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Archiv "Internationales AIDS-Symposium" (03.11.1988)

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KONGRE BERI HT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Internationales

AIDS-Symposium

San Marino, 10.-14. Oktober 1988

Vorbemerkungen

Als in den frühen 80er Jahren vom Disease Control Center in At- lantal USA die ersten Mitteilungen über die neue Infektionskrankheit AIDS (acquired immune deficiency syndrome) besonders bei Homosexu- ellen in den Großstädten und in Kali- fornien bekannt wurden, hat das

Deutsche Ärzteblatt mit zwei anderen deutschen Zeitungen früh und aus- führlich darüber berichtet (Koch und

L'age-Stehr, DÄ vom 18. 2. 1983 so- wie Breker et al., Gross, Jäger, alle DÄ vom I. 7. 1983).

Acht Jahre intensiver, kosten- trächtiger Forschung über die Virolo- gie, Immunologie, Biochemie, sozia- le Faktoren und Lebensgewohheiten, juristische Probleme der Meldepflicht

usw. haben die Aussichten, diese weltweite Epidemie in absehbarer Zeit mit Vakzinen oder durch Che- motherapie sicher zu beherrschen, unabsehbar werden lassen. Das kann als zentrales Resumde des Internatio- nalen AIDS-Kongresses vom 10. bis 14. Oktober 1988 im Kleinstaat San Marino schon vorweggenommen werden. Als typisch mag gelten, daß erst kürzlich in „Science" vom 29.

Juli 1988 so namhafte Viro-Onkolo- gen wie P. Duesberg einerseits, W.

Blattner, R. C. Gallo und H. M. Te- min andererseits sachlich und auf ho- hem Niveau darüber diskutierten, ob es sich bei AIDS überhaupt um eine Infektionskrankheit im klassischen Sinne handle oder nicht.

Das Deutsche Ärzteblatt ist zwi- schen 1983 und 1988 in 40 Übersich- ten und Originalarbeiten, 10 Edito- rials, 35 Kurzberichten und Zeit- schriftenreferaten auf AIDS bzw.

HIV (= human immune deficiency virus, früher von Montagnier/Paris als LAV — Lymphadenopathie-Vi- rus, von Gallol Bethesda als HTLV III = Human T-Leucämia Virus III genannt) eingegangen. Etwas zu häu- fig, vor allem, nachdem nicht einmal

alle Einsender berücksichtigt werden konnten?

Wir möchten meinen: Nein — nachdem eine breite Öffentlichkeit und vor allem die Massenmedien sich intensiv für das Thema interessieren und sinngemäß die Patienten ihre Ärzte befragen — nachdem, was weni- ger bekannt ist, die intensive AIDS- Forschung ganz neue Einsichten in die Zellbiologie und die Krankheits- pathogenese erbracht hat.

Durch das Entgegenkommen des Robert-Koch-Instituts des Bundesge- sundheitsamtes konnten wir seit etwa zwei Jahren vierteljährlich die Zahl der bekannten AIDS-Fälle in der Bundesrepublik, verteilt nach Bun- desländern, aufführen. Die WHO hat eigens für den Kongreß in San Marino alle ihr bekannten Daten weltweit zusammengestellt (W. W.

Holland), von denen wir einige aus Vergleichsgründen im Bericht nen- nen werden.

1. Globale Epidemiologie

Ob die Zahl der Erkrankten li- near (z. B. in Finnland knappe Ver- doppelung in 5 Jahren) oder expo- nentiell ansteigt (z. B. USA Mitte 1987 16,8, Mitte 1988 29,2/10 5 Ein- wohner), ist von vielen Faktoren ab- hängig, nicht zuletzt von der Zuver- lässigkeit der Erfassung und Mel- dung.

In Afrika lagen (jeweils pro 100 000 Einwohner und am 1. 10.

1988) der Kongo mit 57,3, in Ameri- ka die Bermudas mit 140,1 an der Spitze (zum Vergleich: USA 30,1, Kanada 7,4). Besonders hoch, wenn auch durchaus verschieden, sind die Zahlen für die Inseln der Karibik mit Französisch-Guyana an der Spit- ze (127,3).

In Westeuropa (16 Länder) liegt die Bundesrepublik mit 3,8 an sech- ster Stelle, übertroffen von der Schweiz (7,6), Frankreich (7,6), Dä- nemark (5,9), Holland (3,9), Italien

(3,9) und gleichauf mit Spanien (3,9). Der europäische Westen ist durch eine jährliche Zunahme der Erkrankungen um etwa 106 Prozent (d. h. 46 Prozent höher als in den USA) gekennzeichnet, der europä- ische Süden (4 Länder) zeigt mit 108 Prozent mehr jährliche Inzidenzen als in den USA. Die Häufigkeit im europäischen Norden (4 Länder) be- trug per annum + 64 Prozent, d. h.

11 Prozent weniger als in den USA.

In Frankreich hat (durch Aufklä- rung) die Zahl der Testpositiven seit 1982 abgenommen (Montagnier).

Von den Kranken hatten 12 Prozent ein Kondom benutzt, 88 Prozent nicht!

Derzeit dürften rund 0,5 Millio- nen Europäer infiziert sein. Für 1996 rechnet die WHO mit etwa 3 Millio- nen (Mann).

In Europa ist der Süden 2,3 mal häufiger betroffen als der Norden.

Überraschend niedrige Inzidenzra- ten, immer bezogen auf 100 000 Ein- wohner, meldeten Japan (0,07), die Philippinen (0,03) sowie die meisten Ostblockländer (z. B. UdSSR 0,001).

2. Biologie der Viren und ihrer Interaktion mit dem Wirt

Wie Temin sowie Gallo (USA) ausführten, sind die einsträngigen Retroviren gegen Mutationen viel anfälliger als DNS-Viren — ein Hin- weis, den erstmals der deutsche Bio- chemiker Eigen für seine Evolu- tionstheorie machte und der von Domingo auf Viren insgesamt über- nommen wurde. Retroviren wech- seln rasch und haben ein kleines Ge- nom. Das HIV hält sich aber latent nach der Art von DNS-Viren in der infizierten Zelle, eine Eigenschaft, die anderen Retroviren abgeht.

Neomycin-resistente Genome gehen pro Zyklus in etwa 10 Prozent durch Mutation zugrunde. Die genetische Variation beträgt zur Zeit etwa 1 x 104 bis 2 x 10-5 . Sie entspricht damit in etwa der Variabilität der In- fluenza und führt zu den gleichen Problemen der Kreuzresistenz und damit einer anhaltend wirksamen Schutzimpfung wie bei der Grippe. D A-3068 (52) Dt. Ärztebl. 85, Heft 44, 3. November 1988

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Bei Untersuchungen in Afrika stieß man auf Patienten, die mit HIV 1 , mit HIV2 oder mit beiden Virusar- ten infiziert waren. Sicher gibt es weitere Mutanden. Das führte zu ausgiebigen Diskussionen, ob SIV (simian immune deficiency virus) von Affen ein Vorläufer der menschlichen HIV-Infektion ist, oder ob das Virus durch spontane Mutation beim Menschen zustande kam. Immerhin gelten vor allem in Zentralafrika rund 50 Prozent der Affenart Macacus als Träger von SIV, ohne selbst zu erkranken. Mu- tationen von HIV können das der- zeitige Gleichgewicht in Richtung auf schneller ablaufende Infektionen oder höhere Letalität verändern (Temin). Obwohl das Virus lebens- lang existieren kann, gelten das drit- te und vierte Jahr nach der Infektion für den Ausbruch von AIDS als kri- tisch. Dem Vollbild geht gewöhnlich eine Antigenämie von etwa 3 bis 6 Wochen Dauer voraus. Danach scheint die Zahl an manifesten Er- krankungen (AIDS, AIDS-related complex, Lymphadenopathie) abzu- nehmen.

Mehr schematisch dargestellt als dokumentiert wurde die Situation, in der Virusantigene bei hohem An- tikörpertiter (zunächst IgM, dann IgG) nicht mehr nachweisbar sind.

Nach den weltweiten Erfahrungen wird offenbar nur ein Teil der Anti- körper-Positiven früher oder später krank. Man kann somit vier Ent- wicklungen unterscheiden:

1. latentes Virusgenom bei hohem AK-Titer ohne Er- krankung;

2. Immundefekt;

3. ZNS-Befall mit Folgen;

4. Vollbild von AIDS.

Gallo sprach insgesamt von ei- ner langsamen Degeneration des Immunsystems und des Zentralner- vensystems. Kofaktoren können die Virusexpression begünstigen, beson- ders eine Zytomegalie oder eine In- fektion mit dem Epstein-Barr-Virus.

Neben den Zellen der T4-Lym- phozyten (CD 4) wurde besonders der frühe Befall von Monozyten und Makrophagen hervorgehoben — fer- ner die oft isoliert befallene Mikro- glia des Zentralnervensystems. Nach Gallo haben Lymphozyten und Ma- krophagen ähnliche Genome, wenn auch verschiedene Funktionen. Ein Befall von Epithelien, etwa der Lun- ge oder des Darmes, würde eine grundlegende Änderung des Tropis- mus des Virus voraussetzen. Temin u. a. hielten es vielmehr für möglich, wenn auch nicht sicher, daß die Pathogenität des Virus abnimmt, so- weit sich das mit seiner Verbreitung verträgt. Chemotherapie oder Vak- zinen könnten bei der hohen Muta- genität über resistente Varianten das derzeitige Gleichgewicht stören.

Solche Stämme soll es schon geben (Wong-Staal).

In vielen Vorträgen wurden die der Hülle, der Struktur, dem

„Kern" (Core) zuzuordnenden Pro- teine einheitlich und überzeugend dargestellt. Allerdings vermißte der Referent Erklärungen, wodurch es plötzlich zu einer Änderung der Pathogenität kommen kann. Nach Untersuchungen von Bartholomew in Tobago/Trinidad mit seiner ge- mischten Bevölkerung scheint eine genetische Disposition (MHC-Kom- plex) für den Krankheitsausbruch ei- ne wesentliche Rolle zu spielen.

3. Prophylaxe und Chemotherapie

Die Vorträge zur Immunpro- phylaxe und Immuntherapie waren.

insgesamt — nach über 6 Jahren in- tensiver Forschung — enttäuschend.

Ansätze wären u. a.: Eine wirklich durchgreifende Substanz oder Vak- zination gegen einen der Schlüssel- prozesse wie Bindung des Virus an die Zielzellen — Eintritt der Virus- RNS in die Zellen — Aufnahme von Virus-RNS-Teilen in die Wirts-DNS

— Transkription von RNS zu DNS — Translation der (mutierten) Virus- RNS — Bildung von entsprechenden Ribosomen — Bildung von Virus- Proteinen — Synthese zu infektions- fähigen Viren (Broder u. a.). Für al- le diese therapeutischen Möglich-

keiten liegen mit Ausnahme von AZT (s. u.) bisher nur Ansätze oder begrenzte Erfahrungen vor. Ursa- chen sind u. a. der Mangel an Schim- pansen, die in den Antigen-Antikör- perreaktionen im klinischen Bild am ehesten dem Menschen gleichen (bisher 200 im Versuch!), ethische Gründe (da AZT die Lebenserwar- tung verlängert), bisherige Erfah- rungen an überwiegend fortgeschrit- tenen Erkrankungen, die Knochen- markstoxizität des 2,3-Azidotymi- dins. Neben dieser bisher aussichts- reichsten Substanz laufen Versuche mit einer in Position 3 fluorierten Verbindung, ferner mit ähnlichen Nukleosiden wie 2,3-Desoxycytosin (ddC), 2,3-Desoxyadenosin (ddA), die wie AZT in der Zelle vermutlich zu Nukleotiden phosphoriliert wer- den und den Einbau des Virusge- noms in den Doppelstrang der Wirts-DNS hemmen. Von diesen ist ddA vermutlich am wenigsten to- xisch; doch wurden beim Wechsel oder bei Kombinationen ähnliche Toxizitäten beobachtet. Die Hoff- nung richten sich auf Eingriffe in die Hüllenproteine des Virus und in die Virusexpression, wobei die Stoff- klasse der Anthrachinone zur Zeit intensiv geprüft wird.

Die Prophylaxe zielt vor allem auf das Membranprotein gp 120 und auf die Entwicklung von neutralisie- renden Antikörpern (Bolognesi, Putney u. a.), nicht krankmachen- den Rekombinationen wie IHA, MB, IIIRF, IIIRmN. Prinzipiell kom- men attenuierte oder ganz inakti- vierte Viren, gespaltene und rekom- binierte Viren sowie gewisse Peptide in Betracht (Eichberg). Aus der im Abschnitt 2 genannten hohen Muta- genität bleibt es fraglich, ob es die zuverlässige „Universalvakzine" je- mals geben wird. Lebhaft disku- tiert wurden auch die Fragen, wel- che Rolle neutralisierende Antikör- per und Immunprophylaxe tatsäch- lich spielen, ferner: ob es — zum Bei- spiel bei Homosexuellen — Superin- fektionen gibt.

Alles in allem war der Kongreß eine wichtige Zwischenbilanz, ohne einen entscheidenden Durchbruch in einem der vielen Ansätze aufzu- zeigen.

Rudolf Gross, Köln A-3070 (54) Dt. Ärztebl. 85, Heft 44, 3. November 1988

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