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Es droht Stillstand

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Bayerisches Är zteblatt 11/2013

Meinungsseite

Es war ein erstaunlicher Wahlkampf: Trotz der großen inhaltlichen Unterschiede zwi- schen den Parteien spielten Sachthemen wie Gesundheit, Rente oder Bildung im Bundes- tagswahlkampf kaum eine Rolle. Auch die Bürgerversicherung brachte Rot-Grün nicht den erhofften Erfolg. Nach dem klaren Sieg der Union ist eine Radikalreform in der Ge- sundheit vorerst nicht in Sicht.

Angela Merkel hat aus den Fehlern gelernt.

Ihr Reformprogramm mit Kopfpauschale und Steuerreform kostete die CDU-Chefin 2005 beinahe den Wahlsieg. Seitdem setzt Mer- kel auf kleine Schritte statt große Reformen.

Entsprechend findet sich im Wahlprogramm der Union auch keine konkrete Aussage zur Zukunft der Krankenversicherung, sondern lediglich ein klares Nein zur Bürgerversiche- rung: „Eine staatliche Einheitsversicherung für alle lehnen wir ab.“

Ganz anders SPD und Grüne. Vehement war- ben beide Parteien für die Aufhebung der Grenzen zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Um die Zwei-Klassen- Medizin zu beenden, sollten künftig alle in die Bürgerversicherung einzahlen. Für die Privatversicherten war eine befristete Wechselmöglichkeit vorgesehen. Die Grü- nen zeigten sich noch radikaler als die So- zialdemokraten. Bei der Berechnung des Kassenbeitrags sollten alle Einkunftsarten – also auch Mieteinnahmen – einbezogen wer- den. Zugleich forderten Trittin & Co., die Bei- tragsbemessungsgrenze in der Krankenver- sicherung von derzeit knapp 4.000 Euro auf 5.800 Euro anzuheben.

Soweit die Wahlprogramme. Doch die Pa- piere haben in der Regel nur eine kurze Le- bensdauer. Oft sind sie schon am Wahlabend vergessen. Bestes Beispiel ist der umstrittene Gesundheitsfonds. Niemand hatte die zen- trale Geldsammelstelle im Wahlprogramm.

Sie wurde vielmehr aus der Not geboren, einen Kompromiss zwischen Bürgerversiche- rung (SPD) und Kopfpauschale (Union) zu finden. Diesmal ist die Situation allerdings anders. Die Krankenversicherung hat in den vergangenen Jahren ein sattes Geldpolster angehäuft. Einige Krankenkassen schütten sogar Prämien aus. Warum sollte sich eine

neue Regierung also gerade jetzt an eine Ra- dikalreform wagen?

Gerade die Sozialdemokraten dürften sich daher in den Koalitionsverhandlungen rasch von ihren Plänen für eine Bürgerversiche- rung verabschieden. Spannend bleibt nur, ob die Arbeitgeber wieder stärker zur Kasse gebeten werden. Derzeit ist der Arbeitgeber- anteil bei 7,3 Prozent gedeckelt. Reichen die Einnahmen nicht aus, müssen die Kranken- kassen Zusatzbeiträge erheben. So hatte es zumindest Schwarz-Gelb beschlossen. Gut möglich, dass sich die Union in einer Großen Koalition von dem großzügigen Arbeitgeber- geschenk wieder verabschiedet.

Eine der größten Herausforderungen für den nächsten Gesundheitsminister ist sicherlich die Reform der Pflegever- sicherung. Seit Jahren drücken sich die Regierungen in Berlin – gleich ob Rot- Grün, Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb – um eine Neudefinition des Pflegebedürf- tigkeitsbegriffs. Nach den im Sommer vor- gelegten Vorschlägen des Expertenbeirats unter Leitung von Wolfgang Zöller und Klaus-Dieter Voß wird ein Aussitzen der Re- form immer schwieriger. Um Demenzkranke endlich bei den Leistungen vernünftig zu be- rücksichtigen, soll es künftig fünf statt bis- her drei Pflegestufen geben. Die geplanten Verbesserungen kosten allerdings bis zu fünf Milliarden Euro im Jahr. Angesichts der De- batte um höhere Steuern dürfte eine neue Regierung einen allzu kräftigen Anstieg der Sozialbeiträge scheuen.

Unklar ist auch, ob das von Schwarz-Gelb verabschiedete Präventionsgesetz wieder- belebt wird. Zuletzt hatte es die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat blockiert. Dabei sind sich eigentlich alle Parteien einig, dass die Prävention deutlich gestärkt werden muss.

Strittig ist allerdings, wer die Kosten dafür übernimmt. Die Krankenkassen wehren sich gegen eine einseitige Belastung. Fraglich ist auch, ob sich ein gesunder Lebensstil per Gesetz verordnen lässt. In der Vergangen- heit flossen Gelder für Prävention allzu oft in Yoga- und Kochkurse – und dienten damit weniger der Verbeugung als vielmehr dem Marketing der Krankenkassen.

Die lähmende Regierungsbildung und die voraussichtlich wochenlangen Koalitionsver- handlungen verheißen für die Gesundheits- politik wenig Gutes. Nicht nur in der Pflege braucht es mutige Reformschritte. Auch bei der elektronischen Gesundheitskarte, der Krankenhausvergütung und der Patientensi- cherheit warten auf den neuen Gesundheits- minister anspruchsvolle Hausaufgaben. Die Zeit der Milliardenüberschüsse in der gesetz- lichen Krankenversicherung neigt sich jeden- falls dem Ende zu. Spätestens 2015 dürften erste Kassen wieder auf Zusatzbeiträge an- gewiesen sein. Damit beginnen auch wieder die gewohnten Debatten über Kürzungen und Sparmaßnahmen. Es bleibt daher zu hof- fen, dass sich die neue Regierung nicht in aussichtslose Systemdiskussionen um private oder gesetzliche Krankenversicherung ver- heddert, sondern rasch die Arbeit aufnimmt.

Monatelangen Stillstand in der Gesundheits- politik können sich Ärzte und Patienten nicht leisten.

Autor

Steffen Habit,

„Münchner Mer- kur“, Redaktion Wirtschaft

Es droht Stillstand

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