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Archiv "Zahlen über AIDS" (26.03.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KURZMITTEILUNG

Zahlen über AIDS

Mit welchen demographischen — oder epidemiologischen — Begrif- fen gesundheitsrelevante Zustän- de einer Bevölkerung üblicherwei- se quantitativ beurteilt werden, hat Habermehrl soeben dargelegt (1).

Versucht man nun, die von ihm ge- nannten Begriffe: Mortalität, Inzi- denz, Prävalenz, Letalität auf die in der Literatur veröffentlichten Zahlen über AIDS anzuwenden, so erlebt man eine Überraschung:

Keiner dieser Begriffe ist zutref- fend. Warum?

Mortalität und lnzidenz betreffen vereinbarungsgemäß die inner- halb eines Jahres Verstorbenen oder Erkrankten, bezogen jeweils auf die mittlere Bevölkerung die- ses Jahres. Die Prävalenz wird fast ausschließlich als sogenannte Punkt-Prävalenz genutzt (und so auch nur von Habermehl bespro- chen), das heißt als Angabe über die Zahl der Erkrankten zu einem bestimmten Zeitpunkt, meist am 31. 12., dann mit der Jahresendbe- völkerung als Basis.

Bei AIDS dagegen werden die auf- tretenden Fälle fortlaufend aufad- diert (2, 3, 4). Das entspricht der wenig gebräuchlichen Perioden- Prävalenz. Ihr Gebrauch ist durch- aus legitim. Am ehesten bedient man sich ihrer bei zeitlich be- grenzten Epidemien oder für Spe- zialfragen mit Verbindung zur Lei- stungsstatistik, zum Beispiel alle Arbeitsunfähigkeitsfälle einer Krankenkasse oder alle Aufnah- men eines Krankenhauses, aber immer innerhalb eines definierten Zeitraums, meist eines Jahres.

Diese zeitliche Fixierung fehlt bei AIDS, das heißt hier werden ganz ungewöhnlicherweise Jahresgren- zen sogar mehrfach überschritten (2, 3, 4).

Man kennt so etwas von Ausstel- lungen oder Ferienorten: der 50 000. Besucher, der 100 000. Fe- riengast, werden feierlich begrüßt.

In der Industrie wird zum Beispiel

das 1 000 000. Automobil eines Typs festlich geschmückt. Diese Art von Daten darf man natürlich nicht mit der Besucherzahl oder der Produktion in einem festen Zeitraum verwechseln.

Das Aufaddieren bei AIDS, die Ver- öffentlichung kumulativer Daten ist international durch WHO und Centers for Disease Control (4) ebenso üblich wie national durch das Bundesgesundheitsamt (=

BGA (2, 3)). Dagegen ist bei einem völlig neuen Krankheitsbild wie bei AIDS im Prinzip nichts einzu- wenden. Die Frage ist nur, ob je- der Leser den vom Herkömm- lichen abweichenden Charakter dieser Zahlen erkennen kann.

Kritisch wird die Angelegenheit, wenn aus der Perioden-Prävalenz, die Jahresgrenzen überschreitet, ein Bevölkerungsbezug herge- stellt wird (3). Daß man wegen der bisher kleinen Zahlen 1 000 000 und nicht wie gewohnt 100 000 als Bezugszahl gewählt hat, sollte nicht übersehen werden. Die Pro- blematik liegt beim Bezugskollek- tiv. Aus der veröffentlichten Zahl von vier Erkrankungen pro Million (3) ist zu schließen, daß alle 240 dem BGA bis zum 16. 8. 1985 be- kannt gewordenen Fälle zur Wohnbevölkerung des Jahres 1985 (oder 1984) in Beziehung ge- setzt wurden. Welch hohe Krebs- mortalität würde sich ergeben, wenn man alle Sterbefälle der Jah- re 1981 bis 1984 nur auf die Bevöl- kerung des Jahres 1984 beziehen wollte! Natürlich muß bei einer Pe- rioden-Prävalenz die Bevölkerung der gesamten Periode herangezo- gen werden.

Bei Daten für mehrere Jahre er- rechnet man entweder den gewo- genen Durchschnitt oder, mit glei- chem Ergebnis, man geht von Per- sonen-Jahren aus. Man muß also nicht nur wie bei AIDS die Zahl der Kranken, sondern auch die Bevöl- kerungen addieren. Die so zu ge- winnende mittlere Inzidenz ist gut geeignet, Zufallsschwankungen in einzelnen Jahren auszugleichen.

Sie ist ein schlechter Wert, wenn

es sich wie bei AIDS um einen von Null aus ansteigenden Trend han- delt. Der Durchschnitt ergibt für die ersten Jahre viel zu hohe, für die späteren eindeutig zu niedrige Werte.

Aus einer Graphik (3) ist auf rund 90 im Jahre 1984 neu beim BGA registrierte Fälle zu schließen.

Daraus folgt eine lnzidenz von 1,5/1 000 000 oder 0,15/100 000 für dieses Jahr. Der publizierte Wert von 4,0/1 000 000 liegt erheblich darüber. Er könnte — eine nur 30- bis 50prozentige Erfassung unter- stellt — sogar korrekt sein, wäre dann aber unmißverständlich als Schätzwert auszuweisen.

Habermehl definiert Letalität als Mortalität: Inzidenz (1). Das ist bei akuten Erkrankungen einfach, nicht aber bei chronischen, sich über Jahre hinziehenden. Da nun bei AIDS bisher weder Mortalität noch lnzidenz direkt mitgeteilt sind (allenfalls indirekt erschlos- sen werden können), kann die Le- talität von AIDS nicht nach der an- gegebenen Formel errechnet wer- den.

Bisher behalf man sich damit, die Zahlen der Verstorbenen ebenso aufzuaddieren wie die der Er- krankten. Es ist auch nichts einzu- wenden, wenn angegeben wird, wieviel Kranke in einer bestimm- ten Periode als verstorben be- kannt geworden sind (4).

Die Problematik der Letalitätsbe- rechnung chronischer Erkrankun- gen ist von der Tuberkulose und den bösartigen Neubildungen seit langem und hinreichend bekannt.

Bei der Tuberkulose ging man von der Kohortensterblichkeit aus, das heißt man ermittelte, wieviele der Neuerkrankten eines Jahres nach einem Jahre, zwei, drei usw. Jah- ren verstorben waren. Für die bös- artigen Neubildungen ist die Über- lebenswahrscheinlichkeit nach ei- nigen, meist fünf Jahren der gän- gige Wert. Brauchbar ist auch die durchschnittliche Überlebenszeit oder deren Median, das heißt der Zeitpunkt, zu dem die Hälfte der 894 (66) Heft 13 vom 26. März 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die „Pille danach"

Patienten einer Kohorte verstor- ben ist. Das gibt nicht selten ein anderes Bild als nach der Mortali- tät. Diese stellt bekanntlich die Summe aller Sterbefälle eines Ka- lenderjahres dar, unabhängig da- von, wann die Erkrankung begon- nen hat.

Wie bei der Tuberkulose und in ei- nem Krebsregister ist auch bei AIDS der Zeitpunkt der Erfassung ausschlaggebend für die zeitliche Zuordnung im Meldesystem. Der Zeitpunkt der Infektion bezie- hungsweise lnitiierung ist dafür ebensowenig geeignet wie der Be- ginn von Beschwerden.

Vorschlag: Kohortensystem Am zweckmäßigsten wird auch bei AIDS die Sterblichkeit nach dem Kohortensystem mitgeteilt, also wer vom Erfassungsjahr 1982 in diesem Jahr, 1983, 1984 usw. ver- storben ist. Wenn das Jahr für Jahr fortgesetzt wird, läßt sich daraus sehr leicht ein Trend der Abster- beordnung ersehen, das heißt eine Änderung der Prognose. Das ein- fache Aufaddieren taugt dazu nicht. Vermutlich erlaubt aber die gegebene Meldesituation nicht die Verwirklichung dieses Vorschla- ges.

Ein Letztes: Unstreitig hat sich in der Vergangenheit die Zahl der re- gistrierten AIDS-Kranken in relativ kurzer Zeit jeweils verdoppelt; ge- nannt sind sechs bis acht Monate (3). Verdoppelungen sind mathe- matisch gesehen eine geometri- sche Reihe, die schnell zu hohen Zahlen führt. Geht man von derzeit 100 Erkrankungen pro Jahr in der Bundesrepublik aus, so erhält man nach 19 Verdoppelungen ei- ne Zahl von 52,5 Millionen, das heißt in der Phase von der 19. zur 20. Verdoppelung litte die gesam- te Bevölkerung der Bundesrepu- blik an AIDS. Nimmt man die ge- nannten sechs Monate an, so wäre das schon in zehn Jahren der Fall, bei 18 Monaten „erst" in 30 Jah- ren. Nun, Extrapolationen, speziell im geometrischen Maßstab, haben

ihre Tücken. Insgesamt sollte das unbestreitbar Neue an AIDS nicht länger daran hindern, zu den in der Epidemiologie üblichen Be- griffen: Mortalität, Inzidenz, Punkt-Prävalenz zurückzukehren und den Ausflug in die Jahres- grenzen überschreitenden Aufad- dierungen zu beenden.

Die Zahlen wären dann zwar zu- nächst niedriger, liefen aber nicht Gefahr, wegen ihrer Besonderheit mißdeutet zu werden.

Zu der jetzt eingeführten „Pille da- nach" bringen wir die Kurzmittei- lung eines erfahrenen Gynäkolo- gen. Wie auch unser Fachredak- teur, Prof. Stoll, betont, sollte die relativ hohe Hormondosis den schwer zu definierenden „Notfäl- len" vorbehalten bleiben, die aber in der Praxis eine große Rolle spie- len dürften. Vorausgegangen sein müßte ein ungeschützter Kontakt während des Empfängnis- optimums bei einer fertilen Frau, die keine Antikonzeption betreibt.

Rudolf Gross Ende September 1985 wurde offi- ziell die „Pille danach" auf dem deutschen Markt eingeführt. Es handelt sich dabei keineswegs um eine revolutionäre Neuheit, son- dern um ein Präparat, das die bei- den weiblichen Sexualhormone Östrogen und Gestagen enthält, also um nichts anderes als die gu- te alte Antibabypille. Das Medika- ment unter dem Handelsnamen Tetragynon® enthält pro Dragee je 0,25 mg Levonorgestrel und 0,05 mg Ethinylestradiol.

Lediglich die Dosierung ist also ei- ne andere. Bis spätestens 48 Stun- den nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr — insbesonde- re zur Zeit der Ovulation — muß die Frau die ersten zwei Tabletten ein- nehmen und dann noch einmal zwei Tabletten 12 Stunden später.

Nach 60 Stunden muß die Einnah- me beendet sein.

Literatur

(1) Habermehl, A.: Mortalität-Letalität-Morbi- dität (Inzidenz-Prävalenz). Dtsch. Ärztebl. 83, Heft 3 (1986) 98-99 — (2) Koch, M. A.; J. L'Age- Stehr: AIDS: Der heutige Stand des Wissens.

Dtsch. Ärztebl. 82, Heft 36 (1985) 2560-2567 — (3) L'Age-Stehr, J.: Epidemiologie von AIDS.

Off. Gesundh.-Wes. 47 (1985) 343-348 — (4) N.

N.: Accquired immune deficiency syndrome (AIDS) — Update Wkly Epidem. Rec. 60 (1985) 199-202

Anschrift des Verfassers:

Professer Dr. med.

Gerhard Neumann Urachstraße 3 7000 Stuttgart 1

Je früher die ersten beiden Tablet- ten eingenommen werden, um so sicherer läßt sich eine Schwanger- schaft verhindern. Das Medika- ment wirkt so, daß eine Abbruch- blutung ausgelöst wird und eine eventuell befruchtete Eizelle sich nicht mehr im Endometrium einni- sten kann. Damit handelt es sich rein juristisch gemäß § 219 d des StGB nicht um eine frühe Abtrei- bung, sondern um eine erlaubte Möglichkeit der Empfängnisver- hütung, da die „Wirkung vor Ab- schluß der Einnistung des be- fruchteten Eies in die Gebärmutter eintritt".

Die sogenannte Pille danach sollte nun keineswegs herkömmliche Methoden der Empfängnisverhü- tung ersetzen, sondern wirklich

„Notfällen" vorbehalten bleiben.

Erstens ist die Zuverlässigkeit be- grenzt, und zweitens kann die re- lativ hohe Hormoneinnahme zu Zyklusstörungen führen. Eine mehrfache Anwendung innerhalb eines Monatszyklus sollte auf alle Fälle unterbleiben. Das Präparat ist natürlich verschreibungs- und apothekenpflichtig. Die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernom- men.

Dr. med. Reiner Gödtel Chefarzt der Frauenklinik Evangelisches Krankenhaus 6798 Kusel

Tetragynon: Die „Pille danach"

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 13 vom 26. März 1986 (69) 895

Referenzen

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