden" — sei unter Minister Blüm als Dogma über- nommen worden, obwohl es „in die Programmatik der CDU hinein- paßt wie der Pontius ins Credo, als Leidenbringer".

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 46 vom 14. November 1984 (23) 3403

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DEUTSCHES itß.ZTEBLATT

Herbe Kritik an der Gesundheitspolitik der CDU/CSU-FDP-Bundesregierung übten die 80 Delegierten des Hartmannbundes während der Hauptversammlung im Kon- greßhaus zu Baden-Baden am 18. und 19. Oktober 1984 Foto: Clade

Der Hartmannbund verweilte in Baden-Baden zwar lange Zeit an

der "Klagemauer" - dabei ließ er

es aber nicht bewenden. Der HB unterbreitete eine Reihe von Vor- schlägen, die er nicht erst seit hier und heute verficht.

Der Verband der Arzte Deutsch- lands (HB) empfiehlt, den Lei- stungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung rigoros zu durchforsten. Sie müsse von einer Voll- bis Überversorgung wieder auf eine finanzierbare, gesund- heitspolitisch vernünftig ausge- richtete Risikoversicherung zu- rückgeführt werden. Bourmer nannte dies als eine "Reform der Krankenversicherung an Haupt und Gliedern". Eine reformierte Krankenversicherung setze aller- dings uneingeschränkte Beitrags- und Leistungsehrlichkeit voraus, fügte Bourmer hinzu. Man könne nicht die Lasten der Krankenversi- cherung der Rentner in einem im- mer höher werdenden Prozent- satz den erwerbsaktiven Versi- cherten aufbürden, nur damit der zuständige Minister dem Parla- ment und der Öffentlichkeit die

"Fassade einer finanziell intakt scheinenden Krankenversiche-

rung" bieten könne. Eine gewisse

Mitschuld kreidete Bourmer auch der Arzteschaft an, weil sie jahre- lang gegen die "Systemverände- rer" pauschal polemisiert hätte und dabei den Eindruck erweckte, als betrachteten die Arzte das Sy- stem "mitsamt seinen Fehlent-

wicklungen" als optimal und un- antastbar. Die Ärzteschaft dürfe sich nicht einschüchtern lassen, wenn sie den Folgen eines über- schießenden Sozialbürokratismus und dem Anspruchsdenken der Versicherten entgegentrete. Abgelehnt wurden Forderungen wie etwa die "Pille auf Kranken- schein", für die sich noch kürzlich ein Unionsminister stark machte.

Die Bundesregierung und der Bundeskanzler müßten beim Wort genommen werden: Um die priva- te Verantwortung zu stärken, sei es unumgänglich, die Bürokratie und die soziale GängeJung zu- rückzudrängen. Zur Kooperation, zur sachverständigen Mitarbeit bei allen gesundheitspolitischen Fragen, die die existentiellen Fra- gen dieser und der nachrücken- den Ärztegeneration berühren, er- klärte sich der Hartmannbund oh- ne Wenn und Aber bereit.

Hausärztliche Tätigkeit stärken!

..". Die Hartmannbund-Delegierten stellen sich mehrheitlich hinter den von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Septem- ber unterbreiteten Vorschlag zur Stärkung der hausärztlichen Tä- tigkeit. Danach soll Vorausset- zung für die primärärztliche Tätig- keit eine mindestens dreijährige Berufspraxis sein, die einer drei- jährigen Weiterbildung ent- spricht. Wenn das zweijährige 3404 (24) Heft 46 vom 14. November 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

Hartmannbund

"Arzt-Praktikum" in diese dreijäh-

rige Berufspraxis integriert wer- de, ist nach Meinung des HB ein

"wichtiger Beitrag zur Sicherung und Qualität" der kassenärzt- lichen (und hausärztlichen) Tätig- keit geleistet.

..". Der HB setzt sich dafür ein, den Weiterbildungsgang zum Arzt für Allgemeinmedizin neu zu ordnen und gleichzeitig die Weiterbil- dung für alle Gebietsärzte an die in der Europäischen Gemein- schaft geltenden Weiterbildungs- zeiten anzugleichen. Allerdings begegnet der Hartmannbund der zweijährigen Praxisphase mit

"skeptischem Interesse". Die Be-

reitschaft der ärztlichen Organisa- tionen, der Krankenkassen und der Krankenhausgesellschaft, mit- zuhelfen, rechtfertige jedenfalls nicht die sehr optimistischen An- nahmen der Bundesregierung.

Die Zulassung zum Medizinstudi- um sollte den tatsächlichen Kapa- zitäten für eine gute klinische Ausbildung angepaßt werden. Zwar sei es denkbar, eine Assi- stenzarztstelle in zwei oder drei ,.AiP-Stellen" zu teilen, doch kön- ne man nicht einfach "drei Patien- ten in ein Krankenbett" legen, nur um den Aus- und Weiterbildungs- erfordernissen Rechnung zu tra- gen.

Auch die übrigen neuralgischen Punkte des aktuellen Problem- haushaltes bedürften weiterer Kraftanstrengungen: die Reform der Krankenhausfinanzierung; die qualitative Verbesserung der Be- dingungen für pflegebedürftige Mitbürger; Verbesserung der Arz-

neimittelsicherheit, der Pharma-

kotherapie, die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung, und - last not least- die Honorarpoli- tik. Der Hartmannbund baut dar- auf, daß der Bundeskanzler bald

ein "Machtwort" spricht. Denn

Spitzengespräche und Verhand- lungen nützen solange nichts, als sie nichts mehr sind als die "heiße Luft von Düsentriebwerken". De- ren Ergebnisse müssen in politi- sche Handlungen umgesetzt wer- den! Dr. rer. pol. Harald Clade

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