Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 28–2914. Juli 2008 A1521
S E I T E E I N S
W
arum, so fragte eine Anruferin in einer WDR- Hörfunksendung kürzlich, kann ich, wenn ich meinem Leben ein Ende setzen will, nicht ebenso wie bei anderen Problemen professionelle Hilfe in An- spruch nehmen?“ In einer Emnid-Umfrage befürworte- ten nach Angaben des Fernsehsenders N24 nur 13 Pro- zent das gesetzliche Verbot der aktiven Sterbehilfe, wie es derzeit besteht. Auch wenn Umfragen zu diesem Thema, je nach Formulierung der Fragen, traditionell widersprüchliche Ergebnisse liefern: Die Ansicht, dass Ärzte auf Verlangen Sterbehilfe leisten sollten, ist keine Einzelmeinung, sie wird gern mit der freien persönli- chen Entscheidung begründet.Ist der Konsens in der Gesellschaft beim Thema Sterbehilfe verloren gegangen? Die Reaktionen auf das öffentliche Bekenntnis des unsäglichen Exsenators Roger Kusch aus Hamburg, der einer 79-jährigen Frau geholfen hat, sich umzubringen, zeigen, dass Öffent- lichkeit und Politik sich zumindest Sensibilität bewahrt haben. Im Fall Kusch wurde eine Grenze überschritten.
Denn es ging nicht um eine von Schmerzen gepeinigte, unheilbar Kranke, sondern um eine Frau, die Angst hat- te, ins Pflegeheim zu kommen. Kusch fand ihr Anliegen
„plausibel“ und handelte. Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, der Präsident der Bundesärztekammer, nannte es „zynisch und abstoßend“, dass Kusch eine alte Frau missbraucht habe, um sich in Szene zu setzen.
Die Unterstützung eines eigenverantwortlich ausge- führten Freitods ist in Deutschland straffrei. Das Straf- recht greift erst dann, wenn sich jemand aktiv an der Tötung beteiligt (Tötung auf Verlangen). Diese Ab- grenzung sei zwar nicht immer einfach, aber durchaus möglich, sagen Strafrechtsexperten. Aber bisher sei die Unterstützung von Suizidvorhaben auch nicht im Rahmen einer organisierten Dienstleistung erfolgt. Das Auftreten von Sterbehilfeorganisationen hat dies geän- dert. Deshalb ist auch aus der Ärzteschaft der Gesetz- geber aufgefordert worden einzuschreiten. Die Länder Thüringen, Hessen und das Saarland haben im Bundes- rat die Initiative ergriffen, um die gewerbliche Sterbe- hilfe mit bis zu drei Jahren Haft zu ahnden. Das in Ar- tikel 2 Grundgesetz verankerte Recht auf Leben, ein Höchstwert der Verfassung, verpflichte den Gesetzge- ber, sich schützend vor das Leben zu stellen, heißt es in
der Begründung des Gesetzesvorschlags, die zu dem Fazit kommt: Eine geschäftsmäßige Serviceleistung
„Sterbehilfe“ sei mit der Werteordnung des Grundge- setzes nicht vereinbar. „Es besteht die Gefahr einer Kommerzialisierung von Selbsttötungen.“ Nicht ab- wegig ist auch die Befürchtung, durch die Existenz von Sterbehilfeorganisationen könne „ein, wenn auch nur subjektiv wahrgenommener Erwartungsdruck auf schwer kranke und alte Menschen entstehen, diesen Weg auch tatsächlich zu wählen“.
Da gegen die Formulierung des Verbots noch Beden- ken bestanden, hat der Bundesrat auf seiner letzten Sit- zung vor der Sommerpause den Gesetzesantrag erst ein- mal zurückgestellt. In einer Entschließung, der 13 von 16 Ländern zustimmten, bekräftigte die Länderkammer aber ihre Absicht, noch in diesem Jahr ein Gesetz einzu- bringen, um die gewerbliche Suizidbeihilfe unter Strafe zu stellen. Dieser Ankündigung müssen dann auch Ta- ten folgen. Allerdings wird das Strafrecht allein keine Lösung bringen.
Gerade auch Ärztinnen und Ärzte müssen vermit- teln, dass eine Gesellschaft, in der der Freitod eine all- tägliche Option unter mehreren „Problemlösungen“
wird, keine humane mehr ist. Würde die Anruferin beim WDR wirklich in so einer Gesellschaft leben wollen?
Jedenfalls sollte sie verstehen, dass die Mitwirkung bei der Selbsttötung dem ärztlichen Ethos widerspricht.
Ärzte stehen Sterbenden bis zum Tod bei, sie haben aber nicht die Aufgabe, den Tod herbeizuführen oder das Sterben zu beschleunigen.
Heinz Stüwe Chefredakteur
GEWERBLICHE STERBEHILFE
Nein
Heinz Stüwe