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ir Krankenkassen haben eine sehr defensive Position zum Thema Innovation. Aus dieser Ecke müssen wir herauskommen.“ Rolf Stuppardt, Vorstandsvorsitzender des IKK-Bundesverbandes, will gar nicht erst den Verdacht aufkommen lassen, die Krankenkassenverbände hätten sich ein neues Instrumentarium für Einspar- versuche im Gesundheitswesen ausge- dacht. „Krankenkassen und alle Be- handler“, fährt Stuppardt fort, „haben ein gemeinsames Interesse an einer früh- zeitigen Implementierung von Innova- tionen ins Gesundheitswesen.“ Und weil die Umsetzung neuer Methoden derzeit zu lange dauere und weil Innovationen oft erst als Regelleistung ins Gesund- heitssystem kämen, wenn sie nicht mehr innovativ sind, sei ein eigenständiges In- novationsmanagement der Krankenkas- sen von deren Spitzenverbänden ins Le- ben gerufen worden. Das beim Medizini- schen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) eingerichtete Projekt „Innovationsbegleitung“ solle darauf hinwirken, geeignet erscheinende Innovationen möglichst früh zur Verfü- gung zu stellen und diese parallel im Sin- ne einer praxisorientierten Versorgungs- forschung zu evaluieren.Der Titel „Medizinische Innovatio- nen – Spreu oder Weizen?“, unter dem das Projekt „Innovationsbegleitung“
beim Sozialmedizinischen Expertenfo- rum des MDS am 16. Februar in Berlin vorgestellt wurde, lässt jedoch wenig Zweifel daran, dass hiermit auch einer beliebigen Ausweitung neuer Metho- den entgegengewirkt werden soll. An- gesichts der für den ambulanten und stationären Bereich unterschiedlichen Bewertungsverfahren des Gemeinsa-
men Bundesausschusses (G-BA) bei medizinischen Innovationen bestehe die Gefahr, so Dr. med. Peter Schräder, Leiter des Fachbereichs Sozialmedizin des MDS, dass die Gesetzliche Kran- kenversicherung im stationären Be- reich über Jahre hinweg neue Verfahren bezahlt, deren Nutzen nicht belegt ist oder die sogar ein höheres Risikopo- tenzial als vergleichbare Behandlungen haben. Ab einem gewissen Verbrei- tungsgrad würden diese Verfahren in der Regel auch vergütet, zum Beispiel über die Abbildung im DRG-System oder Zusatzentgelte. Dringend erfor- derlich sei deshalb, vor der flächen- deckenden Einführung eines neuen Verfahrens dessen Nutzen nachzuwei- sen. Mit dem Projekt „Innovationsbe- gleitung“ beim MDS wollen die Spit- zenverbände der Krankenkassen auch dafür sorgen, dass überflüssige, schädli- che und unwirtschaftliche Innovationen gar nicht erst auf breiter Ebene in der gesundheitlichen Versorgung Anwen- dung finden.
Trotz fehlender Evidenz positive Methodenbewertung
Als positives Beispiel, wie Innovatio- nen schneller in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen werden könn- ten, stellte Prof. Dr. med. Johannes Giehl die Methodenbewertung zur Ver- tebroplastie durch das Kompetenz- Centrum „Qualitätssicherung/Quali- tätsmanagement“ beim MDK Baden- Württemberg vor. Bei der Vertebropla- stie handelt es sich um eine intraverte- brale Wirbelkörperaussteifung mittels
Knochenzement. Die Wirksamkeit des Verfahrens bei der Behandlung osteo- porotischer Wirbelfrakturen sei derzeit nach der maximalen Evidenzklasse auf der Grundlage der vorliegenden Studi- en nicht zureichend belegt. Das Opera- tionsverfahren werde aber bereits breit- flächig angewandt; eine Therapiealter- native bestehe kaum. Trotz eines offen- bar positiven Wirksamkeitspotenzials seien kontrollierte klinische Studien, die den Nutzen belegen, derzeit nicht zu erwarten. Ein Ausschluss aus dem GKV-Leistungskatalog werde deshalb nicht empfohlen, sondern der G-BA solle sich nach Definition bestimmter Struktur-, Prozess- und Ergebnispara- meter für die Maßnahme entscheiden.
Marktbereinigung im Nachhinein ist schwierig
Wie zuvor schon Stuppardt wandte sich bei dem Sozialmedizinischen Exper- tenforum des MDS auch der Vorsitzen- de des G-BA, Dr. jur. Rainer Hess, ge- gen die vorherrschende Einschätzung, schon heute sei der medizinische Fort- schritt nicht mehr finanzierbar. Bei sachgemäßen Umgang könne man sich noch viele Innovationen im Gesund- heitssystem leisten. Wichtig sei es aller- dings, neue Methoden in einen definier- ten Versorgungskontext zu stellen. Kon- traproduktiv sei es, wenn zum Beispiel Statine oder Insulinanaloga über Jahre hinweg als Innovationen auf den Markt geworfen werden, ohne dass ihr Zusatz- nutzen evidenzbasiert nachgewiesen worden ist. Wie etwa bei der Proto- nentherapie schaffe sich hier die Indu- strie einen Markt, der im Nachhinein auf evidenzbasierter Grundlage nur noch schwierig einzudämmen sei. Dar- auf, dass sich dies aus Sicht des Patien- ten durchaus anders darstellt, machte Dr. Martin Danner von der Bundesar- beitsgemeinschaft Selbsthilfe aufmerk- sam. „Mit allem, was neu ist, ist eine Chance auf Heilung verbunden.“ Auch bei der Bewertung der Insulinanaloga durch das Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wäre das Ergebnis wohl an- ders ausgefallen, wenn man den für Dia- betiker sehr relevanten Spritz-Ess-Ab- stand berücksichtigt hätte. Thomas Gerst P O L I T I K
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A446 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 8⏐⏐24. Februar 2006