MEDIZIN KURZBERICHT
Adjuvante Therapie bei Kolon- und Rektumkarzinom
M
it dem Ziel, Richtlinien für die adjuvante Therapie bei Patienten mit Kolon- und Rektumkarzinom zu erar- beiten, haben Vertreter der Chirurgi- schen Arbeitsgemeinschaft Onkolo- gie (CAO), der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (A10) und der Arbeitsgemeinschaft Radiologi- sche Onkologie (ARO) aufgrund vorliegender und publizierter klini- scher Ergebnisse einen Konsens ge- funden und diesen im Rahmen einer Konsensuskonferenz während des Deutschen Krebskongresses am 11.März 1994 in Hamburg öffentlich vorgestellt und diskutiert.
Jeder Konsens ist abhängig vom momentanen Wissensstand des je- weiligen Gebietes und damit dem Wandel unterworfen. Ziel des Kon- sensus war es weder, die individuelle Therapieentscheidung des einzelnen Arztes aufzuheben, noch die weitere wissenschaftliche Entwicklung zu be- hindern. Vielmehr sollte eine ge- meinsam getragene Entscheidungs- hilfe formuliert werden, die natürlich zu gegebener Zeit neuen Erkenntnis- sen in Medizin und Wissenschaft an- gepaßt werden muß.
Die chirurgische Therapie unter Einhaltung der Regeln der onkologi- schen Chirurgie ist für die Prognose bei Kolon- und Rektumkarzinomen von entscheidender Bedeutung. Vor- aussetzung für die adjuvante Thera- pie ist jedoch die RO-Resektion des Primärtumors.
1. Kolonkarzinom
1.1 Grundlage für die Indikation zur adjuvanten Therapie nach Tu- morresektion ist die pathohistologi- sche Stadienbestimmung, insbeson- dere die Bestimmung des pN-Status.
Heinz Pichlmaier Dieter Kurt Hossfeld
Rolf Sauer
Tabelle 1: Kontraindikationen der ad- juvanten Chemotherapie bei Kolon- karzinom
1. Vorausgegangene maligne Erkrankung (Ausnahme Hautkarzinom, in situ-Kar- zinom der Zervix)
2. Vorausgegangene Chemo- Radiotherapie
3. Allgemeinzustand schlech- ter als 2 (WHO)
4. Unkontrollierte Infektion 5. Leberzirrhose
6. Schwere koronare Herz- krankheit, Herzinsuffizienz (NYHA III und IV) 7. Insulinabhängiger Diabe-
tes mellitus
8. Gesamt-Bilirubin über 2 mg/dl; Kreatinin über 1,5 mg/dl
9. Gesamt-Leukozytenzahl unter 4 000/111;
Gesamt-Thrombozyten- zahl unter 130 000/n1 10. Unvermögen, an regelmä-
ßigen Kontrolluntersu- chungen teilzunehmen pNO soll nur diagnostiziert werden, wenn mindestens 12 regionäre Lymphknoten untersucht wurden (UICC 1993) Immunhistologische Befunde von isolierten Tumorzellen in Knochenmarkbiopsien oder Lymphknoten sowie zytologische Tu- morzellbefunde in Peritonealspülun- gen sollen für die Indikation zur ad-
juvanten Therapie nicht berücksich- tigt werden.
1.2 Für Patienten mit einem Ko- lonkarzinom im Stadium I und II oder nach RO-Resektion von Fern- metastasen ist eine adjuvante Thera- pie außerhalb von Studien nicht indi- ziert.
1.3 Patienten des UICC-Stadi- ums mA III (jedes pT, pN1 bis 3, MO) sollten möglichst in kontrollier- te prospektive Studien eingebracht werden, um auf diese Weise Auf- schluß über die optimale adjuvante Therapie zu erhalten.
1.4 Außerhalb von klinischen Studien wird bei Kolonkarzinomen im Stadium III eine adjuvante Che- motherapie empfohlen. Diese be- steht derzeit in einer einjährigen Be- handlung mit 5-Fluorouracil-Levami- sol (Tabelle 2).
2. Rektumkarzinom 2.1 Im Hinblick auf eine post- operative Radio-Chemo-Therapie ist der Versorgung des kleinen Beckens besondere Aufmerksamkeit zu schenken (zum Beispiel Rektumre- sektion, Netz oder Netzersatz nach abdominoperinealer Exstirpation), um die Verlagerung des Dünndarms in das kleine Becken zu verhindern.
2.2 Bei T4-Tumoren wird eine präoperative Radiotherapie (vermut- lich günstigere Ergebnisse durch prä- operative Radio-Chemo-Therapie) dann empfohlen, wenn aufgrund des präoperativen Staging oder nach ex- plorativer Laparotomie eine RO-Re- sektion nicht erreichbar erscheint (Tabelle 3).
2.3 Grundlage für die Indikation zur adjuvanten Therapie nach Tu- morresektion ist die pathohistologi- sche Untersuchung des Tumorresek- A-2246 (46) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 34/35, 29. August 1994
MEDIZIN
tats, insbesondere bezüglich Tumor- freiheit der lateralen und dorsalen Resektionsränder am Mesorektum und bezüglich des Lymphknotensta- tus. pNO soll nur diagnostiziert wer- den, wenn mindestens 12 regionäre Lymphknoten untersucht wurden (UICC 1993). Immunhistologische Befunde von isolierten Tumorzellen in Knochenmarkbiopsien oder Lymphknoten sowie zytologische Tu-
Tabelle 2: Therapieplan der adjuvan- ten Therapie beim Kolonkarzinom UICC Stadium III
Initialtherapie:
5-Fluorouracil 450 mg/m 2 als Kurzinfusion Tag 1 bis 5.
Levamisol 3mal 50 mg/die per os am Tag 1 bis 3 und Tag 15 bis 17
Dauertherapie:
Ab dem Tag 29 nach Beginn der Initialtherapie:
5-Fluorouracil 450 mg/m 2 als Kurzinfusion einmal wöchent- lich für insgesamt 48 Wochen plus
Levamisol* 3mal 50 mg/die per os über 3 Tage alle 2 Wochen mit Beginn der Dauertherapie (gleichfalls für insgesamt 48 Wochen)
* Levamisol (Handelsname: Ergami- sei) kann über die Internationale Apotheke bezogen werden.
morzellbefunde in Peritonealspülun- gen sollen für die Indikation zur ad- juvanten Therapie allerdings nicht berücksichtigt werden.
2.4 Für Patienten im UICC-Sta- dium I oder nach RO-Resektion von Fernmetastasen ist eine adjuvante Therapie außerhalb von Studien nicht indiziert.
2.5 Patienten des UICC-Stadi- ums II (pT3 bis 4, pNO, MO) und III (jedes pT, pN1 bis 3, MO) sollten möglichst in kontrollierte Studien eingebracht werden, um auf diese Weise Aufschluß über die optimale adjuvante Therapie zu erhalten.
2.6 Außerhalb von Studien sollte der Patient im Stadium II und III auf die mögliche Bedeutung der postope-
KURZBERICHT
rativen Radio-Chemo-Therapie hin- gewiesen werden. Diese erfolgt nach dem von der NCI empfohlenen Sche- ma (Tabelle 4, Abbildung 1).
3. Weitere
Therapiemaßnahmen 3.1 Weitere andere adjuvante Therapiemaßnahmen werden zur
Tabelle 3: Rektumkarzinom T4: Mög- liches Therapieschema bei prooperati- ver Radio-Chemo-Therapie
1. Bestrahlungsvolumen:
Hintere Beckenhälfte von Deckplatte LWK 5 bis Bek- kenboden, seitlich 1 cm late- ral der Linea terminalis 2. Bestrahlungstechnik:
4-Felder-Box, individuell kollimierte Felder, Bestrah- lung aller Felder täglich 3. Bestrahlungsdosis:
Einzeldosis 1,8 Gy/Refe- renzpunkt, 5mal wöchent- lich, bis 50 Gy/Referenz- punkt (Dosismaximum 55 Gy). Die 90%-Isodose um- schließt das Zielvolumen.
Bei Radio-(Chemo-)Thera- pie vor abdomino-perine- aler Rektumexstirpation können 56 Gy appliziert werden, sofern das Dosis- maximum < 5% höher liegt.
4. Chemotherapie:
1 000 mg 5-FU/m2 KO/d als Dauerinfusion über 5 Tage in der 1. und 5. (6.) Bestrah- lungswoche
5. Operationszeitpunkt nach Vorbestrahlung:
4 bis 6 Wochen nach Ab- schluß der Radiotherapie Zeit in mehreren Studien untersucht und überprüft, wie zum Beispiel die Wirksamkeit von 5-Fluorouracil und Folinsäure und die Wirksamkeit von intraportaler Chemotherapie.
Tabelle 4: Adjuvante Radio-Chemo- Therapie beim Rektumkarzinom (UICC Stadium II und III)
1. Bestrahlungsvolumen:
Hintere Beckenhälfte von Deckplatte LWK 5 bis Bek- kenboden, seitlich 1 cm late- ral der Linea terminalis Nach Rektumexstirpation Einschluß des Perineums.
2. Bestrahlungstechnik:
4-Felder-Box, individuell kollimierte Felder, Bestrah- lung aller Felder täglich 3. Bestrahlungsdosis:
Einzeldosis 1,8 Gy/Refe- renzpunkt, 5mal wöchent- lich, bis 50 Gy/Referenz- punkt (Dosismaximum 55 Gy). Die 90%-Isodose um- schließt das Zielvolumen.
Kleinvolumige Dosisaufsät- tigung („boost") im Gebiet des größten Rezidivrisikos bis 56 Gy/Referenzpunkt (nach Resektion), eventuell bis 60 Gy/Referenzpunkt (nach Exstirpation). Dosis- maximum 65 Gy. Cave Dünndarm!
4. Chemotherapie:
500 mg 5-FU/m2 KO/d als Bolusinjektion über 5 Tage in der 1. und 5. Behand- lungswoche.
Radiotherapie ab 8. Woche, simultan 500 mg 5-FU/m 2 KO/d über 3 Tage in der er- sten und letzten Bestrah- lungswoche als Bolus.
450 mg 5-FU/m2 KO/d als Bolus über 5 Tage vier und acht Wochen nach Bestrah- lung.
5. Behandlungsbeginn:
Etwa 6 Wochen postopera- tiv
4. Qualitätssicherung 4.1 Auch der jeweilige Krank- heitsverlauf von Patienten, die au- ßerhalb klinischer Studien behandelt A-2248 (48) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 34/35, 29. August 1994
Adjuvante Therapie des Rektumkarzinoms
NCI - Empfehlung vom 142.1991 Indikation: Stadium UICC II + III (pT3/4 oder pN+)
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24
Wochen Pause
4 - 8 Wochen
5-FU 5-FU
500 mg/m2 500 mg/m2
11111 11111
5-FU 5-FU
111 111
Radiotherapie: 45 + 5,4 Gy
5-FU 5-FU
450 mg/m 2 450 mg/m 2
11111 11111
0 P
EDIZIN KURZBERICHT / FÜR SIE REFERIERT
Abbildung 1: Adjuvante Therapie des Rektumkarzinoms werden, sollte hinsichtlich des Auf- tretens von Rezidiven, der Überle- bensrate und von Nebenwirkungen dokumentiert werden.
Mitglieder der Arbeitsgruppe:
Prof. Dr. med. Hans-Günther Beger, Ulm
Prof. Dr. med. Friedrich-Wilhelm- Eigler, Essen
Prof. Dr. med. Rupert Engelhardt, Freiburg
Dr. med. Gernot Hartung, Mannheim
Prof. Dr. med. Christian Herfarth, Heidelberg
Prof. Dr. med. Paul Hermanek, Erlangen
Prof. Dr. med. Richard Herrmann, Basel
Prof. Dr. med. Dieter Kurt Hossfeld, Hamburg Prof. Dr. med. Theodor Junginger, Mainz Prof. Dr. med. Reiner R.
Kirchner, Koblenz
Prof. Dr. med. Ernst-Dietrich Kreuser, Berlin
Dr. med. Urban Laffer, Basel Dr. med. Karl H. Link, Ulm Prof. Dr. med. Hans Joachim Meyer, Hannover
Prof. Dr. med. Dr. med. dent.
Heinz Pichlmaier, Köln
Prof. Dr. med. Wolfgang Queisser, Mannheim
Dr. med. Rudolf Raab, Hannover Prof. Dr. med. Rolf Sauer, Erlangen
Prof. Dr. med. Otto Scheibe, Stuttgart
Prof. Dr. med. Hans Joachim Schmoll, Hannover
Prof. Dr. med. Wolfgang Stock, Düsseldorf
Dr. med Hansjochen Wilke, Essen
Deutsches Arzteblatt
91 (1994) A-2246-2249 [Heft 34/35]
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Dr. med. dent.
Heinz Pichlmaier
Geschäftsführender Direktor der Chirurgischen Universitäts- klinik zu Köln
Vorsitzender der Onkologischen Arbeitsgemeinschaft der
Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
Joseph-Stelzmann-Straße 9 50931 Köln
Prof. Dr. med.
Dieter Kurt Hossfeld Direktor der Abteilung für Onkologie und Hämatologie Medizinische Klinik des Universitätskrankenhauses Eppendorf
Vorsitzender der Arbeits- gemeinschaft Internistische Onkologie
Martinistraße 52 20246 Hamburg
Prof. Dr. med. Rolf Sauer Direktor der Klinik und Poliklinik
für Strahlentherapie der Universität Erlangen Nürnberg Stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie Universitätsstraße 27 91054 Erlangen
Wie schnell läßt sich das Herzinfarktrisiko durch Cholesterin- senkung reduzieren?
In einer Metaanalyse von 41 pro- spektiven kontrollierten Studien un- tersuchten Autoren aus England, in welchem Ausmaß und wie schnell sich eine Senkung des Serumchole- sterins auf das kardiovaskuläre Risi- ko bemerkbar macht. Die hierbei ge- wonnenen Daten an einer halben Million Männer mit 18 000 kardio- vaskulären Ereignissen zeigten rela- tiv uniform, daß eine Senkung des Serumcholesterins um 0,6 mmo1/1 (et- wa zehn Prozent) zu einer signifikan- ten Abnahme des koronaren Risikos führt: 54 Prozent bei den 40jährigen, 39 Prozent bei den 50jährigen, 27 Prozent bei den 60jährigen, 20 Pro- zent bei den 70jährigen und 19 Pro- zent bei den 80jährigen. Die Abnah- me der koronaren Ereignisse war auch mit der Dauer der Cholesterin- senkung korreliert: in den ersten zwei Jahren traten 7 Prozent, im drit- ten bis fünften Jahr 22 Prozent und nach fünf Jahren 25 Prozent weniger Myokardinfarkte auf.
Die Autoren folgern, daß schon eine geringfügige Senkung des Se- rumcholesterins um etwa zehn Pro- zent, wie sie vielfach bereits diäte- tisch zu erreichen ist, das kardiovas- kuläre Risiko deutlich senken kann, aber daß dieser Effekt erst nach fünf Jahren voll zum Tragen kommt. acc
Law, M. R., N. J. Wald, S. G. Thompson:
By how much and how quickly does re- duction in serum cholesterol concentra- tion lower risk of ischaemic heart dis- ease? B. M. J. 308 (1994) 367-373.
Dr. Law, Department of Environmental and Preventive Medicine, Wolfson Insti- tute of Preventive Medicine, St. Bartho- lomew's Medical College, London EC1M6BQ, England.
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 34/35, 29. August 1994 (51) A-2249