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Archiv "Hartmannbund: Nein zur Sterbehilfe" (07.06.1996)

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M

ehrere Jahre lang hatte man kaum etwas gehört von Pe- ter Singer. Doch jetzt sind die umstrittenen Thesen des Bioethikers wieder in aller Munde.

Anlaß für die erneute Diskussion war eine Einladung zu einem Kongreß des Heidelberger Instituts für systemi- sche Forschung. Dort wollte der De- puty Director des Centre for Human Bioethics an der Monash University von Melbourne (Australien) erläu- tern, warum seiner Ansicht nach die

„traditionelle Ethik zusammengebro- chen“ sei. Massive Proteste von Be- hindertenorganisationen und Politi- kern führten jedoch dazu, daß Singer wieder ausgeladen wurde. Der Philo- soph, der sich schließlich von Erlan- gen aus dem Kongreß zuschalten ließ, zeigte sich „überrascht“ über die Re- aktionen in Deutschland. Dabei lö- sten seine Ansichten bereits vor Jah- ren eine heftige Diskussion aus.

Zur Erinnerung: In einer Be- trachtung über aktive und passive Sterbehilfe (Deutsches Ärzteblatt, Heft 16/1990) hatte seine Mitarbeite- rin Helga Kuhse den „bioethischen“

Standpunkt, der zwischen „lebens- wertem“ und „lebensunwertem“ Le- ben unterscheidet, vorgestellt. Für Patienten, die für immer das Bewußt- sein verloren haben, oder für Kinder, die ohne oder fast ohne Gehirn zur Welt gekommen sind, habe das Leben keinen subjektiven Wert. Es bestehe daher normalerweise kein patienten- bezogener Grund, diese Menschen am Leben zu erhalten. Einen aufge- klärten Patienten solle ein Arzt dann sterben lassen, wenn vom Gesichts-

punkt des Betroffenen her sein durch unheilbares Leiden bestimmtes Le- ben nicht mehr lebenswert sei. Der Beitrag hatte eine Flut von Leserbrie- fen ausgelöst (Hefte 37 und 38/1990), in denen vor allem die Begriffe „le- benswert“ und „lebensunwert“ auf Kritik stießen.

„Zusammenbruch der traditionellen Ethik“

Seine „Auseinandersetzung mit einigen Aspekten der Ethik der Un- antastbarkeit des Lebens“, die er in Heidelberg vortragen wollte, stellte Singer jetzt in der Zeitschrift „Uni- versitas“ vor:

Die traditionelle Ethik der Unan- tastbarkeit des Lebens habe das Den- ken und die Entscheidungen der Men- schen fast zweitausend Jahre lang be- stimmt. Heute sei sie an einem Punkt angelangt, an dem sie zusammenzu- brechen drohe, schrieb der Philosoph.

Er beruft sich dabei auf die Ent- wicklung der Rechtsprechung in meh- reren Ländern. So habe im Februar 1993 das höchste britische Gericht

„viele Jahrhunderte traditionellen Rechts und medizinischer Ethik über Bord“ geworfen, als es im Fall des im Koma liegenden Anthony Bland er- laubte, „Maßnahmen zu ergreifen, die ausdrücklich darauf zielten, dessen Leben zu beenden“.

1993 habe das niederländische Parlament ein Gesetz verabschiedet, nach dem holländische Ärzte jenen Patienten letale Injektionen geben dürfen, „die unerträglichen Leiden

ohne Aussicht auf Besserung ausge- setzt waren und um Sterbehilfe er- suchten“. Und im März 1996 schließ- lich habe ein Federal Appeal Court der USA das Verbot der Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt.

Diese Ereignisse seien „nur sicht- bare Erschütterungen, die tiefgrei- fende Veränderungen im Kern der westlichen Ethik anzeigen“. Die Hal- tung gegenüber der Unantastbarkeit menschlichen Lebens ist nach Ansicht Singers gegenwärtig einem Verände- rungsprozeß unterworfen. Der Fak- tor, „der uns am stärksten zum Wan- del treibt, ist unser wachsendes menschliches Können, Menschen am Leben zu erhalten“. Deshalb könne die Ethik der Vergangenheit nicht länger aufrechterhalten werden. So sei der Hirntod bereits als ein Kriteri- um für den Tod des Menschen akzep- tiert worden. „Dieser Wandel in der Definition des Todes bedeutet, daß man unter Umständen warmen, pul- sierenden menschlichen Wesen keine weitere medizinische Hilfe gewährt.“

Im Fall des 17jährigen Tony Bland, der 1989 in einem Stadion in Sheffield in ein Massengedränge ge- raten war und dessen Gehirnteile, die mit Bewußtseinsfunktionen verbun- den sind, unwiederbringlich zerstört waren, hätten die britischen Gerichte

„realistisch genug“ festgestellt, daß Blands Leben nicht „lebenswert“ war.

Der Fall Bland habe das britische Ge- richt dazu gebracht, den Begriff der Lebensqualität statt den der Unan- tastbarkeit des Lebens als Grundlage von Entscheidungen zu akzeptieren.

Ein weiterer Bestandteil der

„neuen“ Ethik ist für Singer das

„Bedürfnis nach größerer Entschei- dungsfreiheit über unser Leben“. So zeigten Umfragen in den Niederlan- den, daß 80 Prozent der holländischen Bevölkerung die gegenwärtige Rege- lung befürworten. Singer geht davon aus, daß andere Länder deswegen dem Beispiel der Niederlande folgen werden.

Für die meisten Gegner Singers stellt sich die Frage, ob seine Thesen überhaupt diskutabel sind. Der quer- schnittgelähmte Münchner Organisa- tionsberater Claudio Kürten ließ sich jedenfalls auf eine Diskussion ein.

„Stimmt überhaupt die Richtung all der Fragen nach der Qualität und dem A-1508

P O L I T I K AKTUELL

(16) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 23, 7. Juni 1996

Diskussion um den Philosophen Peter Singer

Widerstand gegen eine „neue“ Ethik

Einen Sturm der Entrüstung löste die Einladung des Philosophen Peter Singer zu einem Kon-

greß in Heidelberg aus. Geplant war unter anderem eine kontroverse Debatte zu den The-

men Euthanasie und Lebensrecht schwerstbehinderter Säuglinge. Proteste von Behinderten-

organisationen und Politikern führten schließlich dazu, daß Singer wieder ausgeladen und

dem Kongreß lediglich aus Erlangen zugeschaltet wurde. Die Gegner des Bioethikers werfen

ihm vor, fünfzig Jahre nach den Nürnberger Ärzteprozessen erneut zum Töten aufzurufen.

(2)

Wert von Leben, den wir erwarten?

Muß nicht die Frage aller Fragen um- gekehrt lauten: Welche Antworten haben wir für und mit den Menschen, die mit gesundheitlichen Einschrän- kungen zur Welt kommen oder die damit zu leben haben? Kann die Ant- wort wirklich lauten: Nichtsein ist besser als ein Leben mit Einschrän- kungen?“ fragte Kürten in „Universi- tas“.

Auch der Vizepräsident der Bun- desärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe, ist der Ansicht, daß man sich mit Singer auseinanderset- zen sollte. In einer freien Gesellschaft müsse man alle Meinungen zu Wort kommen lassen, die innerhalb der all- gemeinen Moral liegen; man dürfe dabei niemanden verletzen und keine Ideen verfolgen, die mit der Verfas- sung nicht in Einklang sind, sagte er in einem Interview.

Singers Thesen bezeichnete Hoppe als „verführerische Argumen- te, die auf das Mitleidsgefühl zielen, nicht auf das Mitleid mit den Betrof- fenen, sondern auf das Mitleid mit den Leuten auf der Beobachterseite, die das Leid nicht aushalten können.

Denn diejenigen, um die es sich han- delt, sind meistens subjektiv nicht mitleidsbedürftig. Die leben so, wie sie leben, gerne und zufrieden.“

Das Heidelberger Institut für sy- stemische Forschung und die Interna- tionale Gesellschaft für systemische Therapie, die Veranstalter des Kon- gresses, erläutern in einer Pressemit- teilung, warum sie Singers Einladung für gerechtfertigt hielten. Sie vertre- ten die Ansicht, daß Leben und Tod nicht mehr allein biologisch bestimmt seien. „Längst wird der Tod eines Menschen nicht mehr nur festgestellt, sondern Menschen werden ,für tot‘

erklärt, obwohl ihr Herz noch schlägt.“ Ein semantischer Trick, um zu kaschieren, daß hier de facto zwi- schen „lebenswertem“ und „lebens- unwertem“ Leben unterschieden werde. „Die Frage, wer leben darf und wer nicht, die Herr Singer stellt, wird alltäglich in Kliniken praktisch entschieden.“ So werde beispielswei- se ein großer Prozentsatz der jedes Jahr in Deutschland durchgeführten Abtreibungen wegen pränatal dia- gnostizierter Behinderungen vorge- nommen.

„Der Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß all die Be- stialitäten der Nazi-Zeit auch deshalb stattfinden konnten, weil in Deutsch- land die Meinungsfreiheit nicht genü- gend geschützt wurde“, heißt es wei- ter. Langfristig seien Behinderte in ei- ner Gesellschaft ohne geschützte Meinungsfreiheit gefährdeter als in einer Gesellschaft, in der die Mei- nungsfreiheit unabhängig von den vertretenen Inhalten als hoher Wert betrachtet wird. Die Veranstalter be- dauern deshalb die Ausladung Sin- gers. „Allein die Abwägung der zur Debatte stehenden Werte rechtfertigt unsere Entscheidung“, teilten sie mit.

Doch gerade die Behinderten- verbände wollen keine neue „Eu- thanasie-Diskussion“. Die Deutsche Behindertenhilfe Aktion Sorgenkind e.V. schreibt: „Zu sehr fühlen sie sich an die Nazi-Ideologie vom ,unwerten Leben‘ erinnert. Sie werfen den soge- nannten Bioethikern vor, Menschen, die nicht den Leistungsnormen der Gesellschaft entsprechen, das Le- bensrecht abzusprechen. Sie fürchten, daß hier im Gewande einer scheinbar vorurteilsfreien Diskussion altes Eu- thanasie-Gedankengut wieder salon- fähig gemacht werden soll.“

Unterstützung finden die Behin- dertenverbände auch bei Politikern.

„Mit Entschiedenheit treten wir Sin- gers These entgegen, daß das mut- maßliche Glück des Kindes und sei- ner Eltern Meßlatte für die Zumes- sung des Lebensrechts ist. Singer be- fürwortet die Tötung behinderter Un- geborener, Neugeborener und Er- wachsener, die sich selbst ,nicht als über die Zeit hinweg existierend wahrnehmen‘. Dies bedeutet, daß für ihn das Lebensrecht kein Menschen- recht ist, das jedem allein deshalb zu- steht, weil er Mensch ist“, betonen die CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe, Dr. Peter Liese und Peter Altmaier.

Das Europäische Parlament in Straßburg hat mit einer von Christ- demokraten, Konservativen und Grünen verabschiedeten Resolution Singers Thesen ebenfalls zurückge- wiesen. Das Parlament wendet sich in der Entschließung vor allem gegen die Aussage, „daß neugeborene Kin- der und behinderte Menschen kein uneingeschränktes Recht auf Leben haben“. Gisela Klinkhammer

A-1509

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 23, 7. Juni 1996 (17)

Hartmannbund:

Nein zur Sterbehilfe

Der Hartmannbund hat ge- meinsam mit dem „Niederländi- schen Ärzteverband“ (NAV) die Aktion „Europa gegen die Eu- thanasie“ ins Leben gerufen. Zu viele Tabus seien bereits durch die intensive Diskussion über aktive Sterbehilfe gebrochen worden.

Beide Verbände befürchten, daß auf diese Weise die Euthanasie durch die Hintertür gesellschafts- fähig wird.

„Der Arzt ist verpflichtet, Le- ben zu erhalten“, betonte Dr. med.

Hans-Jürgen Thomas, Vorsitzen- der des Hartmannbundes. Die Aushöhlung dieses Prinzips ge- fährde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Es gel- te am strikten Tötungsverbot fest- zuhalten. Daneben müßten Pallia- tivmedizin und Schmerztherapie weiterentwickelt werden, um dem Patienten das Leben so lange wie möglich erträglich zu machen. Ein

„Ja“ zu dieser Form der humanen Sterbebegleitung bedeute aber gleichzeitig ein „Nein“ zu jeder Form der Sterbehilfe.

Dr. med. K. J. Pieter Haas- noot, Vorsitzender des Niederlän- dischen Ärzteverbandes, bedauer- te das positive „Euthanasie-Kli- ma“ in den Niederlanden. Die ge- setzlichen Regelungen zur aktiven Sterbehilfe seien dort bereits aus dem Ruder gelaufen. Eine ähnli- che Entwicklung zeichne sich auch in Staaten wie den USA und Au- stralien ab. Der NAV mit seinen 600 Mitgliedern, der für ein rigides Tötungsverbot eintritt, bekleide in den Niederlanden bereits eine Minderheitenposition. Dort sind einer Umfrage zufolge nur noch zwölf Prozent der Ärzte gegen Euthanasie. Dabei könne es keine objektiven Kriterien dafür geben, ob und wann ein Patient sterben soll. „Heute hat man diesen Grund zu töten, morgen hat man viele mehr“, so Haasnoot. Das sei das Gefährliche an der Tendenz, beste- hende Verbote zu lockern. EB

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