Aus der Klinik für Kieferorthopädie (Direktor: Prof. Dr. R. Schwestka-Polly) des Zentrums Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
der Medizinischen Hochschule Hannover
Diagnose und Therapie dentoalveolärer und basaler Anomalien bei der kombiniert kieferorthopädisch - kieferchirurgischen
Behandlung skelettaler Dysgnathien
Dissertation
zur Erlangung eines Doktorgrades der Zahnheilkunde in der Medizinische Hochschule Hannover
Vorgelegt von Maria Mai aus Heltau
Hannover 2009
Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover Präsident: Prof. Dr. D. Bitter-Suermann
Betreuer der Arbeit: Prof. Dr. med. Dr. med. dent. H.-A. Merten Referent: Prof. Dr. Dr. Martin Rücker
Korreferent(en): Prof. Dr. med. Hüsamettin Günay
Tag der mündlichen Prüfung: 24.02.2009
Promotionsausschussmitglieder:
Prof. Dr. Harald Tschernitschek Prof. Dr. Matthias Fink
Prof. Dr. Gregor Theilmeier
2 Probanden und Methode 9
2.1 Diagnose der Zahnstellungen und der Okklusion 9
2.1.1 Variablen in der Sagittalen 10
2.1.2 Variablen in der Transversalen 12
2.1.3 Variablen in der Vertikalen 15
2.2 Zeitpunkt der Messungen der Zahnstellungen und der Okklusion 17
2.3 Einteilung der Patienten in Gruppen 19
2.4 Statistische Methoden 21
2.5 Untersuchungen 22
2.5.1 Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion bei den skelettalen
Dysgnathien 22
2.5.2 Präoperative Behandlungen 23
2.5.3 Umstellungsosteotomie in Abhängigkeit von Zahnstellung und
Okklusion 24
2.6 Bedingungen zum Erreichen des Therapiezieles einer gesicherten
Okklusion 25
2.6.1 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit vom Behandlungsbeginn 25 2.6.2 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von der Ausprägung der
2.6.4 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von Art und Umfang der
Umstellungsosteotomie 27
2.7 Rezidive 28
3 Ergebnisse 29
3.1 Probanden 29
3.2 Zahnstellung und Okklusion bei den skelettalen Dysgnathien 30
3.3 Präoperative Behandlung 31
3.4 Umstellungsosteotomie in Abhängigkeit von Zahnstellung und
Okklusion 33
3.5 Bedingungen für eine gesicherte Okklusion 37
3.5.1 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit vom Behandlungsbeginn 37 3.5.2 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von der Ausprägung der
Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion 38 3.5.3 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von postoperativer okklusalen
Abstützung im Seitenzahnbereich 38
3.5.4 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von Art und Umfang der
Umstellungsosteotomie 39
3.6 Rezidive 40
3.7.1 Falldarstellung Klasse II - Dysgnathie 42
3.7.2 Falldarstellung Klasse III - Dysgnathie 46
4 Diskussion 49
4.1 Einleitung und Fragestellung 49
4.2 Probanden und Methode 55
4.3 Zahnstellung und Okklusion bei den skelettalen Dysgnathien 57 4.4 Präoperativ behandelte Anomalien der Zahnstellung und der
Okklusion 58
4.5 Umstellungsosteotomie in Abhängigkeit von Zahnstellung und
Okklusion 62
4.6 Bedingungen für eine gesicherte Okklusion 64
4.7 Die postoperative Behandlung 66
4.8 Rezidive 67
5 Zusammenfassung 69
6 Literaturverzeichnis 73
7 Danksagung 81
8 Lebenslauf 82
9 Erklärung nach §2 Abs. 2 Nr. 5 und 6 der
1 Einleitung
Die kombinierte kieferorthopädische und kieferchirurgische Behandlung dient der Korrektur besonders ausgeprägter skelettaler Dysgnathien.
Dysgnathie (wörtlich übersetzt „Kieferfehlstellung“) bedeutet im kieferorthopädischen Sprachgebrauch jede Abweichung von einer regelrechten Okklusion, und zwar unabhängig davon, ob sie auf eine Anomalie der Zahnstellung oder eine Anomalie der Kiefergröße und –position zurückzuführen ist.
Für die kieferorthopädische Diagnose und Therapie der Okklusionsanomalie ist die Unterscheidung in dentale (Anomalie der Zahnstellung) und skelettale Dysgnathien (Anomalie der Kiefergröße und –position) wichtig. Ob Anomalien der Kiefergröße und –position allein mit kieferorthopädischen Mitteln zu behandeln sind, hängt von Art und Ausmaß der Anomalie und vom Alter des Patienten ab. Ist das Kieferwachstum abgeschlossen, kann die Bisslageanomalie mit kieferorthopädischen Mitteln allein nicht mehr behandelt werden, sondern muss zusätzlich operativ behandelt werden.
Die Geschichte der operativen Behandlung der Dysgnathie reicht noch nicht weit zurück. Die Grundlagenforschungen von William H. Bell (Bell u. Levy 1970, Bell 1975, Bell u. Fonseca 1975, 1980, 1981) über die Revaskularisierung des total oder partiell osteotomierten Oberkiefers, sowie die von Wolfort und Epker (Wolford u. Epker 1975, Wolford 1979, Wolford 1985) eingeführte Oberkieferosteotomie in der Le Fort-1-Ebene mittels „Down- frakture“-Technik (Wassmund 1935, Bell 1975, Austermann 1981, Luhr 1989) waren entscheidend. Mit der Oberkieferosteotomie als isoliertem Verfahren oder in Kombination mit einer Unterkiefer-Ramusosteotomie wie zum Beispiel nach Obwegeser/Dal Pont (Obwegeser 1955, 1957, 1970, 1987, Dal Pont 1959, Hunsuck 1968, Luhr 1991,1985, 1986, Speissl 1974) ist die Möglichkeit gegeben, die Dysgnathien und hiermit vergesellschaftete Anomalien dreidimensional bezüglich Fehlstellungen des Ober- und Unterkiefers zu behandeln (Reuther 2000, Wangerin 1990,1991, Wolford 1985, Turvey 1988).
So ist praktisch jedes gewünschte Profil im mittleren und unteren Gesichtsdrittel erzielbar (Teuscher et al. 1983).
Die Aufgabe des Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen ist die Korrektur der skelettalen Anteile der Dysgnathie, die Aufgabe des Kieferorthopäden ist die Korrektur der dentalen Anteile der Dysgnathie bei entsprechenden Anomalien nach Abschluss des Gesichtsschädelwachstums. Voraussetzung einer solchen kombinierten kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Behandlung skelettaler Dysgnathien ist ein hohes Maß an interdisziplinärer Koordination zwischen Kieferorthopäden und Kieferchirurgen bei der Festlegung des bzw.
der skelettalen Behandlungsziele, sowie hieraus assoziierende Gesichtsmuskelproportionen und der zeitlichen Abfolge der Behandlung (Schamsawary 2007, Reuther 1988, Steinhäuser 1988, Hönig 2002, Segner u.
Hasund 2003).
Prinzipiell kann die kieferorthopädische Behandlung präoperativ und postoperativ durchgeführt werden. Bei der präoperativen Ausformung (Korrektur der dentalen Anomalie) werden postoperativ nur noch Retentionsmaßnahmen nötig, vorausgesetzt, die millimetergenaue Umsetzung der planerischen Vorgaben wird operativ erfüllt. Bei der postoperativen Ausformung der Zahnbögen muss präoperativ nur soweit ausgeformt werden, dass die abgesprochene skelettale Verlagerung umgesetzt werden kann (Epker u. Fisch 1977, 1986).
Voraussetzung für die postoperative kieferorthopädische Behandlung ist eine frühe Operation. Die ist möglich, da intraoperativ interokklusale Splinte verwendet werden, mit denen eine regelrechte skelettale, intermaxilläre Kieferrelation eingestellt werden kann (Schwestka 1990, Zuercher 1981, Hausamen 1995, Lindorf 1977). Aufgrund einer funktionsstabilen Osteosynthese (Schrauben- oder Miniplatten-Osteosynthese) kann auf eine zusätzliche postoperative langwierige starre intermaxilläre Immobilisation verzichtet werden (Hauenstein 1981, Lindorf 1984, 1988; Niederdellmann et al. 1984; Schopf 1994, Luhr 1985, 1986, Steinhäuser EW 1982). Für die
Operationsergebnisses demnach zwar weiterhin wünschenswert, aufgrund der geplanten Platten – und Schraubenfixation der osteotomierten und verlagerten Kiefersegmente jedoch nicht zwingend erforderlich.
Die orthodontischen Zahnbewegungen sind leichter durchzuführen, wenn die Kiefer und die umgebenden Weichgewebe in eine anatomisch-physiologische und funktionelle Beziehung gebracht worden sind, welche als Angle-Klasse I bezeichnet wird, und die Zahnbewegungen somit nicht gegen die Adaptionsmechanismen (Weichgewebe) der skelettalen Dysgnathie korrigiert werden müssen (Brachvogel et al. 1990).
Fragestellung
An der Klinik für Kieferorthopädie der Medizinischen Hochschule Hannover wurden im Untersuchungszeitraum von 1990 bis 1995 bei der kombinierten kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Behandlung skelettaler Dysgnathien die Anomalien der Zahnstellungen nur soweit präoperativ vorbehandelt, dass die gewünschte operative Einstellung der Kiefer in die vereinbarte Position möglich war. Wenn die operative Einstellung sofort möglich war, erfolgte die gesamte kieferorthopädische Behandlung postoperativ, den Erfordernissen der neuen Oberkiefer-Unterkieferrelation entsprechend.
Die vorliegende Arbeit stützt sich auf die Auswertung der präoperativen und postoperativen Gebissmodelle von so versorgten Patienten. Dabei wurden die Zahnstellungsanomalien und Okklusionsanomalien erfasst und der Verlauf und das Ergebnis der Kombinationstherapie analysiert. Dabei galt es folgende Fragen zu beantworten:
1. Lassen sich die skelettalen Dysgnathien auch anhand ihrer Zahnstellungsanomalien unterscheiden?
2. Welche von diesen Zahnstellungsanomalien wurden präoperativ behandelt?
3. Ist die präoperative Behandlung auch abhängig vom Ausprägungsgrad der Zahnstellungs- und der intra- bzw. intermaxillären Kieferposition, sowie der Art der Umstellungsosteotomie (monognath-bignath)?
4. Beeinflusst der Ausprägungsgrad der Zahnstellungsanomalien die Art der Umstellungsosteotomie (monognath – bignath)?
5. Was beeinflusst am meisten das Erreichen des Therapieziels:
Behandlungsbeginn der kieferorthopädischen Behandlung, Ausprägung der Anomalien im Anfangsbefund, Art und Umfang der Umstellungsosteotomie?
6. Wodurch wird möglicherweise ein Rezidiv verursacht oder beeinflusst?
2 Probanden und Methode
Die Patienten wurden in den Jahren 1990 bis 1995 in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (im folgenden Text: MHH) kombiniert kieferorthopädisch und kieferchirurgisch behandelt. Bedingung für die Auswahl war, dass bei den Patienten eine skelettale Dysgnathie der Klasse II (sagittale Distalbisslage) oder Klasse III (sagittale Mesialbisslage) bestand, und dass die gesamte Behandlung an der MHH durchgeführt wurde. Ausgewertet wurden die Behandlungsunterlagen (vollständiges Protokoll) und die Gebissmodelle der Patienten. Diese Unterlagen mussten vollständig von Behandlungsbeginn bis zur Nachuntersuchung vorliegen. Aufgrund dieser Auswahl konnten schließlich die Unterlagen von 67 Patienten (34 Männer, 33 Frauen, Durchschnittsalter 23,5 Jahre) analysiert werden.
2.1 Diagnose der Zahnstellungen und der Okklusion Die Modellanalyse erfolgt an Gipsmodellen in der:
1 Sagittalebene 2 Vertikalebene 3 Transversalebene
Abb. 1: Kiefermodell mit Orientierungsebenen. 1=Sagittalebene, 2=Vertikalebene, 3=Transversalebene (aus „Diagnose der Kieferorthopädie“ nach Prof. Tränkmann)
2.1.1 Variablen in der Sagittalen
a) Okklusion der Eckzähne (anterior) und ersten Molaren (posterior) (Abb.2) Bei der Okklusion im Seitenzahnbereich wird die Stellung der Unterkieferzähne zu denen der Oberkieferzähne beurteilt. Als Grundlage für die Beurteilung der sagittalen Okklusion zwischen beiden Zahnbögen gilt die Neutralokklusion, d.h. die Angle-Klasse I. Es wird die Interkuspidation des Unterkiefer-Eckzahns zum Oberkiefer-Eckzahn („vordere Okklusion“), sowie die Interkuspidation des Unterkiefer-Sechsjahrmolaren zu dem des Oberkiefers beurteilt („hintere Okklusion“).
Das Maß der Abweichung wird in Prämolarenbreiten (Pb) angegeben (1 Pb ≈ 7mm).
Abb. 2: Verzahnung der Seitenzähne in sagittaler Richtung in Neutralbisslage (aus „Diagnose der Kieferorthopädie“ nach Prof. Tränkmann)
b) Zahnbogenlänge des Oberkiefers und des Unterkiefers (LO, LU)
Die Messung erfolgt von der Labialfläche des prominenten mittleren Schneidezahnes zur Linie der anterioren Zahnbogenbreite (ant. Zbb.) (Abb. 3).
c) Stützzonenlänge rechts und links
Abb. 3: Darstellung verschiedener Variablen mit deren Messpunkten (aus „Diagnose der Kieferorthopädie“ nach Prof. J. Tränkmann); (LO: Zahnbogenlänge Oberkiefer; LU:
Zahnbogenlänge Unterkiefer; ant./post. Zbb.: anteriore / posteriore Zahnbogenbreite
d) Sagittale Frontzahnstufe
Unter der sagittalen Frontzahnstufe versteht man die Distanz zwischen der Labialfläche des am weitesten labial stehenden mittleren Oberkieferschneidezahns und der Labialfläche seines Antagonisten (Abb. 4). Die Angabe erfolgt in Millimeter mit positivem Vorzeichen. Bei einer umgekehrten sagittalen Frontzahnstufe wird ein entsprechender negativer Wert notiert.
Abb. 4: Darstellung der sagittalen Frontzahnstufe
2.1.2 Variablen in der Transversalen
a) Mittellinienüberwanderung der Zähne
Oberkiefer: Der Kontaktpunkt der mittleren Schneidezähne im Oberkiefer muss auf der Verlängerung der Raphe-Median-Linie nach anterior liegen.
Abweichungen nach rechts werden in Millimeter mit positivem, Abweichungen nach links mit negativem Vorzeichen angegeben (Abb. 5).
Abb. 5: Aufsicht auf ein Oberkiefermodell mit eingezeichneten Visierpunkten zum Bestimmen der Raphe-Median-Linie (aus „Diagnose der Kieferorthopädie“ nach Prof. Tränkmann)
Unterkiefer: Eine Zahnwanderung über die Kiefermitte ist durch das Fehlen einer entsprechenden Bezugslinie nur anhand der Neigung der Schneidezähne nach rechts oder links zu erkennen.
b) Anteriore Zahnbogenbreite (ant. Zbb.) (Abb. 3)
Oberkiefer: Abstand zwischen den Zentralfissuren der ersten Prämolaren der rechten und linken Seite.
Unterkiefer: Abstand zwischen den Approximalkontakten der Prämolaren der
c) Posteriore Zahnbogenbreite (post. Zbb.) (Abb. 3)
Oberkiefer: Distanz der tiefsten Punkte der mesialen Fissuren der 6-Jahr- Molaren der rechten und linken Seite.
Unterkiefer: Distanz der mittleren bukkalen Höcker der 6-Jahr-Molaren der rechten und linken Seite (sind nur zwei bukkale Höcker vorhanden, wird der distobukkale Höcker gemessen).
d) Frontzahnengstand
Ein Frontzahnengstand ist an der Schachtelstellung der Schneidezähne zu erkennen (angegeben: ja/nein).
e) Zahnbogenmittenübereinstimmung
Bei Schlussbissokklusion wird die Abweichung zwischen den Mittellinien des Unter- und Oberkieferzahnbogens gesehen. (Abweichungen der Unterkieferschneidezähne nach rechts werden in Millimeter mit positivem Vorzeichen angegeben, nach links mit negativem).
f) Transversale Okklusion der Seitenzähne
Die transversalen Abweichungen wurden nach dem in Abbildung 6 gezeigten Schema erfasst:
Abb. 6: Transversale Okklusion der Seitenzähne (modifiziert nach Prof. J. Tränkmann)
(OK: Oberkiefer; UK: Unterkiefer;
0. Transversale Neutralokklusion
1. Kopfbiss
2. Kreuzbiss
3. Bukkale Höckerokklusion
4. Bukkale Nonokklusion
5. Linguale Höckerokklusion
6. Linguale Nonokklusion
OK
UK
V L
2.1.3 Variablen in der Vertikalen
a) Sagittale Kompensationskurve (Speesche Kurve) (Abb. 7)
Die Tiefe der sagittalen Kompensationskurve wird bestimmt, indem von der Inzisalkante der Frontzähne zum mesio-bukkalen Höcker des zweiten Molaren eine Gerade angelegt wird (Okklusionsebene). Von dieser Ebene aus wird die Distanz zum Höcker des am wenigsten vertikal entwickelten Seitenzahns gemessen.
Abb. 7: Sagittale Kompensationskurve - Speesche Kurve mit eingezeichnetem Messpunkt am zweiten Prämolaren.
b) Supraposition und Infraposition der Frontzähne
Es wird die Stellung der Frontzähne zur Okklusionsebene beurteilt (Okklusionsebene s. Abb. 7).
c) Vertikale Frontzahnstufe
Bei der vertikalen Frontzahnstufe wird die Überlappung der Oberkieferschneidezähne über die Unterkieferschneidezähne gemessen. Dabei wird von der Labialfläche des mittleren Schneidezahnes mit dem größten Ausmaß der Überlappung gemessen (Abb 8).
d) Schneidekantendistanz, als Zeichen für frontal offenen Biss
Besteht kein Kontakt zwischen den Schneidezähnen bei Okklusion, also ein frontal offener Biss, so wird diese als Schneidekantendistanz bezeichnet (gemessen in Millimeter) (Abb. 9).
e) Infraokklusion im Seitenzahnbereich
Wenn einzelne Zähne im Seitenzahnbereich bei Okklusion keinen Kontakt haben, besteht eine Infraokklusion (gemessen in Millimeter).
Abb. 8: Darstellung der vertikalen Frontzahnstufe
Abb. 9: Darstellung der Schneidekantendistanz
2.2 Zeitpunkt der Messungen der Zahnstellungen und der Okklusion a) Messungen bei Behandlungsbeginn (Diagnosemessung, Modell 1) Bei den bei Behandlungsbeginn erstellten ersten Gebissmodellen (Diagnosemodellen) wurden alle Variablen der Zahnstellungen und der Okklusion gemessen. (Tab.1)
b) Messungen nach präoperativer orthodontischer Therapie (Modell 1a) Diese Modellanalyse erfolgte bei den Patienten, bei denen bereits präoperativ mit der Korrektur der Zahnfehlstellungen begonnen wurde. Unmittelbar vor dem operativen Eingriff wurden Modelle angefertigt, welche den aktuellen Stand der Zahnstellungen dokumentieren. Das Ausmaß der präoperativ vorgenommenen Korrektur der Zahnfehlstellungen sollte hiermit nachvollzogen werden. Es wurden alle Variablen gemessen (Tab. 1).
c) Postoperative Messungen (Modell 2)
Nach der Umstellungsosteotomie stehen der Oberkiefer und der Unterkiefer in neuer Relation zueinander. Anhand der postoperativ angefertigten Modelle konnte das Ausmaß der operativen Korrektur erfasst werden. Es wurden alle Variablen der Okklusion gemessen (Tab. 1).
d) Messung nach aktiver Therapie (Modell 3)
Nach dem Ende der aktiven Therapie (nach Entfernen der Multibandapparatur) und vor Beginn der Retentionsphase wurde erneut eine Modellanalyse vorgenommen, womit das Ergebnis der skelettalen Korrektur, sichtbar in der Okklusion, und die Stellung der orthodontisch behandelten Zähne erfasst wurde. Alle Variablen wurden gemessen (Tab. 1).
e) Abschließende Messungen (Modell 4)
Eine ausführliche Modellanalyse zur Erfassung der Zahnstellungen und der Okklusion anhand aller Variablen wurde von den letzten vorhandenen Modellen erhoben (im Durchschnitt 22 Monate nach Ende der aktiven Therapie). Damit ist die skelettale Stabilität (Variablen der Okklusion) und das dauerhafte Therapieergebnis der Zahnstellung (Variablen der Zahnstellung) und der Okklusion (Variablen der Okklusion) festgehalten (Tab. 1).
Tabelle 1: Messungen der Zahnstellungen und der Okklusion zu den unterschiedlichen Behandlungszeitpunkten.
Zeitpunkte der Messungen/Modelle
Variablen
1 1a 2 3 4 Zahnbogenlänge des Oberkiefers hhhh hhhh hhhh
Zahnbogenlänge des Unterkiefers hhhh hhhh hhhh
Stützzone im Oberkiefer re. hhhh hhhh hhhh
Stützzone im Oberkiefer li. hhhh hhhh hhhh
Stützzone im Unterkiefer re. hhhh hhhh hhhh
Zahnstellung
Stützzone im Unerkiefer li. hhhh hhhh hhhh
Okklusion anterior hhhh hh hhh hhh hhh hh hhh
Okklusion posterior hhhh hh hhh hhh hhh hh hhh
Sagittal
Okklusion
Sagittale Frontzahnstufe hhhh hh hhh hhh hhh hh hhh
Mittellinienüberwanderung OK hhhh hhhh hhhh
Mittellinienüberwanderung UK hhhh hhhh hhhh
Anteriore Zahnbogenbreite hhhh hhhh hhhh
Zahnstellung
Posteriore Zahnbogenbreite hhhh hhhh hhhh
Kiefermittenübereinstimmung hhhh hhh hh hhh hhh hh hhh
Transversale Neutralokklusion hhhh hhhh
Doppelte Höckerokklusion hhhh hhhh
Gekreuzte Höckerokklusion hhhh hhhh
Bukkale Höckerokklusion hhhh hhhh
Bukkalokklusion hhhh hhhh
Palatinale Höckerokklusion hhhh hhhh
Transversal
Okklusion
Lingualokklusion hhhh hhhh
Sagittale Kompensationskurve re. hhhh hhhh hhhh
Sagittale Kompensationskurve li. hhhh hhhh hhhh
Supraposition der Frontzähne hhhh hhhh hhhh
Zahnstellung
Infraposition der frontzähne hhhh hhhh hhhh
Vertikale Frontzahnstufe hhhh hh hhh hhh hhh hh hhh
Schneidekantendistanz hhhh hh hhh hhh hhh hh hhh
Infraokklusion Seitenzahnbereich re. hhhh hhh hh hhh
Vertikal
Okklusion
2.3 Einteilung der Patienten in Gruppen
Aus den Behandlungsunterlagen ging hervor, dass von den insgesamt 67 Patienten 29 (43%) Patienten eine Dysgnathie der Angle Klasse II hatten und 38 (57%) Patienten eine Angle Klasse III. Davon waren 33 Frauen und 34 Männer. Das Durchschnittsalter betrug 23,5 Jahre.
Unsere Patienten wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Gruppe 1 (n=29) waren die Patienten mit Angle-Klasse II, Gruppe 2 (n=38) die Patienten mit Angle- Klasse III.
In Diesen Gruppen wurden die Patienten mit der gleichen Umstellungsosteotomie nochmals in Untergruppen aufgeteilt (siehe auch Diagramm 1).
1) Gruppe I: Patienten mit Angle-Klasse II (n = 29) - Unterkiefervorverlagerung (UKV, n = 21)
- Unterkiefervorverlagerung mit Oberkieferrückverlagerung (UKV/OKR, n = 6, wenn mandibuläre Verlagerung von mehr als 6 mm nötig waren)
- alleinige Oberkieferrückverlagerung (OKR, n = 2)
2) Gruppe II: Patienten mit Angle-Klasse III (n = 38) - Unterkieferrückverlagerung (UKR, n = 8)
- Unterkieferrückverlagerung mit Oberkiefervorverlagerung (UKR/OKV, n = 25, wenn mandibuläre Verlagerung von mehr als 5 mm nötig waren)
- alleinige Oberkiefervorverlagerung (OKR, n = 5)
Diagramm 1: Einteilung der Patienten in Gruppen gemäß Umstellungsosteotomie (UKV: Unterkiefervorverlagerung; UKR: Unterkieferrückverlagerung;
OKV: Oberkiefervorverlagerung; OKR: Oberkieferrückverlagerung)
Alle Patienten
∑ n= 67 (100%)
♀ : ♂ = 33 : 34 Alter: Ø 23,5 Jahre
Gruppe I Dysgnathie Klasse II
n= 29 (43 %)
Gruppe II Dysgnathie Klasse III
n= 38 (57 %)
UKV n= 21 (72 %)
UKV / OKR n= 6 (21 %)
OKR n= 2 ( 7 %)
UKR n= 8 (21 %)
UKR / OKV n= 25 (66 %)
OKV n= 5 (13 %)
2.4 Statistische Methoden
Die in den folgenden Abschnitten erwähnten eingesetzten statistischen Tests werden hier kurz erläutert (Janssen und Laatz 2007).
Der Kruskal-Wallis-ANOVA-Test bewertet die Hypothese, dass die verschiedenen Stichproben des Vergleiches aus der gleichen Grundgesamtheit bzw. aus Verteilungen mit dem gleichen Median stammen.
Die Interpretation des Kruskal-Wallis-Tests ist grundsätzlich mit der parametrischen einfaktoriellen ANOVA zur Testung von Mittelwertdifferenzen bei mehr als 2 Stichproben identisch, bis auf die Tatsache, dass der Kruskal- Wallis-Test auf Rängen anstatt auf Mittelwerten basiert.
Die Diskriminanzanalyse wird verwendet, um zu bestimmen, welche Variablen zwischen zwei oder mehr "natürlich vorhandenen" Gruppen trennen (d.h. "diskriminieren"). Ein weiterer Anwendungszweck der Diskriminanzanalyse ist die Vorhersage der Gruppenzugehörigkeit von Fällen.
Sobald ein Modell endgültig bestimmt wurde und die Diskriminanzfunktionen abgeleitet wurden, stellt sich die Frage, wie gut man vorhersagen kann, zu welcher Gruppe ein bestimmter Fall gehört. Mit Hilfe der Klassifikationsfunktionen kann bestimmt werden, in welche Gruppe jeder Fall höchstwahrscheinlich gehört.
Der Wilcoxon-Test wurde zur nicht-parametrischen Testung von Mittelwertunterschieden bei gepaarten, der Mann-Whitney-U-Test bei ungepaarten Stichproben verwendet; Korrelationen wurden mit der Spearmans Rangkorrelation für nicht-parametrische Verfahren berechnet.
Als weiterer nicht-parametrischer Test steht der Chi-Quadrat-Test für gepaarte Stichproben zur Analyse von Häufigkeiten bei verschieden Gruppen zur Verfügung. Die logistische Regressionsanalyse behandelt die Beziehung zwischen einer Menge von unabhängigen Variablen und einer abhängigen Variable und stellt somit eine Korrelationsanalyse dar.
Als signifikant wurde grundsätzlich ein Signifikanzniveau mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p<0,05 angenommen. Die statistische Analyse wurde unter Anleitung der Abteilung für Statistik und Biometrie der Medizinischen Hochschule Hannover mittels Software SPSS 8.0 durchgeführt.
2.5 Untersuchungen
Bei der Auswertung der gewonnenen Daten braucht man allgemein gültige Richtgrößen, um die Ergebnisse zu beurteilen und Aussagen treffen zu können. Es wurden jene Variablen und Richtwerte verwendet, welche in der Kieferorthopädischen Abteilung der MHH bei den Modellanalysen angewendet wurden (Richtwerte nach Lindner (1930) und Harth (1931) Moyers (1988)).
Tabelle 2: Richtwerte nach Moyers (1988) bzw. Lindner (1930) und Harth (1931)
2.5.1 Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion bei den skelettalen Dysgnathien
a) Lassen sich die skelettalen Dysgnathien auch anhand ihrer Zahnstellungsanomalien unterscheiden?
Unterschiede bezüglich der Variablen zwischen den Gruppen der Umstellungsosteotomien wurden mittels Kruskal-Wallis-ANOVA-Test festgestellt. Dabei gelten Unterschiede mit der Irrtumswahrscheinlichkeit von p<0,05 als signifikant.
b) Welche Variablen dominieren bei den Dysgnathien?
Mit Hilfe der Diskriminanzanalyse wird der Einfluss der einzelnen Variablen bestimmt, um festzustellen, welche Variablen am meisten zwischen den Gruppen (der Umstellungsosteotomien) trennen (d.h. "diskriminieren").
2.5.2 Präoperative Behandlungen
a) Präoperativ behandelte Zahnstellungsanomalien
Welche von diesen Anomalien der Zahnstellung wurden vor der Umstellungsosteotomie behandelt, und welches Ausmaß hatte die Behandlung?
Die Zahnfehlstellungen und Okklusionsanomalien der Patienten wurden bei der Modellanalyse der Diagnosemodelle (Messung 1) ausführlich erfasst, auf Abweichungen von den Richtwerten (siehe Tabelle 1.) und von der Neutralokklusion hin kontrolliert. Von den präoperativ orthodontisch behandelten Patienten wurde vor der Operation erneut eine Modellanalyse (1a) vorgenommen. Sie gab den unmittelbar präoperativen Befund wieder.
Welche Anomalien präoperativ behandelt wurden und welches Ausmaß die Korrektur hatte, wurde durch Vergleich der Werte der Diagnosemessung (Nr.1) mit der Messung nach präoperativer Therapie (Nr.1a) ermittelt (Wilcoxon-Test).
b) Präoperative Behandlung in Abhängigkeit von Ausprägungsgrad der Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion
Ist die Tatsache der präoperativen Behandlung auch abhängig vom Ausprägungsgrad der Zahnstellungsanomalien?
Die Ausprägung der Zahnfehlstellungsanomalien und der Okklusionsanomalien der vorbehandelten Patienten wurden mit denen der nicht vorbehandelten Patienten verglichen. Damit sollte festgestellt werden, ob die Anomalien bei den vorbehandelten Patienten stärker ausgeprägt waren als bei den nicht Vorbehandelten.
Dabei wurden die Mittelwerte der Abweichungen von den Richtwerten der jeweiligen Variablen der präoperativ behandelten Patienten mit den nicht vorbehandelten Patienten auf signifikante Unterschiede untersucht (Mann- Whitney-U-Test).
2.5.3 Umstellungsosteotomie in Abhängigkeit von Zahnstellung und Okklusion
a) Anomalien der Zahnstellung und Okklusion in den Gruppen
Es soll herausgefunden werden, ob der Ausprägungsgrad der anfänglichen Zahnfehlstellungen bei Beginn der Behandlung mit Art und Umfang der Umstellungsosteotomie in Zusammenhang steht. Mit dem Mann-Whitney-U- Test wurden alle Variablen in den zusammengehörenden Gruppen einer skelettalen Dysgnathie getestet. (Verwendet wurden die Mittelwerte der Abweichungen der Variablen von den Richtwerten).
b) Bestimmung der Gruppenzugehörigkeit anhand von Variablen
Bei der Planung der kombinierten Therapie muss die grundsätzliche Frage beantwortet werden, ob die Umstellungsosteotomie monognath oder bignath erfolgen soll. Gibt es eine Möglichkeit die Entscheidung für die richtige Umstellungsosteotomie zu unterstützten? Dies kann mit Hilfe der Klassifikationsfunktionen erfolgen. Dabei werden die beiden Variablen
„Okklusion anterior“ und „Zahnbogenlänge des Oberkiefers“ (welche Anhand der Diskriminanzanalyse als am stärksten trennend bestimmt wurden) eines Patienten in die Klassifikationsfunktionen eingegeben; der höchste Wert gibt die richtige Gruppe an.
2.6 Bedingungen zum Erreichen des Therapiezieles einer gesicherten Okklusion
Das Therapieziel der kombinierten kieferorthopädischen und kieferchirurgischen Behandlung ist das Erreichen einer gesicherten Okklusion bei Behandlungsende (Messung 4 + 5).
Als Kriterien einer gesicherten Okklusion werden folgende Variablen herangezogen:
- sagittale Frontzahnstufe 1-3 mm - vertikale Frontzahnstufe 1-3 mm - neutrale Eckzahnbeziehung (Abb. 2)
- okklusale Abstützung im Bereich der Sechsjahrmolaren
Im Molarenbereich liegt bei sehr vielen unseren erwachsenen Patienten eine Zahnbestandvielfältigkeit vor (z.B. häufiges Fehlen der Sechsjahrmolaren, Zahnersatz), die einen eindeutigen Messpunkt nicht zulässt.
Hinsichtlich dieser Kriterien wurden unsere Patienten in zwei Gruppen eingeteilt: Therapieziel mit gesicherter Okklusion erreicht oder nicht erreicht.
Verschiedene Faktoren können die Behandlung und das Erreichen des Therapieziels mehr oder minder beeinflussen. Es wurden einige genauer untersucht:
2.6.1 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit vom Behandlungsbeginn Bei einigen Patienten wurde mit der kieferorthopädischen Behandlung bereits vor der Umstellungsosteotomie begonnen. Es wurde geprüft, ob der Beginn der kieferorthopädischen Behandlung Einfluss auf das Erreichen einer gesicherten Okklusion hat (Chi-Quadrat-Test).
2.6.2 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von der Ausprägung der Anomalie der Zahnstellung und der Okklusion
Es wurde untersucht, ob die Ausprägung der Anomalien der Zahnstellungen und der Okklusion das Erreichen des Therapiezieles erschwert. Zuerst wurde die Ausprägung der Anomalie als Abweichung von den Richtgrößen der einzelnen Variablen ermittelt. Hiervon werden die Mittelwerte für die einzelnen Variablen mit der Logistischen-Regressions-Analyse auf Ihren Einfluss getestet.
2.6.3 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von postoperativer okklusalen Abstützung im Seitenzahnbereich
a) Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von postoperativer Infraokklusion
Bei einer stark ausgeprägten sagittalen Kompensationskurve kann nach der operativen Verlagerung der Kiefer eine Infraokklusion im Seitenzahnbereich bestehen. In solchen Fällen fehlt postoperativ die Interkuspidation. Eine korrekte Interkuspidation direkt postoperativ wird häufig gefordert, damit Ihre stabilisierende Wirkung die neuen Kieferpositionen sichern kann.
Es wurde untersucht, inwieweit eine stark ausgeprägte sagittale Kompensationskurve (mit einer Konkavität über 1 mm) eine verstärkte Infraokklusion postoperativ im Seitenzahnbereich bedingt. Dafür wurde eine Korrelationsanalyse durchgeführt (Spearmans Rangkorrelation).
Daraufhin wurde untersucht, ob die Patienten mit postoperativer Infraokklusion im Seitenzahnbereich schlechtere Behandlungsergebnisse aufweisen als jene, welche postoperativ keine Infraokklusion im Seitenzahnbereich hatten (Chi- Quadrat-Test).
b) Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von Übereinstimmung der Zahnbogenbreiten
Für die intraoperative Einstellung der Kiefer zueinander wird eine präoperative Übereinstimmung der Zahnbogenbreiten beider Kiefer gefordert.
Der Einfluss der präoperativen Zahnbogenbreiten unserer Patienten auf das Behandlungsergebnis wurde näher untersucht. Es wurden die Patienten ermittelt, deren anteriore und posteriore Zahnbogenbreite im Oberkiefer wie Unterkiefer präoperativ (bis auf 1 mm Messtoleranz) übereinstimmten.
Deren Therapieergebnis wurde hinsichtlich einer gesicherten Okklusion bei Behandlungsende mit den Patienten verglichen, bei denen keine Übereinstimmung bei den Zahnbogenbreiten bestand (Chi-Quadrat-Test).
2.6.4 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von Art und Umfang der Umstellungsosteotomie
Es war von Interesse, festzustellen, ob es bei bestimmten Umstellungsosteotomien besonders schwierig ist, eine gesicherte Okklusion zu erreichen.
Die Verteilung der Patienten mit gesicherter Okklusion auf die Gruppen wurde ermittelt (Chi-Quadrat-Test).
2.7 Rezidive
Rezidive gehören zu den möglichen Komplikationen nach Dysgnathieoperationen. Wodurch wir möglicherweise ein Rezidiv verursacht oder beeinflusst?
Ein objektives Beurteilungskriterium für das Auftreten eines Rezidivs ist die Veränderung der Okklusionslage. Mit unserer abschließenden Modellanalyse (Messung Nr.4), durchschnittlich 22 Monate nach Beendigung der aktiven Therapie, wurde das Behandlungsergebnis dokumentiert und mit dem Ergebnis nach aktiver Therapie (Messung Nr. 3) auf signifikante Unterschiede verglichen (Wilcoxon-Test). Damit konnten aufgetretene Rezidive der Zahnstellung und der Okklusion festgestellt werden.
Es wurden jene Messungen betrachtet, welche für eine gesicherte Okklusion ausschlaggebend sind: Okklusion anterior, sagittale Frontzahnstufe, vertikale Frontzahnstufe.
3 Ergebnisse
3.1 Probanden
Aus den Behandlungsunterlagen ging hervor, dass von den insgesamt 67 Patienten 29 (43%) Patienten eine Dysgnathie der Angle Klasse II hatten und 38 (57%) eine Angle Klasse III. Davon waren 34 Männer und 33 Frauen. Das Durchschnittsalter betrug 23,5 Jahre. Die durchschnittliche Therapiedauer (Therapiebeginn: gemessen ab Erstellen der Diagnosemodelle) betrug bei den vorbehandelten Patienten 25,6 Monate, bei den nicht vorbehandelten Patienten 27,2 Monate. Eine kieferorthopädische Behandlung bereits als Kind oder Jugendliche durchliefen 25 der Patienten.
Abb. 10: Verteilung der Patienten gemäß der erfolgten Umstellungsosteotomie und der erfolgten oder nicht erfolgten kieferorthopädischen Vorbehandlung.
(UKV: Unterkiefervorverlagerung; UKV/OKR: Unterkiefervorverlagerung mit Oberkieferrückverlagerung; OKR: Oberkieferrückverlagerung; UKR:
Unterkieferrückverlagerung; UKR/OKV: Unterkieferrückverlagerung mit Oberkiefervorverlagerung; OKV: Oberkiefervorverlagerung)
0
11
26
14
4 5
14
41
3 3
2 7
2 2
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45
UKV UKV/OKR OKR UKR UKR/OKV OKV Gesamt
Angle Klasse II Angle Klasse III
Anzahl [n]
vorbehandelt nicht vorbehandelt
Von unseren Patienten wurden 26 (=39%) kieferorthopädisch vorbehandelt, 41 Patienten (=61%) wurden nicht vorbehandelt. Die Behandlung erfolgte mit festsitzenden Apparaturen. Unabhängig von einer präoperativen kieferorthopädischen Behandlung wurde bei fast allen Patienten eine Schienentherapie mit Aufbissschiene durchgeführt. Dadurch konnte die physiologische Kondylenposition gefunden und Zwangshaltungen aufgehoben werden. Präoperativ wurden alle Patienten bebändert und die intraoperativ benötigten Splinte angefertigt.
3.2 Zahnstellung und Okklusion bei den skelettalen Dysgnathien
Es wurde untersucht, ob es Unterschiede bei den Gruppen hinsichtlich der Stellung der Zähne und der Okklusion gab.
Dabei ergeben sich Unterschiede bei folgenden Variablen:
Angle- Klasse II III
Variablen Signifikanz UKV UKV/
OKR UKR UKR/
OKV OKV Okklusion anterior p = 0,0001 -0,5 -0,81 0,625 1 0,375
Sagittale
Frontzahnstufe p = 0,0001 7 9,5 -3 -5 -4 Vertikale
Frontzahnstufe p = 0,0001 3 1,83 0 0 0 Zahnbogenlänge
Oberkiefer p = 0,0039 2 1,5 -0,5 -1,5 -2,65 Sagittale
Kompensationskurve p = 0,0067 1,5 1,3 0,375 1 1
Tabelle 3: Medianwerte der Abweichungen (Okklusion anterior in Pb, die anderen Variablen in mm) von den Richtwerten der einzelnen Variablen in den Gruppen
Bei allen anderen Variablen bestehen zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede und sind deshalb nicht näher aufgeführt.
b) Dominante Variablen bei den Dysgnathien
Mit Hilfe der Diskriminanzanalyse wird der Einfluss der einzelnen Variablen bestimmt, um festzustellen, welche Variablen am meisten zwischen den Gruppen trennen (d.h. "diskriminieren").
Mit Hilfe der Diskriminanzanalyse wurde festgestellt, dass die Variable
"Okklusion anterior" (d.h. die Eckzahnokklusion) den größten Einfluss auf die Gruppenzugehörigkeit vor der Zahnbogenlänge des Oberkiefers hat.
Somit ist bei der operativen Planung die Eckzahnokklusion die wichtigste Größe, gefolgt von der Zahnbogenlänge des Oberkiefers.
3.3 Präoperative Behandlung
a) Präoperativ behandelte Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion
Von besonderem Interesse war es, zu untersuchen, bei welchen Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion bei den unterschiedlichen Gruppen eine präoperative kieferorthopädische Korrektur nötig war.
Es werden jene Korrekturen angegeben, welche bei mindestens drei Patienten vorgenommen wurden. Die angegebenen Maßeinheiten sind Medianwerte der Korrekturen.
Unterkiefervorverlagerung
Die größten präoperativen Korrekturen wurden bei den Patienten mit Unterkiefervorverlagerung an der Oberkieferzahnbogenlänge mit der Protrusion der Schneidezähne (und damit Vergrößerung der Zahnbogenlänge) um 4,5 mm vorgenommen.
Die Unterkieferzahnbogenlänge wurde um 2 mm und die sagittale Frontzahnstufe um 2,25 mm vergrößert. Die vertikale Frontzahnstufe wurde um 1 mm verkleinert, die anteriore Zahnbogenbreite des Oberkiefers um 1 mm erweitert.
Die anderen Zahnfehlstellungen wurden entweder gar nicht oder nur bei einzelnen Patienten behandelt.
Unterkiefervorverlagerung mit Oberkieferrückverlagerung
Die sagittale Frontzahnstufe wurde um 1 mm vergrößert, die vertikale Frontzahnstufe um 0,5 mm verkleinert. Die anteriore Zahnbogenbreite wurde im Oberkiefer um 1 mm und im Unterkiefer um 2 mm vergrößert.
Oberkieferrückverlagerung
Es wurden nur einzelne Anomalien bei diesen Patienten mit dieser Operationsmethode präoperativ behandelt.
Unterkieferrückverlagerung
Die vorherrschende Anomalie bei der Unterkieferrückverlagerung, die umgekehrte sagittale Frontzahnstufe, erfuhr präoperativ die größte Veränderung. Im Median wurde sie um 3 mm vergrößert. Die anteriore Zahnbogenbreite wurde im Oberkiefer um 1 mm erweitert.
Unterkieferrückverlagerung mit Oberkiefervorverlagerung
Die Zahnbogenlänge wurde im Oberkiefer wie im Unterkiefer vergrößert.
Im Oberkiefer betrug die präoperative Korrektur der Zahnbogenlänge 1,5 mm und im Unterkiefer 1 mm.
Die umgekehrte sagittale Frontzahnstufe wurde um 1,5 mm vergrößert.
Oberkiefervorverlagerung
Die geringe Fallzahl lässt keine verwertbare Aussage zu.
b) Präoperative Behandlung in Abhängigkeit von Ausprägung der Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion
Mit dem Mann-Whitney-U-Test sollte festgestellt werden, ob die Anomalien der Zahnstellungen und der Okklusion bei den vorbehandelten Patienten stärker ausgeprägt waren als bei den nicht Vorbehandelten.
Bei den Patienten mit Unterkiefervorverlagerung bestand ein signifikanter Unterschied bei der Oberkieferzahnbogenlänge. Sie war bei den vorbehandelten Patienten um 5,8 mm kürzer als die Richtgröße. Die nicht vorbehandelten Patienten hatten eine Oberkieferzahnbogenlänge im Normbereich. Bei den anderen Variablen bestanden keine signifikanten Unterschiede bei den Ausmaßen der Anomalien.
Bei Patienten mit Unterkieferrück- und Oberkiefervorverlagerung bestand ein signifikanter Unterschied bei der Oberkieferzahnbogenlänge. Sie war bei den vorbehandelten um 3,75 mm verkürzt, bei den nicht vorbehandelten Patienten nur um 1 mm.
Ein signifikanter Unterschied bestand ebenfalls bei der sagittalen Frontzahnstufe. Die vorbehandelten Patienten hatten eine umgekehrte sagittale Frontzahnstufe von 6 mm, die nicht Vorbehandelten von 3 mm.
Bei den übrigen Umstellungsosteotomien gibt es keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf das Ausmaß der Anomalien bei den Variablen zwischen den vorbehandelten und den nicht vorbehandelten Patienten.
3.4 Umstellungsosteotomie in Abhängigkeit von Zahnstellung und Okklusion
a) Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion in den Gruppen
Es soll herausgefunden werden (Mann-Whitney-U-Test), ob der Ausprägungsgrad der Zahnfehlstellungen mit Art und Umfang der Umstellungsosteotomie (monognath – bignath) in Zusammenhang steht.
Umstellungsosteotomien bei Angle-Klasse II
Zwischen den Gruppen UKV und UKV/OKR gab es signifikante Unterschiede bei folgenden Variablen: Zahnbogenlänge des Oberkiefers; anteriore und posteriore Zahnbogenbreite.
UKV UKV/OKR Signifikanz (p)
Zahnbogenlänge OK 4,5 1,5 0,03
Anteriore Zahnbogenbreite OK -1 -3,5 0,003 Posteriore Zahnbogenbreite OK -1 -4 0,03
(Medianwerte der Abweichungen der Variablen von den Richtgrößen)
Bei der Gruppe OKR war die Fallzahl zu klein, um Aussagen treffen zu können.
Umstellungsosteotomien bei Angle-Klasse III
Zwischen den Gruppen UKR und UKR/OKV gab es einen signifikanten Unterschied (p= 0,0241) bei der Okklusion anterior.
UKR UKR/OKV Signifikanz (p) Okklusion anterior 0,437 Pb 1,0 Pb 0,0241
(Medianwerte der Abweichungen der Variablen von den Richtgrößen)
Zwischen den Gruppen UKR/OKV und OKV gab es ebenfalls einen signifikanten Unterschied (p = 0,015) bei der Okklusion anterior.
UKR/OKV OKV Signifikanz (p) Okklusion anterior 1,0 Pb 0,4 Pb 0,015
(Medianwerte der Abweichungen der Variablen von den Richtgrößen)
Bei den alleinigen Unterkieferrückverlagerungen sowie den alleinigen Oberkiefervorverlagerungen bestand eine schwächer ausgeprägte Progenie (0,4 Pb). Es wurde untersucht, worin bei diesen Gruppen der Unterschied bestand. Zwischen den Gruppen UKR und OKV bestand ein signifikanter Unterschied (p=0,028) in der Zahnbogenlänge des Oberkiefers.
UKR OKV Signifikanz (p) Zahnbogenlänge OK -0,5 -2,65 0,028
(Medianwerte der Abweichungen der Variablen von den Richtgrößen)
b) Bestimmen der Umstellungsosteotomie anhand von Variablen
Mit Hilfe der Klassifikationsfunktionen wurden die Patienten der richtigen Umstellungsosteotomie zugeordnet.
Klassifikationsfunktionen:
UKV = -4,30 - 3,19 * okkl-ant. bds. + 1,04 * LO UKV/OKR = -5,05 - 4,91 * okkl-ant. bds. + 0,38 * LO UKR = -3,76 + 3,96 * okkl-ant. bds. + 0,04 * LO UKR/OKV = -3,99 + 5,25 * okkl-ant. bds. + 0,46 * LO OKV = -5,95 + 2,99 * okkl-ant. bds. + 1,13 * LO
3.5 Bedingungen für eine gesicherte Okklusion
Die Behandlung kann als erfolgreich angesehen werden, wenn am Behandlungsende eine gesicherte Okklusion in Neutralverzahnung erreicht wird (s. 2.1.1.a; Abb.2)
Unsere Bedingungen für eine gesicherte Okklusion waren streng gefasst (siehe 2.6). Demnach hatten 61% (n=41) unserer Patienten das Therapieziel erreicht.
Verschiedene Faktoren können die Behandlung und das Erreichen des Therapiezieles mehr oder minder beeinflussen. Es wurden einige Faktoren genauer untersucht.
3.5.1 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit vom Behandlungsbeginn Es wurde geprüft, ob der Beginn der kieferorthopädischen Behandlung Einfluss auf das Erreichen des Therapiezieles einer gesicherten Okklusion hat (Chi-Quadrat-Test).
Von den 67 Patienten erfüllten 41 (61%) die Kriterien einer gesicherten Okklusion. Davon sind 17 (43%) präoperativ behandelt worden und 24 (67%) nicht.
Die Kriterien der gesicherten Okklusion erfüllten von 67 Patienten 26 (42%) Patienten nicht. Davon waren 10 (42%) Patienten vorbehandelt und 16 (68%) nicht vorbehandelt.
Eine bereits präoperativ begonnene orthodontische Behandlung von Zahnfehlstellungen hatte somit keinen signifikanten Einfluss auf das Erreichen des Therapiezieles einer gesicherten Okklusion (p<0,15).
3.5.2 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von der Ausprägung der Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion
Es wurde mit der Logistischen-Regressions-Analyse untersucht, ob die Ausprägung der Anomalien der Zahnstellungen und der Okklusion das Erreichen des Therapiezieles erschwert.
Das Ergebnis der logistischen Regression zeigte, dass das Erreichen einer gesicherten Okklusion nicht abhängig von der Ausprägung der Anomalien der Zahnstellung und der Okklusion war.
3.5.3 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von postoperativer okklusalen Abstützung im Seitenzahnbereich
a) Sagittale Kompensationskurve und postoperative Infraokklusion
Es wurde untersucht, inwieweit eine präoperativ stark ausgeprägte sagittale Kompensationskurve (mit einer Konkavität über 1 mm) eine verstärkte Infraokklusion postoperativ im Seitenzahnbereich bedingt. Dafür wurde eine Korrelationsanalyse durchgeführt (Spearmans Rangkorrelation).
Unsere Ergebnisse zeigten, dass keine Korrelation zwischen der präoperativen Ausprägung der sagittalen Kompensationskurve und der postoperativen Infraokklusion bestand (Spearmans Rangkorrelation: R=0,47 mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p<0,0001).
b) Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von postoperativer Infraokklusion Mit dem Chi-Quadrat-Test wurde untersucht, ob die Patienten mit postoperativer Infraokklusion im Seitenzahnbereich schlechtere Behandlungsergebnisse aufweisen als jene, welche postoperativ keine Infraokklusion im Seitenzahnbereich hatten.
Bei 42 Patienten bestand postoperativ eine Infraokklusion im Seitenzahnbereich. Die Untersuchung zeigte keinen Einfluss einer postoperativen Infraokklusion im Seitenzahnbereich auf das Erreichen einer
c) Abhängigkeit von Übereinstimmung der Zahnbogenbreiten
Der Einfluss der präoperativen Zahnbogenbreiten auf das Erreichen des Therapieziels wurde mit dem Chi-quadrat-Test ermittelt.
Eine Übereinstimmung der anterioren und posterioren Zahnbogenbreiten im Oberkiefer und Unterkiefer bestand zum Behandlungsbeginn bei 10 Patienten.
Davon hatten bei Behandlungsende 7 Patienten eine gesicherte Okklusion.
Bei 23 Patienten divergierten die anterioren und posterioren Zahnbogenbreiten der Kiefer, eine gesicherte Okklusion erreichten 14 (bei den restlichen Patienten bestand nur teilweise, also bei der anterioren oder posterioren Zahnbogenbreite Übereinstimmung, daher wurden diese nicht mit einbezogen).
Das Erreichen einer gesicherten Okklusion am Behandlungsende war nicht signifikant von einer präoperativen Übereinstimmung der Zahnbogenbreiten (p<0,6163) abhängig.
3.5.4 Gesicherte Okklusion in Abhängigkeit von Art und Umfang der Umstellungsosteotomie
Es war von Interesse festzustellen, ob es bei bestimmten Umstellungsosteotomien besonders schwierig ist, eine gesicherte Okklusion zu erreichen.
Die Verteilung der Patienten mit gesicherter Okklusion auf die Gruppen wurde kontrolliert und ihr Einfluss auf die gesicherte Okklusion ermittelt (Chi- Quadrat-Test).
Betrachtet man die Patienten mit gesicherter Okklusion, so ergeben sich keine signifikanten Unterschiede bei der Verteilung auf die Gruppen (Abb. 11).
11
31
11
1
6
14
36
2 2 1
5 10
4 0 0
5 10 15 20 25 30 35 40
UKV UKV/OKR OKR UKR UKR/OKV OKV Gesamt
Angle Klasse II Angle Klasse III
Anzahl [n]
nicht gesicherte Okkusion gesicherte Okklusion
Abb. 11: Verteilung der Patienten mit gesicherter bzw. nicht gesicherter Okklusion auf die unterschiedlichen Umstellungsosteotomien
3.6 Rezidive
Rezidive gehören zu den möglichen Komplikationen nach Dysgnathieoperationen. Wodurch wird möglicherweise ein Rezidiv verursacht oder beeinflusst?
Ein objektives Beurteilungskriterium für das Auftreten eines Rezidivs ist die Veränderung der Okklusionslage. Mit unserer abschließenden Modellanalyse (Messung Nr.4), durchschnittlich 22 Monate nach Beendigung der aktiven Therapie, wurde das Behandlungsergebnis dokumentiert und mit dem
verglichen. (Wilcoxon-Test). Damit konnten aufgetretene Rezidive der Zahnstellung und der Okklusion festgestellt werden.
Es wurden jene Messungen betrachtet, welche für eine gesicherte Okklusion ausschlaggebend sind: Okklusion anterior, sagittale Frontzahnstufe, vertikale Frontzahnstufe.
Rezidive wurden bei den nicht präoperativ vorbehandelten Patienten mit Unterkiefervorverlagerung festgestellt. Bei den restlichen Patienten konnten keine Rezidive festgestellt werden.
Von Rezidivneigung betroffen sind die sagittale sowie die vertikale Frontzahnstufe (Abb. 12):
Die sagittale Frontzahnstufe rezidivierte (vergrößerte sich) bei 9 von 11 Patienten im Durchschnitt um 0,95 mm (p<0,0076). Die vertikale Frontzahnstufe rezidivierte (vergrößerte sich) bei 6 von 11 Patienten im Durchschnitt um 0,68 mm (p<0,0179).
Es traten jedoch keine Rezidive bzgl. der Okklusion im Eckzahnbereich auf.
Abb. 12: Darstellung der sagittalen und vertikalen Frontzahnstufe nach Therapieende bzw.
zum Rezidivzeitpunkt bei nicht vorbehandelten Patienten 0
1 2 3 4 5 6
sag -FZst vert -FZst
Länge [mm]
UKV (Therapieende) UKV (Rezidivzeitpunkt)
3.7 Falldarstellungen
3.7.1 Falldarstellung Klasse II - Dysgnathie
Die Patientin stellte sich im Alter von 25 Jahren in der Medizinischen Hochschule vor. Sie wurde von ihrem Kieferorthopäden überwiesen, bei dem sie seit zwei Jahren in Behandlung war. Eine kieferorthopädische Behandlung wurde im Kindesalter begonnen, welche jedoch vor Behandlungsabschluss abgebrochen wurde. Die Patientin empfand ihr Aussehen besonders durch die Stellung der Oberkieferschneidezähne beeinträchtigt.
Die Profilaufnahme zeigt ein für die Klasse II typischen Profilverlauf. Aufgrund der vergrößerten sagittalen Frontzahnstufe (11 mm) bestanden ein zwanghafter Lippenschluss sowie eine Unterlippeneinlagerung.
Die Patientin hatte eine hohe Kariesanfälligkeit, es waren bereits 16 Zähne konservierend bzw. prothetisch versorgt, die Zähne 26 und 46 fehlten.
Bei der Patientin lag eine Angle-Klasse-II-Dysgnathie mit einer Rücklage des Unterkiefers von einer Prämolarenbreite vor. Es bestand Supraposition der Unterkieferfrontzähne mit Einbiss in die Gaumenschleimhaut und sagittaler Frontzahnstufe von 11 mm.
Therapeutisches Vorgehen
Anhand der Modellanalyse der Diagnosemodelle wurde entschieden, ob eine präoperative orthodontische Behandlung notwendig ist. Bei dieser Patientin erfolgte keine orthodontische Vorbehandlung. Die Korrektur der skelettalen Dysgnathie erfolgte in drei Phasen.
1. Schienentherapie
Zum Aufheben der okklusalen Verzahnung und zur Ermittlung der physiologischen Kondylenposition vor der endgültigen Operationsplanung, wurde eine Oberkiefer-Aufbissplatte eingesetzt, die permanent getragen werden musste. Nach dieser Zeit konnte die Kondylenzentrik ermittelt werden.
Abb. 13 a, b: Behandlungsbeginn: Auf der frontalen Aufnahme (a) fällt das verkürzte Untergesicht und der zwanghafte Lippenschluss mit Unterlippeneinlagerung auf. Die seitliche Aufnahme (b) zeigt den Profilverlauf, eine vertiefte
Supramentalfalte mit Rücklage des Unterkiefers.
Abb. 14 a-c: Ausgangsbefund: Distalbiss 1 Pb, tiefer Biss mit Einbiss in Gaumenschleimhaut, sagittale Frontzahnstufe von 11 mm (a: rechte Okklusionsansicht, b: Frontalansicht, c: linke Okklusionsansicht).
a
a
b
b c
Es wurde ein Gesichtsbogenregistrat angefertigt, um die Kiefergelenke in ihrer physiologischen Position zu registrieren. Es folgte die Modelloperation zur Festlegung der operativen Verlagerungsstrecke und Herstellung eines Splints in Zielokklusion. Präoperativ wurden die Prämolaren und Molaren bebändert.
2. Kieferchirurgie
Die operative Unterkiefervorverlagerung wurde mittels sagittaler Spaltung nach Obwegeser-Dal Pont (Obwegeser 1955, 1957, Dal Pont 1959) durchgeführt. Die geplante postoperative Position des Unterkiefers konnte mit Hilfe des angefertigten Splints eingestellt werden.
3. Orthodontische Behandlung
Postoperativ bestand lateral und frontal Infraokklusion, Kontakt war nur auf den Molaren. Zur vertikalen Entwicklung der Seitenzähne wurden Teilbögen und Gummizüge eingesetzt. Elf Monate später wurden die Bänder entfernt und herausnehmbare Platten im Oberkiefer und Unterkiefer eingesetzt. Nach fünf Monaten wurde im Oberkiefer ein Positioner zum Ausdrehen von den
Abb. 15 a-c: Postoperativer Befund: Die Aufnahmen zeigen das Ausmaß der chirurgischen Unterkiefervorverlagerung, Abstützung nur auf den Molaren, ansonsten Infraposition der Zähne (a: rechte Okklusionsansicht, b: Frontalansicht, c: linke Okklusionsansicht).
b
a c
ebenfalls notwendige prothetische Versorgung vorgenommen. Die Crozatgeräte wurden nach Beendigung der aktiven Behandlungsphase als Retentionsgeräte weiter getragen. Die Zähne 21 und 22 wurden palatinal von einem Retainer gehalten.
Nach drei Jahren war die Behandlung mit einer gesicherten Okklusion abgeschlossen. Bei den Kontrolluntersuchungen in den folgenden Jahren zeigte sich ein stabiles Behandlungsergebnis.
Abb. 16 a, b: Behandlungsende:
Harmonisierte vertikale Verhältnisse mit entspanntem Lippenschluss und ausgeglichener Supramentalfalte
(a: Frontalaufnahme, b: Seitenaufnahme).
Abb. 17 a-c: Endbefund: stabile Verzahnung mit physiologischer Frontzahnbeziehung in der Sagittalen und Vertikalen (a= rechte Okklusionsansicht, b= Frontalansicht,
c= linke Okklusionsansicht).
a b
a b c
3.7.2 Falldarstellung Klasse III - Dysgnathie
Der dreißigjährige Patient stellte sich auf Anraten seines Hauszahnarztes der Medizinischen Hochschule vor. Er gab an, mit seinem derzeitigen Zustand zufrieden zu sein. Auch seine Umwelt akzeptiere sein Erscheinungsbild als
„individuell-charakteristisch“. Nur beim Zahnreihenschluss habe er Probleme wobei sich der progene Charakter deutlich verstärke (siehe Profil Abb. 18 b).
Eine frühe kieferorthopädische Behandlung wurde bei ihm im Alter von 14 Jahren beendet, wobei noch eine Klasse III - Dysgnathie bestand.
Bei dem Patienten lag eine skelettale Klasse III- Dysgnathie mit einer Mesialokklusion von einer Prämolarenbreite vor, eine umgekehrte sagittale Frontzahnstufe von 4 mm und Supraposition der Unterkieferschneidezähne.
Im gesamten Seitenzahngebiet und Frontzahnbereich bestand Kreuzbissverzahnung. Die Zähne 36, 46 und 18 waren extrahiert.
Abb. 18 a, b: Behandlungsbeginn:
Auf der frontalen Aufnahme (a) fällt die Gesichtsasymmetrie mit der Unterkieferverlagerung zur linken Seite auf. Die seitliche Aufnahme (b) zeigt die Vorlage des Unterkiefers mit der negativen Lippentreppe.
Abb. 19 a-c: Ausgangsbefund: Mesialbiss um eine Pb mit umgekehrter sagittaler Frontzahnstufe, Kreuzbissverzahnung mit fehlender Mittellinienübereinstimmung und vertikale Unterentwicklung im Seitenzahnbereich (a: rechte Okklusionsansicht, b: Frontalansicht,
a b
a b c
Therapeutisches Vorgehen
Anhand der Ergebnisse der Modellanalyse der Diagnosemodelle wurde entschieden, dass keine präoperative orthodontische Behandlung notwendig war. Es folgte die Modelloperation zur Festlegung des operativen Vorgehens, danach wurden die intraoperativ benötigten Splinte hergestellt. Unmittelbar vor dem Operationstermin wurden Bänder und Brackets geklebt.
1. Kieferchirurgie
Bei diesem Patienten wurde auf eine „typerhaltende Operationsplanung“
besonderen Wert gelegt; der „Progene Typ“ sollte belassen werden.
Es wurde eine kombinierte Unterkiefer- und Oberkieferosteotomie durchgeführt. Die Oberkieferosteotomie erfolgte in der Le-Fort-I-Ebene, im Unterkiefer erfolgte eine sagittale Spaltung nach Obwegeser – Dal Pont. Der Unterkiefer wurde bei der Rückverlagerung gleichzeitig nach rechts versetzt.
Abb. 20 a-c: Postoperativer Befund: Abstützung auf den Molaren und den Zähnen 13 und 12, Infraokklusion im Seitenzahnbereich (a: rechte Okklusionsansicht, b: Frontalansicht,
c: linke Okklusionsansicht).
a b c
2. Kieferorthopädie
Postoperativ bestand im Seitenzahnbereich Infraokklusion, Kontakt war nur auf den Zweiten Molaren und in der Front. Die aktive Behandlung erfolgte mittels Multibandapparatur. Fünfzehn Monate später wurde nach Entfernen der Bänder und Brackets ein Positioner zur abschließenden Korrektur und Retention eingesetzt. Nach siebzehn Monaten wurde die Behandlung mit einer gesicherten Okklusion abgeschlossen. Die Lücken wurden prothetisch versorgt. Die Kontrolluntersuchungen in den folgenden Jahren zeigten ein stabiles Behandlungsergebnis.
Abb. 22 a-c: Endbefund: stabile neutrale Verzahnung mit physiologischer Frontzahnbeziehung in der Sagittalen und Vertikalen sowie Mittellinienübereinstimmung (a: rechte Okklusionsansicht, b: Frontalansicht, c: linke Okklusionsansicht).
Abb. 21 a,b: Behandlungsende:
die frontale Aufnahme (a) zeigt ein harmonisches Gesicht, auf der seitlichen Aufnahme (b) sieht man eine neutrale Lippentreppe, die typerhaltende Unterkieferposition wurde nur wenig rückverlagert.
a b
a b c
4 Diskussion
4.1 Einleitung und Fragestellung
Die kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung dient der Korrektur besonders ausgeprägter, vorwiegend skelettaler Dysgnathien mit einem ungünstigem, kieferorthopädisch nicht beeinflussbaren Kiefer- bzw.
Schädelwachstum. Oft erfolgt eine operative Korrektur mit begleitender kieferorthopädischer Behandlung als Zweitbehandlung nach kieferorthopädischer Erstbehandlung. Der operative Eingriff wird in der Regel erst nach Abschluss des Schädel- und Kieferwachstums vorgenommen.
Ein entscheidender Schritt bei der Behandlung von skelettalen Dysgnathien ist die Weiterentwicklung der Oberkieferosteotomie. Mit der Oberkieferosteotomie, als isoliertem Verfahren oder in Kombination mit der Unterkieferramusosteotomie ist die Möglichkeit gegeben, den Schädel dreidimensional bezüglich Fehlstellungen des Ober- und Unterkiefers zu behandeln. So ist praktisch jedes gewünschte Profil im unteren Gesichtsdrittel erzielbar (Teuscher et al. 1983) Die Erstbeschreibung einer maxillären Osteotomie in der "Le Fort-I-Ebene" als Zugang zu einem Nasen- Rachentumor erfolgte durch von Langenbeck (von Langenbeck 1859).
Erstmals durchgeführt wurde sie zur Korrektur einer traumatisch bedingten Fehlstellung des Oberkiefers (Wassmund 1935). Von Obwegeser wurde die Technik 1965 als Standardmethode in die kieferorthopädische Chirurgie eingeführt, jedoch vornehmlich zur Korrektur des Oberkiefers in sagittaler Richtung im Sinne einer Vorverlagerung. Erst die Grundlagenforschung von William H. Bell (Bell und Levi 1970; Bell 1975) über die Revaskularisierung des total oder partiell osteotomierten Oberkiefers, sowie seine und die von Epker u. Wolford (Wolford und Epker 1975) eingeführte "Down-fracture"- Technik, bei der die Maxilla als Ganzes nach kaudal heruntergeklappt wird und damit eine dreidimensionale Korrektur der Oberkiefers erlaubt, führten zur routinemäßigen Anwendung dieser Methode.