Zusammenfassung
Schon in vorgeschichtlicher Zeit waren die Heilwirkung verschiedener Pflanzen sowie ihre halluzinogenen Wirkungen bekannt. Die Grenze zwischen Arzneimittel und Droge ist allerdings fließend und so wurden Pflanzen aufgrund ihres Gehaltes an Heilstoffen ebenfalls als Genuß- und Rauschmittel angewandt.
Teils ins Mystische überhöht, steht die Gestalt der heilkundigen Frau schon in der Frühzeit der Medizin im Mittelpunkt des Interesses. Da sie im Besitz eines für damalige Verhältnisse erstaunlichen Wissens war, erschien sie ihrer Umgebung oft unheimlich und bis heute spekuliert man über die genaue Zusammensetzung jener Geheimrezepte, die der Hexe Eulengestalt verliehen und ihre Seele zum Blocksberg trugen. Mit Sicherheit kann man jedoch sagen, dass im Europa des Mittelalters die Alkaloide der Nachtschattengewächse (Solanaceae) eine wesentliche Rolle als Inhaltsstoffe spielten. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Tollkirsche (Atropa belladonna) Stechapfel (Datura stramonium), Bilsenkraut (Hyoscyamus spp.) und Alraune (Mandragora officinarum) zu nennen.
Die Solanazeen sind weltweit bekannt-berüchtigt für ihren Gehalt an Tropanalkaloiden. Ein typisches Tropanalkaloid ist Hyoscyamin, welches in der Pflanzenfamilie der Solanaceae weit verbreitet ist. Doch Hyoscyamin ist nicht das einzige Tropanderivat, welches in diesen Pflanzen enthalten ist. Es ist nahe verwandt mit Scopolamin, welches meist zusammen mit Hyoscyamin vorkommt. (S)- Hyoscamin razemisiert schon beim Trocknen der Pflanze zu Atropin, das nur halb so giftig ist, da die Wirkung an die (S)-Form gebunden ist. Alle Pflanzenteile sind giftig.
Bei der als Kübelpflanze beliebten südamerikanischen Engelstrompete (Datura suaveolens) sind meist die prächtigen Blüten, bei der Tollkirsche die Beeren die Giftquelle.
(S)-Hyoscyamin und Atropin wirken qualitativ gleichartig und haben zwei typische Wirkungskomponenten:
1. eine zentral-erregende Wirkung durch relativ hohe Dosen, die vor allem das Großhirn, das Zwischenhirn und das verlängerte Mark betreffen und sich, je nach Dosis, in Rede- und Bewegungsdrang Heiterkeit, Verwirrungszustände mit Sinnestäuschungen bis hin zu symptomatischen Psychosen äußern. Es kommt zur Beschleunigung der Atmung, zur Steigerung der Körpertemperatur und zur intensiven Hautrötung. Nach Verschwinden der Erregungserscheinungen folgt Beruhigung und Schlaf, wobei es bei letalen Dosen zur tödlichen zentralen Atemlähmung kommen kann.
2. eine peripher-lähmende durch niedrige Dosen zustande kommende Wirkung, die schon durch zentral noch nicht oder nur wenig erregend wirkende Hyoscyamin- bzw. Atropingaben auftritt. Die wichtigsten Symptome sind:
Spasmolyse der glatten Muskulatur, starke Beschleunigung und Verstärkung der Herztätigkeit durch Ausschaltung des Vaguseinflusses, Einschränkung der Speichel-, Magensaft- sowie Schweißsekretion und Akkomodationslähmung.
Die Wirkungen beruhen auf dem antagonistischen Angriff der Alkaloide am muskarinergen Acetylcholinrezeptor (parasympathikolytische Wirkung) und damit der Hemmung des an parasympathischen Nervenenden freigesetzten Acetylcholins. In höheren Dosen werden auch die Wirkungen von Acetylcholin an Ganglien und motorischen Endplatten (nikotinerge Acetylcholinwirkung) und seine Transmitterfunktion im Gehirn antagonisiert. Dann überwiegt die zentralerregende Wirkung.
(S)-Scopolamin hat ebenfalls eine zentrale und eine periphere Hauptwirkungskomponente. Während die periphere Scopolaminwirkung sich qualitativ eng an die Hyoscyamin- bzw. Atropinwirkung anschließt und bei kleinen Dosen das Wirkungsbild beherrscht, ist die zentrale, bei größeren Dosen ganz im Vordergrund stehende Scopolaminwirkung der zentralen Atropinwirkung geradezu entgegengesetzt: Scopolamin bewirkt keine oder eine nur sehr geringfügige zentrale Erregung, dagegen meist von vornherein eine sehr starke Herabsetzung der Erregbarkeit des Zentralnervensystems; dies zeigt sich in psychischer und motorischer Beruhigung. Das Atemzentrum wird von Scopolamin von Anfang an gedämpft, durch größere, tödliche Dosen irreversibel gelähmt, weswegen besondere Vorsicht vor allem bei der Kombination mit dem auf die Atmung gleichsinnig wirkenden Morphin und anderen Opiaten geboten ist.
Tropanalkaloide werden auch über die Schleimhäute rasch und vollständig aufgenommen. Deshalb wurden Nachtschattengewächse im Mittelalter in Form von Salben zusammen mit Fetten und anderen Zutaten, den Hexensalben, von Kräuterkundigen verwendet, um Rauschzustände auszulösen. Auch heutzutage kommt es immer wieder zu Intoxikationen verursacht durch Verwechslung der Beeren mit essbaren Früchten, Verzehr der Beeren durch Kinder (Atropa belladonna) oder auch absichtlicher Mißbrauch zur Erzeugung von Halluzinationen (z.B. Datura suaveolens, Hyoscyamus niger).
In der Naturheilkunde spielen die Solanazeen, mit Ausnahme der Tollkirsche, nur eine untergeordnete Rolle und in der modernen Medizin werden sie aufgrund der nicht ausreichend belegten Wirksamkeit und der sich aus dem Alkaloidgehalt ergebenden toxikologischen Risiken heute abgelehnt.