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Archiv "Befinden" (19.08.2005)

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durch die Herkunft seiner Frau moti- viert. „Aber es ging vor allem um Be- rufsethos und Lebensanschauung, näm- lich Menschen, die in Not sind, zu hel- fen“, sagt Seibt. Die kleine Kommuni- stische Partei von Honduras unterstütz- te das Anliegen der Seibts und verwies in Ostberlin auf den Ärztemangel. „Pa- pierkram und Bürokratie dauerten fünf Jahre. 1979 konnten wir dann nach Honduras ausreisen.“

Der Start war hart und nass. In seinem Praktischen Jahr arbeitete Seibt in einer staatlichen Klinik, in der Regenzeit zu- weilen in Gummistiefeln. „Die Notauf- nahme stand unter Wasser. Es fehlte an allem“, erinnert sich der Gynäkologe.

Als er Mitte der 80er-Jahre auf einem Weltkongress im Berliner ICC mit Mün- chner Oberärzten fachsimpelte, lächel- ten manche über ihn. „Ich schilderte, wie Frauen mit Querlage und gerissener Ge- bärmutter viele Stunden vom Gebirge in die Klinik getragen wurden, meist in der Hängematte.“ Das sei meist das To- desurteil. „Ich konnte in solchen Situa- tionen Menschenleben retten, nicht nur einmal.“ Er fügt hinzu: „Die Kollegen aus München dachten wohl, ich hätte ei- nen Tropenkoller, als ich das erzählte.“

Vor einigen Jahren pries ein deut- scher Koch in La Ceiba Seibt als Le- bensretter. Dieser meinte, darauf ange- sprochen: „Ich tue meinen Job. Es war Denguefieber, gefährlich. Aber wir ha- ben es geschafft.“ Auch andere Tropen- krankheiten wie Malaria behandeln Seibt und seine Kollegen im „Eurohon- duras“. Viele Einheimische leiden an Anämie. Falsche und unzureichende Er- nährung führt zu Eisenmangel. Seibt ist stolz, dass die Klinik Erfolge in der Zy- tologie und ein eigenes Programm zum Krebstest entwickelt hat – einen Test, den sich auch arme Patientinnen leisten können. Je nach Bedürftigkeit zahlen sie zwischen 20 Cent und sieben Dollar.

Seibts Tochter Silvia (37) ist für die Verwaltung der Klinik verantwortlich.

Sie sagt: „Ich kümmere mich zum Bei- spiel auch um die Einstellung von Kran- kenschwestern.“ Die Agrarökonomin hat auf Administration und Datentech- nik umgesattelt. Ihre Schwester Anaite (41) hat Betriebs- und Politikwissen- schaften studiert. Heute ist sie im Ökotourismus engagiert und arbeitet in verschiedenen Entwicklungshilfeprojek-

ten in Honduras mit, das zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas gehört.

Heute ist Sonntag, Familientag. Die Seibts sind in ihrem Ferienhaus in den Bergen, knapp eine Autostunde von La Ceiba entfernt. Die Familie, die hier viel Land besitzt, hat in den letzten Jahren mehr als 10 000 Bäume gepflanzt. Die Stimmung ist ausgelassen. Die vier En- kelkinder sind da, auch die beiden Schwiegersöhne, einer ist Honduraner,

der andere Franzose. Tesla Seibt erzählt von alten DDR-Zeiten. Dann wird sie nachdenklich und sagt: „Schade, dass Ost und West noch nicht besser zusammen- gewachsen sind und dass es noch so man- ches Vorurteil auf beiden Seiten gibt.“

Vater Seibt mahnt zum Aufbruch, er will im Stadthaus schlafen. „Ich muss früh raus. Es kommen neue Patienten, und ich habe zwei Operationen.“ Kontakt: euro honduras@cari-be.hn. Bernd Kubisch T H E M E N D E R Z E I T

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A2220 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 33⏐⏐19. August 2005

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ie ein Rückfallfieber kommt die Schwester mit den frechen Neffen wieder vorbei. „Wie geht’s dir denn, Onkel Thomas?“ Da diese Frage einem Arzt so gut wie nie gestellt wird, hat sie einen akuten Verwir- rungszustand meinerseits zur Folge. Noch während ich mit meiner daraus re- sultierenden motorischen Aphasie beschäftigt bin, setzt der Neffe nach: „Nu sag doch mal frei von der Leber weg, wie geht’s dir denn?“ Diese wesentlich präziser gefasste Frage nach meinem Befinden kann ich wiederum befriedi- gen: Meine Glutamat-Oxalat-Transaminase liegt mit 18 Units pro Liter im normalen Aktivitätsbereich. „Mit 18 kriegt man normalerweise den Führer- schein, ist der bei dir eigentlich noch aktiv, oder hast du den schon abgeben müssen, Onkel Thomas?“, fragt der andere Neffe. Ich versuche, das Thema wieder auf den Ausgangspunkt zu lenken und lasse die Neffen wissen, dass meine J-Punkt-Depression mit 0,1 Millivolt bei einer Belastungsstufe von 125

Watt im Toleranzbereich liegt. „Bist du ganz und gar depressiv? Ist das wirk- lich wahr?!“, hakt der ältere Neffe nach. Ich beruhige ihn mit der Feststellung, dass meine intraneuronalen Serotoninspeicher durchaus nicht entleert seien.

„Ist voll gut, Onkel Thomas, erzähl nur weiter, wie es dir geht!“, ermuntert mich der Neffe. Mittlerweile bin ich doch ganz gerührt ob dieser intrafami- liären interindividuellen hinreißend anteilnehmenden Fürsorge. Endlich ein Mensch, der versucht, meine leckgeschlagene medizinische Seele zu hinter- fragen . . . sich der vielen klaffenden Wunden annimmt, die der tägliche Kampf zwischen Medizinalbürokratie, Patientenansprüchen, juristischen Ver- folgungen, Burn-out-Symptomen und Regressforderungen in meinem Her- zen hinterlässt . . . meine Glandula lacrimalis fängt an zu sezernieren, mit Trä- nen in den Augen erläutere ich dem Neffen, dass meine Neigung zum Maras- mus nicht auf einer hereditären Stoffwechselanomalie beruht . . . trotz einge- schränktem Visus infolge Tränensekretion entgeht meinem differenzialdia- gnostisch geschulten Auge nicht, dass der Neffe eifrig mitschreibt. Merkwürdiges vermutend spreche ihn dar- auf an. „Ach, nichts, Onkel Thomas, nichts, wirklich nichts.“ Es könnte ein psychotherapeutisch bedeutsa- mer Schreibzwang vorliegen, also lasse ich nicht locker, vielleicht braucht der Neffe meine Hilfe. „Onkel Tho- mas, ich schreibe nur deine Antworten mit. Die erzähl’

ich morgen meinem Lehrer, dann krieg’ ich zwei Wochen schulfrei. Mindestens!“ Thomas Böhmeke

Befinden

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