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Fehler und Grenzverletzungen in der Psychotherapie als Entwicklungschance

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Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2015

Auf dieser Grundlage betonte er die Notwendig- keit zur eingehenden Aufklärung aller psycho- therapeutisch behandelten Patienten und stellte den entwickelten „Beipackzettel Psychothera- pie“ vor.

Dipl.-Psych. Monika Bormann, Mitbegrün- derin des Verbändetreffens gegen sexuellen Missbrauch in Psychotherapie und Beratung, begründete die Notwendigkeit der Abstinenz auch in einer verhaltenstherapeutischen Be- handlung. Jede Psychotherapie stellt eine künstliche Beziehung mit einem strukturellen Machtgefälle dar, in der sich der Patient in sei- ner Schwäche offenbart und der Psychothera- peut wegen seiner Kompetenz aufgesucht wird.

Allein durch das beschriebene Machtgefälle in jeder psychotherapeutischen Behandlung er- gebe sich die Notwendigkeit zur Abstinenz vor, während und nach der Behandlung.

Als Expertin für posttraumatische Belastungs- störungen und dissoziative Störungen wies Privatdozentin Dr. Ursula Gast auf die beson- dere Vulnerabilität dieser Patientengruppe für Grenzverletzungen hin. Die dissoziative Symp- tomatik mit zum Beispiel Amnesien, Wahr- nehmungsstörungen, Intrusionen und Flash- backs, Hypästhesien, Schmerzzuständen oder Krampfanfällen sei Ausdruck und Manifestati- on von Aufspaltungen der Persönlichkeit, wenn die psychische Integrationsfähigkeit in trauma- tischen Situationen nicht mehr ausreiche. Der ursprüngliche Schutzmechanismus der Dissozi- ation entwickle sich im Weiteren für die Pati- enten zum Problem. So führten ein fehlendes selbstbeobachtendes Ich, eine eingeschränkte Lernfähigkeit sowie Selbstbestrafungsneigung und Erstarrung zu Einschränkung von Selbst- fürsorge und Selbstschutzmechanismen, zu reduzierter Mentalisierung und damit der Möglichkeit, über das Geschehene zu sprechen.

In seinem Referat über die Verantwortung von Institutionen betonte Dr. Heribert Blaß, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Psychoanalytiker, die Notwendigkeit, zwischen strukturellen und systematischen Fehlern, die einem Vergehen entsprechen, und akzidentiellen Fehlern zu unterscheiden. Für letztere bedürfe es einer ärztekammer und Vorstandsmitglied der Lan-

desärztekammer Baden-Württemberg, dass die Formen der Grenzüberschreitungen in den zu- rückliegenden Jahren differenzierter und kom- plexer geworden seien, als in früheren Zeiten.

Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Dietrich Munz als Ver- treter der Bundespsychotherapeutenkammer und Präsident der Landeskammer in Baden- Württemberg berichtete über die Erfahrungen der Kammer mit einem niederschwelligen tele- fonischen Beratungsangebot, das wöchentlich zwei bis sechs Anrufe entgegennimmt. Auch plädierte er entschieden für die Lehre ethischer Standards schon während des Studiums ange- hender Psychotherapeuten und Ärzte.

In ihren Ausführungen beleuchteten die beiden Psychoanalytikerinnen Dr. phil. Dipl.-Psych.

Elke Fietzek aus Feucht und Dr. jur. Dipl.-Psych.

Giulietta Tibone aus München, die Schwierig- keiten von Folgebehandlung nach gravieren- den Grenzverletzungen in der Vorbehandlung.

Dabei stehen nicht nur massive Schuld- und Schamgefühle aufseiten der Geschädigten, sondern auch die Tatsache, dass alle psycho- therapeutischen Methoden durch die fehler- hafte Vorbehandlung „verseucht“ sind, einer heilenden Entwicklung entgegen.

Aus Österreich berichtete Universitätsprofessor Dr. Anton Leitner, M. Sc., über die Risk-Studie, mit der im Nachbarland die Risiken und Neben- wirkungen von Psychotherapie durch repräsen- tative Patientenbefragungen erfasst werden.

Anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Ethikvereins versammelte sich am 8. No- vember 2014 in München eine Reihe von Experten, um über das Thema ethischer Standards im Bereich der Psychotherapie zu diskutieren. Die Vorsitzende des Ethik- vereins, Dr. Veronika Hillebrand, begrüßte alle Gäste mit einem Zitat des Philosophen Sir Karl Popper: „Die Vertuschung von Feh- lern ist eine Sünde“ und einem Fazit aus den über 400 Beratungen: „Die Anfragen- den versuchten Gehör und Verständnis zu finden und ihre Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, oft nach langer Zeit und fern der schädi- genden Behandlung“. Wichtig sei daher die Unabhängigkeit und Niederschwelligkeit des Beratungsangebotes des Ethikvereins.

In seinem Grußwort hieß der Hauptgeschäfts- führer der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), Dr. Rudolf Burger, die Tagungsgäste in den Räumen der BLÄK herzlich willkommen und freute sich ebenso wie Dr. phil. Dipl.-Psych.

Bruno Waldvogel von der Bayerischen Landes- kammer der Psychologischen Psychotherapeu- ten und der Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapeuten in Bayern über die Verlängerung der Verjährungsfrist für berufsrechtlich zu ahnende Verstöße von drei auf fünf Jahre. In ihrem Grußwort betonte Dr. Dipl.-Psych. Ingrid Rothe-Kirchberger als Vertreterin der Bundes-

Fehler und Grenzverletzungen in der

Psychotherapie als Entwicklungschance

Symposium des Ethikvereins

Der Ethikverein bietet bundesweit, kostenlos, unabhängig und professionell eine niedrig- schwellige, vertrauliche Beratung für Patienten und ihre Angehörigen, Ausbildungskandida- ten, aber auch für psychotherapeutische Kollegen und ihre Institutionen an. Das Beraterteam aus Ärzten, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychothera- peuten aller Psychotherapieverfahren beantwortet Fragen zu Standards in der Psychotherapie und erarbeitet eine Klärung und Orientierung in ethisch und rechtlich schwierigen Behand- lungssituationen gemeinsam mit den Anfragenden. Es besteht eine etablierte Kooperation mit Juristen. Die Beratungsdaten werden anonymisiert, wissenschaftlich quantitativ und qualita- tiv ausgewertet.

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.ethikverein.de

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positiven Fehlerkultur. Hier sei nicht gegen- seitige kollegiale Beschämung, sondern das Recht auf Irrtum notwendig, um der Ver- antwortung gerecht zu werden. Gegenüber strukturellen und systematischen Vergehen benötige es jedoch eine klare, sanktionierende Haltung. Hier seien klare Standards erforder- lich, da eine psychotherapeutische Behand- lung ebenso einen Eingriff darstelle wie jede andere medizinische Behandlung. Verschiede- ne Institutionen wie Verbände, Institute und Kammern erfüllten in dieser Hinsicht eine tri- adische und triangulierende Funktion, die aus der Illusion der dyadischen Beziehung in der Therapie hinausführe.

Aus juristischer Sicht beleuchtete Professor Dr. jur. Thomas Gutmann, M. A., Lehrstuhl- inhaber für Bürgerliches Recht, Rechtsphi- losophie und Medizinrecht, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, den Prob- lembereich. Er führte aus, dass seit Verab- schiedung des § 174c Strafgesetzbuch, der sexuellen Missbrauch in Psychotherapie und Beratung ebenso wie den Versuch unter Stra- fe stellt, lediglich drei bis vier Strafverfahren pro Jahr zustandekommen. Verglichen mit den 600 Fällen jährlich, die realistischerweise zu- grunde gelegt werden müssten, mache dies deutlich, dass bei der Verfolgung von weniger als einem Prozent der Fälle das Strafrecht ein

„stumpfes Schwert“ darstelle.

Im letzten Referat des Tages wandte Dr. phil.

Dipl.-Psych. univ. Jürgen Thorwart, Psycholo- gischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker, den Blick auf mögliche Schritte in der Präven- tion. Angesichts der grundlegenden mensch- lichen Eigenschaft, Macht zu missbrauchen, stellten auch Psychotherapeuten diesbezüglich keine Ausnahme dar. Präventiv hingegen seien die Beseitigung des Tabus, über Grenzverlet- zungen zu sprechen und eine positive, offene, kollegiale Institutskultur, in der klinische Praxis und Theorie offen diskutiert werden können.

Transparente Strukturen in der Ausbildung, Ombudsstellen für Ausbildungskandidaten und die Auseinandersetzung mit ethischen Frage- stellungen sowie den rechtlichen und berufs- rechtlichen Rahmenbedingungen seien uner- lässlich.

Autorin

Dr. Veronika Hillebrand, Fach- ärztin für Psycho- therapeutische Medizin, 1. Vorsit- zende Ethikverein e. V. – Ethik in der Psychotherapie In der abschließenden Diskussion wurde der

Frage nachgegangen, wie kritische Punkte im Hinblick auf Grenzverletzungen in Therapien in der Aus- und Weiterbildung operatio- nalisiert werden könnten. In der Diskussion wurde der Mangel an Austausch zwischen Juristen sowie Ärzten und Psychotherapeu- ten in diesem schwierigen Feld beklagt und eine Workshop-Tagung mit Vertretern aller Kammern und ihren Justitiaren als möglicher Schritt zu einer konstruktiven Weiterent- wicklung gefordert.

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