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Archiv "Wirksamkeit und Risiken der Streßblutungsprophylaxe" (29.08.1988)

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MacDoug (78) Halloran (80) Lorenz (80) Zinner (81) Basso (81) v Essen (85) Pinilla (85) Groll (86) 60

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40

30

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Abbildung 1: Häufigkeit sichtbarer Streßblutungen ohne medikamentöse Prophylaxe un- ter Berücksichtigung des Untersuchungszeitraums

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

UR FORTBILDUNG

Michael Tryba

Streßblutungen sind heute selten geworden. Ursache ist nicht nur die medikamentöse Prophylaxe, sondern auch eine effektivere intensivmedizinische Therapie. Nicht je- der Patient auf einer Intensivstation benötigt eine medi- kamentöse Prophylaxe. Da diese selbst mit Nebenwir- kungen verbunden sein kann, gilt es, die Patienten, die einer Prophylaxe bedürfen, und die geeignete Prophyla- xeform auszuwählen.

Wirksamkeit und Risiken der

Streßblutungsprophylaxe

treßinduzierte Läsionen des oberen Gastrointe- stinaltraktes sind eine typische Komplikation der Intensivbehand- lung. Im Vergleich zu Patienten, die keine Streßblutung entwickeln, fin- det sich bei solchen mit Streßblutung eine deutlich höhere Letalität (49).

Der letale Ausgang der Intensivbe- handlung wird jedoch nur in selte- nen Fällen durch die Streßblutung bestimmt. Vielmehr ist diese häufig ein weiteres Zeichen des Multi- organversagens.

Endoskopisch sichtbare Erosio- nen der Magenmukosa finden sich schon nach wenigen Stunden bei der Mehrzahl schwerkranker Intensiv- patienten (37). Sie heilen jedoch in der Regel innerhalb weniger Tage folgenlos ab. Erst die makrosko- pisch sichtbare Blutung jedoch er- fordert diagnostische und/oder the- rapeutische Beachtung. Behand- lungsbedürftige Blutungen mit Hb- Abfall entwickeln sich bei 10 bis 30 Prozent sichtbarer Blutungen und gefährden den durch seine Grunder- krankung bedrohten Patienten zu- sätzlich.

Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie (Direktor: Prof. Dr. med. Michal Zenz), Berufsgenossenschaftliche Kranken- anstalten ,,Bergmannsheir ' Bochum

Ursprung multifaktoriell

Der pathogenetische Ursprung der Streßläsion ist multifaktoriell.

Störungen der Mikrozirkulation durch Schock, Hypovolämie, Hypo- tension oder Hypoxie führen zum Zusammenbruch der Mukosabarrie- re (36,50). Häufigkeit und Schwere von Streßblutungen stehen in direk- ter Korrelation zur Schwere des Schocks und der daraus resultieren- den Mikrozirkulationsstörung (1, 26, 37, 47). Begünstigt werden Blu- tungen durch die bei vielen Patien- ten gleichzeitig bestehenden schwe- ren Gerinnungsstörungen sowie

durch die längerfristige Gabe von Kortikosteroiden oder nichtsteroi- dalen Antirheumatika. Ein saurer Magensaft scheint im Gegensatz zu früher geäußerten Ansichten die Häufigkeit von Streßblutungen nicht entscheidend zu beeinflussen (5, 43, 44).

Risikopatienten

Die Wahrscheinlichkeit einer Streßblutung steigt in direktem Zu- sammenhang mit der Schwere der Grunderkrankung. Eine besondere Häufung findet man bei Patienten mit Multiorganversagen (3, 25, 44,

Dt. Ärztebl. 85, Heft 34/35, 29. August 1988 (49) A-2361

(2)

Tabelle 1: Prospektive Studien zur Streßblutungsprophylaxe mit Pirenzepin Patienten

Autor n Pirenzepin Vergleich

Dosis/mg makroskopische Blutung (%)

Medikament/Dosis

22 30 0 63,6*

28 110 55 224

30-90 30-60 40

40 0 0 7,4 4,5

0 17,4*

10,7 22,2*

33,3*

26 400 158

30 50 30

0 1,5 15,5

15,5 0 3 21,6 Mattes, 1980

Kelleher, 1984 Jmelnitzky, 1986 Barandun, 1985 Klein, 1987

Testasecca, 1986 Tryba, 1988 Breucha, 1987

Polytrauma, Sepsis chirurgisch

Polytrauma Polytrauma SHT, neuro- chirurgisch

neurochirurgisch chirurgisch chirurgisch

Placebo Placebo

Cimetidin: 1,2-2,4 g Cimetidin: 0,8 g Placebo/Kontrolle Cimetidin: 1,0 oder Ranitidin: 0,2 g Ranitidin: 0,4-0,6 g Ranitidin: 0,45 g Ranitidin: 0,2 g Cimetidin: 1,2 g

* p < 0,05

55, 65). Als Risikogruppen identifi- ziert wurden Patienten mit respira- torischer Insuffizienz, Sepsis, Schock, akutem Leber- oder Nieren- versagen, schweren Gerinnungsstö- rungen, großem Blutverlust oder zentraler neurologischer Schädigung (Schädelhirntrauma, hoher Quer- schnitt, Blutung, Apoplex, neuro- chirurgischer Eingriff). Derartige Veränderungen findet man im chir- urgischen Klientel vornehmlich nach Polytrauma, großflächigen Verbren- nungen, großen Abdominal- und Gefäßeingriffen sowie hämorrha- gisch-nekrotisierender Pankreatitis.

Häufigkeit

von Streßblutungen

Erst in den letzten dreißig Jah- ren sind Streßblutungen in das Be- wußtsein des Klinikers gerückt (48).

Als Ursache dieser Entwicklung müssen die verbesserten beziehungs- weise neu geschaffenen Intensivbe- handlungsmöglichkeiten gesehen werden. Erst die Etablierung der Respiratortherapie, die konsequen- te parenterale Flüssigkeitstherapie sowie der breite Einsatz von Blut und Blutbestandteilen brachte die Patienten in einen Zustand, daß sie eine solche Komplikation erleben konnten. Dies führte ab Mitte der

Auf der internistischen Intensivsta- tion sind es insbesondere Patienten mit kardiogenem Schock, Intoxika- tion, schwerem Apoplex oder Le- berversagen, die akute Streßblutun- gen entwickeln. Die bei älteren Pa- tienten erhöhte Blutungsneigung könnte auch Zeichen einer Häufung von Risikofaktoren sein. Bei Inten- sivpatienten mit bekannter Ulkus- anamnese treten akute Blutungen aus dem oberen Gastrointestinal- trakt ebenfalls gehäuft auf. Hierbei dürfte es sich jedoch nicht selten um das Aufflammen der vorbestehen- den Ulkuskrankheit handeln.

50er Jahre zu einem Anstieg der Streßblutungen um nahezu das Fünffache innerhalb eines Jahr- zehnts (48). In der zweiten Hälfte der 70er Jahre begannen Streßblu- tungen seltener zu werden.

Heute gehören behandlungsbe- dürftige Streßläsionen selbst bei schwerkranken Patienten zu den Ausnahmen (5, 22, 57). Da Streß- blutungen parallel zur Etablierung der medikamentösen Streßblutungs- prophylaxe abnahmen, führte man die Blutungsreduktion auf die dabei eingesetzten Substanzen, meist H2- Antagonisten oder Antazida, zu- rück. Eine rückblickende Analyse der mittlerweile vorliegenden Stu-

dien (3, 22, 24, 38, 39, 40, 43, 62, 65) läßt jedoch erkennen, daß die Häu- figkeit von Streßblutungen trotz zum Teil höherer Gesamtletalität in den Studien seit Beginn der 80er Jahre auch ohne spezifische Prophylaxe erheblich zurückgegangen ist (Ab- bildung 1). Verantwortlich hierfür sind Verbesserungen des intensiv- medizinischen und notfallmedizini- schen Regimes wie frühzeitige Beat- mung, ausreichende Sedierung und Analgesie, parenterale und frühzei- tige enterale Ernährung, Katechol- amintherapie, Substitution von Ge- rinnungsfaktoren und frühzeitige Schockbekämpfung, häufig schon im Notarztwagen oder Rettungshub- schrauber.

Allgemeine Maßnahmen zur Prophylaxe

Sie bestehen in einer optimalen Schockbekämpfung, einer guten Oxygenierung, einer ausreichenden Sedierung und Schmerztherapie so- wie in frühzeitiger enteraler (gastra- ler) Ernährung, oral oder über eine Sonde. Unter einer suffizienten en- teralen Ernährung werden Streßblu- tungen nur selten beobachtet (42).

Ob die Ableitung des Magensafts ei-

(3)

Pirenzepin

Prostaglandine (exogen)

E?

Pepsin Gallensäuren

Prostaglandine Bikarbonat

Zellerneuerung Antacida

(Aluminium)

Sucralfat

Mucus

4

H2-Antagonisten

Omeprazol ATPase

ne weitere prophylaktische Maßnah- me darstellt, wurde bisher in kon- trollierten Studien nicht untersucht.

Da Magensonden durch Druckläsio- nen die Entstehung von Arrosions- blutungen fördern können (46), soll- ten sie nur dann eingesetzt werden, wenn ohnehin aus anderer Indika- tion, zum Beispiel wegen einer Darmatonie, eine Entlastung des Magens vorgenommen werden muß.

Medikamentöse Maßnahmen zur Prophylaxe

Nachdem in tierexperimentellen Untersuchungen durch vorherige Gabe von Antazida (60) oder Hist- amin-H2-Antagonisten (36) die Häu- figkeit und Schwere streßinduzierter gastroduodenaler Läsionen vermin- dert werden konnte, hielt die medi- kamentöse Streßblutungsprophylaxe Einzug auf fast allen Intensivstatio- nen. Ein Magensaft-pH von minde- stens 4 wurde als notwendig erach- tet, um einen ausreichenden Schutz vor Streßblutungen zu gewährlei- sten. In den letzten Jahren konnte für viele in der Ulkustherapie einge- setzte Medikamente der Nachweis erbracht werden, daß sie experimen- tell erzeugte Streßläsionen verhin- dern können. Die hypothetischen Wirkmechanismen dieser Substan- zen sind dabei höchst unterschied- lich (Abbildung 2). Zahlreiche die- ser Medikamente wurden auch in der Klinik auf ihre Wirksamkeit überprüft.

Wirksamkeit von Antazida und H2-Antagonisten

Die Wirksamkeit von Antazida zur Prävention von Streßblutungen ist unumstritten. Voraussetzung ist die Applikation in kurzen, ein- bis zweistündlichen Intervallen (3, 25, 40, 65). Es wurden fast ausschließ- lich aluminiumhydroxidhaltige An- tazida eingesetzt. Während die Wirksamkeit von Antazida bisher auf den säureneutralisierenden Ef- fekt zurückgeführt wurde, sprechen

neuere experimentelle und klinische (3, 43) Untersuchungen für einen zusätzlichen, pH-unabhängigen zy- toprotektiven Effekt. Zumindest ex- perimentell setzen aluminiumhydro- xidhaltige Antazida Prostaglandine in der Magenmukosa frei (53) und binden Gallensäuren. Trotz der in klinischen Studien gesicherten Wirk- samkeit einer adäquaten Antazi- daprophylaxe lassen häufige pH- Kontrollen, Dosierungen von mehr als 100 ml stündlich in Einzelfällen, Übelkeit und Erbrechen ein solch striktes Regime in der klinischen Routine als schwer durchführbar er- scheinen. Die Einführung der H2-

Antagonisten vor einem Jahrzehnt

schien deshalb einen erfolgverspre- chenden neuen Therapieansatz auf- zuzeigen.

In den ersten Jahren erwies sich denn auch die Streßblutungsprophy- laxe mit Cimetidin gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe in insgesamt vier Studien (3, 11, 24, 38) als signifikant überlegen. Seit 1981 jedoch finden sich keine prospekti- ven Studien, in denen H 2-Antagoni- sten hinsichtlich makroskopisch sichtbarer Blutungen in der Prophy- laxe einer unbehandelten Kontroll- gruppe überlegen war (12, 22, 45, 61, 65). Eine differenzierte Analyse der vorliegenden Studien läßt eine ausreichende Wirksamkeit der H2- Abbildung 2: Modell zur Wirkung verschiedener Substanzen in der Streßblutungspro- phylaxe

A-2364 (52) Dt. Ärztebl. 85, Heft 34/35, 29. August 1988

(4)

Autor Patienten n Sucralfat Dosis/mg

Tabelle 2: Prospektive Studien zur Streßblutungsprophylaxe mit Sucralfat

Vergleich

Medikament/Dosis

Cannon, 1987 Antazidum: 2/h

Cimitidin: 1,2 g beatmet, vorw.

internistisch

59 4 0

Tryba, 1985 Borrero, 1985 Bresalier, 1987

chirurgisch, neurochirurgisch chirurgisch meist chirur- gisch beatmet

Antazidum: 2/h Cimetidin: 2 g Antazidum: 2/h Antazidum: 2/h

100 0

155 4 0

74 6 10,5

6,1 6,1 0 19,4 Mundinger, 1985

Borrero, 1986 Vogelaer, 1987

chirurgisch chirurgisch internistisch, meist beatmet

Antazidum: 1-2/h Antazidum: 1/h Cimetidin: 1,2 g

213 4 2 1,8

50 4 4 0

80 6 2,5 2,5

Tryba, 1987 beatmet, chirurgisch

Antazidum: 2/h

100 6 2 2

Driks, 1987 beatmet, chirurg- gisch + intern.

Antazidum (+ H2-Antagonist)

130 4 3,3 1,4

Laggner, 1987 meist beatmet, vorw. intern.

Ranitidin: 0,3 g 37,2*

84 6 12,2

* p < 0,05

21,1*

4,8 makroskopische

Blutung (%)

Antagonisten vor allem bei mäßig blutungsgefährdeten Patienten er- kennen (22, 25, 44, 56, 65). In neue- ren Untersuchungen erwiesen sich H2-Antagonisten sowohl hinsichtlich makroskopisch sichtbarer (30, 35) als auch okkulter Blutungen (10) an- deren Prophylaxeregimes als unter- legen. Als Dosierungen von Cimeti- din bei nierengesunden Patienten werden zwischen 1,2 und 2,4 g täg- lich empfohlen. Für Ranitidin (200 bis 300 mg) und Famotidin (40 bis 80 mg) gelten äquipotente Tagesdosie- rungen.

Pirenzepin:

In den letzten Jahren sind Sub- stanzen in den Mittelpunkt gerückt, deren Wirksamkeit nicht durch eine Anhebung des intragastralen pH, sondern durch eine Stärkung der Mukosabarriere erklärt werden, muß. Der relativ spezifisch am Ma- gen angreifende Muscarin-M 1 -Anta- gonist Pirenzepin hemmt nicht nur die Magensaftproduktion, sondern führt zumindest experimentell zu ei-

ner Verbesserung der Mukosadurch- blutung und stärkt somit die protek- tiven Faktoren (47). Obwohl im Vergleich zu H 2-Antagonisten Pi- renzepin den intragastralen pH bei Intensivpatienten signifikant gerin- ger beeinflußt (56), liegen die Blu- tungsraten in allen kontrollierten Untersuchungen gleich oder niedri- ger als in den Vergleichskollektiven (2, 9, 30, 31, 32, 39, 54, 56), zum Teil sogar signifikant unter denen mit H2-Antagonisten (Tabelle 1).

Neuere Ergebnisse an größeren Kol- lektiven (9, 32, 56) lassen insbeson- dere bei Patienten mit hohem Blu- tungsrisiko oder intrakraniellen Lä- sionen Vorteile von Pirenzepin ge- genüber H2-Antagonisten erkennen.

Die Tagesdosis von Pirenzepin liegt bei 30 bis 60 mg intravenös.

Sucralfat:

Umfangreiche Untersuchungen zur Wirksamkeit in der Streßblu- tungsprophylaxe sind in den letzten drei Jahren mit Sucralfat, einem sul- fatierten aluminiumhaltigen Disac-

charid, durchgeführt worden. Suc- ralfat bindet sich über viele Stunden an die Magenschleimhaut, hemmt dadurch die Wasserstoffionen-Diffu- sion in die Mukosa und die peptische Proteolyse, bindet Gallensäuren, sti- muliert die Epithelregeneration, steigert die Mukosadurchblutung und die Bicarbonat-Sekretion und führt zur Mukuszunahme sowie Prostaglandinfreisetzung (4). Die prophylaktische Wirksamkeit hat sich in allen Untersuchungen als mindestens ebenso effizient (5, 6, 8, 18, 41, 57, 58, 63) erwiesen wie eine suffiziente Antazidamedikation (Ta- belle 2), in einer Untersuchung so- gar als signifikant überlegen (10).

Sie war einer Prophylaxe mit Raniti- din hinsichtlich makroskopischer Blutungen (35), einer Cimetidinme- dikation hinsichtlich occulter Blu- tungen signifikant überlegen (10).

Patienten mit Multiorganversagen erfahren durch Sucralfat, in gleicher Weise wie durch Antazida, einen wirksameren Schutz vor Streßblu- tungen als durch eine parenterale Medikation mit H2-Antagonisten

(5)

Nein

Beatmung oder / und Magensonde

Sucralfat Suspension (1 G 4-STDL)

y Pirenzepin (50 MG / D) Risikofaktoren

Ulkusanamnese Respir. Insuffizienz Nierenversagen Leberversagen Schwere Infektion

Zentr. Neurol. Schädigung Verbrennung (> 20%) Alter > 65 Jahre

Schock (Katechol.pflichtig Transfusion (> 5 Konserven) Aorteneingriff

Pancreaseingriff Pankreatitis

Großer Abdominaleingriff

(Transplantation, Leberresektion, Ileus, Colon- Rektum-OP etc.)

1

Eingriff am oberen Gastroi ntestinaltrakt

Leberversagen: Wirksamkeit von Pirenzepin und Sucralfat noch nicht überprüft.

ggf. H2-Antagonisten oder Antazida.

Unverträglichkeit von Sucralfat: Intervall auf 6 Stunden ausdehnen, ggf. Pirenzepin.

Fortführung der Prophylaxe bis zur suffizienten enteralen Ernährung und Magen Darm-Passage.

Aufnahme Intensivstation

Abbildung 3: Differenzierter Einsatz von Medikamenten zur Streßblutungsprophylaxe oder Pirenzepin (55). Sucralfat wird

als Suspension in einer Einzeldosis von mindestens 1 g in vier- bis maxi- mal sechsstündlichem Intervall ap- pliziert. Die höhere Dosis scheint ei- ne etwas höhere Wirksamkeit zu versprechen. Eine Kontrolle des in- tragastralen pH-Wertes ist ebenso wie bei Pirenzepin nicht erforder- lich.

Der in experimentellen Unter- suchungen nachgewiesene muko- saprotektive Effekt von Prostaglan- dinanaloga ließ eine Wirksamkeit auch in der Streßblutungsprophylaxe vermuten. In den bisher bekannt ge- wordenen klinischen Studien erwie- sen sich Prostaglandine jedoch als unwirksam (51, 62).

Die Kombination verschiedener Substanzen zur Verbesserung der prophylaktischen Wirkung ist auf vielen Intensivstationen gängige Praxis. Dieses aus der Theorie ent- wickelte Konzept findet jedoch kei- ne Unterstützung durch kontrollier- te Studien (20, 21, 34, 64). Bis heute liegen keine prospektiven Untersu- chungen vor, die die verbesserte Wirksamkeit einer Kombinations- medikation belegen (Tabelle 3).

Nebenwirkungen

Unter Antazida können, insbe- sondere bei längerfristig erhöhter Dosierung, Hypermagnesiämien und Hypophosphatämien auftreten.

Seltener beobachtet man schwere Alkalosen. Zwar kommt es unter ei- ner hochdosierten Therapie mit alu- miniumhydroxidhaltigen Antazida zu einer Aluminiumanreicherung, klinisch relevante Nebenwirkungen wurden jedoch selbst bei nierenin- suffizienten Patienten unter den Be- dingungen der Intensivtherapie bis- her nicht berichtet. Je nach Zusam- mensetzung des Antazidums sind Obstipation oder Diarrhoe möglich.

Die Hemmung des Cytochrom- P450-Systems in der Leber und die hierdurch induzierte Beeinflussung der Phase-I-Elimination zahlreicher in der Intensivmedizin gebräuch- licher Medikamente durch längerfri- stige Cimetidinmedikation lassen diese Substanz unter den Bedingun- gen der Intensivtherapie nicht als

A-2366 (58) Dt. Ärztebl. 85, Heft 34/35, 29. August 1988

(6)

Tabelle 3: Prospektive Studien zur Streßblutungsprophylaxe: Vergleich der Mono- und Kombinationsmedika- tion

Autor Patienten n Antazidum Kombination

Dosis makroskopische Blutung (%)

Medikamente/Dosis

121

spinales Trauma 2/h 20,9 18,5 1,2 g Cimetidin + Antazidum 1,2 g Cimetidin + Antazidum 0,15 g Ranitidin + Antazidum 1,2 g Cimetidin +

30 mg Pirenzepin Epstein, 1981

Zäch, 1984 Koelz, 1987 Engelhardt, 1985

84 spinales Trauma

Sepsis, Polytrauma 56 4/h 3,7 0 internistisch,

chirurgisch

2/h 26,8

120 2/h 3,4 8,1

27,9

H2-Antagonist der Wahl erscheinen.

Cimetidin hemmt die Metabolisie- rung vieler Benzodiazepine, Lido- cain, Theophyllin, Kalziumantago- nisten, Beta-Blocker, Antibiotika und andere (23). Die Hemmung des Cytochrom-P 450-Systems durch Ra- nitidin ist erheblich geringer. Für Famotidin wurden bisher keine Wechselwirkungen bekannt.

Unter Cimetidin und Ranitidin wurden insbesondere bei älteren, Le- ber- oder niereninsuffizienten Pa- tienten Verwirrtheitszustände be- schrieben. Eine solche Komplika- tion erschwert die Verlaufsbeurtei- lung bei zerebral geschädigten Pa- tienten (SHT, neurochirurgische Eingriffe, Koma) erheblich. Akko- modationsstörungen und Mundtrok- kenheit als anticholinerge Neben- wirkung von Pirenzepin bei hoher Dosierung dürften ohne klinische Bedeutung sein.

Die Bolusinjektion von H 2-Ant- agonisten kann zu Blutdruckabfall, Bradykardie, in Einzelfällen sogar zu Asystolie führen (33). Die Injek- tion von Pirenzepin sollte möglichst nicht als Bolus zentralvenös erfol- gen, da Tachykardien vorkommen.

Insbesondere unter der Cimeti- dinmedikation werden häufiger Thrombozytopenien beobachtet, die jedoch in der Regel nach Absetzen des H2-Antagonisten reversibel sind.

Keime im Magensaft

Die klinisch bedeutsamste Ne- benwirkung ist die unter einer pH- Anhebung im Magen auftretende Keimbesiedlung. Schon 24 bis 48 Stunden nach Anhebung des intra- gastralen pH über 3,5 finden sich —

vorwiegend gramnegative — Keime im Magensaft. Maximale Konzen- trationen bis zu 10 10 Keimen/ml (18, 19) können erreicht werden. Bei ei- nem Großteil der Patienten lassen sich, wahrscheinlich bedingt durch Regurgitation und Mikroaspiration, dieselben Keimspezies ein bis zwei Tage später im Trachealabstrich nachweisen. In mehreren Untersu- chungen wurde mittels Keimspezifi- zierung und -typisierung der Nach- weis einer gastropulmonalen Keim- aszension erbracht (7, 14, 17).

Insbesondere bei beatmeten Pa- tienten steigt die Wahrscheinlichkeit pulmonaler Infekte in Abhängigkeit vom pH des Magensaftes (14).

Oberhalb eines pH von 3,5 müssen etwa 30 bis 50 Prozent der unter Be- atmung auftretenden Pneumonien auf diesen Infektionsweg zurückge- führt werden (7, 14, 17). Cimetidin führte in einer prospektiven Studie bei 200 nicht beatmeten Intensivpa- tienten zu signifikant höheren Pneu- monieraten im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe (12).

Dies wurde in einer Analyse bei 233 langzeitbeatmeten Patienten bestä- tigt (13). Die Streßblutungsprophy- laxe mit Sucralfat oder Pirenzepin vermindert die Gefahr sowohl einer pharyngealen (18) und trachealen Keimbesiedlung (18, 35) als auch Pneumonie (18, 56, 57) im Vergleich zu Antazida oder H 2-Antagonisten (Tabelle 4). Die Ausschaltung des Magens als endogener Keimfilter durch Säureelimination ermöglicht die retrograde Aszension von Darm- keimen. Ebenso können primär in geringer, Anzahl vorhandene oro- pharyngeale Keime durch Ver- schlucken in den Magen gelangen.

Der nicht mehr azide Magen bietet

ideale Voraussetzungen für eine ex- zessive Keimvermehrung. Da Mi- kroregurgitationen und -aspiratio- nen auch bei beatmeten Patienten nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind (49 a), kann schon durch Aspiration geringer Magensaftmen- gen eine genügend große Keiman- zahl in den Respirationstrakt gelan- gen und eine Infektion induzieren.

Begünstigt wird die Entstehung ei- ner solchen Infektion durch die ge- rade unter den Verhältnissen der In- tensivtherapie beeinträchtigte Ab- wehrschwäche. Die nosokomiale Pneumonie ist die lebensbedrohlich- ste Komplikation bei langzeitbeat- meten Patienten (29).

Schlußfolgerungen

Die Wirksamkeit aluminium- hydroxidhaltiger Antazida zur Streßblutungsprophylaxe ist unum- stritten, wenn kurze Applikationsin- tervalle eingehalten werden (27).

Sucralfat-Suspension, in vier- bis maximal sechsstündlichen Abstän- den appliziert, hat sich einem sol- chen Antazidaregime gegenüber als gleichwertig erwiesen. Demgegen- über muß die Wirksamkeit von H2-

Antagonisten zumindest bei Risiko- patienten als zweifelhaft angesehen werden (28). Pirenzepin ist mögli- cherweise bei Risikopatienten den H2-Antagonisten überlegen. Für Prostaglandinanaloga fehlt jeder Be- weis der Wirksamkeit (51, 62).

Kombinationsmedikationen sind nicht wirksamer als die suffiziente Gabe einzelner Medikamente (20, 21, 34, 64). Bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko ist die enterale Pro- phylaxe mit Antazida oder Sucralfat

(7)

Tabelle 4: Untersuchungen zur Häufigkeit pulmonaler Infekte in Abhängigkeit von der &t der StreBblutungs-

r

prophylaxe

Autor Patienten n Pneumonie (%)

Kontrolle H2-Antagonist Antazidum

Sucralfat Pirenzepin p < 0,05

200 3

233 8

339 1,8

61 9,1

84 37

Cheadle, 1985 Craven, 1986 Tryba, 1988 Tryba, 1988 Laggner, 1987

chirurgisch nicht beatmet beatmet chirurgisch nicht beatmet chirurgisch, beatmet internistisch, meist beatmet

13 (Cimetidin) 37 (Cimetidin) 3,5 (Ranitidin) 28,6 (Ranitidin) 51 (Ranitidin)

(Keimnachweis Lunge + Blut) 124

beatmet 23,2 (Antazidum,

H2-Antagonist) (ohne cross over)

Driks, 1987 9,1

10,3

49 34,4 (Antazidum

Tryba, 1987 beatmet der parenteralen Medikation mit H2-

Antagonisten oder Pirenzepin über- legen (55).

Im Gegensatz zu den neueren H2-Antagonisten beeinflußt Cimeti- din die Elimination einer Reihe von Substanzen, die in der Intensivthera- pie gebräuchlich sind und kann des- halb für den Intensivpatienten nicht als Substanz der Wahl angesehen werden (23). Alle H 2-Antagonisten können zerebrale Verwirrtheitszu- stände und kardiale Nebenwirkun- gen hervorrufen. Die Anhebung des intragastralen pH erhöht die Pneu- moniegefahr. Durch die geringere Beeinflussung des pH-Wertes ver- mindern Sucralfat und Pirenzepin im Vergleich zu Antazida oder H 2-Ant- agonisten die Gefahr pulmonaler In- fekte. Für Sucralfat konnte zusätz- lich sowohl in künstlichem (15) als auch humanem Magensaft (59) ein substanzeigener, pH-unabhängiger antibakterieller Effekt nachgewie- sen werden.

Patienten mit hohem Blutungs- risiko sollten deshalb, soweit aus chirurgischer Sicht möglich, eine enterale Prophylaxe erhalten. Ist bei diesen Patienten eine enterale Pro- phylaxe nicht möglich, oder wird das Blutungsrisiko nicht so hoch einge- schätzt, bietet die parenterale Pro- phylaxe eine Alternative. Will man das unter Antazida oder H 2-Antago-

nisten erhöhte Pneumonierisiko sen- ken, stehen mit Sucralfat-Suspen- sion und Pirenzepin Alternativen zur bisherigen Streßblutungsprophy- laxe zur Verfügung. Beobachtet man unter einer Pirenzepinprophy- laxe eine kontinuierliche Anhebung des intragastralen pH>4 , bietet sich Sucralfat aufgrund seiner antibakte- riellen Eigenschaften als Alternative oder Ergänzung an.

Möglicherweise läßt sich in ei- nem solchen selektionierten Kollek- tiv hoch infektionsgefährdeter Pa- tienten auch eine Differentialindika- tion für den prophylaktischen loka- len Einsatz von Antibiotika erken- nen (52, 60), deren genereller Ge- brauch zur Prophylaxe auf zum Teil erhebliche Bedenken stößt (16). Die medikamentöse Prophylaxe sollte so lange fortgesetzt werden, bis eine suffiziente enterale (gastrale) Er- nährung und Magen-Darm-Passage gesichert ist. Patienten mit bekann- ter Ulkusanamnese sollten auch nach Beginn der enteralen Ernäh- rung durch Fortführung der spezifi- schen Medikation im Sinne einer Rezidivprophylaxe vor akuten Blu- tungen geschützt werden. Die Ab- bildung 3 zeigt das an unserer Klinik seit fast zwei Jahren mit Erfolg durchgeführte Prophylaxe-Schema, das sich auch in einer Reihe anderer Kliniken bewährt hat.

Streßblutungen ebenso wie Pneumonien werden auch unter die- sem pH-unabhängigen Konzept der Streßblutungsprophylaxe auftreten.

Es sollte jedoch darauf geachtet werden, inwieweit die Streßblutung als ein weiteres Zeichen im Rahmen des Multiorganversagen angesehen werden muß oder im Zusammen- hang mit schweren Gerinnungsstö- rungen auftritt. Pneumonien entste- hen nicht nur über den gastropulmo- nalen Infektionsweg, sondern kön- nen ihren Ursprung in zahlreichen anderen Ursachen haben. Da die Pneumonie heute die häufigste leta- le Komplikation der Intensivthera- pie darstellt, erscheint jede Maßnah- me, die das Risiko pulmonaler In- fektionen vermindert, ohne andere Gefahren zu induzieren, nützlich.

Die in Klammern stehenden Zahlen be- ziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, zu beziehen über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. med.

Michael Tryba Universitätsklinik für

Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie

Berufsgenossenschaftliche

Krankenanstalten „Bergmannsheil`

Bochum Gilsingstraße 14 • 4630 Bochum A-2370 (62) Dt. Ärztebl. 85, Heft 34/35, 29. August 1988

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