Umwelt rauf, Gesundheit runter
In der praktischen Politik wird der neue Umweltminister, Wal- ter Wallmann, im noch verblei- benden Rest der Legislaturperio- de nicht mehr viel ausrichten können. Die Einrichtung eines Ministeriums für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit und dessen Besetzung mit ei- nem angesehenen Politiker, der seine Aufgaben bisher gemei- stert hat, bedeutet eher ein poli- tisches Signal.
Die Bundesregierung hat zudem im psychologischen Krieg um die Kernenergie einen geschick- ten Schachzug getan: Während nämlich die Oppositionsparteien den Auszug aus der Kernenergie klar (die „Grünen") oder andeu- tungsweise (die SPD) prokla- mieren und somit den radikalen Schritt zu mehr Sicherheit in Sa- chen Kernenergie fordern, fech- ten die Regierungsparteien für die Nutzung der Kernenergie. Da ist es gut, zugleich auf maximale
Sicherheit zu achten, und es ist noch besser, da nicht viel verbal zu beteuern, sondern sichtbar etwas zu tun. Die Ernennung ei- nes Umweltministers ist also die Antwort der Bundesregierung auf die radikale Forderung nach dem Ausstieg.
Rita Süssmuth hat aus ihrem Haus einige gesundheitspoli- tisch relevante Referate an das neue Umweltministerium abtre- ten müssen. Ihr ist statt dessen eine gewisse Kompetenz, deren Bedeutung heute noch nicht ge- nau ermessen werden kann, in Frauenfragen zugewachsen. Das wird ihren bisher an den Tag ge- legten Neigungen entsprechen.
Für die Gesundheitspolitik unter der christlich-liberalen Koalition sind aus der Umverteilung zwei Schlußfolgerungen zu ziehen:
1. Der Sektor Gesundheit des Blindesministeriums für Ju- gend, Familie und Gesundheit, dessen Name jetzt um den be- deutenden Zusatz „Frauen" er- weitert wird, verliert weiter an Bedeutung. Und 2. Träume von einem starken Gesundheitsmini- sterium, in dem alle gesundheits- relevanten Referate einschießlich Umweltschutz zusammenzufas- sen wären, können endgültig be- graben werden. NJ DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
IPPNW
zivilen Katastrophenschutz", er- klärte Rau wörtlich. Nur dürften zivile Katastrophenmedizin und militärmedizinische Überlegun- gen nicht vermischt werden, wie das zuweilen unter dem Stich- wort „Katastrophenmedizin" ge- tan werde, und zwar — so Rau —
„gewollt oder ungewollt".
Einen der wichtigsten Streit- punkte zwischen der „Sektion BRD" der IPPNW, die daraus die Verweigerung der Fortbildung in Katastrophenmedizin ableitet, und den sogenannten „Standes- organisationen'', die gerade auch angesichts von Tscherno- byl auf Zivilschutz bestehen (sie- he dazu auch das „Post scrip- tum" in diesem Heft auf Seite 1814), den hat also auch Johan- nes Rau nicht verstanden. Denn so „ungewollt" kommt die IPPNW ja nicht immer wieder mit dem Vorwurf von der „Kriegsme- dizin".
Die Fortsetzung dieses Streits betrieben Dr. Till Bastian (ge- schäftsführendes Vorstandsmit- glied der Sektion BRD) und ins- besondere Dr. Wilfried Beck von der Arbeitsgemeinschaft Demo- kratischer Ärzte (er ließ sich im Referentenverzeichnis als „Lan- desärztekammer Hessen" auf- führen, deren Delegiertenver- sammlung er ja auch angehört — als seien nicht sämtliche in Köln anwesenden westdeutschen Ärz- te Mitglieder ihrer jeweiligen Ärztekammer!).
Eigentlich dürfte auch nur von diesem Streit hier die Rede sein, denn alles andere ist doch wohl allgemeine Politik (oder Rü- stungs-, Abrüstungs-, Außen- und gar Parteipolitik), für die das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT kein Mandat hat. Aber hier zeigte sich eben, was alles unter der IPPNW-Flagge segelt: Unter dem Thema „Medizin und Obrigkeit"
wurde die angebliche Militarisie- rung der Bundesärztekammer
„nachgewiesen", die sich unter anderem daran ablesen lasse, daß der BÄK-Ausschuß für das
Sanitätswesen sogar einen der Vizepräsidenten als Vorsitzen- den hat und daß ein geschäfts- führender Arzt ein ehemaliger Sanitätsoffizier ist (!). Immer wie- der seien Anregungen für die Zu- sammenarbeit „mit dem Militär"
von der „Standesführung" aus- gegangen, und der Deutsche Ärztetag habe immer wieder Be- schlüsse zur Katastrophenmedi- zin und zum Zivilschutz gefaßt.
Natürlich wurde auf dem Kölner Kongreß auch das Thema „Medi-
zin im Nationalsozialismus" wie- der einmal „aufgearbeitet". Und bis hin zu den technischen Ein- zelheiten von SDI wurde über Nicht-Medizinisches referiert und diskutiert. Selbst die Kinder mußten zum Mißbrauch herhal- ten; der Berliner Privatdozent Dr.
Horst Petri berichtete über eine Befragung von 3500 Neun- bis Achtzehnjährigen: rund die Hälf- te der Befragten habe vor einem Krieg mehr Angst als vor allem
anderen
—Friedensliebe? oder
Psychoterror? gb
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 24 vom 11. Juni 1986 (19) 1751