Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 28–29⏐⏐18. Juli 2005 AA1985
S E I T E E I N S
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annabisprodukte zum Zweck der Selbstmedikation zu erwerben oder nach Deutschland einzuführen bleibt auch nach dem jüngsten Be- schluss des Bundesverfassungsge- richts strafbar. Das Gericht in Karls- ruhe hat damit die Verfassungsbe- schwerde eines Mannes abgelehnt, der aufgrund eines Motorradunfalls zu 80 Prozent schwerbehindert ist.Zur Linderung seiner chronischen Schmerzen hatte der Patient 175 Milliliter Haschischöl und 107 Gramm Marihuana aus den Niederlanden importiert. Wegen der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge war er zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Mit dem aktuel- len Urteil bestätigten die Verfas- sungsrichter die 1994 getroffene
„Haschisch-Entscheidung“, wonach
auch von Cannabisprodukten „nicht unbeträchtliche Gefahren und Risi- ken für die Gesundheit“ ausgehen.
Es sei auch weiterhin zu respektie- ren, begründet die 3. Kammer des Zweiten Senats den erneuten Be- schluss, dass der Gesetzgeber diesen Gefahren – wie mögliche psychische Abhängigkeit und die Störung der Persönlichkeitsentwicklung bei Ju- gendlichen – mit den Mitteln des Strafrechts begegne.
Allerdings bedeutet das Urteil nicht das völlige „Aus“ von Cannabis zu medizinischen Zwecken, sondern ist als Prävention seines unsach- gemäßen Gebrauchs zu werten. Mit einer Ausnahmegenehmigung dür- fen Patienten auch weiterhin die therapeutischen Effekte von Canna- bis nutzen: Denn den mehr als 400
Inhaltsstoffen der Hanfpflanze wer- den analgetische muskelentspan- nende, beruhigende, stimmungsauf- hellende, appetitanregende, anti- emetische und augeninnendruck- senkende Wirkungen zugesprochen.
Erst vor wenigen Tagen wurde ein europäisches Projekt auf den Weg gebracht, um die Wirksamkeit des Phytopharmakons gegen Migräne und rheumatische Arthritis zu prüfen.
Der Fokus der Untersuchungen liegt auf der Verwendung von Cannabis- Extrakten mit einem nur minimalen Gehalt an psychoaktiven Inhalts- stoffen wie dem Delta-9-Tetra- hydrocannabiol, kurz THC genannt.
Auch die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Freiburg ist an dem EU-Vorhaben beteiligt. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Cannabis-Selbstmedikation
Erneute Absage E
hrlich will sie sein und den Wäh-lern nichts versprechen, was sie nicht halten kann. Dies betonte CDU-Chefin und Kanzlerkandida- tin Angela Merkel bei der Vorstel- lung des Wahlprogramms der Union gleich mehrfach. Tatsächlich ist von den bisher vorgelegten Wahlpro- grammen das der CDU/CSU wohl das konkreteste. Klar skizziert die Union die ökonomischen und sozial- politischen Probleme und hält zu deren Lösung auch mit unpopulären Vorhaben nicht hinter den Berg.
So kündigt sie an, die Mehrwert- steuer auf 18 Prozent anheben zu wollen. Im Gegenzug soll ein Groß- teil der Mehreinnahmen dazu ver- wendet werden, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte abzusenken. Der er- mäßigte Steuersatz auf Lebensmittel und die Mehrwertsteuerfreiheit bei Mieten sollen aber erhalten bleiben.
Für die Union rechnet sich dieser Schritt gleich zweifach: Einerseits realisiert sie kurzfristig die von der Wirtschaft geforderte Absenkung der Arbeitskosten. Andererseits verschafft sie sich Luft bei der Um- setzung ihres noch unausgereiften Prämienmodells für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), das ebenfalls zu einer Reduzierung der Lohnnebenkosten beitragen soll.
An dessen Tragfähigkeit zweifeln mittlerweile wohl auch die Verant- wortlichen bei der Union. Denn während die Angaben zur Steuerpo- litik im Wahlprogramm vergleichs- weise konkret ausfallen, legen sich CDU und CSU beim Thema GKV- Reform weder auf den Zeitpunkt der Einführung noch auf die Höhe der geplanten Prämie fest. Ur- sprünglich war eine Belastung der Versicherten von 109 Euro vorgese- hen sowie ein Arbeitgeberanteil von
60 Euro. Nach Meinung Merkels muss der exakte Betrag auf die aktu- elle Situation bezogen werden. Es sei „vermessen, heute eine genaue Zahl anzugeben“.
Wohlwollend könnte man auch dies als eine Form von Ehrlichkeit ansehen. Doch drängt sich der Ver- dacht auf, Angela Merkel und CSU- Chef Edmund Stoiber könnten sich bei ihrem Gesundheitskompromiss im vergangenen Dezember verrech- net haben. So schätzt der Darmstäd- ter Gesundheitsökonom Prof. Dr.
Bert Rürup, dass die Prämie für ei- nen Erwachsenen bei 170 Euro im Monat liegen wird. Für den Sozial- ausgleich würden weitere 30 Milliar- den Euro aus Steuermitteln benötigt.
Ehrlich wäre es, wenn CDU und CSU den Bürgern noch vor dem Wahltag sagen würden, dass sie bis- lang nicht wissen, woher dieses Geld kommen soll. Samir Rabbata