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Ich bin nicht wie die Anderen 17

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Academic year: 2021

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der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

17

Ich bin nicht wie die Anderen

Heirats-/EliteimmigrantInnen aus Brasilien in Franken und die Auswirkungen auf die Kindererziehung

Flávia Silva Cruz Brunner

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17 der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

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der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Band 17

2014

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Heirats-/EliteimmigrantInnen aus Brasilien in Franken und die Auswirkungen auf die Kindererziehung

von Flávia Silva Cruz Brunner

2014

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Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Informationen sind im Inter- net über http://dnb.ddb.de/ abrufbar.

Dieses Werk ist als freie Onlineversion über den Hochschulschriften-Server (OPUS; http://www.opus-bayern.de/uni-bamberg/) der Universitätsbibliothek Bamberg erreichbar. Kopien und Ausdrucke dürfen nur zum privaten und sons- tigen eigenen Gebrauch angefertigt werden.

Herstellung und Druck: docupoint, Magdeburg Umschlaggestaltung: University of Bamberg Press

© University of Bamberg Press Bamberg 2014 http://www.uni-bamberg.de/ubp/

ISSN: 1866-8674

ISBN: 978-3-86309-256-6 (Druckausgabe) eISBN: 978-3-86309-257-3 (Online-Ausgabe) URN: urn:nbn:de:bvb:473-opus4-107284

Diese Arbeit hat der Fakultät Humanwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg als Dissertation vorgelegen.

1. Gutachter: Prof. Dr. Dr. h.c. Claus Mühlfeld 2. Gutachter: Prof. Dr. Jürgen Abel

Tag der mündlichen Prüfung: 20.12.2012

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Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis...11

Vorwort und Danksagung...13

Einleitung...15

1 Problemstellung und theoretische Ansätze...25

1.1 Konstruktion der Identität und des Habitus...29

1.1.1 Die brasilianische Identität...41

1.1.2 Die deutsche Identität...43

1.2 Migration und ihre Effekte...44

1.2.1 Migration nach Deutschland...57

1.2.2 Heiratsmigration (marriage migration)...63

1.3 Stereotypen der Brasilianer und der Stereotypen der Deutschen über die jeweils anderen...65

1.3.1 „Emanzen“ (deutsche Frauen) contra die „Maria passaporte”...67

1.3.2 Wie man den Anderen sieht: Fremdbilder von Brasilianern und Deutschen ...69

1.4 Das Internet verkürzt die Entfernung...74

2 Problemlage und Forschungsgegenstand: Brasilien und seine Gesellschaft...77

2.1 Das brasilianische Volk, das Erbe des Kolonialismus..77

2.1.1 Die Indigenen...80

2.1.2 Die Portugiesen...86

2.1.3 Die afrikanischen Sklaven...93

2.2 Die brasilianische Frau in der patriarchalischen Gesellschaft...98

2.3 Brasilien und seine Vielfalt: der Caboclo, der Sertanejo, der Caipira und der Sulino...116

2.3.1 Deutsche Einwanderer in Brasilien...122

2.4 Para inglês ver (Für die Augen der Anderen) – brasilianisches Verhalten gegenüber dem Ausländer...125

2.5 Soziale Ungleichheiten und der Habitus der sozialen Schicht...127

3 Die Forschungsgegenstände: Deutsche, Brasilianer und deren Kinder in Franken.131

3.1 Die soziale Funktion der Familie...131

3.2 Die brasilianische Frau in der Gesellschaft...135

3.2.1 Der sichtbare und der unsichtbare „Machismo“...140

3.2.2 Schwarze Frau, weißer Mann in Brasilien – ein Versuch die Hautfarbe aufzuhellen...150

3.3 Ehe in der brasilianische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts...157

3.3.1 Die brasilianische Familie...162

3.4 Die Zauberwelt des TV – die Seifenopern (Telenovelas) und die Werbung...164

3.5 Die Ausländerliebe im 19 Jahrhundert und Heute...166

3.5.1 Die ‚moderne’ Ehe...168

(9)

3.5.2 Partnerwahl: aus dem Katalog?...171

3.6 Die Bikulturelle oder interethnische Ehe...173

3.6.1 Ehen zwischen Deutschen und Brasilianern...180

3.6.1.1 Die Bürokratie...184

3.6.2 Das “Wiederaufleben lassen” des American Way of Life der 1960er Jahre 191 3.6.2.1 Die Reaktionen der deutschen Familie (Schwiegerleute oder schwierige Leute?)...195

3.6.3 Blonde Männer mit blauen Augen...198

3.6.4 Was für einen Frauentyp suchen die Deutschen?...199

3.7 Erziehende Eltern oder Glücksprovider?...203

3.7.1 Sozialisation der Kinder aus deutsch-brasilianischen Paaren in Franken..204

3.7.2 Kultur, Sprache und Kindheit...205

3.7.3 Bikulturelle Kindererziehung...211

3.8 Franken...213

4 Darstellung und Begründung der Methodologie...215

4.1 Forschungsfeld...220

4.1.1 Natürlich helfe ich dir bei deiner „Schularbeit“! Wirklich?...224

4.1.2 Erhebungsmethode...227

4.2 Intensivinterview - Leitfadeninterview...235

4.3 Durchführung der Interviews – biographisches offenes Leitfadeninterviews...236

4.3.1 Biografisches Interview...237

4.3.2 Halbstandardisiertes Interview...240

4.3.3 Interview mit Kindern...241

4.3.4 Respekt gegenüber den Befragten...242

4.4 Aufnahme und Transkription der Daten...242

4.4.1 Vor-Interview und Nach-Interview...244

4.5 Auswertungen der Daten...245

4.5.1 Weft QDA...246

4.5.2 Inhaltsanalyse – Kodierung nach „grounded theory“...248

5 Darstellung und Bewertung der Ergebnisse...253

5.1 Die Deutschen...259

5.1.1 Biographie der Deutschen...260

5.1.1.1 Am eigenen Leib das deutsche Schulsystem kennenlernen...265

5.1.1.2 Familiennamen...265

5.1.2 Kennenlernen...266

5.1.2.1 Von ersten Treffen bis zur Heirat...271

5.1.3 Brotverdiener (breadwinner) und Versorgungsehe...273

5.1.3.1 Umgang mit Stiefkindern...278

5.1.4 Erfahrungen als TCK und bikulturelle Kindheit...282

5.1.4.1 In Brasilien wie Gringos behandelt...285

5.1.4.2 Eigene Erfahrung als bilinguales Kind...286

5.1.4.3 Die kulturelle Dualität (TCK)...286

5.2 Die Brasilianer...287

5.2.1 Biographie der Brasilianer...290

5.2.2 Kennenlernen des Gringos...292

5.2.3 Hochzeitsort und Zeremonie...294

(10)

5.2.4 Migrantenleben, verpflanzte Frauen...295

5.2.4.1 Bild Deutschlands und mehr...296

5.2.4.2 Aber Deutschland hat sich verändert...302

5.2.4.3 Enttäuscht von dem German way of life...302

5.2.4.4 Wenn der Versorger nicht da ist, müssen die emotionalen Versorger agieren...304

5.2.4.5 Streiten mit dem Partner um das Sparen...304

5.2.5 Selbstbild und Fremdbild...305

5.2.5.1 Die deutsche Ehrlichkeit und der Mythos der Brasilianität...305

5.2.6 Schulleben in Deutschland...306

5.2.7 Arbeitsleben in Brasilien und Arbeitsleben in Deutschland...307

5.2.8 Emotionale Versorgerin x finanzieller Versorger...308

5.3 Die Elite Einwanderer aus Brasilien...310

5.3.1 Familiennamen und verschiedene Staatsangehörigkeiten...312

5.3.2 Brotverdiener und Heimchen am Herd...313

5.3.3 Ich bin nicht wie die anderen: ich bin eingeladen worden...314

5.3.3.1 Die Welt zu Gast bei Freunden – Bild Deutschlands...315

5.3.3.2 Wir identifizieren uns mit einigen deutschen Werten...318

5.4 Essgewohnheiten...318

5.4.1.1 Die Frau ist verantwortlich für den Einkauf und das Kochen...320

5.4.1.2 Der härteste Teil der Migration ist sich an das neue Essen anzupassen ...320

5.5 Die Kinder oder Curumins...321

5.5.1 Kleine Kinder...325

5.5.1.1 Mit den Eltern gesprochene Sprachen...325

5.5.1.1.1 Mit dem Vater/Stiefvater gesprochene Sprache...325

5.5.1.1.2 Mit der Mutter gesprochene Sprache...326

5.5.1.1.3 Lieblingssprache des Kindes...327

5.5.1.2 Lesen...327

5.5.1.3 Ich will doch wie die anderen sein: die Germanisierung der Kinder/Stiefkinder...329

5.5.1.4 Portugiesischkenntnisse...329

5.5.1.4.1 Geringe portugiesisch Kenntnisse...330

5.5.1.4.2 Fließend in beiden Sprachen...331

5.5.1.4.3 Man lernt auch Portugiesisch ohne Urlaub in Brasilien zu machen ...331

5.5.1.4.4 Kinder können auch Portugiesisch, Deutsch und Englisch lernen ...332

5.5.1.5 Erinnerungen an Brasilien...332

5.5.1.5.1 Die Erinnerungen an Brasilien verblassen...333

5.5.1.5.2 Auswirkungen der Migration auf die Muttersprache...333

5.5.1.5.3 Kontakt mit Brasilien...334

5.5.1.5.4 Leben in Deutschland...335

5.5.1.5.5 Deutsch lernen...337

5.5.1.6 Schulleben...338

5.5.1.6.1 Unterschiede zwischen deutscher Schule und brasilianischer Schule...338

5.5.1.6.2 Schulversagen des Kindes ohne sich dessen bewusst zu sein...340

(11)

5.5.1.6.3 Schule und Berufswunsch...341

5.5.1.7 Brasilinianität...342

5.5.2 Erwachsene Kinder...343

5.5.2.1 Gesprochene Sprache im Interview...344

5.5.2.2 Fließend in beiden Sprachen...346

5.5.2.3 Sprache gesprochen mit dem Vater/Stiefvater...347

5.5.2.4 Sprache gesprochen mit der Mutter...347

5.5.2.5 Code-Switching...348

5.5.2.6 Erinnerungen an Brasilien und Kontakt mit dem Land...349

5.5.2.7 Schulleben in Deutschland...350

5.6 Über die Unterschiede zwischen brasilianischer und deutscher Kindererziehung...354

5.6.1 Sie sehen keine Unterschiede...355

5.6.2 Sie sehen selbstverständlich die Unterschiede...356

5.6.3 Unterschiede in der Erziehung ist aus den Verhalten des Ehemannes ersichtlich...356

5.6.4 Sie hat nicht genug Kontakt mit den Deutschen um eine Äußerung zu machen...356

5.6.5 Deutsche Kinder sind sehr unabhängig von den Eltern...357

5.6.5.1 Brasilianische Eltern sind oft zu besorgt um ihre Kinder...358

5.6.6 Die Vorteile und Nachteile der „deutschen Disziplin“...358

5.6.7 Die Gleichgültigkeit zwischen den Mitgliedern einer deutschen Familie..361

5.6.8 Es fehlt an Disziplin in der brasilianischen Erziehung...364

5.6.9 Brasilianer outsourcen ihre Kinder...366

5.6.10 Brasilianerinnen wiederholen die Fehler in der Kindererziehung und geben dieWerte des Machismus an die Kinder weiter...367

5.7 Entscheidungen in der Erziehung der Kinder...367

5.7.1 Vorname und Nachname(n) der Kinder...368

5.7.1.1 Aussuchen der Nachnamen...368

5.7.1.2 Aussuchen der Vornamen...371

5.7.2 Zwei brasilianische Elternteile machen noch kein brasilianisches Kind, wenn es in Deutschland aufwächst...374

5.7.3 Schulleben der Kinder...375

5.7.4 Gelebte und unterrichtete Kulturen zu Hause...386

5.7.4.1 Erziehung mit brasilianischen Wertvorstellungen...390

5.7.5 Freizeit und Spaß...394

5.7.5.1 Fernsehen...398

5.7.6 Kinder aus ehemaligen Beziehungen...400

5.7.6.1 Auseinandersetzung mit dem Partner über die Kindererziehung...402

5.7.7 Deutschland ist viel besser um die Kinder großzuziehen...402

5.7.8 Die Sexualerziehung der Kinder...403

5.7.9 Wahrnehmung der Binationalität und das Stolzsein darauf...405

5.7.10 Verneinung der Binationalität...406

5.7.11 Entscheidungen des deutschen Elternteils in der Kindererziehung...406

6 Reflexion und Perspektiven...413

7 Literaturverzeichnis und elektronisches Literaturverzeichnis...445

8 Anhang: Leitfaden des Interviews für die deutsch-brasilianischen Paare...487

(12)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 – Franken...214

Tabelle 2 – Geburtsort der Deutschen/Ausländerpartner...262

Tabelle 3 – Schulleben – was man gelernt oder studiert hat...263

Tabelle 4 – Biographische Daten der Brasilianer...290

Tabelle 5 – Biographische Daten der EliteimmigrantInnen...311

Tabelle 6 – Kinder der bikulturellen Paare und EliteimigrantInnen in Franken...322

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Vorwort und Danksagung

Während der Ausarbeitung dieser Arbeit konnte ich den zwiespältigen Geschmack meiner Unsicherheit und meiner Zuversicht probieren. Es war ein einsamer Weg mit wenigen Abweichungen, nur aufgelockert durch kurze Be- gegnungen mit Freunden, denen ich meinen unendlichen Dank schuldig bin.

Mit ihnen konnte ich meine Träume, Wünsche, Ängste und auch meine Er- schöpfung teilen. Ich wankte zwischen Momenten der absoluten Glückseligkeit (wenn ich wieder eines meiner gesetzten Ziele erreichte) oder totalen Enttäu- schung und Unzufriedenheit (wenn ich den Herausforderungen meiner Unter- suchung gegenüber stand).

Meinen ersten Dank geht an dieser Stelle meinen Doktorvater, Herr Prof.

Dr. Dr. Claus Mühlfeld, der die Herausforderung annahm, meine Arbeit zu be- gleiten und mir in diesen letzten Jahren mit seiner Weisheit, Geduld und Re- spekt, sowohl gegenüber meiner Person, als auch meinen Ideen zum besseren Verständnis der Dynamik innerhalb deutsch-brasilianischer Familien in Fran- ken, stets zur Seite stand.

Ich möchte mich bei den Familien, die sich bereit erklärten, an meiner Untersuchung teilzunehmen, für die Zusammenarbeit bedanken und für ihr Verständnis für meine Position als Frau, Immigrantin, Geografin, Pädagogin, Forscherin und Brasilianerin. Die Familien, Mütter, Väter, Stiefväter, Ehemän- ner, Söhne und Töchter teilten mit mir ihre Lebensgeschichten, als Zeichen ih- res Vertrauens und ihrer Großzügigkeit. Ebenso teilten sie mit mir Momente der Freude und der Trauer. Lachen und Weinen sind oft sehr nah beieinander.

Es gibt nicht genügend Worte des Dankes für ihr Bemühungen und ihre Bereit- schaft.

Ein herzliches Dankeschön denjenigen, die den Weg des Aufbaus dieser Arbeit Tag für Tag mit mir gingen. Meinen lieben Freundinnen, Elaine Souza Bruder und Nicole Philipps, die mir bei Formulierung und Ausgestaltung mei- ner Ideen beistanden und mir meine Abwesenheit niemals übel nahmen. Ich danke auch Frank Schulte für den nötigen Beistand, um diese Arbeit überhaupt zu beginnen. Mein weiterer Dank gilt Markus Bruder, Peter Oliva und meinen Ehemann Jürgen Brunner, die mir sehr bei der Korrektur der Arbeit behilflich waren.

Meinem Ehemann Jürgen danke ich besonders für seine Unterstützung

und seinen Beitrag. Dank seiner Motivation blieb das Vorhaben in Deutschland

zu promovieren, nicht nur eine Idee. Er begleitete mich auf diesen langen und

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beschwerlichen Weg, wohl wissend, daß uns dies viele Stunden des Zusam- menseins kosten würde.

Dank auch an meine Familie und Freunde in Brasilien, die mir ihre Un- terstützung von der anderen Seite des Ozeans zusicherten. Sie glaubten fest daran, daß ich diese akademische Stufe im Aufnahmeland erklimmen könne.

Ebenfalls möchte ich der Übersetzerin und Dolmetscherin Britta Mönch- Pingel meinen Dank aussprechen, die mir bei den Tücken der Übersetzung zwi- schen der deutschen und der portugiesischen Sprachen zur Seite stand. Sie half mir, meine Gedanken den entsprechenden Worten zuzuordnen und trug somit bei unseren zahlreichen Arbeitssitzungen viel zur Fertigstellung dieser Arbeit bei.

Dank möchte ich auch Prof. Dr. Alberto Albuquerque Gomes von der FCT/

Uniesp von Presidente Prudente für die Hilfe aussprechen, die er mir aus der

Ferne hat zukommen lassen. Er beantwortete meine offenen Fragen zur allge-

meinen Theorie und gab mir gute Ratschläge während dieses langen Arbeits-

weges. Auch für die freundliche Unterstützung durch Profa. Dra. Ieda Maria

Munhós Benedetti der Uniesp Campus von Presidente Prudente sei gedankt für

die Hilfe bei der Aufstellung eines Teils des bibliographischen Materials.

(16)

Einleitung

Was bringt jemanden dazu, eine Ehe mit einer Person aus einem ande- ren Kulturkreis einzugehen? Warum suchen sich jedes Jahr deutsche Männer Ehefrauen in Brasilien aus? Warum diesen Weg wählen, um eine Familie

1

zu gründen und damit verbunden oftmals die Verantwortung für die Kinder aus vorhergehenden Beziehungen tragen? Was bewegt lebenslustige Frauen aus den verschiedensten sozialen Schichten, ihren Platz an der tropischen Sonne zu verlassen, ihre Familien und oft auch ihre Karrieren aufzugeben, um eine Ehe mit einem Deutschen

2

einzugehen?

Bei jedem Versuch, Antworten zu finden, erscheinen neue Fragen. Ein Leben zu zweit und die Gründung einer Familie, sei es mit eigenen Kindern, sei es mit Kindern aus früheren Beziehungen, unterliegt keiner einfachen Inter- pretation. Mit dieser Forschungsarbeit sollte einen Beitrag zum besseren Ver- ständnis dieses Phänomens geleistet werden: des Phänomens der stetig anstei- genden Anzahl bi-kultureller Ehen. Außerdem zeigt sie, wie die aufnehmende Gesellschaft mit dieser großen Gruppe von Heiratsmigranten und Eliteimmi- granten besser umgehen kann. Die aufnehmende Gesellschaft sollte die Wur- zeln dieser Immigranten respektieren und deren Kinder, die schließlich auf deutschen Boden erzogen werden, positiv bestärken, um diese aktiv in die Ge- sellschaft einzubinden, was wiederum dem Wachstum ihrer eigenen Gesell- schaft zu Gute kommen kann. Es sollte verhindert werden, daß diese Kinder sich ausgestoßen fühlen und revoltieren.

Schülke 2006, S.113 sieht Deutschland als Immigrationsland: “In der heutigen globalisierten Welt stellt sich die Herausforderung des friedlichen Zu- sammenlebens Menschen verschiedener Kulturen in verstärktem Maße. Europa öffnet sich, die Staatsgrenzen werden durchlässiger und immer mehr Men- schen wachsen in zwei oder mehreren Kulturen auf. Auch Deutschland, das in- zwischen als Einwanderungsland bezeichnet werden muss (vgl. Köck et al. 2004,

1 Wie Mühlfeld, 1995 sagt, gibt es die Familie nicht. Es existieren verschiedene Formen des familiären Zusammenlebens. In diese Arbeit wird man sehen, daß sich die Interviewten alle auf eine Suche nach einem Familienbild befinden, das sie in Übereinstimmung mit dem traditionellen Familienbild bringen wollen.

2 Der Forscherin ist bekannt, daß die Formulierung „der Deutsche“, genauso wie später

„der Brasilianer“ so nicht ganz korrekt ist, sie sind begrenzt. Trotzdem werden beide Ausdrücke in diese Arbeit weiter verwendet, es gilt aber für diese Ausdrücke die Theorien von Norbert Elias. Dieser zeigt in seiner Studien über die Deutschen, 1989 S.7 daß es zwar einen deutschen Habitus gibt, daß diese aber im Laufe der Geschichte ständigen Veränderungen unterworfen ist. Elias sagt, daß 1989, S.8: „...der nationale Habitus eines Volkes nicht ein für allemal biologisch fixiert ist. Er ist vielmehr aufs engste mit dem jeweiligen Staatsbildungsprozeß verknüpft.“ Entsprechenden gilt natürlich auch „die Brasilianer“.

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S.10), kann sich dieser Entwicklung gegenüber nicht verschließen. Doch Mi- granten sind nicht nur „Wanderer zwischen Staaten und Wirtschaftsräumen, sondern auch Wanderer zwischen Kulturen“ (Loebe 2005, S.15). Sie haben mit Anpassungsproblemen in der fremden Kultur zu kämpfen, können ihre kultu- relle Herkunft jedoch auch als Chance nutzen und durch sie Synergieeffekte erzeugen.“

Man spricht darüber, daß man gerne fremde Kulturen kennenlernen möchte, es ist “in” Sushi und andere japanische Delikatessen zu Essen, jeder mag indisches oder chinesisches Essen. Aber, wer schon mal fern der Heimat war, aus welchen Gründen auch immer, der kennt den Wert der eigenen Spra- che und Kommunikation. Die Heimatlieder, die Heimatküche und andere ver- borgene, subjektive Phänomene des Heimatalltages bekommen eine ganz ande- re Bedeutung. Die Identität integriert die Menschen auf emotionale Weise in so- ziale Umgebungen. Wenn die Individuen diese Identität in einer neuen Umge- bung nicht entwickeln können, bzw. neu aufbauen können, fühlen sich die Menschen unwohl und bleiben unangepasst. Diese Unangepasstheit wird Fol- gen haben für die persönliche, zwischenmenschliche und familiäre Entwick- lung im Allgemeinen und auch der Aufbau der Identität der Kinder, die in die- sem neuen Umfeld erzogen werden, wird beeinflusst.

Diese Arbeit beschäftigt sich nicht mit Statistiken. Wie schon Darcy Ri- beiro (2002) sagte, sind sie keine verlässliche Quelle, weder für Vergangenes noch für Akutelles. Der Fokus liegt nicht auf den objektiven Lebensbedingun- gen der Familien, sondern auf deren Lebensformen, Wünschen und Erwartun- gen.

Dabei werden einfache Geschichten verschiedener Darsteller wiedergege-

ben. Brasilianische Frauen und Männer aus unterschiedlichen Regionen Brasi-

liens, aus unterschiedlichsten sozialen Schichten und unterschiedliche Phäno-

type. Diese Brasilianer einten sich mit deutschen Partnern, leben in Franken

und erziehen oder erzogen hier auch ihre Kinder. Die Geschichten scheinen ba-

nal zu sein, wurden aber einer rigorosen Analyse unterzogen, einer analytische

Demontage der einzelnen Aussagen. Wenn die Interviewten über ihre Lebens-

routine erzählen, über ihre Entscheidungen, seien es partnerschaftliche oder er-

ziehungstechnische Entscheidungen, beachten sie nicht nur den Kontext in

dem das Problem auftaucht (bikulturelle Ehe und Status als Immigrant oder mit

einem Immigranten verheiratet), sondern auch welche Wirkung die Entschei-

dungen auf die Identität der Kinder, auf den Partner und auf das soziales Um-

feld haben.

(18)

Die Entscheidung diese Forschungsarbeit durchzuführen, noch während der Diplomandenzeit in meinem ersten Lebensjahr in Deutschland, erstaunte viele Menschen. Die Wahl des Studienthemas und die folgenden Entwicklun- gen brachten viele Überraschungen an den Tag. Einige Personen bekundeten anschließend Interesse am Lesen des Endergebnisses.

Um das Phänomen der Heiratsmigration überhaupt zu verstehen, war es unabdingbar, sich mit den Definitionen Bourdieus, des Begriffes Habitus und der Definition von Identität innerhalb der brasilianischen Kultur auseinander zu setzen. So war es möglich, im ersten Kapitel dieser Arbeit nicht mit Verallge- meinerungen zu arbeiten und sich intensiver und aus anderen Perspektiven heraus mit der Thematik der Heiratssmigration zu beschäftigen. Die vorhande- ne Literatur verbindet das Thema eher mit Frauenhandel und Prostituition. Es wird auch versucht die deutsche Identität festzustellen und zu verstehen. Wenn man die unterschiedliche Größe der Länder Brasilien und Deutschland be- trachtet, denkt man doch im ersten Moment, daß der Deutsche wohl keine un- terschiedliche Identitätsdifferenzierungen haben sollte, da er auf eher kleinem territorialem Gebiet lebt. Dies entspricht aber nicht ganz der Realität. Ein weite- rer wichtiger Betrachtungspunkt zum Verständnis der deutschen und brasiliani- schen Identität sind die vorhandenen Klischees. So wird es möglich´, das Tat- sächliche und das Unwahre über beide Kulturen zu überdenken und auch wel- chen Einfluss diese Klischees bei der Annäherung bi-kultureller Paare haben.

Das zweite Kapitel ist der intensiveren Betrachtung der brasilianischen Kultur gewidmet. Um einfacher die Denk- und Sichtweise des sogenannten

„Brasilianer sein“ zu verstehen, werden hier die Umstände der Kolonialisierung des Landes durch die Portugiesen näher betrachtet und der gesamten Prozess der Gesellschaftsbildung, beginnend mit der Eroberung der Indios durch die Potugiesen und weiterführend mit der Einführung afrikanischer Sklaven, dem portugiesischen Patriarchat und der Immigration von Europäern, Arabern und Japanern, erklärt. Zu hinterfragen, wie der Brasilianer als Identität existiert, ver- bunden mit dem Synkretismus und den immer neu angenommenen Lebens- formen und Werten in seinem Alltag, hilft das Verhalten der Heirats- oder Eli- teimmigranten, die in Deutschland leben und auch hier ihre Kinder erziehen innerhalb dieser synkretischen Denkweise, zu verstehen. Wenn erst die Zusam- mensetzung der brasilianischen Gesellschaft entschlüsselt ist, erkennt man das Klassen und Habitus unterscheidende Verhalten der Brasilianer, das sich in der in Deutschland lebende Gruppe wiederfinden lässt.

Das dritte Kapitel greift die tiefergehende Untersuchung der Objekte auf:

Deutsche, Brasilianer und deren Kinder und Nachkommenschaft in Franken.

Zum besseren Verständnis, ist es wichtig die soziale Funktion der Familie in-

(19)

nerhalb der brasilianischen Gesellschaft zu verstehen, sowohl in ihrer Entwick- lung als auch in der heutigen Zeit. Wenn die Wichtigkeit dieser Funktion ge- klärt ist, kann man hier einen Ansatz erkennen, der die Frauen aus den unter- schiedlichsten sozialen Schichten oder verschiedenster Phänotype, Bildungs- stände und regionaler Herkünfte dazu bringt, einen Deutschen zu heiraten und in sein Heimatland zu immigrieren. Diese Frauen lassen ihre berufliche Kar- riere, ihre Freunde, ihre Familien und ihre Vergangenheit hinter sich, nur für den ersehnten Status des „verheiratet sein“. Dabei wird versucht zu erkunden, warum die schwarze brasilianische Frau es einfacher hat, einen deutschen Ehe- mann zu finden, als eine Brasilianerin mit eher nordischen Zügen. Auch wird der Einfluss der brasilianischen Medien auf die Gesellschaft untersucht, die selbst im 21. Jahrhundert noch das Bild vermitteln, daß eine beruflich erfolg- reiche, aber unverheiratete Frau, immer noch als eine Verliererin angesehen wird. Während eine Hausfrau mit einem Ehemann, der für sie sorgt, als Gewin- nerin gilt, nur weil sie jemand gewollt hat, der sich jetzt auch tatsächlich um sie kümmert. Hierbei wird auf die Wandlung des modernen Machismus hinge- weisen, auf den ersten Blick unsichtbar selbst für die Aufmerksamsten. In die- sem Kapitel, wird auch gezeigt, daß die moderne bi-kulturelle Ehe nicht zufällig geschlossen wird oder gar eine Auswahl der Frauen aus einem Katalog ge- schieht. Die Entscheidung, eine Ausländerin zu heiraten ist nicht leichter, als eine Landsmännin zu heiraten. Schließlich entfällt bei der Landsmännin schon mal der gesamte bürokratische Aufwand der Papierbeschaffung für die Aufent- haltsgenehmigung. Desweiteren wird noch auf ein Phänomen innerhalb deutsch-brasilianischer Partnerschaften hingewiesen, die Wiederauflebung des traditionellen Familienmodells, welches sich an den american way of life der 1960er Jahre anlehnt. Die Reaktion der deutschen Verwandtschaft auf die An- kunft der brasilianischen Abtrünnigen anzusprechen, ist bedeutend, da die Fa- milie eine wichtige Integrationsfunktion für der Brasilianerin hat. Sie sollte ihr die Integration in Deutschland erleichtern. Leider ist in den meisten Fällen die- se Hilfe nicht vorhanden.

Noch im dritten Kapitel wird versucht, den Faktoren näher zu kommen, die den deutschen Mann an die brasilianische Frau und umgekehrt bindet, d.h., zum einen der Exotenbonus, zum anderen der “blonde und blauäugige Prinz“.

Außer dem exotischen Phänotypen sucht der deutsche Mann noch eine “Sex-

maschine”, eine „Gebährmaschiene“ für seine Nachkommen und einen „provi-

der of love and care“. Die brasilianische Frau sucht den klassisch nordisch Schö-

nen und einen “Samenspender”, der ihr hellhäutige Kinder (bei dunkelhäutigen

Frauen) oder gar kleine blonde und blauäugige Engelchen geben kann, damit

diese in Deutschland Akzeptanz finden und in Brasilien wertgeschätzt werden.

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Viele brasilianische Mütter in Deutschland verzerren ihre Funktion zwischen Erziehung und Glücklichmachung der Kinder. Sie behaupten viel Zeit für die Kinder zu haben, aber anstatt die Kinder gesellschaftsfähig zu erziehen, über- schütten sie in ihrer Frustrationen ihre Kinder mit Zuwendung. Die Sozialisie- rung der bi-kulturellen Kinder in Deutschland ist ebenso Teil dieses Kapitels, wie die Themen Kultur, Sprache, Kindheit und die Ideen der Eltern über eine bi-kulturelle Erziehung. Natürlich wird es auch einen kurzen Einblick in das untersuchte regionale Gebiet Franken, gegeben.

Die angewandte Methodologie wird im vierten Kapitel dieser Forschungs- arbeit erörtert. Es wird erklärt, wie der Kontakt zu Interviewpartnern gesucht wurde und wie oft man dem typisch brasilianischen Verhalten der Absageertei- lung gegenüberstand. Für die Datensammlung wurde der besten Weg heraus gesucht und aus der Vielzahl der gesammelten Daten das Wichtigste heraus gefiltert, um das untersuchte Thema verständlich zu machen. Alle nötigen Vor- sichtsmaßnahmen wurden getroffen, um die Privatsphäre der Interviewten zu bewahren. Alle Informationen,die zu einer Identifikation führen könnten, wur- den anonymisiert und die Namen durch Nummern und Kodes ersetzt. Das Hauptziel dieser Untersuchung war die Analyse der Aussagen bezüglich Ehe und Erziehung der Kinder (Werteweitergabe) zwischen zwei Kulturen in Fran- ken, um zu einem besseren Verständnis der sozialen Darstellung und der prak- tischen Entscheidungsfindung in diesen Familien zu gelangen. Es wurden 30 gemischte Familien in diese Untersuchung einbezogen, darunter auch einige, die studiumsbedingt und/oder arbeitsbedingt (aufgrund Einladung eineso großen deutschen Unternehmens) immigrierten, waren. Diese Familien leben in Franken, im Norden Bayerns, rund um die Metropole Nürnberg. Bei der Be- fragung der Eltern wurde ein semi-strukturierter Fragebogen verwendet, der ei- gens für diese Untersuchung entwickelt wurde. Bei den Kindern wurden dem Alter entsprechende Methoden angewendet. Das Alter der Kinder schwankte zwischen 5 und 30 Jahren. In den Interviews war es wichtig einen Einblick in die voreheliche Geschichte der Personen zu bekommen, das Leben zu zweit und beides in Verbindung mit der Kindererziehung zu analysieren.

Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung von Ehe und Kindererzie-

hung, in der sich Vorteile und Nachteile vereinen. Die mögliche Nachteile in der

Beziehung kann als Anteile der Identität des Partners, die vor der Beziehung

nicht erkannt wurden und die sich erst im Laufe des Alltages in der Beziehung

zeigen, verstanden werden. Der Partner wird erst durch den eigenen Habitus

gesehen, der individuelle Habitus macht blind, was Enttäuschungen mit sich

bringen kann und bringt innerhalb des Zusammenlebens des Paares und der

Familie. Die mögliche Vorteile in der Beziehung sind die Erwartungshaltung

(21)

des Partners und der Gesellschaft, in der man lebt oder gelebt hat (im Falle der Brasilianer). Es ist sehr interessant zu beobachten, wie die einzelnen Familien und die einzelnen Partner mit diesen Fakten umgehen. Die befragten Eltern analysieren die Vergangenheit und die Gegenwart indem sie positive Erwar- tungshaltungen in die Zukunft der Kinder projizieren. Schon die Jugendlichen und erwachsenen Kinder analysieren nur die Gegenwart und projizieren so eine positive Zukunft. Kinder und deren Wohlbefinden ist das symbolische Zentrum des erörterten Universums der interviewten Eltern. Außerdem wurde versucht, hinter die Interaktionsbeziehung der Paare zu sehen und dann diese Interakti- on in den Aktionen als Einzelner oder als Elternpaar gegenüber den Kindern abzubilden, um deren Entscheidungslogik im Alltag nachvollziehen zu können.

Das fünfte Kapitel ist ein sehr detailliertes Kapitel, weil hier die Ergebnis-

se der Felduntersuchung präsentiert werden. Die Daten werden anhand von Ka-

tegorien vorgestellt. Für eine einfachere Organisation der Daten wurde die Soft-

ware opensource Weft-QDA verwendet und die Daten wurden in vier große Pro-

jekte eingeteilt: Deutsche, Brasilianer, Kinder und Eliteimmigranten. Zuerst gibt

es eine kurze Vorstellung der vorehelichen Biografie der Erwachsenen (Eltern

und Stiefeltern), die Teil der bi-kulturellen Ehen oder Eliteimmigrantenbezie-

hungen sind bzw. waren. Interessant waren auch die Umstände des Kennenler-

nens der Paare, die Zeit bis zur Hochzeit, die Entscheidung, die Ehe einzuge-

hen, die Hochzeitsfeier und die Schwangerschaftszeit. Bei Stiefkindern war es

wichtig, das Verhältnis des Stiefvater zu dem Kind bzw. den Kinder zu verste-

hen. Details, wie zum Beispiel, für welchen Namen sich die Immigranten als

Ehenamen entschieden haben, können wichtige Informationen liefern. Den

Wunsch, die Vergangenheit und die Identität ganz hinter sich zu lassen oder die

Scham, nicht germanischer Herkunft zu sein. An welcher Hand der Ehering ge-

tragen wird, kann Aufschluss darüber geben, wie die Dynamik in der Partner-

schaft funktioniert und wer die Entscheidungen im Alltag trifft. Der Wunsch

deutscher Männer, eine Familie zu gründen und ihre eigene Nachkommen-

schaft zu zeugen, bringt sie dazu, über manche fehlenden Kriterien hinweg zu

sehen, auf die die meisten brasilianische Männer normalerweise nicht verzich-

ten würden, wie z.B., daß eine Frau kochen können muss. Einige Deutsche

wuchsen als sogenannte TCK (third culture kid) auf, was sie der brasilianischen

Sprache und Kultur näher brachte und so eher offen für eine Ehe mit einem

brasilianischen Partner. Andere Interviewte entschieden sich, die Sprache des

Ehepartners zu erlernen und erörterten die Gründe, die sie dazu bewegten. Klar

und deutlich tritt der Wunsch des deutschen Partners hervor, der finanzielle

Träger der Familie zu sein.

(22)

Die befragten Brasilianer gaben in ihren Aussagen Einblicke in ihre vor- ehelichen Geschichten, aber auch in ihre Frustration, als Ausländer in Deutsch- land zu leben. Es wird sehr darauf geachtet, sich nicht allzu viel dieser Frustrati- on anmerken zu lassen. Manche unglaublichen Geschichten ihrer Integrations- zeit in einem Land, das so anders ist als ihr Ursprungsland, werden nur kurz dargestellt. Anderseits gibt es auch Aussagen, in denen beobachtet werden konnte, wie zu hohe Erwartungen sowohl an die Partnerschaft als auch an die Gesellschaft großes Frustrationspotential in sich bergen, hauptsächlich bei Bra- silianern, die aus den mittleren bis höheren Gesellschaftsschichten Brasiliens kommen. Die Liste der Enttäuschungen über das Leben in der sogenannten

„ersten Welt“ ist lang. Hierbei ist es interessant, die Gründe, die die Befragten trotzdem dazu bewegten, in Deutschland zu bleiben, zu erörtern. In den Befra- gungen ist es relevant, die Motive von Personen, die aus einer aktiven berufli- chen Rolle heraus plötzlich gänzlich stagnieren und sich mit der Rolle als „pro- vider of love and care“ begnügen, zu verstehen. Klar herausgestellt hat sich bei den interviewten Personen die Notwendigkeit der Feststellung, daß ihre Heirats- und Immigrationsgeschichte selbstverständlich gänzlich anders sei, als die der anderen brasilianischen Immigranten. Ihre Gründe seien diversifizierter, nicht gleich der Masse. Eine Immigration aus den Tropen in ein klimatisch modera- tes, industrialisiertes Land, ohne die Möglichkeit der Einstellung günstigen Hauspersonals, bringt eine Änderung der Essensgewohnheiten mit sich. Im fünften Kapitel wird gezeigt, wie die Heirats- und Eliteimmigranten mit deut- schen Lebensmitteln zurechtkommen.

Die Kinder der Paare oder geschiedenen Paare wurden je nach Alter und Erreichbarkeit interviewt. Befragt wurden Kinder im Alter zwischen 5 und 30 Jahren, um festzustellen, bis zu welchem Punkt eine Bikulturalität und Bilin- gualität dieser Kinder in Beziehung zum Verhalten des brasilianischen Eltern- teils in der Erziehung zu setzen ist.

Wichtiger Punkt der Untersuchung war auch, wie die brasilianischen El-

tern ihre Erziehungsart sehen, wenn sie diese mit der deutschen Erziehungsart

vergleichen. Die Antworten waren vielfältig. Sie schwankten zwischen Empö-

rung, völliger Ignoranz der deutschen Umgebung, Verwunderung und Verwir-

rung. Es gab auch Interviewte, die behaupteten, sie sähen gar keinen Unter-

schied, aus Rücksicht auf den deutschen Partner, um die Deutschen nicht zu

kritisieren. Es gibt Mütter, die es schaffen, sich von Erziehungsmodellen zu di-

stanzieren, die dem machistischen Habitus entsprechen. Diese Mütter, die sich

entschieden haben einen Deutschen zu heiraten, auch um dem lateinischen

Machismus zu entfliehen, versuchen diesen Machismus nicht in ihre Kinderer-

ziehung einzubringen. Oft beobachten aber diese Mütter, wie andere Mütter, die

(23)

ebenso diesem Machismus entfliehen wollten, genau diesen aber in ihr Erzie- hungsschema wiederspiegeln.

Auch ist es wichtig zu verstehen, wie die Eltern ihre Entscheidungen im Erziehungsprozess innerhalb eines binationalen Haushaltes treffen. Dabei wur- den auch Fragen zur Auswahl des Namens und des Nachnamens, welche Spra- che welches Elternteil mit den Kindern spricht, welche Freizeitbeschäftigung (Fernsehen, Lesen, Ausflüge) die Kinder haben, Sexualkunde, unterschiedliche Erziehung bei Mädchen und Jungen, Kontakt zu Brasilien, Schule und Bildung der Kinder, gestellt. Auch konnte nicht auf typische Fragen zur weiblichen und männlichen Symbolik verzichtet werden, wie z.B., ob den Mädchen im Babyal- ter Ohrringe gestochen werden und ob die Jungen auf der Toilette sitzen oder nicht. Es war wichtig herauszufinden, ob es eine Absicht der Eltern gibt, ihre Kinder bikulturell oder bilingual zu erziehen, und wenn ja, wie diese Erziehung im Alltag der Familie aussieht.

Anhand der Felduntersuchung wurde die Antwort auf die Frage gesucht , ob der Wunsch, in die Heimat zurückzukehren, wirklich ein Wunsch des brasi- lianischen Partners in der deutsch-brasilianischen Ehe ist.

Dabei wurde keine erschöpfende Untersuchung unternommen, da es nicht möglich wäre, alle deutsch-brasilianischen Familien in Erlangen und Um- gebung zu erreichen. Die Absicht war nicht die vollständige Erarbeitung des Themas, sondern ein Beginn als Basis für Denkansätze zum besseren Verständ- nis des Gegenstandes. Diese Dissertation ist das Ergebnis einer dreieinhalb mo- natigen Feldarbeit in Franken, von Würzburg bis Coburg, wo unzählige deutsch-brasilianische Familien leben. Die Ehemänner gehen den unterschied- lichsten Betätigungen nach, größtenteils aber handelt es sich um Ingenieure und Mitarbeiter großer multinationaler deutscher Konzerne, worauf sowohl der Ehemann als Ernährer als auch die Ehefrau als „Heimchen am Herd“ stolz sind.

Ein Teil der interviewten brasilianischen Frauen übernimmt die Rolle der Beherrschten. Sie sehen ihre Situation durch die Augen ihres dominierenden Partners (ihres deutschen Ehemanns) und tragen so zum Erhalt ihres Status quo bei. Sie bemerken nicht die Eroberungsstrategien in den männlichen Aus- sagen, die sie zu Reproduktionsobjekten verwandeln. Dabei bezieht sich die Re- produktion nicht nur auf die im biologischen Sinne, sondern auch auf die Re- produktion der Ideen des Ehemannes, welche die Frauen gemäß ihren Interes- sen klassifizieren.

Auf dieselbe Weise, wie es nicht möglich ist, das Schwimmen nur durch

Lesen eines Handbuches zu erlernen, kann man die sozialen Beziehungen

(24)

nicht verstehen, indem man diese mechanisch reduziert und kontextlos außer- halb der eigenen Geschichte betrachtet. Es ist nötig, das Phänomen über den ersten Eindruck hinaus zu erforschen. Die Gründe, die alljährlich einen Groß- teil der brasilianischen Frauen aus den ärmeren Sozialschichten dazu bewegt, den sehnlichen Wunsch aufrecht zu erhalten, von einem blonden, blauäugigen Prinzen aus ihrer Armutssituation errettet zu werden, müssen mit großer Um- sicht betrachtet werden. Brasilien hat es noch nicht geschafft, einem großen Teil seiner Bevölkerung, bestimmte Grundrechte, die in jeder entwickelten und wür- digen Gesellschaft vorhanden sind (bekannt durch die Nomenklatur der ersten Welt), zu gewährleisten: Gesundheit, Arbeit, Alphabetisierung, Wohnung, Er- nährung und Würde. Die Eheschließung mit einem Deutschen ist die Chance vieler Frauen ihre, Geschichte und ihren Lebensweg zu ändern.

Historische Referenzen über Brasilien, Brasilianerinnen und die soziale Bedeutung der Eheschließung innerhalb der brasilianischen Gesellschaft gehö- ren auch zu der Thematik. Dabei wird auch die ständige Dynamik zwischen den sozialen Schichten und die Rassendiversifizierung, die unser Volk bildet, analy- siert.

Die Ambition dieser Arbeit war groß, aber wie Bauman 2004 S. 16 schon sagt: “...os pensamentos, embora possam parecer grandiosos, jamais serão grandes o suficiente para abarcar a generosa prodigalidade da experiência humana, muito me- nos para explicá-la.” “...die Gedanken, obwohl sie groß erscheinen können, wer- den niemals groß genug sein, um die großzügige Verschwendung der mensch- lichen Erfahrung zu umfassen, noch diese zu erklären.“

Das Wort neigt dazu, Menschen und Sachen zu teilen. Wir sind histori- sche Wesen und so erbauen wir uns, wenn möglich, auch unsere eigene Ge- schichte. In der Konzeption beginnt das menschliche Leben und auch hier wird das Individuum mit den eingetragenen Merkmalen seiner Erzeuger geprägt.

Die Eltern sind kulturelle Wesen und vererben den Kindern ihre Wesensmerk- male und Entscheidungsmerkmale. Medina, 2009 S. 66 ergänzt: “A dependência biológica vai se tornando cultural. O corpo é apropriado pela cultura. Vai sendo cada vez mais um suporte de signos sociais. É modelado como projeção do social. As insti- tuições assumem seu papel...É preciso aprender as regras sociais. Começa a divisão.

Começa a educação. O corpo da criaça vai sendo violado por um conjunto de regras

sócio-econômicas que sufoca, domestica, oprime, reprime, “educa”.” “Die biologische

Abhängigkeit wandelt sich in kulturelle Abhängigkeit. Der Körper passt sich der

Kultur an. Wird mehr und mehr eine Stütze der sozialen Zeichen. Wird model-

liert als soziale Projektion. Die Institutionen übernehmen ihre Rolle….Es ist nö-

tig die sozialen Regeln zu erlernen. Es beginnt die Aufteilung. Es beginnt die Er-

ziehung. Der kindliche Körper beginnt, missbraucht zu werden durch ein sozio-

(25)

ökonomisches Regelwerk, welches ihn erstickt, domestiziert, bändigt, unter- drückt und „erzieht“.“

Es ist wichtig über, die Fragilität der Bindungen in einer Ehe nachzuden-

ken. Nochmals wird Bauman 2004 S.19, der weise aufzeigt, erwähnt: “a defini-

ção romância do amor como ‘até a morte nos separe’ está decididamente fora de

moda, tendo deixado para trás seu tempo de vida útil em função da radical alteração

das estruturas de parentesco às quais costumava servir e de onde extraía seu vigor e

sua valorização.” “Die romantische Definition der Liebe als “bis daß der Tod

Euch scheidet” ist definitiv aus der Mode gekommen, ihre Gültigkeitszeit hinter

sich lassend in Funktion der radikalen verwandtschaftlichen Strukturänderung,

der sie diente und aus der sie ihre Kraft und Berechtigung zog.“ Weiter in der

Untersuchung werden wir sehen, wie Paare im Jahre 2000 versuchen, Dritten

den Eindruck einer familiären Struktur des american way of life zu vermitteln,

selbst wenn sie in einem anderen familiären Kontext leben, wie z.B. den der

patch-work Familie. Bauman 2004, erklärt gemäßigt S. 45 daß “...nem mesmo os

casamentos, ao contrário da insistência sacerdotal, são feitos no céu, e o que foi unido

por seres humanos estes podem – e têm permissão para – desunir, e o farão se tiverem

uma oportunidade.” “...nicht einmal die Ehen, anders als die nachdrückliche

kirchliche Sichtweise, werden im Himmel geschlossen, und was vereint wurde

durch Menschenhand, kann – und hat die Erlaubnis – getrennt zu werden. Und

dieses wird auch geschehen, sobald sich die Möglichkeit ergibt.“

(26)

1 Problemstellung und theoretische Ansätze

Kulturelle und soziale Unterschiede werden stetig in einem Sozialkörper aufgebaut und abgebaut und führen somit zur De-Essenzialirierung der Kultu- ren, wobei sie als abgeschlossene und gesättigte Systeme innerhalb ihrer Bedeu- tungen gesehen werden (Bellier in Delanty, 2008 S.135). Bei der Definition ei- nes Konzeptes ist es sehr wichtig zu bedenken, daß die Bedeutungen nicht ex- trapoliert werden oder sich gar widersprechen. Es wurde nicht mit dem Begriff Ethnie in dieser Untersuchung gearbeitet, deren Untersuchungsobjekte zum einen die brasilianischen Immigranten in Deutschland und zum anderen, Deutsche, die mit Brasilianerinnen verheiratet sind, waren (Wie es zu diesen Eheschließungen kommen kann, wird im 2. Kapitel näher beschrieben). Es wurde in den Ausführungen die Redewendungen bi-kulturelle Ehe oder Ehe zwischen zwei Kulturen verwendet. An dieser Stelle wird das brasilianische Volk noch nicht als Angehöriger einer einzigen Ethnie betrachten. Nach Sökefeld in Schmidt-Lauber, (2008 S.31), “Ethnizität hat demzufolge damit zu tun, daß sich Menschen voneinander kollektiv unterscheiden. Ohne Differenz gibt es keine Ethnizität…Differenz ist nicht einfach die Ursache von Ethnizität. Menschen sind nicht einfach anders, sondern sie tun einiges, um sich von anderen zu un- terscheiden, „sich unterscheiden“ ist ein sehr aktiver Prozess.“

Untersuchungen, die das Thema „Ehe zwischen Kulturen, Ethnien, Na- tionen“ behandeln, werden seit 1920 (Thode-Arora, in Schlehe 2000) publiziert.

Diese Untersuchungen wurden ursprünglich in den Vereinigten Staaten getä-

tigt und handelten meistens von Eheschließungen der sogenannten WASP

Gruppe (White, anglo-saxon, protestant). Begriffe wie Zwischenheirat, interethni-

sche Heirat und interkulturelle Ehe werden benutzt. Die Begriffe Mischehe

oder „marriage mixte“ wird auf keinen Fall während der Ausarbeitung dieser

Untersuchung angewendet, da sie als zu ungenau erachtet wird. Normalerweise

werden sozialwissenschaftliche Begriffe angewandt: Ethnie, Ehe und Kultur. Es

wird hier nach der Begriffsdeutung der oben genannten Autorin: “Ethnie, eine

Kategorie von Personen, die sich fußend auf der Ideologie einer gemeinsamen

Abstammung und Kultur – von anderen Personenpluralen abgrenzt und/oder

von anderen als verschieden abgegrenzt wird, interviewt. Als Markierungen die-

ser Abgrenzung dienen bestimmte kulturelle Merkmale.“ (Thode-Arora in

Schlehe, 2000 S. 66). Zu welcher ethnischen oder kulturellen Gruppe ein Sub-

jekt angehört, wird von ihm selbst oder von der Gruppe anhand seiner Verhal-

tensweisen bestimmt. Es wurde diese Definition des Begriffes Ethnie für diese

Untersuchung ausgewählt, da sie auch als Synonym für nationale Herkunft ver-

standen werden kann.

(27)

Mittels einer Felduntersuchung in Franken wurde mit bi-kulturellen Ehe- paaren Interviews durchgeführt. Einige Paare waren zwar schon geschieden, hatten aber zu irgendeinem Lebenszeitpunkt Kinder in Deutschland erzogen.

Es wurden auch mit den Kindern dieser Paare Interviews durchgeführt, um ihre Bräuche, Wünsche, Ängste und Lebensperspektiven besser zu verstehen.

Auch, um einen Einblick zu bekommen, inwieweit die Bi-Kulturalität der Eltern eine Rolle in ihrem Leben überhaupt einnimmt.

Zu dem Thema Heiratsmigration (oder marriage migration) wurde nichts in der brasilianischen und sehr wenig in der deutschen Literatur gefunden. Ru- enkaew (2003) zeigt uns, daß wenn über bi-kulturelle Ehen oder Immigration geschrieben wird, diese Beziehungen mit Begriffe verbunden werden wie: Hei- ratshandel (Lipka, 185 apud Ruenkaew 2003), ‚Ware Liebe’ (Renscheler 1987 apud Ruenkaew 2003) und Frauenhandel (Launer 1991 apud Ruenkaew 2003).

Aber die Heiratsmigration als Frauenhandel zu degradieren, ist eine Deformie- rung einer speziellen Immigrationsmotivation. Literatur zum Thema Frauen- handel, wird im Allgemeinen, laut Launer (1991) apud Ruenkaew, (2003 S.13) gefunden in: a) Zeitungen und Zeitschriften; b) “grauer Literatur” (veröffent- lichte, aber kaum verbreitete Literatur von Hilfsorganisationen für Ausländer und Institutionen gegen Frauendiskriminierung ); c) wissenschaftliche Arbei- ten; d) vom deutschen Staat geförderte Studien und e) Studien, welche die vor- hergehenden Studien analysieren.

Diese Veröffentlichungen lassen Klischees, Stereotypen und Vorurteile entstehen über asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Frauen (ein- schließlich Brasilianerinnen) und deren Beziehungen zu deutschen Männern, da es sich hier nur um eine oberflächliche Betrachtung handelt. So werden aus- ländischen Frauen, die aus den verschiedensten Entwicklungsländern kommen, als Extreme dargestellt; entweder als Opfer oder als “Pistoleiras”*

3

. In einigen Fällen wird diesen Frauen sogar berufliche Unfähigkeit attestiert. Die Immigra- tion von Frauen unterliegt der Ideenvorstellung, daß alle Frauen aus Entwick- lungsländern nur deutsche Männer heiraten würden, um der Armut in ihrem Land zu “entfliehen”. Die deutschen Männer, die Frauen aus Entwicklungslän- dern heiraten, werden als losers (Verlierer) angesehen, oder als sexuell perver- tiert, da sie es nicht geschafft haben eine Frau aus dem eigenen Land zu heira- ten und sich deshalb „Sklavinnen“ aus armen Länder kaufen mussten. Die tat- sächliche Motivation aus der heraus solcher Verbindungen entstehen, werden

3 Pistoleira: abfällige Bezeichnung für Frauen, die eine Ehe eingehen, einzig und allein, aus finanzieller Berechnung. Unabhängig ob die finanziellen Vorteile aus dieser Ehe vor, während oder nach der Eheschließung in Anspruch genommen werden können (Unterhaltszahlungen und Erbschaften eingeschlossen). http://www.dicionarioinformal.com.br/definicao.php?palavra=pistoleira&id=4846 21.01.2011 17:46

(28)

nicht erkannt. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, daß jedermann zur Befriedigung seiner Bedürfnisse das optimale Produkt sucht, auch bezogen auf den Heiratsmarkt. Der deutsche Mann, wenn er sich für eine Frau aus einem Entwicklungsland entscheidet, sucht normalerweise eine Ehefrau, die sich ganz der Erziehung der Kinder und Pflege der Partnerschaft widmet. Die Auslände- rin hingegen, hier genauer die brasilianische Frau, sucht einen Mann, der die traditionelle Familienvaterrolle übernimmt. Sie sucht einen Partner, der die Rol- le des Ernährers übernimmt, damit sie sich nicht mehr um die finanzielle Absi- cherung der Familie (ihrer und der Kinder) sorgen muss. Diese Vorstellungen werden in unserer modernen Welt nicht mehr verbalisiert, was nicht bedeutet, daß sie inexistent sind

.

Brasilianische Literatur über Volkswanderungen beschränkt sich auf die Binnenmigration und auf die zwei wichtigsten Auswanderungsländer: Japan und den USA. Die Brasilianer wandern in diese beiden Länder aus, mit dem Ziel dort bis zur Erschöpfung als Gastarbeiter zu arbeiten, um dann erfolgreich nach Brasilien zurückzukehren. Viele Brasilianer gehen illegal in die USA und verrichten dort jegliche bezahlte Arbeit. Aktuell gibt es eine große Anzahl an Brasilianerinnen, die aufgrund einer Eheschließung in die USA auswandern.

Die meisten brasilianischen Emigranten sind aber Gastarbeiter. Die Immigrati- on nach Japan hat andere Gründe. Seit 20 Jahren durchleben die japanisch stämmigen Brasilianer den umgekehrten Weg ihrer Vorfahren. Sie kehren nach Japan zurück, um dort zu arbeiten. Ganze Dekassegui-Familien

4

emigrieren nach Japan, um die Arbeit zu verrichten, die den Inländer nicht mehr würdig er- scheint. Literatur über brasilianische Auswanderung in andere Länder ist so gut wie inexistent.

Schriftliches Material über die brasilianische Frau, die einen „Gringo

5

“ (Europäer oder Nordamerikaner) oder einen anderen ausländischen Mann hei- ratet und darauf emigriert, konnte nicht gefunden werden. Es wird vermutet, daß es andere Forscher gibt, die sich mit diesem Thema derzeit beschäftigen.

Was die internationale Presse über Frauen berichtet, die emigrieren, ist meis- tens verbunden mit den Schlagwörtern Entführung oder Prostitution. Über die- se Stereotypisierung wird an anderer Stelle in diesem Kapitel noch berichtet. Es ist sehr schade, daß keine Veröffentlichungen über die weibliche Heiratsmigra-

4 Dekassegui: Das Wort dekassegui (aus dem japanischen) bedeutet, wie Elisa Massae Sasaki, hat im deutschen die selbe Bedeutung wie das Wort “Gastarbeiter”, oder „Fremdarbeiter“, wörtlich übersetzt bedeutet es aber eigentlich „Arbeiter der auswärts arbeitet“. http://www.mte.gov.br/sgcnoticia.asp?

IdConteudoNoticia=7246&PalavraChave=jap%C3%A3o,%20casa%20do%20trabalhador,%20cgig,

%20imigra%C3%A7%C3%A3o 21.07.2010 19:47

5 Gringo, laut Ferreira, 2002, nennt man auf Portugiesisch einen weißen Ausländer. In Brasilien wird dieser Begriff auch angewandt für alle jene, die der portugiesischen Sprache nicht mächtig sind.

(29)

tion, als Phänomen der internationalen Völkerwanderung vorhanden sind. Die- ses Phänomen kann nur dann richtig interpretiert werden, wenn wir uns mit den sozialen Beziehungen der jeweiligen Länder näher befassen (hier: Brasilien und Deutschland).

Diese Arbeit möchte sich mit interkulturellen Ehen zwischen Brasilia- nern und Deutschen bzw. deren Kinder, die in Deutschland erzogen werden oder erzogen wurden, auseinandersetzen. Sie soll die Hintergründe erörtern, wie sich diese unterschiedlichen Welten verbinden, wie das Zusammenleben funktioniert und die Wirkung der Bi-Kulturalität auf die Kinder. Fragen wie: Wie werden die Entscheidungen im Alltag getroffen; welche Kriterien sind relevant für die Namensgebung der Kinder; wie werden die Mahlzeiten eingenommen;

wer bereitet sie vor; welche Sprache wird zwischen dem Ehepaar gesprochen;

welche wird mit den Kindern gesprochen; und letztendlich, wie wirkt dieser ganze bi-kulturelle Prozess auf die Identität der Kinder. In dieser Arbeit soll mehr als nur das Phänomen an sich betrachtet werden. Es soll hinter die Kli- schees über Ehen zwischen Gringos und Brazukas

6

geblickt werden.

Es ist von Interesse zu erfahren, wer diese Frauen sind, die ihr Heimat- land verlassen, um einen Deutschen zu heiraten. Was für ein Leben haben sie hinter sich gelassen? Warum fiel die Entscheidung auf einen Deutschen? Wie waren die ersten Erfahrungen auf deutschem Boden? Wer sind diese deutschen Männer, die eine Ehe mit Brasilianerinnen eingehen? Handelt es sich wirklich um alte, dicke, unansehnliche Männer mit geringer Schulausbildung, mit schlechtem beruflichem Stand und deshalb mit mäßigen Chancen auf dem deutschen Heiratsmarkt? Warum eine Heirat mit brasilianischen Frauen? Wie nähert sich das Paar an? Wie verhalten sich diese Familien in einem Alltag mit der ständigen Konfrontation zweier Kulturen? Bis zu welchem Punkt integrie- ren sich die Immigranten in die deutsche Gesellschaft? Wie sehen die Immi- granten ihre eigenen Kinder: sind sie ein Teil ihrer selbst oder versucht das bra- silianische Elternteil das Bild, das Verhalten, die Sprache des anderen Partners in die Kinder zu projizieren?

Um Antworten zu diesen Fragen zu erhalten, ist die Durchführung einer Feldforschung notwendig. Es wurde eine Feldforschung durchgeführt, eine di- rekte Konfrontation mit den sozialen Akteuren diesen speziellen Falles. Eine empirische Untersuchung über die Bindung der deutsch-brasilianischen Paare bzw. die Erziehung derer Kinder, war der Weg, um dieses Phänomen zu verste- hen. Die gesammelten Daten werden im 5. Kapitel dieser Arbeit präsentiert und

6 Der Begriff Brazuka, stammt aus dem aus USA immigrierten Personenkreis. Der Begriff wurde Standard und heute bezeichnen sich so die Brasilianer, die im Ausland wohnen, gegenseitig. (elektronische Biographie vom 22.07.2010)

(30)

diskutiert. Die Heiratsmigration (marriage migration) ist ein Prozess, bestehend aus verschiedenen Phasen. Es ist sehr interessant zu beobachten, wie jeder ein- zelne Immigrant mit jeder einzelnen Phase zurechtkommt. Es wird durchaus klar, innerhalb der Felduntersuchung, daß eine Person mit Migrationserfahrun- gen (Binnenmigration), weniger Probleme hat beim Eingewöhnungsprozess im neuen Land.

1.1 Konstruktion der Identität und des Habitus

7

Bevor man sich mit dem empirischen Material über deutsch-brasiliani- sche Familien auseinandersetzt, ist es unumgänglich, zuerst dem Begriff der Identität zu widmen. Über Identität zu sprechen, heißt über einen ambivalen- ten und dehnbaren Begriff zu sprechen. Es können ähnliche, aber auch konträ- re Bedeutungen auftreten: der Gruppe gleichen oder anders sein als die Grup- pe. Diese beiden Bedeutungen können auf das Individuum bezogen werden – persönliche Identität – aber auch auf die Gruppe – Gruppenidentität (Jacobson- Widding 1983 S.13 apud Refsing in Breger, 1998 S. 195). Die persönliche Identi- tät wird vom Individuum anders erlebt, als von der Gruppe, in der er sich be- wegt. Wobei der individuelle Identitätssinn nicht gänzlich unabhängig von der Gruppe, in der er lebt, getrennt werden kann. Die eigenen persönlichen Gefühle hängen notwendigerweise vom Austausch mit der Kollektividentität ab. Je bes- ser sich die persönliche Identität an die Gruppenidentitäten, in denen er ver- kehrt, anpasst, je stärker wird diese persönliche Identität sein.

Wenn nun aber äußere Einflüsse auf die Identität einwirken, wie bei ei- ner interkulturellen Heirat oder einem Wohnortswechsel, wo völlig distinkte Kollektividentitäten dem Individuum begegnen, wird sich die persönliche Iden- tität nicht an die neue Gruppe anpassen. Die Diskrepanz der persönlichen und der kollektiven Identität der Umgebung können bei dem Individuum eine Iden- titätskrise auslösen. Diese Identitätskrise bedingt sich durch die Konfrontation des Individuums mit einem neuen Umfeld und den Menschen, die entspre- chend dieser neuen Identitätsmodelle agieren. Das Individuum muss seine Identität teilweise neu aufbauen, ohne den Zuspruch einer Kollektividentität zu erhalten, wie er es vorher gewohnt war. Dieser Prozess kann in einzelnen Fällen

7 Gabriel Vieira Noronha und Luiz Guilherme Burlamaqui Soares Porto Rocha verstehen Habitus als eine “eingebundene Eigenart” lt. ihrem Artikel in der Zeitschrift Habitus (elektronische Bibliographie http://www.ifcs.ufrj.br/~habitus/5eliasbourdieu.htm 04.09.2010 12:45). Die Autoren sehen ebenso, daß Max Weber einen sogenannten protestantischen Habitus thematisiert hat; Norbert Elias dachte an einen nationalen deutschen Habitus; Thorstein Veblen sinierte über einen “mentalen Habitus”

vorherrschend bei Unternehmer.

(31)

psychologische Probleme während der Eingewöhnungsphase im neuen Land hervorrufen.

Die traditionelle Rollenverteilung ist auf der Geschichte, der Sozialisie- rung, der Erziehung, dem Familiensystem, der sozialen Zugehörigkeit und an- derer sozio-kulturellen Bedingungen des Individuums aufbaut. Da die Ehefrau dem weiblichen Genus angehört, wird die Bestimmung der Rollenverteilung in- nerhalb der Paarung erleichtert, die Alltagsdynamik des Paares beeinflusst und damit verbunden die Kindererziehung. So wird die Ehefrau fast automatisch auf die Rolle des „provider of love and care“ festgelegt. In der traditionellen Rollenver- teilung ist die Festlegung der Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter dominie- rend. Brasilianische Ehefrauen erweisen sich innerhalb ihrer festgelegten tradi- tionellen Rolle, als sehr positive und angenehme Partnerinnen für die deut- schen Ehemänner. In den Aussagen der Männer zu den Interviewfragen gab es zwar keine Anzeichen des ausdrücklichen Wunsches nach der Unterwürfigkeit der Ehefrau, aber eine freudige Anerkennung der Freiheiten im Familienleben, da keine moralische Pflicht zur Mithilfe im Haushalt besteht.

Die Identität ist mit der genossenen Erziehung verknüpft. Es gibt nun mal Unterscheidungen in der Denkweise, der Gefühlsempfindung und der Um- gangsart mit Menschen oder Sachen bei den einzelnen Völkern und Kulturen.

(Hofstede, 1993). Der Autor schreibt weiter S. 18:

“Jeder Mensch trägt in seinem Innern Muster des Denkens, Fühlens und potentiellen Handels, die er ein Leben lang erlernt hat. Ein Grossteil davon wurde in der frühen Kindheit erworben, denn in dieser Zeit ist der Mensch am empfänglichsten für Lern – und Assimilationsprozesse. Sobald sich bestimmte Denk, Fühl – und Handlungsmuster im Kopf eines Menschen gefestigt haben, muss er diese erst ablegen, bevor er in der Lage ist, etwas anderes zu lernen; und etwas abzulenken ist schwieriger, als es zum ersten Mal zu lernen.“

Leite, (2007 S. 11) kommentiert, wie angenehm es ist, sich in der Ge- sellschaft von gleichgesinnten Paaren zu befinden:

“A participação em nosso grupo provoca sentimentos de segurança e bem-estar, pois supomos entender que os que falam a nossa língua têm um passado comum conosco, e também sabem o que esperar de nós. Mesmo quando nos desentendemos, sabemos porque isso ocorre, podemos esperar que nosso interlocutor acabe por nos entender e aceitar...No outro extremo, o estrangeiro provoca nossa desconfiança, às vezes o nosso medo. Nem sempre entendemos os seus gestos e certamente não compreendemos a sua língua. Ele não se veste como nós, a sua fisionomia pode ser diferente da nossa e não adora os nossos deuses.” “Die Teilnahme an unserer Gruppe gibt uns ein Gefühl der Sicherheit und des Wohlbefindens. Wir sprechen die gleiche Sprache und haben sicherlich gemeinsame Wurzeln. Die Gruppe weiß, was von uns zu erwarten ist. Selbst wenn ein Missverständnis aufkommen sollte, werden wir verstehen, wie dieses entstand.

Unser Gesprächspartner wird uns am Ende verstehen und einlenken…Anders der Ausländer, dieser weckt unser Misstrauen und manches Mal auch unsere Ängste.

Nicht immer verstehen wir seine Gestik und sicherlich verstehen wir nicht seine

(32)

Sprache. Er zieht sich anders an, seine Physionomie ist unserer oft fremd und er betet unsere Götter nicht an.“

Das Verhalten einer Person ist nur teilweise prädeterminiert. Abhängig von der Situation in der sich das Individuum befindet, kann das Verhalten, je nach Bedarf, geändert oder umprogrammiert werden. Die Quelle unseres men- talen Programms befindet sich in unserem sozialen Umfeld. Die Programmie- rung beginnt innerhalb der Familie und wird weiterentwickelt durch Kontakte mit Nachbarn, Schule, Paargruppen, Kontakte im Beruf und den verschiedenen Liebesbeziehungen (Freundschaften, Lebensgemeinschaften, Heirat, usw.). Die Kultur ist die mentale Software und zusammen mit der Identität bilden sie das soziale Phänomen, das mindestens mit einer Person aus dem gleichen sozialen Kontext geteilt wird oder im erlernten Umfeld ausgelebt wird. An diesem Punkt erklärt Bourdieu sehr gut, anhand des Habitus Konzeptes diesen Prozess: “Be- stimmte Daseinszustände erzeugen einen Habitus, ein System permanenter und übertragbaren Dispositionen. Ein Habitus... dient als Basis für Praktiken und Vorstellungen..., die sich ohne eigentlichen Dirigenten orchestrieren las- sen.” (mehr zu diesem Prozess an anderer Stelle)

Man muss Noronha (2008) zustimmen, der Bourdieus Gedanken erklärt:

“noções como a de habitus, de senso prático, de estratégia, estão ligadas ao esforço para sair do objetivismo estruturalista sem cair no subjetivismo”. „Begriffe wie Habitus, mit einem praktischen und strategischen Sinnbild, sind verbunden mit einem Ausdruck des Bemühens, um aus dem strukturalistischen Objektivismus hervorzukommen und nicht gleich in einen Subjektivismus hineinzufallen“.

Wir alle agieren in Funktion unseres Habitus, das wiederum unsere Handlungen führt. Wir befolgen aber den aufgestellten Strategien der Gesell- schaft (hier: deutsche oder brasilianische Gesellschaft), wobei der Mensch in der Lage ist, die aufgestellten Regeln in seiner sozialen Gestaltung umzustellen. Die sogenannten „verinnerlichten Äußerlichkeiten”, aufgestellte Strukturen einer Gesellschaft entsprechend den individuellen Bedürfnissen. Um also ein Habitus eines Individuums zu verstehen, ist es notwendig seinen persönlichen Lebens- weg zu verfolgen und gleichzeitig die Geschichte des Umfeldes in dem er sich bewegt mit zu verfolgen. Da es sich hier um bi-kulturelle Familien handelt, ha- ben wir hier zwei unterschiedliche Habitus, die sich begegnen und in denen Kinder erzogen werden. Das Ziel war es zu verstehen, ob und wie diese Kon- frontation geschieht und wie sie sich vollzieht. Wie die Eltern dem Habitus des jeweiligen Partners begegnen, um dann das Habitus des Kindes zu gestalten.

Bourdieu bezeichnet Habitus als ein Komplex von Denk- und Sichtweisen die

zur Bildung und Wiedergabe der Funktionsweise der Gesellschaft beiträgt. Ha-

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bitus wirkt auf Handlungsweisen unterstützend und wird von diesen ebenfalls unterstützt.

Kultur und Identität werden erlernt und nicht ererbt. Sie werden auf- grund unseres sozialen Umfeldes entwickelt, durch die Menschen, mit denen wir leben (im speziellen durch die Familie). Es ist keine Frage der Genetik. Die Identität der Nationalität, laut Götz in Giordano et al, entspricht dem Verhältnis der Personen zu ihrem Heimatland. Nardi

8

behauptet, daß die nationale Kultur im Allgemeinen ein Gemisch unterschiedlicher Subkulturen ist. Es gibt immer eine vorherrschende Kultur, aber auch sogenannte “Mitkulturen”, die sich zu- sammenfügen aufgrund charakterlicher Ähnlichkeiten der Subkulturen. Das Studieren und Definieren einer nationalen Kultur entspricht dem Bestimmen der einzelnen Elemente der unterschiedlichen Subkulturen und anhand jegli- cher Beziehung, die sie verbindet. Das Erkennen der Einzigartigkeit innerhalb der Vielfältigkeit, wissend, daß Aspekte vorhanden sind, welche keinerlei Ein- fluss auf die Einzigartigkeit haben werden, aber dies könne somit lokal oder iso- liert innerhalb der Struktur verbleiben.

Um den Identitätsbegriff zu verstehen, sollte man vorher den Begriff Mentalität einführen. Vester, (1998 S.10) stellt fest, daß beide Begriffe zusam- menlaufen und somit:

“...eine subjektive und eine objektive Seite haben. Die ‘objektive Seite’ sind die beschreibbaren (beobachtbaren, messbaren) empirische Phänomene, während mit

‚subjektiver Seite’ gemeint ist, daß Identität und Mentalität von ‚Subjekten’, d.h.

Menschen getragen werden, die sich dessen auch mehr oder weniger bewusst sind, bzw. denen dies prinzipiell bewusst gemacht werden kann.“

Die Individuen nähern sich, weil sie über eine gleiche Identität und Men- talität verfügen. Vester behauptet auch noch, daß Mentalität eher mit den Tie- fenschichten zu tun hat. Die wahre Identität der Individuen ist schwer zu erfas- sen. Sie könnten auf einen blinden Spiegel reflektieren oder gar selbst nicht über ausreichendes Licht verfügen, um eine geeignete Reflexion zu erschaffen.

Vester ergänzt: “der Blick in den Spiegel ist immer perspektivisch.”

Vester (1998) zitiert Kardiner (1939,1945) S. 20 und erklärt: „jede Kultur hat ‘primäre’ und ‘sekundäre Institutionen’“. Die primären Institutionen sind innerhalb einer Gesellschaft existierende Primärgruppen und familiäre Orga- nisationen, die die Praktiken der Aufzucht, Disziplinierung und Erziehung der Kinder sowie die Regeln und Tabus des Sexuallebens bestimmen (hierzu auch Mühlfeld 1975). Es ist wichtig zu beachten, was Vester abschießend sagt: „die spezifische Art, wie Kinder aufgezogen werden, trägt maßgeblich zur Entwick- lung der basic personality structure bei. Die ‚sekundäre Institutionen’ entstehen

8 http://www.apreis.org/docs/bresil/Cult_lang_bres_jBnardi_vp.pdf 07.09.2010 20:58.

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vor dem Hintergrund der primären Institutionen und sind Systeme, die sich von der grundlegenden Persönlichkeitsstrukturen ableiten. So werden in den sekundären Institutionen Bedürfnisse ausgedrückt und Mittel zu ihrer Befriedi- gung bereitgestellt.“

Pierre Bourdieu, mit seinem Konzept des Habitus, bietet einen mögli- chen Ausgangspunkt für die soziologisch-theoretische Präzisierung der Begriff- lichkeiten der kollektiven Identität und der Mentalitäten. Man muss sich be- wusst sein, daß Bourdieu seine Grenzen hat und nicht alle Antworten bieten kann zur Theorie des Sozialverhaltens oder der Gesellschaft. Auf jeden Fall kann Bourdieu, besser als jeder andere, die Verbindungen zwischen der Makro- und der Mikrogesellschaft interpretieren, anhand des individuellen Verhaltens, Handelns, Denkens, Fühlens einerseits und der Strukturen der Gesellschaft und Kultur anderseits. Bourdieus Konzept erlaubt die Möglichkeit der soziologi- schen Verankerung in den Netzen und der Relationen sozialer Strukturen.

Der zentrale Begriff Bourdieus ist der Habitus. Er versteht den Habitus als eine Vermittlungsinstanz zwischen Klassenlagen und sozialen Positionen einer- seits und Handlungen, Präferenzen, Geschmäckern, Wahrnehmungsweisen und Entscheidungen der Individuen anderseits. Der Habitus ist Teil des Kollek- tivbewusstseins und des Unterbewusstseins. Vester, (1998) stellt außerdem fest, daß der Habitus dinglich ist, d.h., er ist verkörpert und inkorporiert. Der Habi- tus drückt sich sensorisch aus über die Körperhaltung, Gestik und Mimik, Ge- schmack (guter Geschmack oder intellektuelle Präferenz oder Verabscheuen).

Habitus ist ein theoretisches Konstrukt, gleichzeitig aber ein empirisches und greifbares Phänomen. Der Habitus formt das Individuelle und das Individuum (Lebenskünstler und sozialer Akteur). Das Individuum ist eine überindividuelle Angelegenheit, ein sozialer Fakt (fait social), und kann anhand des Umfeldes, in- dem es erzogen wurde, erklärt werden. Der Habitus entspricht einer Gedanken- und Empfindungsstruktur, die in Beziehung zum Schulalltag gesetzt wird, d.h.

mit dem Klassifizierungssystem, den Kriterien und den Strategien der Schule.

Der Habitus kann auch noch als Empfindungs- und Verhandlungsplattform ver- standen werden, die unbewusst und objektiv ist und die den Mitgliedern eines Kollektivs gemein ist. Die Mitglieder eines Kollektivs / Gruppe, die im sozialen Raum ähnlich positioniert sind, haben mithin einen gemeinsamen Habitus.

Eine Gruppe ist identifizierbar aufgrund ihres Habitus, da der Habitus sichtbare Verkörperungen hat. Das wichtigste ist das Erkennen des Maßgeblichen in der Gruppe.

Abschließend ist zu sagen, daß die Position eines Individuums, seine

Identität und Mentalität erst durch die Relationen zu kollektiven Positionierun-

gen, Identitäten und Denkweise möglich werden. Bourdieu sieht den Habitus

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